TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/30 W195 1418360-3

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Veröffentlicht am 30.12.2020
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Entscheidungsdatum

30.12.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §52

Spruch


W195 1418360-3/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. XXXX , vertreten durch XXXX , Rechtsanwälte in Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.11.2019 sowie einer Zeuginneneinvernahme am 24.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV, V und VI stattgegeben, die genannten Spruchpunkte werden ersatzlos behoben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. I.1. Der Beschwerdeführer (im Weiteren: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.02.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend dazu führte er aus, dass er politisch verfolgt werde, indem ihm ein Mord unterstellt worden sei.

I.2. In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Weiteren: BAA) am 25.02.2011 gab der BF an, er sei verheiratet und habe keine Kinder. Er habe sein Land verlassen, weil er aufgrund seiner Tätigkeit als Generalsekretär der BNP eines Polizeiverwaltungsbezirkes seit September 2008 von Mitgliedern der Awami League bedroht worden sei. Am 25.12.2010 sei er fälschlicherweise wegen Mordes angezeigt worden. Die Polizei habe seinem Vater eine Abschrift der Klagsschrift ausgehändigt. Der BF werde daher von der Polizei und möglicherweise auch vom Militär gesucht. Er verfüge über keine innerstaatliche Fluchtalternative.

I.3. Mit Bescheid vom 28.02.2011, XXXX , wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), und den BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bangladesch aus (Spruchpunkt III.); einer Beschwerde gegen diesen Bescheid erkannte das BAA gemäß § 38 Abs. 1 aF AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.).

Im Wesentlichsten zusammengefasst führte das BAA in seiner Begründung aus, der BF sei persönlich unglaubwürdig, sein Fluchtvorbringen oberflächlich und widersprüchlich und qualifiziert unglaubhaft. Soweit der BF eine Verfolgung durch Privatpersonen behaupte, sei diese zudem nicht asylrelevant.

I.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 10.03.2011 Beschwerde, in der der BF den angefochtenen Bescheid vollumfänglich wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpfte.

Begründend führte der BF im Wesentlichsten zusammengefasst aus, die belangte Behörde habe sich in ihrer Entscheidung nur unzureichend mit seinem konkreten Vorbringen und der daraus resultierenden Verfolgungssituation auseinandergesetzt. Das Ermittlungsverfahren sei nur unzureichend und oberflächlich durchgeführt worden; die belangte Behörde hätte durch geeignete Fragestellungen und Recherchen im Heimatland den materiellen Sachverhalt zu ermitteln gehabt. Zudem sei auch sein Recht hinsichtlich der Wahrung des Parteiengehörs verletzt worden. Er habe im Verfahren vor der belangten Behörde nicht ausreichend Zeit und Gelegenheit bekommen, zu den von der belangten Behörde vorgehaltenen Länderberichten Stellung zu nehmen.

I.5. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 24.03.2011, XXXX wurde dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

I.6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2015, XXXX wurde der Bescheid vom 28.02.2011 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. S VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das nunmehr zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren: BFA) zurückverwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht begründete diesen Beschluss im Wesentlichen mit dem Unterbleiben erforderlicher Ermittlungen durch das BAA. Dieses habe sich nur unzureichend mit dem Fluchtvorbringen des BF auseinandergesetzt und nicht auf eine Beibringung von Beweismitteln hingewirkt. Insbesondere habe es keine Ermittlungen hinsichtlich der vom BF behaupteten Anzeige und allfälliger daraus resultierender Strafverfahren im Heimatland angestellt. Auch habe es nicht die Vorlage allfälliger vorhandener Dokumente betrieben.

I.7. Mit Schreiben vom 31.08.2016 nahm der BF durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter Stellung. Aufgrund seines nunmehrigen fünfjährigen Aufenthalts befinde sich der Lebensmittelpunkt des BF in Österreich. Er habe die B1-Deutschprüfung abgelegt, verfüge durch seine Tätigkeit als Pizzazusteller über ein durchschnittliches monatliches Einkommen von € 1.700,– und benötige keine Unterstützungen durch die öffentliche Hand. Er verfüge über einen Gewerbeschein sowie einen österreichischen Führerschein. Er sei bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft aufrecht kranken- und sozialversichert. Neben seiner Arbeitstätigkeit, im Zuge derer der BF mit vielen Österreichern in Kontakt komme, betreibe er Hobbies. Er sei sozial und gesellschaftlich integriert. Zudem sei er Mitglied des XXXX , der Büchereien der XXXX , der XXXX und des XXXX . Er gehe in eine Tanzschule und in ein Fitnesscenter. Der BF legte ein Konvolut an Unterlagen vor.

I.8. Am 04.04.2017 wurde der BF vor dem BFA wiederholt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er sei in Bangladesch politisch tätig gewesen, Mitglieder der AL hätten ihn umbringen wollen. Er sei auf Grund seiner politischen Tätigkeit und Gesinnung von den Mitgliedern der Gegenpartei der AL bedroht und verfolgt worden. Sein Leben sei dort nicht sicher gewesen. Er sei Mitglied der B.N.P. XXXX und Generalsekretär gewesen. Sie hätten versucht, neue Mitglieder für seine Partei zu gewinnen, sie hätten Demonstrationen und Veranstaltungen organisiert und kundgemacht. Auf Vorhalt, dass er in der ersten Einvernahme von einem wohltätigen Verein namens XXXX gesprochen habe, gab er an, er wisse nicht mehr, was er bei der ersten Einvernahme gesagt habe, es sei ein „Sozial Club“ in seinem Dorf unabhängig von seiner politischen Tätigkeit gewesen. Eine „Votar Card“ habe er nicht gehabt. Er sei krank gewesen und es sei schon so lange her. Er könne sich nicht erinnern. Er sei auf verschiedenster Art und Weise bedroht worden. Er habe Drohbriefe bekommen, in denen gestanden sei, er solle aufhören aktiv in der XXXX zu sein. Er habe weitere Morddrohungen über das Telefon mit der Aufforderung, sich nicht mehr politisch zu betätigen, erhalten. Die Polizei habe ihn gesucht, weil ihm eine falsche Anzeige angehängt worden sei. Es sei schon so lange her, er wisse nicht mehr alles so genau.

I.9. Mit undatiertem Schreiben, beim BFA am 12.04.2017 eingelangt, nahm der BF durch seine damalige rechtsfreundliche Vertreterin neuerlich Stellung. Nach einer Wiederholung der behaupteten Fluchtgründe und weitwendigen Zitierungen von Länderberichten bringt diese im Wesentlichen vor, der BF sei jedenfalls einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde ihm nicht zur Verfügung und ihm drohe in Bangladesch Verfolgung. Im Falle einer Rückkehr würde er sofort in Haft genommen.

I.10. Mit Schreiben vom 12.02.2018 nahm der BF durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter abermals Stellung. Aufgrund seines siebenjährigen Aufenthalts sei der BF gut integriert, er arbeite als Fahrer und im Gastronomiebereich, bringe € 2.000,– ins Verdienen und sei aufrecht kranken- und sozialversichert. Er gehe Hobbies nach und habe durch seinen Beruf viel Kontakt zu österreichischen Staatsangehörigen. Weiters habe er die Deutschprüfung B1 bestanden. In Bälde belege er einen Deutschkurs B2. Mit dem Schreiben wurde ein Konvolut an Urkunden in Vorlage gebracht.

I.11. Das BFA holte nach Einholung einer Übersetzung vorgelegter Beweismittel bei der Staatendokumentation eine Anfragebeantwortung ein, aus der sich –zusammengefasst - folgendes ergibt:

Dem Bericht des Vertrauensanwaltes ist zu entnehmen, dass bei einer Befragung von mehreren Personen keine Verbindungen zwischen der Person des Hr. XXXX und der Partei XXXX bestätigt werden konnten. In den zur Prüfung vorgelegten Dokumenten der Polizeistation XXXX scheint der Name XXXX weder in der Anzeige, dem First Information Report (FIR) oder dem Haftbefehl auf. Darüber hinaus konnte durch Mitarbeiter des XXXX Distrikt XXXX , nicht bestätigt werden, dass Hr. XXXX zur Behandlung aufgenommen worden war.

I.12. Am 22.11.2018 wurde der BF neuerlich einer niederschriftlichen Befragung vor dem BFA unterzogen. Hiebei wurde er zunächst zu seinen Lebensumständen befragt, wobei er im Wesentlichen hiezu angab, seine bengalische Ehefrau habe die Scheidung eingereicht. Hier in Österreich habe er bereits viele Freunde und er lebe in einer Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin und deren Tochter. Eine Verständigung mit dem BF in deutscher Sprache war gut möglich.

Des Weiteren wiederholte er dem Grunde nach seine bisher vorgebrachten Fluchtgründe.

Im Falle einer Rückkehr habe der BF Angst um sein Leben. Er könne nicht zurück nach Bangladesch, weil er Angst habe, von AL-Leuten umgebracht zu werden. Er lebe in Österreich und liebe das Leben, das er hier führe.

Seine Lebensgefährtin habe er in der XXXX kennengelernt. Er lebe mit ihr seit fast drei Monaten zusammen. Die Lebensgefährtin des BF wurde einer zeugenschaftlichen Einvernahme unterzogen. Diese gab insbesondere an, mit dem BF seit zwei Monaten zusammenzuleben. Auch sie wurde zu Gewohnheiten des BF befragt.

I.13. Mit einem als „Bescheid“ bezeichneten Schriftstück vom 27.11.2018, XXXX , beabsichtigte das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abzuweisen (Spruchpunkt II.), einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 dem BF nicht zu erteilen (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG zu erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festzustellen, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und auszusprechen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Diese Erledigung wies weder eine Unterschrift des genehmigenden Organwalters auf noch wurde die – mittels Textverarbeitung erstellte – Urschrift sonst durch ein Verfahren zum Nachweis der Identität des Organwalters, etwa durch Amtssignatur genehmigt. Aus diesem Grund kam diesem Schriftstück der Bescheidcharakter nicht zu.

I.14. Gegen dieses Schriftstück erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

I.15. Mit hg. Beschluss vom 12.02.2019, XXXX wurde diese Beschwerde gem. § 18 Abs. 3 AVG aus dem bereits genannten Grund als unzulässig zurückgewiesen.

I.16. Mit dem danach ergangenen Bescheid vom 26.02.2019, XXXX wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.17. Mit Schriftsatz vom 17.05.2019 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des rechtsfreundlich vertretenen BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und der behaupteten Fluchtgeschichte und neben weitwendig zitierter Länderberichte, deren Verfahrensrelevanz nicht konkret dargetan wird, wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, der BF müsse aufgrund der politischen Situation in Bangladesch seine politische Haltung verbergen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde ihm nicht zur Verfügung. Das BFA verkenne überdies, dass „erfolglose Rückkehrer“ als „Schandfleck“ angesehen würden und sich nicht auf familiäre Unterstützung verlassen könnten. In Österreich habe der BF ein intensives Privatleben. Er habe sich in Österreich ein Familienleben aufgebaut und sei essentieller Bestandteil der Kinderbetreuung seiner Lebensgefährtin geworden. Darüber hinaus verfüge er Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1. Ab April 2019 belege er einen Sprachkurs Niveau B2. Der BF halte sich seit mehr als acht Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. In Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer, seiner gesellschaftlichen, sozialen, beruflichen und kulturellen Integration erweise sich sein Privatleben als so gewichtig, dass die öffentlichen Interessen nicht überwiegen könnten.

Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, allfällige nicht geltend gemachte Rechtswidrigkeiten amtswegig aufzugreifen, der Beschwerde stattzugeben und dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, dem BF einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu gewähren sowie festzustellen, dass seine Abschiebung nach Bangladesch unzulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise ersatzlos zu beheben, in eventu, den Bescheid „ersatzlos“ (sic) zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

I.18. Mit Schreiben vom 24.04.2019 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.19 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.11.2019 erging das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.12.2019, mit dem die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde.

Das BVwG traf in der Entscheidung folgende Feststellungen zum Fluchtgrund:

Festgestellt wird, dass der BF politische Gründe als einzigen Fluchtgrund angibt.

Festgestellt wird, dass der BF mit seinem Fluchtgrund unglaubwürdig ist.

Festgestellt wird, dass der BF kein Funktionär einer politischen Partei war. Seine diesbezüglichen Äußerungen – sein Bruder habe ihn inoffiziell zum Generalsekretär in seinem Polizeiverwaltungsbezirk gemacht – entbehren einer Grundlage und sind durch eine Vor Ort Überprüfung falsifiziert. Der BF ist somit unglaubwürdig und hat keinen Nachweis hinsichtlich einer politischen Tätigkeit erbracht.

Es wird auch nicht festgestellt, dass der BF entgegen seinen Behauptungen, von Mitgliedern der Awami League, vom Militär und auch nicht von der Polizei verfolgt wird.

Festgestellt wird, dass, nach Ausführungen einer Vor Ort Überprüfung der BF in Bangladesch nicht gesucht wird.

Ein Brandanschlag auf die Wohnung des BF sowie tätliche Angriffe können ebenfalls nicht festgestellt werden.

Im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch hat der BF keinerlei Bedrohungen zu gewärtigen. Allfälligen Behelligungen kann der BF durch ein innerstaatliches Ausweichen entgehen.

Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich wurde festgestellt:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali Der BF ist in einem Dorf im Distrikt XXXX geboren und aufgewachsen und hat bis zuletzt dort gelebt. Er hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Grundschule und danach zwei Jahre eine höhere Schule besucht und letztere im Jahr 2004 abgeschlossen. Einer Beschäftigung ist er nicht nachgegangen.

Der BF ist seit 2009 mit einer Bengalin verheiratet, wobei er keinen Kontakt zu ihr hat. Er hat keine Kinder. In Bangladesch halten sich sein Vater, ein Bruder und eine Schwester auf. Zwischen dem BF und seinen Verwandten bestünde aufrechter regelmäßiger Kontakt. Diesbezüglich widerspricht sich der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht, wo er ausführte, dass er keinen Kontakt zu seinen Verwandten, insbesondere seinem Vater, habe, und ein Bruder in XXXX lebe.

Der BF ist im Februar 2011 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist nicht in die Grundversorgung einbezogen. In Österreich ist der BF für das Unternehmen XXXX selbstständig als Fahrer tätig, wodurch er € 2.000,– ins Verdienen bringt.

Der BF ist in Österreich unterstützendes Mitglied des XXXX , Mitglied der XXXX , Mitglied beim XXXX und hat eine Büchereikarte der Büchereien der XXXX . Er besucht ein Fitnessstudio und eine Tanzschule.

Er hat in Österreich den Führerschein erworben.

Der BF ist in Bangladesch verheiratet, seine Ehefrau habe angeblich die Scheidung eingebracht. In Österreich hält sich eine Lebensgefährtin des BF auf. Diese ist österreichische Staatsangehörige. Der BF lebt mit ihr und ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt und hat Kontakt zu ihrer Familie.

Der BF verfügt über gute Deutschkenntnisse, ist strafrechtlich unbescholten und gesund.

I.20 Einer gegen diese Entscheidung – nämlich die vollinhaltliche Bestätigung des Bescheides des BFA - erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde in so ferne Folge gegeben, als der VfGH am 07.10.2020 XXXX , erkannte, dass der BF durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass die Ausweisung nach Bangladesch zulässig ist und die vierzehntägige Frist zur Ausreise, abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt wurde. Das Erkenntnis des BVwG wurde insoweit aufgehoben, im Übrigen die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

I.21 Dies bedeutet somit, dass über die Spruchpunkte IV, V und VI des Bescheides des BFA vom 26.02.2019 vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr neuerlich abgesprochen werden muss.

I.22 Zur Entscheidungsfindung hat das BVwG deshalb am 24.11.2020 eine neuerliche Befragung der Zeugin und behaupteten Lebensgefährtin des BF vorgenommen.

Im Zuge dieser – unter Wahrheitspflicht stehenden - Befragung ergab sich, dass die Lebensgemeinschaft der Zeugin mit dem BF weiterhin aufrecht ist. Der BF lebt gemeinsam mit der Zeugin an der gleichen Adresse in einer familienähnlichen Situation und kümmert sich „sehr gut“ um die Tochter der Lebensgefährtin. Die fünfjährige Tochter würde mittlerweile manchmal den BF als „Papa“ bezeichnen, worüber sich dieser sehr freue. Sie würden gemeinsam die Freizeit verbringen, hätten familiären Kontakt zur Familie der Zeugin und gemeinsame Freunde. Sie würden sich im Familienverband in deutscher Sprache unterhalten. Der BF arbeite, die Lebensgefährtin sei derzeit arbeitslos. Der BF würde die Lebensgefährtin und ihre Tochter entsprechend versorgen und unterstützen. Das Paar würde den Plan verfolgen zu heiraten. Die Zeugin gab sodann an, dass sie sich wünschen würde, dass sie mit dem BF „als kleine Familie“ leben dürfe.

I.23 Die Verfahrensparteien wurden sodann am 24.11.2020 eingeladen, zum Ergebnis der Zeuginnenbefragung Stellung zu nehmen, brachten jedoch innerhalb der vorgegeben vierzehntägigen Frist keinen weiteren Schriftsatz ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Die in der Entscheidung des BVwG vom 02.12.2019 getroffenen Feststellungen zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich haben weiterhin grundsätzlich Geltung.

Darüber hinaus wird aktuell festgestellt: Der BF befindet sich mittlerweile in einer länger dauernden festen Beziehung mit familienähnlichem Charakter. Der BF ist selbständig erhaltungsfähig und unterstützt seine Lebensgefährtin und deren minderjährige Tochter. Es gibt den Plan einer Heirat. Der BF hat mit der Lebensgefährtin gemeinsame Freunde und unterhält sich im Familienverband in deutscher Sprache.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Hinsichtlich der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF sowie zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache wird den bereits im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen des BFA gefolgt, an denen sich im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel ergeben haben, zumal diese Feststellungen, die auf den im Verfahren vor dem BFA getätigten eigenen Angaben des BF gründen, im vorliegenden Beschwerdeschriftsatz auch nicht beanstandet wurden.

Die Identität des BF konnte – mangels Vorliegens geeigneter Identitätsnachweise – seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht festgestellt werden und der im Spruch angeführte Name und das angeführte Geburtsdatum des BF dienen lediglich zur Identifizierung des BF als Verfahrenspartei. Auch das BFA bediente sich der im Spruch angegeben Daten lediglich zur Zuordnung des BF im Administrativverfahren und dies wurde in der Beschwerde ebenso nicht moniert.

Die Feststellungen zur Herkunft des BF, seiner absolvierten Schulausbildung, seinem Familienstand und seinen in Bangladesch aufhältigen Familienangehörigen legte ebenso bereits das BFA dem angefochtenen Bescheid zu Grunde, diese decken sich mit dem vom BF im Verfahren mehrfach übereinstimmend getätigten Angaben und wurden im Beschwerdeschriftsatz nicht bestritten.

Die im Februar 2011 erfolgte illegale Einreise des BF ist aktenkundig.

Verfahrensgang, Sachverhalt und Beweiswürdigung hinsichtlich des asylrelevanten Vorbringens sind in Folge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes keiner weiteren Beurteilung zugänglich, der Bescheid des BFA vom 26.02.2019 ist bezüglich der Spruchpunkte I bis III bestätigt und rechtskräftig.

Somit verbleibt gegenständlich die Entscheidung hinsichtlich der Spruchpunkte IV bis VI des angefochtenen Bescheides des BFA vom 26.02.2019.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes ? AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Daher ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

II.3.1. Zu A) I.:

Zu den Spruchpunkten IV bis VI. des angefochtenen Bescheides:

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der volljährige BF hat im Bundesgebiet mittlerweile eine länger andauernde Lebensgemeinschaft aufgebaut. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren minderjährigen Tochter.

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte allenfalls in das Privatleben des BF eingreifen. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente spielt jedoch insofern eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).

Der BF hält sich mittlerweile fast 10 Jahre in Bundesgebiet auf.

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Dem BF ist vorzuwerfen, dass sein Aufenthalt nicht auf der Grundlage asylrechtlich relevanter Vorgänge gelegen ist.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, – je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse – variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich; 31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande; 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

Die Dauer des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet seit Februar 2011 ist dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein, weswegen eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht schwer wiegen.

Was den BF betrifft muss jedoch festgehalten werden, dass er sich neben einer soliden Lebensgrundlage in wirtschaftlicher Hinsicht auch durch gute Deutschkenntnisse und einen vielfältigen Freundeskreis wesentliche Integrationsmaßnahmen geschaffen hat. Dies ermöglicht ihm beispielsweise innerhalb des Familienverbandes seiner Lebensgefährtin, insbesondere auch mit deren minderjähriger Tochter, sich ständig und gängig in deutscher Sprache zu unterhalten. Aus den Erzählungen der als Zeugin unter Wahrheitspflicht stehenden befragten Lebensgefährtin ergab sich, dass der BF auch in ihrer Familie akzeptiert und anerkannt ist, was in gemeinsamen Plänen für eine Heirat gipfelt.

Der BF hat im Bundesgebiet somit durchaus nennenswerte integrative Bemühungen gezeigt und soziale Kontakte in einem anerkennenswerten Ausmaß geschlossen, womit von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung des BF in die (österreichische) Gesellschaft ausgegangen werden kann. Es kann daher eine ausreichende Integration in die österreichische Gesellschaft erkannt werden.

Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, durchaus in ausreichendem Maße in den Vordergrund treten. Der BF hat in einer Gesamtschau ein ausreichendes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan. Die geltend gemachten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet reichen aus, um unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK von einer Rückkehrentscheidung Abstand zu nehmen. Der Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides war somit zu adaptieren.

Da von einer Rückkehrentscheidung auf Dauer Abstand zu nehmen ist, haben die Spruchpunkte V und VI des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu entfallen.

II.3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Vielmehr folgt die Entscheidung dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2020, XXXX .

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Behebung der Entscheidung Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Lebensgemeinschaft Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W195.1418360.3.00

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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