Entscheidungsdatum
21.01.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2238527-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes samt Nebenentscheidungen zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX .2019 in Österreich festgenommen und wird seither in der Justizanstalt XXXX angehalten. Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er zu einer fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.12.2019 wurde der BF aufgefordert, sich zu beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern und Fragen zu seinem Privat- und Familienleben und seinen Bindungen zu Österreich zu beantworten. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung wegen Suchtgiftdelikten begründet. Der BF halte sich seit XXXX .2010 im Bundesgebiet auf und sei fast durchgehend erwerbstätig gewesen, sodass er das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben habe. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG sei nicht anzuwenden, weil er sich bei seiner Verhaftung noch nicht zehn Jahre lang im Bundesgebiet aufgehalten habe. Seine Angehörigen seien in Deutschland ansässig, sodass kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Privat- und Familienleben vorliege. Angesichts des langen Tatzeitraums und des eigenen Suchtgiftkonsums sei die sofortige Ausreise des BF im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Behebung des angefochtenen Bescheids, insbesondere des Aufenthaltsverbots, in eventu dessen Verkürzung. Ein unbefristetes Aufenthaltsverbot sei unverhältnismäßig, zumal der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft worden sei. Für eine begründete Gefährdungsprognose wäre die persönliche Einvernahme des BF notwendig gewesen. Diese hätte gezeigt, dass von ihm nach der Haftentlassung keine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit mehr ausgehen werde, weil er eingesehen habe, dass seine Tat besonders verwerflich und zur Verminderung seiner Schuldenlast ungeeignet sei.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.
Feststellungen:
Der BF ist deutscher Staatsangehöriger und kam am XXXX in XXXX zur Welt. Er spricht Deutsch. In Deutschland besuchte er zehn Jahre lang die Schule und absolvierte danach eine XXXX . Er hält sich seit XXXX 2010 im Wesentlichen kontinuierlich im Bundesgebiet auf; am XXXX .2012 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) ausgestellt.
Der BF war im Bundesgebiet von XXXX .2010 bis XXXX .2012, von XXXX .2012 bis XXXX .2012, von XXXX .2013 bis XXXX .2014 und von 03.03.2014 bis 31.01.2020 als Arbeiter erwerbstätig, dazwischen bezog er mehrmals für kurze Zeit Arbeitslosengeld.
Der BF ist ledig. Er lebte in Österreich ab 2014 in einem gemeinsamen Haushalt mit der ungarischen Staatsangehörigen XXXX zusammen. Am XXXX kam die gemeinsame Tochter XXXX in XXXX zur Welt. Die weiteren Familienangehörigen des BF leben in Deutschland.
Der BF konsumierte seit seinem 14. Lebensjahr Suchtgift (vorwiegend Speed und Marihuana), aber nach einem Entzug 2009 nur noch unregelmäßig und kontrolliert. Um Glücksspielverluste zu finanzieren, begann er im XXXX 2016, mit Suchtgift zu handeln.
Am XXXX .2019 wurde der BF verhaftet, weil er Suchtgift aus Deutschland nach Österreich geschmuggelt hatte. In der Folge wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG sowie § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG) und der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG) ausgehend von der Strafdrohung des § 28 Abs 4 SMG (Freiheitsstrafe von einem bis zu fünfzehn Jahren) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er von XXXX 2016 bis zu seiner Festnahme in zahlreichen Angriffen Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (verbaut bzw. versteckt in Mietautos) aus Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt (insgesamt 9.814,80 g Cannabiskraut [Reinheitsgehalt 15,43 % THCA und 1,18 % Delta-9-THC], 3.540,07 g Amphetamin [Reinheitsgehalt 24,10 %], 321 Stück MDMA-haltige XTC-Tabletten, 3,75 g MDMA und 16 g Cocain [Reinheitsgehalt 20 bis 25 %]) sowie verschiedenen Abnehmern überlassen (insgesamt 7.841 g Cannabiskraut [Reinheitsgehalt 15,43 % THCA und 1,18 % Delta-9-THC], 2.410,07 g Amphetamin [Reinheitsgehalt 24,10 %], 321 Stück MDMA-haltige XTC-Tabletten, 3,75 g MDMA und 6 g Cocain [Reinheitsgehalt 20 bis 25 %]) hatte. Außerdem hatte er am XXXX .2019 Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (1.973,80 g Cannabiskraut [Reinheitsgehalt 15,43 % THCA und 1,18 % Delta-9-THC] und 1.130 g Amphetamin [Reinheitsgehalt 24,10 %]) mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, sowie zwischen 2010 und XXXX .2019 Cannabiskraut, Amphetamin und 10 g Cocain zum Eigenkonsum erworben und besessen. Es handelt sich um die erste strafgerichtliche Verurteilung des BF. Ein aus dem gewinnbringenden Suchtgiftverkauf erlangter Betrag von EUR 44.000 wurde für verfallen erklärt, wobei der BF durch den Suchtgifthandel einen diesen Betrag um ein Vielfaches übersteigenden Betrag als Reingewinn erzielt hatte. Bei der Strafbemessung wurden die bisherige Unbescholtenheit, das Geständnis und die (untergeordnete) Sicherstellung eines Teils der Suchtgifte berücksichtigt; erschwerend wirkten das Zusammentreffen strafbarer Handlungen, der (v.a. in Bezug auf den eigenen Suchtgiftkonsum) vergleichsweise lange Tatzeitraum und das Überschreiten des 25-fachen der Grenzmenge um ein Vielfaches. Ein von der Hauptabnehmerin des BF initiierter Suchtgifthändlerring hatte Suchtgift überwiegend an Minderjährige überlassen und diese zum Teil auch zum erstmaligen Suchtgiftkonsum verleitet.
Der BF verbüßt die Freiheitsstrafe aktuell in der Justizanstalt XXXX . Das (unter Berücksichtigung der angerechneten Vorhaft) errechnete Strafende ist am XXXX ; die bedingte Entlassung ist frühestens am XXXX möglich. Der BF ist arbeitsfähig und hat keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme.
Die Tochter und die Lebensgefährtin des BF halten sich mittlerweile nicht mehr in Österreich auf, sondern sind nach Deutschland verzogen. XXXX , die nach einer Kindeswohlgefährdung von XXXX bis XXXX in einer sozialpädagogischen Einrichtung in Österreich untergebracht war, wurde im XXXX zum in Deutschland lebenden Vater des BF gebracht.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen basieren im Wesentlichen auf dem Strafurteil, den Angaben des BF in seiner Stellungnahme an das BFA sowie auf Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), Strafregister und den Versicherungsdaten. In der Beschwerde wurde kein ergänzendes Tatsachenvorbringen erstattet.
Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF gehen aus dem Strafurteil und den Beschuldigtenvernehmungen hervor. Seine Ausbildung wird anhand seiner Stellungnahme festgestellt.
Laut ZMR ist der BF seit XXXX .2010 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet, wobei zwischen XXXX 2012 und XXXX 2013 lediglich eine Nebenwohnsitzmeldung bestand. Da der BF laut Versicherungsdatenauszug bis XXXX .2012 und wieder ab XXXX .2012 im Inland erwerbstätig war und zwischen XXXX .2012 und XXXX .2012 Arbeitslosengeld bezog, ist trotzdem (wie im angefochtenen Bescheid) von einem im Wesentlichen kontinuierlichen Inlandsaufenthalt seit XXXX 2010 auszugehen.
Die dem BF erteilte Anmeldebescheinigung ist im IZR dokumentiert. Seine Beschäftigungsverhältnisse im Inland und der Bezug von Arbeitslosengeld ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug und den damit in Einklang stehenden Angaben des BF.
Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF basieren auf seinen Angaben, die durch übereinstimmende Wohnsitzmeldungen der Kernfamilie laut ZMR untermauert werden. Aus dem ZMR geht auch hervor, dass die Lebensgefährtin und die Tochter des BF seit XXXX .2020 keinen Wohnsitz mehr in Österreich haben, sondern nach Deutschland verzogen sind. Die näheren Feststellungen zum Aufenthalt der Tochter des BF beruhen auf dem E-Mail des Kinder- und Jugendhilfeträgers vom 24.11.2020 (Seite 149 der Verwaltungsakten).
Die Feststellungen zum Suchtgiftkonsum des BF und zu seiner Absicht, Glücksspielverluste durch Gewinne aus dem Suchtgifthandel wettzumachen, basieren auf seinen Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung und entsprechenden Feststellungen im Strafurteil.
Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Urteil des Landesgerichts XXXX . Aus letzterem gehen auch die Feststellungen zu den Taten der Haupt-Suchtgiftabnehmerin des BF hervor (siehe Seite 12 des Urteils). Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf der Vollzugsinformation, der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt laut ZMR sowie der Vorhaftanrechnung laut dem Strafurteil.
Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten medizinischen Probleme bestehen, zumal er sich in seiner Stellungnahme an das BFA als gesund bezeichnet. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und der bis zur Festnahme ausgeübten Erwerbstätigkeit.
Rechtliche Beurteilung:
Zu dem in der Beschwerde behaupteten Verfahrensmangel ist festzuhalten, dass allein der Umstand, dass das BFA den BF nicht persönlich einvernommen hat, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entsprochen wird. Hier hatte der BF vor der Bescheiderlassung ausreichend Gelegenheit, im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme Stellung zu nehmen.
Aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, ist jedenfalls von der Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen, zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt und in der Beschwerde kein weiteres Tatsachenvorbringen erstattet wurde (siehe VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056).
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Gegen den BF als EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs 1 FPG zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dieses muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Da sich der BF bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes bereits mehr zehn Jahre lang im Bundesgebiet aufhielt, setzt die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn gemäß § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG voraus, dass auf Grund seines persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Ein Aufenthaltsverbot kann gemäß § 67 Abs 2 FPG grundsätzlich für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren, kann gemäß § 67 Abs 3 FPG auch ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen werden.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe z.B. VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG (der Art 28 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie [RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG] umsetzt) führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss grundsätzlich ununterbrochen sein. Der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen (so VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309 und 24.03.2015, Ro 2014/21/0079).
Auf § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG gestützte Maßnahmen sollen nach der Rechtsprechung des EuGH auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09 und 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf; siehe dazu auch VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG, das in das Privat- und Familienleben eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).
Das Verhalten des BF (professioneller, grenzüberschreitender Handel mit übergroßen Suchtgiftmengen) erfüllt den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG, weil die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Nach der Rechtsprechung des VwGH handelt es sich bei Suchtgiftkriminalität um ein besonders verpöntes Fehlverhalten, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014). Der BF wurde zwar zum ersten Mal wegen Suchtgifthandels verurteilt, verübte seine noch nicht lange zurückliegenden Taten aber über einen langen Zeitraum ohne Rücksicht auf die negativen Folgen von Suchtgiftkonsum, sodass trotz gewichtiger Milderungsgründe (bisherige Unbescholtenheit, Geständnis) eine fünf Jahre übersteigende Freiheitsstrafe verhängt werden musste. Die Einnahmen aus dem Suchtgifthandel dienten ihm vorwiegend der Finanzierung von Glücksspielverlusten, was ebenfalls auf eine erhebliche kriminelle Energie und eine geringe Hemmschwelle für besonders qualifizierte Suchtgiftdelinquenz hinweist. Da der BF überdies während der gesamten Dauer seines Inlandsaufenthalts vorschriftswidrig Suchtgift konsumierte, liegt eine überaus hohe Wiederholungsgefahr vor, sodass ein Aufenthaltsverbot aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit notwendig ist, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe z.B. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).
Die Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, ist angesichts der massiven negativen Konsequenzen des Konsums illegaler Drogen ein Grundinteresse der Gesellschaft, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Mit dem missbräuchlichen Konsum von Suchtmitteln gehen schwerwiegende negative gesundheitliche und soziale Folgen einher. Dem BF kann zwar nicht angelastet werden, dass seine Hauptabnehmerin das von ihm in Verkehr gesetzte Suchtgift in der Folge auch an (teils zum Erstkonsum verleitete) Minderjährige überließ; dies belegt aber besondere eindrücklich die möglichen Konsequenzen des vom ihm zu verantwortenden Suchtgifthandels. Aufgrund des persönlichen Verhaltens des BF ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Verwirklichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (namentlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer) dringend notwendig, zumal ihm die Gefährlichkeit von Suchtgift aufgrund des eigenen langjährigen Konsums seit langem bekannt sein muss.
Die Mitglieder der Kernfamilie des BF halten sich nicht mehr in Österreich auf, sodass das Aufenthaltsverbot nicht in sein Familienleben eingreift. Da es aber einen Eingriff in sein Privatleben darstellt, ist abzuwägen, ob das Allgemeininteresse an der Aufenthaltsbeendigung schwerer wiegt als sein gegenläufiges persönliches Interesse. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung iSd § 9 BFA-VG sind sein langjähriger Inlandsaufenthalt, die Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet, Deutschkenntnisse und die hier geknüpften Sozialkontakte zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Seinem daraus resultierenden Interesse an einem Verbleib in Österreich stehen die schwerwiegende strafgerichtliche Verurteilung sowie das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von (insbesondere grenzüberschreitend ausgeführter) Suchtgiftdelinquenz gegenüber. Der BF hat auch nach wie vor Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, wo seine Familienangehörigen leben. Aufgrund der ähnlichen Gepflogenheiten sowie der räumlichen und kulturellen Nähe wird es ihm ohne unüberwindliche Probleme möglich sein, sich nach dem Strafvollzug wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren und für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Die Trennung des BF von in Österreich lebenden Freunden und anderen Bezugspersonen ist gerechtfertigt, weil dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aufgrund der schwerwiegenden Suchtgiftkriminalität ein sehr großes Gewicht beizumessen ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er die Kontakte auch durch diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet) und durch wechselseitige Besuche außerhalb Österreichs pflegen kann. Der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbots verbundene Eingriff in sein Privatleben ist daher grundsätzlich verhältnismäßig. Das vom BFA erlassene Aufenthaltsverbot erweist sich somit dem Grunde nach als zulässig; die Voraussetzungen für ein unbefristetes Aufenthaltsverbot sind grundsätzlich erfüllt.
Ein Aufenthaltsverbot in der Maximaldauer des § 67 Abs 2 FPG ist hier aber ausreichend, um der vom BF ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wirksam zu begegnen, zumal die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe die in § 67 Abs 3 FPG festgelegte Grenze nur knapp überschreitet und seine Straftaten nicht so schwer sind, dass sie ein unbefristetes Aufenthaltsverbot notwendig machen. Das Aufenthaltsverbot ist daher mit zehn Jahren zu befristen, auch, weil der mögliche Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft wurde, der BF im Strafverfahren ein Geständnis ablegte und dem Erstvollzug im Allgemeinen eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zukommt. Während dieses Zeitraums wird es dem BF möglich sein, seine Lebenssituation nachhaltig zu stabilisieren und seine Abkehr vom Drogenmilieu durch die Vermeidung eines Rückfalls und durch kontinuierliche Drogenfreiheit zu untermauern. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit in teilweiser Stattgebung der Beschwerde entsprechend abzuändern.
Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Da sich der BF während eines langen Zeitraums eine wesentliche Einnahmequelle durch Suchtgifthandel verschaffte und dieses Verhalten erst mit seiner Festnahme beendet wurde, besteht eine signifikante Wiederholungsgefahr. Dem BFA ist darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise nach der Haftentlassung im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Daher ist weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG zu beanstanden. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids sind rechtskonform.
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbotes möglich wäre, liegt ein eindeutiger Fall vor, sodass eine Beschwerdeverhandlung, von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist, gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG unterbleibt.
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
befristetetes Aufenthaltsverbot Herabsetzung individuelle Verhältnisse Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen strafgerichtliche Verurteilung SuchtmitteldeliktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2238527.1.00Im RIS seit
11.03.2021Zuletzt aktualisiert am
11.03.2021