TE Bvwg Beschluss 2021/2/5 I407 2231271-1

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Veröffentlicht am 05.02.2021
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Entscheidungsdatum

05.02.2021

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


I407 2231271-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Vorsitzender und die fachkundigen Laienrichter Florian TAUBER und Mag. Stefan WANNER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck, Regionale Geschäftsstelle, vom 16.01.2020, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.05.2020, wegen Verlusts des Anspruchs auf Notstandshilfe für den Zeitraum 18.11.2019 bis 29.12.2019 gemäß § 38 iVm § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), in nicht öffentlicher Sitzung:

A)

Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Arbeitsmarktservice zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Herr XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer) stellte am 14.11.2019 beim Arbeitsmarktservice Innsbruck, Regionale Geschäftsstelle (in der Folge: belangte Behörde), einen Antrag auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.

In der Betreuungsvereinbarung vom 15.11.2019 (gültig bis 01.05.2020) wurde vereinbart, dass das Arbeitsmarktservice Innsbruck, Regionale Geschäftsstelle den Beschwerdeführer bei der Suche nach einer Stelle als Hirte bzw. landwirtschaftlicher Gehilfe unterstütze. Arbeitsausmaß sei Vollzeit und der gewünschte Arbeitsort sei der Bezirk XXXX . Für die vereinbarte Arbeitszeit lägen keine Betreuungspflichten vor. Weiters müsse der Arbeitsort mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Außerdem habe der Beschwerdeführer gesundheitliche Einschränkungen, die bei der Stellensuche berücksichtigt werden müssten.

Am 15.11.2019 wies die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein Stellenangebot als Champignonpflücker bei der Dienstgeberin XXXX GmbH (in der Folge: Dienstgeberin P) zu.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 10.01.2020 wegen der Nichtannahme bzw. dem Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme erklärte der Beschwerdeführer, dass er hinsichtlich der angebotenen Entlohnung, der angebotenen beruflichen Verwendung, der vom Unternehmen geforderten Arbeitszeit, der körperlichen Fähigkeiten, Gesundheit und Sittlichkeit, der täglichen Wegzeit für Hin- und Rückweg sowie der Betreuungspflichten keine Einwendungen habe. Er habe sich nicht für die angebotene Stelle beworben, da aus seiner Sicht die Tätigkeit zu schwer gewesen sei.

Mit Bescheid vom 16.01.2020 sprach die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum 18.11.2019 bis 29.12.2019 verloren hat und dass ihm keine Nachsicht erteilt wird. Begründend hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer sich für die vermittelte zumutbare Stelle als Champignonpflücker bei der Dienstgeberin P nicht beworben und so ein möglichstes Ende seiner Arbeitslosigkeit vereitelt habe.

Die gegen diesen Bescheid rechtzeitig und zulässig erhobene Beschwerde vom 11.02.2020 begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen wie folgt: Im Gutachten der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (im Folgenden: SVA) vom 18.01.2019 sei eine leichte bis mittelschwere Erwerbstätigkeit von drei Ärzten für zumutbar erklärt worden, was Belastbarkeit eindeutig ausschließe. Dies sei allerdings seitens der belangten Behörde nicht zur Kenntnis genommen worden. Außerdem seien seine Unterlagen zu einer Osteoporose nicht berücksichtigt worden.

Mit Bescheid vom 04.05.2020 wies die belangte Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde ab. Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass die Tätigkeit als Champignonpflücker fast durchgängig im Inneren zu erledigen gewesen wäre und davon auszugehen gewesen sei, dass es sich bei dieser Tätigkeit um keine schwere Arbeit handle, die dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar gewesen wäre. Auch die Neurologin Dr. XXXX habe die Ansicht vertreten, dass dem Beschwerdeführer geistige Arbeiten mindestens im Ausmaß von einem Drittel unter erhöhtem Zeitdruck möglich seien. Im entsprechenden Gutachten sei ausgeführt worden, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich dem körperlichen Leistungsvermögen fachbezogene Tätigkeiten leichter und fallweiser mittelschwerer Art in wechselnder Körperhaltung zumutbar seien.

Mit Schreiben vom 18.05.2020 beantragte der Beschwerdeführer die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen. Der Beschwerdeführer führte vor allem die gesundheitliche Unzumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung an.

Mit Schreiben vom 26.05.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer hat aufgrund seines Antrages vom 14.11.2019 Notstandshilfe bezogen.

1.2. Am 15.11.2019 wurde ihm von der belangten Behörde das folgende Stellenangebot bei der Dienstgeberin P zugewiesen (Anonymisierungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

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1.3. Im Gutachten der SVA vom 18.01.2019 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer an einer mäßig eingeschränkten Leistungsfähigkeit bei Morbus Addison, einer Anpassungsstörung, einer rezidivierenden Dorsolumbalgie und einer Osteopenie leide. Ihm sei eine geistige Arbeit zumutbar, drittelzeitige erhöhter Zeitdruck sei möglich. Körperliche Tätigkeit sei in leichter und fallweise mittelschwerer Art in wechselnder Körperhaltung, in geschlossenen Räumen, wie auch im Freien zumutbar. Arbeiten mit Fein-, Grob- und Schlüsselgriff seien zumutbar. Nicht zumutbar seien Arbeiten an exponierten Stellen und in Kälte und Nässe. Arbeitspausen, die eine geregelte Tätigkeit wesentlich beeinträchtigen seien nicht erforderlich, ein normaler Achtstundentag mit den üblichen Pausen sei möglich. Eine kalkülsändernde Besserbarkeit sei nicht zu erwarten. Mit Krankenständen von mehr als sieben Wochen pro Jahr sei derzeit nicht zu rechnen.

1.4. Der Beschwerdeführer hat sich auf die ihm am 15.11.2019 zugewiesene Beschäftigung als Champignonpflücker bei der Dienstgeberin P nicht beworben und gab an, dass ihm die Tätigkeit gesundheitlich und körperlich nicht zumutbar gewesen sei.

1.5. In dem von der belangten Behörde geführten Verfahren wurden notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen. Insbesondere führte die belangte Behörde keine ausreichenden Ermittlungen dahingehend durch, ob die zugewiesene Beschäftigung bei der Dienstgeberin P dem Beschwerdeführer iSd § 9 AlVG körperlich zumutbar gewesen wäre. Das Gutachten der SVA vom 18.01.2019 stellt zwar den allgemeinen gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers dar, nicht aber seine geistige und körperliche Eignung für die konkret angebotene Stelle bei der Dienstgeberin P. Die durchgeführten Ermittlungen der belangten Behörde reichen nicht ansatzweise für eine Entscheidung über den vorliegenden Sachverhalt aus. So geht daraus nicht hervor, ob die zugewiesene Beschäftigung als Champignonpflücker unter „körperlicher Tätigkeit in leichter und fallweiser mittelschwerer Art in wechselnder Körperhaltung“ zu subsumieren ist und was die Belastbarkeit, welche der Beschwerdeführer laut Stellenanzeige mitzubringen habe, darstellt. Auch wird nicht auf die zu erreichenden Ernteziele, welche beim Beschwerdeführer möglicherweise eine Stresssituation auslösen könnten, eingegangen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsaktes.

2.2. Der Umstand des Bezuges von Notstandshilfe wird durch den unbedenklichen Akteninhalt bescheinigt.

2.3. Die Feststellungen zum Inhalt des zugewiesenen Inserates wurden dem im Akt einliegenden Stellenangebot entnommen.

2.4. Die Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem im Akt einliegenden medizinischen Gutachten der SVA vom 18.01.2019.

2.5. Es ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer sich bei der von der belangten Behörde zugewiesenen Beschäftigung als Champignonpflücker nicht beworben hat.

2.6. Das Unterlassen notwendiger Ermittlungen des Sachverhaltes durch die belangte Behörde kommt insbesondere in der Beschwerde vom 11.02.2020 und im Vorlageantrag vom 18.05.2020 zum Ausdruck, in welchen der Beschwerdeführer konkrete Bedenken zur körperlichen Zumutbarkeit der zugewiesenen Arbeitsstelle äußerte. Die belangte Behörde ging weder im Bescheid vom 16.01.2020 noch in der Beschwerdevorentscheidung vom 04.05.2020 substantiiert auf die gesundheitlichen Einschränkungen in direktem Zusammenhang mit der zugewiesenen Stelle ein. Sie begründete nicht, warum es sich bei der Tätigkeit als Champignonpflücker um eine mittelschwere Tätigkeit handeln soll oder ob dabei eine wechselnde Körperhaltung möglich ist und berücksichtigte auch nicht die seitens des Beschwerdeführers ins Treffen geführte zu hohe Belastung der zugewiesenen Beschäftigung.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung fachkundiger Laienrichter ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.

3.2. Zu A) Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung:

3.2.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2017/24, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1) wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3. zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Aus der Judikatur des VwGH zur vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung, d.h. im Tatsachenbereich, zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen und dass die verfahrensrechtliche Möglichkeit einer Rückverweisung nur ausnahmsweise möglich sein soll und hinsichtlich der Voraussetzungen der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG streng zu prüfen ist (vgl. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0168; VwGH vom 26.01.2011, 2009/07/0094).

Gemäß des Erkenntnisses des VwGH vom 28.03.2008, 2005/12/01878, zu § 66 Abs. 2 AVG ist eine Zurückverweisung nach dieser Norm nur dann zulässig, wenn die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne dieser zitierten Norm kann sich dabei immer nur im Tatsachenbereich stellen, wobei es allerdings nicht maßgebend ist, ob eine Verhandlung im kontradiktorischen Sinn oder nur eine Vernehmung der Partei erforderlich ist. Die Voraussetzung für eine Kassation nach § 66 Abs. 2 AVG ist daher auch dann erfüllt, wenn zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nur die Vernehmung einer Partei erforderlich ist.

In seinem Erkenntnis vom 20.02.2014, 2013/09/0166-10, zu einem Sachverhalt nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz stellte der VwGH zum Umfang der Ermittlungspflicht der belangten Behörde Folgendes fest:

„Gemäß § 60 AVG (...) sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (...). Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrensparteien und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. 05.2005, 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern den Verwaltungsgerichtshof seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie in § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, insoweit zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung „auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26.02.2009, 2007/09/0088, mwN).

Damit stellt der Verwaltungsgerichtshof den Umfang der Ermittlungspflicht der belangten Behörde ausführlich dar.

3.2.3. Im vorliegenden Fall hat es die belangte Behörde unterlassen, hinreichende Ermittlungen bezüglich der Zumutbarkeit des Stellenangebots durchzuführen. Aufgrund des Gutachtens der SVA vom 18.01.2019 war der belangten Behörde die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers bekannt und wurde diese im angefochtenen Bescheid auch berücksichtigt, allerdings nicht in Bezug auf die konkret angebotene Position. So ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid nicht, ob es sich bei der Stelle als Champignonpflücker lediglich um eine mittelschwere Belastung handeln würde und wechselnde Körperhaltungen möglich sind, oder die Belastung für den Beschwerdeführer doch den zumutbaren Grad überschreitet. Im gegenständlichen Fall erscheint jedoch für den erkennenden Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung fraglich, zumal das vorliegende Gutachten lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers betrifft, nicht aber den Gesundheitszustand in Bezug auf die zugewiesene Beschäftigung und erscheint eine abschließende Beurteilung mangels Ermittlungstätigkeiten der belangten Behörde nicht möglich.

Macht die arbeitslose Person gesundheitliche Einschränkungen geltend, die sie für die zugewiesene Beschäftigung unter Umständen als nicht geeignet erscheinen lassen könnten, besteht die Verpflichtung der regionalen Geschäftsstelle, dies durch die Veranlassung entsprechender Untersuchungen und durch die Einholung von Gutachten zu klären (vgl. Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, 15. Lfg (März 2018), § 9, Rz 225). Die belangte Behörde hätte daher ermitteln müssen, ob die zugewiesene Stelle in Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers zumutbar ist und ob hierdurch seine Gesundheit gefährdet wird.

Es ist in erster Linie die Aufgabe der belangten Behörde, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und diese Aufgabe nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern. Es kann nicht festgestellt werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Es war somit der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides - nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens betreffend die Zumutbarkeit der gegenständlichen Beschäftigung - an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren konkret zu prüfen haben, ob die Beschäftigung im Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers angemessen wäre und ob dadurch seine Gesundheit gefährdet würde.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls-und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe insbesondere die zur Zuweisungsfähigkeit und Vereitelungshandlung zitierte Rechtsprechung); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich anzusehen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der rechtlichen Beurteilung zu Punkt A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH ausgeführt, dass im erstinstanzlichen Verfahren notwendige Ermittlungen und Feststellungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3 zweiter Satz inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht und die Judikatur des VwGH betreffend die Zurückweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlung heranzuziehen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine klare, im Sinne einer eindeutigen Regelung (vgl. OGH vom 22.03.1992, 5 Ob 105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Ermittlungspflicht gesundheitliche Eignung Kassation körperliche Eignung mangelnde Sachverhaltsfeststellung Stellenbewerber Zumutbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I407.2231271.1.01

Im RIS seit

11.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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