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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des Q S in W, vertreten durch Mag.a Julia M. Kolda, Rechtsanwältin in 4400 Steyr, Pacherstraße 17, Büro 5A/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2019, W231 2134647-1/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 2. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, auf Grund von illegalem Besitz, Verkauf und Konsum von Alkohol sowie der Abkehr vom Islam vom örtlichen Mullah sowie dessen Koranschülern geschlagen und bedroht worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 12. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis (nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das BVwG führte begründend aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen habe oder nach einer allfälligen Rückkehr in diesen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Das BVwG stützte sich dabei auf die widersprüchlichen und unschlüssigen Angaben zum Fluchtvorbringen. Zudem würden sich einzelne Aspekte des Fluchtvorbringens als unplausibel erweisen. Zwar sei dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine volatile Herkunftsprovinz nicht möglich, allerdings stehe dem jungen und arbeitsfähigen Mann, der über eine mehrjährige Schulbildung und Arbeitserfahrung im Familienbetrieb verfüge, eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat offen, zumal er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, eine Landessprache seines Herkunftsstaates beherrsche, Unterstützung von seiner finanziell gut gestellten Familie erhalten könne sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul verfüge. Der Revisionswerber könne des Weiteren Unterstützung durch Programme der Regierung und von NGOs in Anspruch nehmen und sich jedenfalls durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage sichern. Der Revisionswerber leide zwar an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depression, seine psychischen Erkrankungen seien jedoch grundsätzlich im Herkunftsstaat behandelbar, weshalb er keine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten habe. Der Verdacht auf ein leichtes stumpfes Schädel-Hirn Trauma sei nicht erhärtet worden. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren seien keine deutlichen Beeinträchtigungen auf Grund von Konzentrationsstörungen des Revisionswerbers feststellbar gewesen.
5 Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. September 2020, E 3960/2019-7, ab und trat diese über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 9. November 2020, E 3960/2019-9, ab.
6 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Dieses sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „Glaubhaftmachung“ abgewichen und habe verkannt, dass der Kern der Angaben des Revisionswerbers stets gleichgeblieben sei bzw. dieser sein Fluchtvorbringen weitgehend stringent geschildert habe. Der Revisionswerber leide an schweren psychischen Beeinträchtigungen und habe sich regelmäßig erkennbar nicht oder nur schwer konzentrieren können.
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH20.11.2020, Ra 2020/19/0170, mwN).
10 Das BVwG hat sich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers in umfassender Weise beweiswürdigend auseinandergesetzt, dies auch unter Berücksichtigung der vom Revisionswerber vorgebrachten Konzentrationsschwierigkeiten. Es ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass die - teilweise widersprüchlichen und unstimmigen - Angaben des Revisionswerbers nicht plausibel seien. Die aufgezeigten Widersprüche und Unstimmigkeiten im Fluchtvorbringen ließen sich auch unter Berücksichtigung von Konzentrationsschwierigkeiten des Revisionswerbers nicht aufklären. Der Revisionswerber hätte den Einvernahmen folgen, sämtliche Fragen beantworten und sinnzusammenhängende, klare Antworten geben können.
11 Ausgehend davon vermag die Revision nicht darzutun, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Soweit die Revision rügt, das BVwG hätte auf Grund des Aussageverhaltens des Revisionswerbers, der angegebenen Konzentrationsschwierigkeiten und nach allfälliger Beschaffung eines Sachverständigengutachtens auf die Vernehmungs- bzw. Verhandlungsfähigkeit des Revisionswerbers Bedacht nehmen und prüfen müssen, ob dessen Aussageverhalten auf eine Erkrankung zurückzuführen sein könnte, ist ihr zu entgegnen, dass dem Vorbringen zur Verfolgung durch den Mullah, den Onkel väterlicherseits und die afghanischen Behörden einerseits sowie auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara andererseits in vertretbarer Weise die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde. Dies erfolgte unter Miteinbeziehung des psychischen Krankheitsbildes des Revisionswerbers (vgl. VwGH 28.6.2005, 2005/01/0080, mwN).
12 Auch mit dem Vorbringen, dem Revisionswerber sei die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar, weil das BVwG nicht ausreichend nachvollziehbar dargelegt habe, dass die getroffenen Feststellungen zur Lebenssituation in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, insbesondere hinsichtlich der Sicherheitslage sowie der medizinischen Versorgungslage, mit Blick auf die Behandlungsbedürftigkeit der psychischen Erkrankungen des Revisionswerbers, den Anforderungen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (mit Verweis auf VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533) entsprächen und der Revisionswerber in diesen Städten keine soziale Unterstützung erwarten könne, gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, sowie aus jüngerer Zeit VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192).
14 Das BVwG ging - auf der Grundlage näherer Feststellungen und unter Berücksichtigung der einschlägigen (entgegen dem Revisionsvorbringen auch hinreichend aktuellen) Länderinformationsquellen und Stellungnahmen des UNHCR - davon aus, dass dem Revisionswerber, einem jungen, arbeitsfähigen Mann, in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat mit Hilfe zumindest anfänglicher, finanzieller Unterstützungen durch seine Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Die psychischen Erkrankungen des Revisionswerbers würden seiner Arbeitsfähigkeit nicht im Wege stehen. Dies lasse sich aus den Aussagen des Revisionswerbers, einer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Arbeitsplatzzusage sowie zahlreichen Bestätigungen über gemeinnützige Hilfstätigkeiten im Bundesgebiet schließen. Zudem sei den gegenständlichen Länderberichten zu entnehmen, dass psychische Erkrankungen insbesondere in den urbanen Zielgebieten grundsätzlich behandelbar seien. Die Revision zeigt mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass diese Einzelfallbeurteilung unvertretbar erfolgt wäre (vgl. VwGH 23.10.2020, Ra 2020/18/0404).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 10. Februar 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190446.L00Im RIS seit
23.03.2021Zuletzt aktualisiert am
23.03.2021