TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 W212 2199084-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W212 2199084-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch Mag. XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2018, Zl. 1180246206-180102991, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.10.2020 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine volljährige Staatsangehörige der Republik Kosovo, stellte am 30.01.2018 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich ihrer am gleichen Tag abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Beschwerdeführerin zu Protokoll, sie gehöre der albanischen Volksgruppe an, bekenne sich zum islamischen Glauben, verfüge über keine Berufsausbildung und sei im Herkunftsstaat Hausfrau gewesen. Ihre Eltern und drei Geschwister hielten sich unverändert im Kosovo auf, in Österreich seien ihr Ex-Ehemann, ihre volljährige Tochter, ihr volljähriger Sohn sowie ihr Cousin aufhältig, bei welchem die Beschwerdeführerin Unterkunft nehmen könnte. Die Beschwerdeführerin habe sich vor etwa einem Jahr zur Ausreise aus dem Herkunftsstaat entschlossen und Österreich als Zielland gewählt, da sie in der Nähe ihrer Kinder habe sein wollen. Die Beschwerdeführerin sei mit Unterstützung eines Schleppers aus dem Kosovo nach Serbien ausgereist und von dort illegal nach Österreich gelangt.

Ihre Heimat habe sie verlassen, da sie seit ihrer Geburt von ihrem Vater diskriminiert werde. Wegen ihres Vaters habe sie sich von ihrem Ex-Mann scheiden lassen, jetzt habe ihr Vater gewollt, dass sie einen ihr unbekannten älteren Herren heiraten solle. Da sie dies nicht gewollt habe, sei sie von ihrem Vater im Kosovo vor etwa einer Woche auf die Straße gesetzt worden. Mit Hilfe ihrer Schwester habe sie beschlossen, den Kosovo zu verlassen und sei geflüchtet, da sie im Kosovo nicht mehr leben könne. Ihr Vater würde sie wegen der strengen Familienehre umbringen.

In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 23.03.2018 gab die Beschwerdeführerin an, sie sei gesund und habe im Kosovo als Hausfrau gelebt, ihr Vater sei für ihren Lebensunterhalt aufgekommen. Momentan habe sie lediglich Kontakt zu ihrer im Kosovo lebenden Schwester.

Die Beschwerdeführerin gab bekannt, Anfang März 2018 im Bundesgebiet ihren früheren Ehemann standesamtlich neuerlich geheiratet zu haben. Dieser habe eine Daueraufenthaltsberechtigung, ihre beiden in Österreich lebenden volljährigen Kinder hätten eine Aufenthaltsberechtigung für drei Jahre, ein Cousin sei österreichischer Staatsbürger. Die Beschwerdeführerin lebe bei ihrem Cousin, welcher sie finanziell unterstütze und besuche auch ihren Mann; sie habe jedoch vor, zu ihrem Mann zu ziehen, welcher bereits seit 12 oder 13 Jahren in Österreich lebe und momentan krankheitsbedingt keiner Arbeit nachginge.

Sie habe den Kosovo wegen ihres Vaters verlassen. Sie sei zu einem früheren Zeitpunkt mit ihrem jetzigen Mann verheiratet gewesen, habe sich jedoch von diesem scheiden lassen, da ihr Vater dies so gewollt hätte, zumal ihre Familie und jene ihres Mannes verfeindet gewesen wären. Worum es in diesem Konflikt gegangen wäre, sei ihr nicht genau bekannt, doch vermute sie, dass es sich um die politischen Parteien gehandelt hätte, es sei noch Krieg gewesen. Seitdem sei ihr Leben zerstört. Die Probleme zwischen den beiden Familien hätten derart ausgesehen, dass es Streit und auch Morddrohungen gegeben hätte, zu einer Versöhnung sei es nie gekommen. Sie sei mit ihrem Mann von 1996 bis 2003 verheiratet gewesen und habe nach der Scheidung bis zur Ausreise Anfang 2018 wieder bei ihrem Vater gelebt. Grund dafür, dass die den Kosovo dann zuletzt verlassen hätte, sei gewesen, dass ihr Vater immer gewollt habe, dass die Beschwerdeführerin einen anderen, 70-jährigen, Mann heiraten würde, was diese abgelehnt hätte. Aus diesem Grund habe sie den Kosovo verlassen, ihr Vater sei immer schlecht zu ihr gewesen. Über Vorhalt, dass sie die letzten fünfzehn Jahre offensichtlich ohne gröbere Probleme bei ihrem Vater gelebt hätte und gefragt, weshalb sie nun plötzlich aus dem Kosovo ausgereist wäre, meinte die Beschwerdeführerin, sie habe dort nicht wohnen wollen, habe aber keine andere Möglichkeit gehabt, jeden Tag habe es das gleiche Thema gegeben. Befragt, weshalb sie ihren Mann nicht bereits zu Beginn nach Österreich begleitet hätte, gab die Beschwerdeführerin an, sie sei damals noch geschieden gewesen und habe gewollt, dass dies so bleibe. Eigentlich sei die neuerliche Heirat mit ihrem Ex-Mann auf Initiative ihrer Kinder erfolgt, da diese ihre Situation gesehen hätten. Als die Beschwerdeführerin nach Österreich gekommen wäre, sei es nicht ihre Absicht gewesen, wieder zu heiraten, sie habe nur Schutz oder Hilfe von Österreich erhalten wollen. Im Kosovo sei sie nie konkret mit Verfolgung oder dem Tod bedroht worden. Sie würde bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen verfolgt werden, aber es bestehe weiterhin das Problem mit ihrem Vater und sie werde keinen Platz mehr haben. Befragt, ob sich die Probleme mit ihrem Vater als verbale Probleme wie Streit darstellen würden oder sie von ihrem Vater auch körperliche Gewalt zu befürchten hätte, erwiderte die Beschwerdeführerin, es könne sein, dass es zu Gewalt kommen könne; auch früher habe er versucht, in ihre Nähe zu kommen, ihre Mutter hätte aber immer reagiert. Danach gefragt, weshalb sie nicht versucht hätte, im Kosovo alleine zu leben, sich von ihren Eltern zu lösen und Arbeit zu finden, gab die Beschwerdeführerin an, im Kosovo sei es für eine Frau sehr schwierig, Arbeit zu finden; die Beschwerdeführerin habe nur einen Grundschulabschluss. Nochmals gefragt, ob sie in dem 15-jährigen Zeitraum, in dem sie bei ihrem Vater gelebt hätte, irgendwann von diesem bedroht oder geschlagen worden sei, gab die Beschwerdeführerin an, sie sei nicht brutal geschlagen worden; bedroht worden sei sie immer; er habe sie auch geschlagen. Danach gefragt, wie sie von ihrem Vater bedroht worden sei und was dieser konkret gesagt habe, gab die Beschwerdeführerin an, ihr Vater habe gesagt, dass sie nur machen dürfe, was er sage. Die Beschwerdeführerin hätte im Kosovo keine staatliche Verfolgung zu befürchten. Im Fall einer Rückkehr in den Kosovo würde sie die gleiche Situation wie früher erwarten. Sonstige Gründe, welche einer Rückkehr in den Kosovo entgegenstünden, gebe es nicht, es sei nur wegen ihres Vaters.

Die Beschwerdeführerin legte ihren deutschen Führerschein sowie ihre österreichische Heiratsurkunde vor.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kosovo abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 8 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die frewillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde festgehalten, dass der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Fluchtgrund keinen asylrelevanten Sachverhalt darstelle und eine Verfolgung der Beschwerdefürherin aus Gründen der Rasse, Religion, Nationaltiät, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Gesinnung im Herkunftsstaat nicht habe festgestellt werden können. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Probleme mit ihrem Vater seien nicht glaubhaft nachollziehbar, zumal sie während der letzten 15 Jahre in ihrem Elternhaus gelebt hätte und im Falle tatsächlicher schwerwiegender Probleme anzunehmen wäre, dass die 46-jährige Beschwerdefüherin schon zu einem früheren Zeitpunkt ausgereist wäre. Selbst bei Wahrunterstellung der vorgebrachten Probleme würden selbige keine Bedrohung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention begründen.

Bei der Beschwerdeführerin handle es sich um eine gesunde, arbeitsfähige, mobile Frau, welche im Fall einer Rückkehr in den Kosovo dazu in der Lage wäre, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Ihrem Vorbringen ließe sich nicht entnehmen, dass sie im Falle einer Rückkehr in den Kosovo in ihrem Leben bedroht oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen wäre. Die Grundversorgung im Kosovo sei gewährleistet und die Beschwerdeführerin könnte bei einer Rückkehr neuerlich durch ihre dort lebende Familie unterstützt werden, sodass insgesamt nicht festzustellen sei, dass der Beschwerdeführerin die Lebensgrundlage nach einer Rückkehr gänzlich entzogen sein würde.

Die Beschwerdeführerin lebe im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann und ihren beiden erwachsenen Kindern, jedoch sei die Beschwerdeführerin dieses Familienleben zu einem Zeitpunkt eingegangen, als sie sich der Unsicherheit eines weiteren Aufenthalts bewusst sein musste, zudem bestünde der gemeinsame Haushalt erst seit wenigen Wochen, sodass von keiner maßgeblichen Verfestigung des Familienlebens auszugehen sei. Der Beschwerdeführerin sei es möglich, vom Ausland aus einen Einreise- und Aufenthaltstitel zu erwirken. Die Beschwerdeführerin habe während ihres erst kurzen Aufenthalts keinerlei Integrationsschritte unternommen, sodass auch ein schützenswertes Privatleben nicht festzustellen gewesen sei.

3. Gegen diesen Bescheid wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin fristgerecht am 19.06.2018 Beschwerde erhoben. Begründend wurde auf die der Beschwerdeführerin im Heimatland von ihrem Vater drohende Gefahr sowie das in Österreich bestehende intensive Familienleben verwiesen.

4. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

5. Nach Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin am 09.10.2020 eine Stellungnahme ein, in welcher ausgeführt wurde, die Beschwerdeführerin befinde sich seit drei Jahren im Bundesgebiet, habe Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1, sei unbescholten und lebe mit ihren berufstätigen Kindern und ihrem Ehemann, welcher zu 60% invalid und auf Pflege der Beschwerdeführerin angewiesen sei, im gemeinsamen Haushalt. Der Unterhalt der Beschwerdeführerin sei durch einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag sowie das Einkommen der Kinder und das AMS-Geld des Gatten gesichert.

Beiliegend übermittelt wurden ein (undatierter und von der Beschwerdeführerin nicht unterzeichneter) Arbeitsvorvertrag über eine Vollzeit-Beschäftigung als Hilfskraft, ein ÖSD-Zertifikat über eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 aus August 2018, Kopien der Reisepässe ihrer Familienmitglieder, eine Pachtvorschreibung für das Jahr 2020, sowie Bestätigungen über den Notstandshilfe-Bezug des Ehegatten sowie das Einkommen des Sohnes.

6. Am 15.10.2020 fand zur Ermittlung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalts eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher die Beschwerdeführerin, ihr bevollmächtigter Vertreter, eine Dolmetscherin für die albanische Sprache sowie ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl teilgenommen haben.

Die Beschwerdeführerin wurde zunächst zu ihren familiären Verhältnissen und ihren Lebensumständen im Vorfeld der Einreise nach Österreich befragt. Zu ihren Fluchtgründen verwies sie auf die bereits getätigten wahrheitsgemäßen Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und legte näher dar, seit ihrer Scheidung ständig Probleme mit ihrem Vater gehabt zu haben. Sie habe diesem vorgeworfen, ihr Leben zerstört zu haben, da sie mit ihrer Familie glücklich gewesen sei. Einen von ihrem Vater ausgesuchten Mann habe sie nicht heiraten wollen. Sie habe keinen anderen Ausweg gesehen, als mit Hilfe ihrer Schwester und ihres in Österreich lebenden Cousins illegal nach Österreich zu reisen, um in der Nähe ihrer Kinder sein zu können. Sie habe nie daran gedacht, wieder mit ihrem Ex-Mann zusammen zu sein; sie habe Kontakt zu ihren Kindern aufgenommen, welche den Wunsch gehabt hätten, die Beschwerdeführerin mit ihrem Vater wieder zusammenzubringen. Ihr Mann habe bei einem Unfall eine Kopfverletzung erlitten und es sei ihm gesundheitlich schlecht gegangen, zudem habe dieser Probleme mit der zweiten Frau gehabt.

Zum Grund ihrer Scheidung und dem Konflikt zwischen den Familien gab die Beschwerdeführerin an, ihr Vater und ihr Mann hätten sich aus politischen Gründen gestritten. Der Konflikt habe sich zugespitzt und der Vater der Beschwerdeführerin habe ihrem Mann mit dem Tod gedroht, woraufhin diese gesagt habe, dass sie zu ihm kommen werde.

Über Vorhalt des Inhalts der durch ein kosovarisches Bezirksgericht im Jahr 2002 ausgestellten Scheidungsurkunde, demnach die Ehe einvernehmlich geschieden worden wäre, da die ehelichen Beziehungen ungefähr im August des Jahres 2001 wegen der täglichen Missverständnisse ernsthaft und ständig in einem solchen Maß zerrüttet worden seien, dass das gemeinsame eheliche Leben unerträglich geworden sei, gab die Beschwerdeführerin an, die Scheidung sei schon im Einvernehmen gewesen, das Verhältnis zwischen ihrem Mann und ihrem Vater sei aber sehr schlecht gewesen. Angesprochen auf die zwei späteren Ehen ihres Mannes, konnte die Beschwerdeführerin nichts zu diesen sagen und erklärte, zu ihrem Mann während ihrer Zeit im Elternhaus im Kosovo – sohin von 2003 bis 2018 – keinen Kontakt gehabt zu haben.

Befragt, weshalb sie im Kosovo nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, erwiderte die Beschwerdeführerin, im Kosovo sei es schwer, Arbeit zu finden; es gebe Leute, die studiert hätten und keine Arbeit fänden.

Befragt, wann ihr Vater erstmals von einer weiteren Heirat gesprochen hätte, meinte die Beschwerdeführerin, dies sei immer Gesprächsthema bei ihnen gewesen. Es sei im Kosovo Tradition, dass der Vater den Mann für die Tochter aussuche. Zur Reaktion ihres Vaters darauf, dass die Beschwerdeführerin seinem Wunsch jahrelang nicht nachgekommen wäre, führte diese aus, ihr Vater habe sich aggressiv verhalten, da sie nicht gehorcht hätte. Auf die Frage, auf welche Weise ihr Vater versucht hätte, sie zur Heirat zu bewegen, gab die Beschwerdeführerin an, ihr Vater habe immer davon geredet, dass er einen Mann für sie finden werde, wohingegen sie immer wieder gesagt hätte, dass sie niemanden heiraten werde. Auf die Frage, ob ihr Vater ihr oder den Kindern gegenüber je gewalttätig gewesen sei, antwortete die Beschwerdeführerin, er hätte es mehrmals versucht, aber die Mutter der Beschwerdeführerin sei dazwischen gekommen. Sie habe nie in Erwägung gezogen, sich an die Polizei oder Sozialeinrichtungen im Kosovo zu wenden; sie hätte daran nicht gedacht, zumal diese Probleme im Kosovo nicht ernst genommen würden.

Angesprochen auf die nur wenige Wochen nach ihrer Einreise erfolgte Eheschließung mit ihrem Ex-Ehegatten, erklärte die Beschwerdeführerin, es sei nicht ihre Initiative gewesen, ihre Kinder hätten gesehen, dass es ihrem Vater nicht gut ginge und seien mit der Bitte gekommen, dass sie es noch einmal miteinander versuchten. Etwa zwei Wochen nach der Hochzeit seien sie zusammengezogen.

Auf die Frage, was bei einer Rückkehr in den Kosovo passieren würde, gab die Beschwerdeführerin an, sie denke nicht daran; sie wüsste nicht, was sie ohne ihre Familie tun sollte. Zu ihren Eltern könne sie nicht wieder zurück gehen, da sie keinen Kontakt hätte und mit diesen zerstritten sei. Es sei ihr auch nicht möglich, im Kosovo bei ihren Schwiegereltern zu leben. Ihre Schwester lebe gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in einem Haus.

Zu ihrem Alltag in Österreich führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie den Haushalt für ihre Familie verrichte und eine ältere Nachbarin unterstütze. Auf die Frage, welche Tätigkeiten sie für ihren Mann verrichte, gab die Beschwerdeführerin an, er habe seine Probleme; er werde manchmal nervös, sie probiere, mit ihm zu reden und sie gingen gemeinsam spazieren. Befragt, welche Einschränkungen sie infolge des Unfalls ihres Mannes bei diesem wahrnehme, gab die Beschwerdeführerin an, sie merke, dass dieser ein anderer Mensch geworden wäre, er werde schnell aggressiv; manchmal müsse sie ihm beim Anziehen helfen, grundsätzlich könne er dies jedoch alleine. Sie wisse, dass ihr Mann einen Autounfall im Jahr 2015 gehabt habe, Näheres habe er ihr nicht erzählt. Ihr Mann erledige im gemeinsamen Haushalt nicht sehr viel; bevor sie nach Österreich gekommen sei, hätten sich ihre Kinder um ihren Mann gekümmert.

7. In einer am 16.10.2020 eingebrachten Stellungnahme führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, die Angaben der Beschwerdeführerin zur angeblichen Verfolgung erwiesen sich als haltlos und inkonsistent, sodass davon auszugehen sei, dass diese durch eine unbegründete Asylantragstellung die Einwanderungsbestimmungen nach dem NAG und die dort geregelten Voraussetzungen zu umgehen versuchte. Auch bei Wahrunterstellung sei nicht zu erkennen, dass die Beschwerdeführerin gezwungen gewesen wäre, den Herkunftsstaat zu verlassen. Diese habe 15 Jahre mit ihrem Vater gelebt und sei offensichtlich von diesem versorgt worden. Trotz der angeblichen Bedrohung habe sie die Behörden nicht eingeschaltet oder sich um eine Aufenthaltsalternative bei ihrer Schwester bemüht. Zudem erscheine die Bedrohung durch einen mittlerweile 81-jährigen Mann völlig untauglich. Der Beschwerdeführerin sei eine Rückkehr in den Kosovo jederzeit möglich; diese könnte Hilfe ihrer Schwester vor Ort und Unterstützung ihrer Kinder bis zur eigenen Selbsterhaltungsfähigkeit erwarten. Auch dem Ehegatten wäre eine finanzielle Unterstützung der Beschwerdeführerin im Kosovo möglich, zudem hätte dieser die Möglichkeit, gemeinsam mit der Beschwerdeführerin in den Kosovo zu übersiedeln, wo auch seine Mutter und seine Brüder lebten. Das Band der Ehe und die Beziehung zu den bereits 2014 und 2015 zum Vater nachgezogenen Kindern könne nicht derart eng sein, zumal die Beschwerdeführerin es vorgezogen habe, nach der Scheidung im Kosovo zu leben, die Ehe erst nach Wunsch der Kinder infolge der illegalen Einreise geschlossen hätte und keine Abhängigkeiten bestünden; ein Betreuungsbedarf des Gatten sei nicht belegt worden und es sei diesem bereits im Vorfeld möglich gewesen, in Österreich seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Ehe habe ausschließlich den Zweck, ein Aufenthaltsrecht zu erzwingen, damit die Erteilungsvoraussetzungen nach dem NAG nicht erfüllt werden müssten. Aufgrund der dargestellten Umgehungsabsicht sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem AsylG ausgeschlossen. Sollte die Beschwerdeführerin ihre Beziehung in Österreich weiterführen wollen, so wäre es ihr möglich, sich hierfür um einen legalen Aufenthalt in Österreich zu bemühen, ebenso wäre die Fortführung eines Familienlebens im Kosovo möglich.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin führt die im Spruch ersichtlichen Personalien, ist Staatsangehörige der Republik Kosovo, Angehörige der albanischen Volksgruppe und bekennt sich zum islamischen Glauben. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin reiste illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.01.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin ihren Herkunftsstaat aufgrund einer Bedrohung durch ihren Vater verlassen hat oder im Falle einer Rückkehr durch ihren Vater verfolgt werden würde. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Kosovo aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

1.3. Es besteht für die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Kosovo keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Diese liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Beschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat eine achtjährige Schulbildung absolviert und war bislang nie berufstätig. Diese heiratete im Jahr 1996 einen serbischen Staatsbürger, mit dem sie zeitweilig (1996 bis 1999) in Deutschland lebte, wo auch die beiden gemeinsamen Kinder in den Jahren 1997 und 1998 geboren wurden. Nach der im Jahr 2002 erfolgten Scheidung der Ehe im Einvernehmen, welcher eine Zerrüttung der ehelichen Verhältnisse zugrunde lag, lebte die Beschwerdeführerin bis zu ihrer Ausreise wieder in ihrem Elternhaus im Kosovo, wo ihr Vater für ihren Lebensunterhalt aufkam.

Die Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern der Beschwerdeführerin halten sich unverändert im Herkunftsstaat auf. Der Beschwerdeführerin ist es im Fall einer Rückkehr in den Kosovo möglich, außerhalb ihres Elternhauses Unterkunft zu nehmen und selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Zudem kann sie durch ihre im Kosovo und in Österreich aufhältigen Angehörigen (finanziell) unterstützt werden, Leistungen des kosovarischen Sozialsystems in Anspruch nehmen und sich an dort tätige Hilfsorganisationen wenden.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und hat im Bundesgebiet keine ärztliche Behandlung in Anspruch genommen.

1.4. Die unbescholtene Beschwerdeführerin hält sich seit ihrer Einreise am 30.01.2018 durchgehend im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin hat am XXXX 2018 vor einem österreichischen Standesamt ihren früheren Ehegatten und Vater der beiden gemeinsamen volljährigen Kinder geheiratet, bei welchem es sich um einen zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigten serbischen Staatsbürger handelt. Der Genannte lebt seit dem Jahr 2011 legal im Bundesgebiet und bezog zuletzt Notstandshilfe.

Zudem leben die beiden volljährigen Kinder der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, welche jeweils Inhaber des Titels „Daueraufenthalt EU“ sind. Der Sohn der Beschwerdeführerin geht einer Vollzeitbeschäftigung als Zahntechniker nach, die Tochter der Beschwerdeführerin befindet sich in einer Ausbildung zur Krankenschwester.

Die Beschwerdeführerin hat nach der Scheidung im Jahr 2002 keinen Kontakt mehr zu ihrem (Ex-)Ehemann gehabt und diesen erst nach ihrer Einreise in Österreich auf Wunsch ihrer Kinder wiederaufgenommen. Die Beschwerdeführerin hat im Vorfeld der Eheschließung mit ihrem damaligen Ex-Ehegatten keinerlei Beziehung mehr geführt, sie lebte mit diesem in keinem gemeinsamen Haushalt und hatte auch keinen Wunsch nach einer Wiederaufnahme der Beziehung zu diesem. Ihren Angaben zufolge erfolgte die neuerliche standesamtliche Eheschließung auf Wunsch der beiden volljährigen Kinder und beruhte im Wesentlichen auf Zweckmäßigkeitserwägungen.

Die Obsorge für die beiden damals minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten kam nach der Scheidung im Jahr 2002 dem Kindesvater zu, bei dessen Familie sie aufwuchsen, wobei der Beschwerdeführerin ein monatliches Besuchsrecht zustand. Im Jahr 2014/2015 zogen diese vom Kosovo zu ihrem Vater nach Österreich.

Die Beschwerdeführerin zog etwa zwei Wochen nach der Eheschließung in das von ihrem Ehemann und den beiden volljährigen Kindern im Bundesgebiet bewohnte, gepachtete, Haus in einem Kleingartenverein. Die Beschwerdeführerin und ihre Angehörigen waren sich sowohl zum Zeitpunkt der Eheschließung als auch bei Begründung des gemeinsamen Wohnsitzes der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin bewusst. Der gemeinsame Aufenthalt und Wohnsitz konnte nur durch die illegale Einreise und Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz erfolgen. Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag auf internationalen Schutz im Bewusstsein, dass keine auf den Herkunftsstaat bezogene Gefährdung vorliegt und in der Absicht, die Bestimmungen über eine legale Niederlassung nach dem NAG zu umgehen.

Die Beschwerdeführerin führt den Haushalt für ihren Ehemann und die gemeinsamen volljährigen Kinder. Eine Pflegebedürftigkeit oder sonstige Abhängigkeit des Ehemannes der Beschwerdeführerin von dieser konnte nicht festgestellt werden. Auch sonst bestehen keine Abhängigkeiten zu ihren aufenthaltsberechtigten Angehörigen.

Der Beschwerdeführerin wäre es im Falle des Wunsches nach einer Fortführung der Beziehung möglich, gemeinsam mit ihrem Ehemann in den Kosovo zurückzukehren, wo auch ihr Ehegatte nach wie vor enge Angehörige hat. Alternativ kann die Beschwerdeführerin (vorübergehend) in den Herkunftsstaat zurückkehren und von dort aus im regulären Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz einen Einreise- und Aufenthaltstitel erlangen.

Im Übrigen kann die Beschwerdeführerin den Kontakt zu ihrem Ehemann und ihren volljährigen Kindern sowie zu ihrem weiters in Österreich lebenden Cousin und dessen Familie auch jederzeit über Telefon, Internet und gegenseitige Besuche in Österreich, im Kosovo oder in Drittstaaten aufrechterhalten.

1.5. Die Beschwerdeführerin ging im Bundesgebiet keiner legalen Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlichen Arbeit nach und ist in keinem Verein Mitglied. Für den Fall der Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis steht ihr eine Vollzeitbeschäftigung als Reinigungskraft in jener Ordination, in welcher ihr Sohn angestellt ist, in Aussicht. Die Beschwerdeführerin hat im Jahr 2018 eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 abgelegt, darüberhinausgehende Kurse oder Ausbildungen hat sie nicht absolviert. Die Beschwerdeführerin war während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht selbsterhaltungsfähig und hat ihren Lebensunterhalt durch den Notstandshilf-Bezug ihres Gatten sowie das Einkommen ihres Sohnes bestritten. Sie hat Bekanntschaften im Bundesgebiet geknüpft und eine Nachbarin unterstützt.

1.6. Zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin wird Folgendes festgestellt:
1.         Sicherheitslage

Letzte Änderung: 11.5.2020

Ethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zu den im Norden in einem zusammenhängenen Gebiet lebenden Serben und jenen Serben, die im restlichen Kosovo in kleineren versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und zum Teil die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit. Besonders problematisch sind speziell Fragen der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien, zumal diese von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt wird (GIZ 9.2018a).

Somit bleibt die Lage im Norden des Kosovo (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken (AA 2.5.2020).

Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen (GIZ 9.2018a).

In Pristina und anderen Städten des Landes kann es gelegentlich zu Demonstrationen und damit zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommen. In allen anderen Landesteilen Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Teilweise gewalttätige Protestaktionen der Opposition gegen die Regierung haben sich seit dem ersten Halbjahr 2016 nicht mehr ereignet, das Potential für solche Proteste besteht aber weiterhin (AA 2.5.2020).

Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich 85,5% der Befragten in ihrem Zuhause (Wohnung, Haus), 78,8% in ihrer Stadt und 52,4% im Kosovo sicher fühlten. Albanische und nicht-serbische Minderheitenangehörige fühlen sich im Kosovo sicherer als Serben (KCSS 7.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (2.5.2020): Kosovo: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/kosovosicherheit/207442, Zugriff 4.5.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 23.12.2019

?        KCSS - Kosovo Center for Security Studies (7.2019): Kosovo Security Barometer – Trends of Citizens’ Perceptions on Public safety in Kosovo (2016 – 2018), https://www.academia.edu/40117450/REPORT_BY_KCSS_TRENDS_OF_CITIZENS_PERCEPTIONS_ON_PUBLIC_SAFETY_IN_KOSOVO, Zugriff 23.12.2019
2.         Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 11.5.2020

Die gesetzgebende Gewalt wird vom kosovarischen Parlament ausgeübt, die exekutive Gewalt von der Regierung (Premierminister, Minister) und die richterliche Gewalt von den Gerichten, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, der höchsten richterlichen Behörde, und des Verfassungsgerichts. Die Exekutive hat sich jedoch wiederholt (informell) in die Arbeit von Legislative und Judikative eingemischt und das Parlament wurde immer wieder dafür kritisiert, dass es sein verfassungsmäßiges Mandat zur Kontrolle der Regierung nicht ausübt. Die parlamentarischen Ausschüsse in der Versammlung wurden von der Exekutive ignoriert, wodurch ihre parlamentarische Kontrollfunktion wesentlich geschmälert wurde. Die Kontrolle und Ausgewogenheit der demokratisch gewählten Institutionen ist zwar formell festgelegt, in der Realität jedoch schwach und ineffizient (BS 2020).

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber diese Unabhängigkeit wird nach wie vor durch politische Autoritäten und ein hohes Maß an Korruption beeinträchtigt. EULEX und seine kosovarischen Pendants haben einige Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit, Rechenschaftspflicht, Freiheit von politischer Einmischung und Multiethnizität, einschließlich der Einhaltung europäischer Best Practices und internationaler Standards, erzielt. Dennoch hat eine 2016 durchgeführte Umfrage über die Wahrnehmung des Justizsystems durch die Bürger ergeben, dass nur 12,3% die Gerichte für unabhängig hielten, während 61,2% der Ansicht waren, dass Personen mit politischen Verbindungen weniger wahrscheinlich bestraft würden. 50,5% meinten, dass Justizbeamte Bestechungsgelder erhielten oder verlangten und nur 36% konnten jüngste Verbesserungen im Justizsystem feststellen, während 24,4% davon überzeugt waren, dass keine Verbesserungen erzielt wurden (BS 2020).

Die Effizienz bei der Fallbearbeitung hat sich verbessert, aber es gibt immer noch einen beachtlichen Rückstau an offenen Fällen. Ein Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte ist zwar vorhanden, aber ineffizient. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellt kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigen Einkommen zur Verfügung; diese ist jedoch nicht adäquat finanziert und funktioniert nicht wie vorgesehen. Bei Verletzung der Prozessrechte können sich Geschädigte an den Verfassungsgerichtshof wenden (USDOS 11.3.2020).

Die Verfahren werden nicht immer ordnungsgemäß abgewickelt. Nach Angaben der Europäischen Kommission, der NGOs und der Institution der Ombudsperson ist die Justizverwaltung langsam und es fehlen die Mittel, um die Rechenschaftspflicht der Justizbeamten zu gewährleisten. Die Justizstrukturen sind politischer Einflussnahme ausgesetzt, mit umstrittenen Ernennungen und unklaren Mandaten (USDOS 11.3.2020). Die lokale Rechtsprechung sieht sich Einflüssen von außen, v.a. seitens der Exekutive, ausgesetzt und sorgt nicht immer für faire Prozesse (FH 4.2.2019).

Im Laufe des Jahres 2019 förderte das Justizministerium Änderungen eines Gesetzes von 2010 über die disziplinarische Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten, mit denen die Unparteilichkeit des kosovarischen Justizwesens erreicht werden sollte (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus wurden Register zur Erfassung von Beschwerden gegen Richter auf Ebene der Gerichte und des KJC, des „kosovarischen Justizrates“, fertiggestellt und allen Gerichten zur Überprüfung übergeben. Im Einklang mit der Disziplinarordnung wählte die KJC 70 von den Gerichtspräsidenten empfohlene Richter für die Mitgliedschaft in Gremien aus, die für die Untersuchung von Disziplinarbeschwerden zuständig sind. Ihr Mandat ist gestaffelt, um Kontinuität zu gewährleisten: 25 Richter wurden nach dem Zufallsprinzip für eine Amtszeit von einem Jahr, 23 für eine zweijährige und 22 für eine dreijährige Amtszeit ausgewählt. Jährlich sollen neue Mitglieder ausgewählt werden, um eine volle Besetzung von 70 zu gewährleisten. Seit Inkrafttreten des neuen Disziplinarverfahrens sind bei den Gerichtspräsidenten als den zuständigen Behörden 75 Beschwerden gegen Richter eingegangen; der kosovarische Justizrat setzte ein entsprechendes Untersuchungsgremium ein (USDOS 11.3.2020).

Manchmal versäumen es die Behörden, gerichtlichen Anordnungen u.a. auch des Verfassungsgerichts nachzukommen, insbesondere wenn die Urteile Minderheiten begünstigen, wie in zahlreichen Fällen der Rückgabe von Eigentum an Kosovo-Serben. Keiner der Beamten, die 2019 an der Nichtumsetzung von Gerichtsbeschlüssen beteiligt waren, wurde sanktioniert (USDOS 11.3.2020).

Das Gesetz sieht faire und unparteiische Verfahren vor und trotz gravierender Mängel im Justizsystem wie etwa politischer Einmischung, wird das Recht im Allgemeinen umgesetzt. Die Prozesse sind öffentlich, die Angeklagten haben ein Recht auf die Unschuldsvermutung, auf unverzügliche Information über die gegen sie erhobenen Anklagen und auf ein faires, öffentliches Verfahren, bei dem sie sich in ihrer Muttersprache an das Gericht wenden können. Sie haben das Recht, zu schweigen oder sich der Aussage zu entschlagen, Beweise einzusehen, einen eigenen Rechtsbeistand zu haben und gegen Urteile zu berufen. Das Kosovo wendet keine Geschworenenprozesse an (USDOS 11.3.2020).

Die "Free Legal Aid Agency“ (FLAA) ist von der Regierung beauftragt, Personen mit niedrigem Einkommen kostenlosen Rechtsbeistand zu gewähren und führt entsprechende Kampagnen durch, die sich an benachteiligte und marginalisierte Gemeinschaften richteten. Im Mai 2019 finanzierten die Vereinten Nationen das Zentrum für Rechtshilfe, welches über NGOs Frauen kostenlosen Rechtsbeistand in Fällen wie der Überprüfung von Eigentumsrechten, Klagen wegen sexueller Gewalt und Rentenansprüchen aus Serbien garantiert (USDOS 11.3.2020).

Kosovo befindet sich in einem Frühstadium in Bezug auf die Anwendung des aquis communautaire und europäischer Standards im Justizbereich. Ein gewisses Ausmaß an Fortschritt wurde erreicht, unter anderem bei der Untersuchung hochrangiger Korruptionsfälle. Korruption ist dennoch weit verbreitet und bleibt ein problematischer Themenbereich. Die Verabschiedung verschiedener Rechtsdokumente im Bereich Korruptionsbekämpfung stellt einen wichtigen Schritt dar, wesentlich ist nun die konsequente Umsetzung (EC 29.5.2019).

Am 8.6.2018 hat der Rat beschlossen, das Mandat der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, EULEX Kosovo, neu auszurichten. Die Mission hatte seit ihrer Einrichtung vor 10 Jahren zwei operative Ziele: das Ziel der Beobachtung, Anleitung und Beratung durch Unterstützung der Rechtsstaatlichkeitsinstitutionen des Kosovo und des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina und zweitens ein exekutives Ziel, nämlich die Unterstützung verfassungs- und zivilrechtlicher gerichtlicher Entscheidungen sowie strafrechtlicher Ermittlungen und gerichtlicher Entscheidungen in ausgewählten Strafsachen. Mit dem Beschluss wird der justizielle exekutive Teil des Mandats der Mission beendet und das Kosovo nimmt nun die Verantwortung für alle übertragenen Ermittlungen, Strafverfolgungen und Gerichtsverfahren wahr. Seit dem 14.6.2018 konzentrierte sich EULEX darauf, ausgewählte Fälle und Gerichtsverfahren in den Straf- und Zivilrechtsinstitutionen des Kosovos zu beobachten, den Justizvollzugsdienst des Kosovos zu beobachten, anzuleiten und zu beraten und die operative Unterstützung für die Umsetzung der von der EU geförderten Dialogvereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo fortzusetzen. Der Ratsbeschluss sieht vor, dass das überarbeitete Mandat bis zum 14.6.2020 gilt (REU 8.6.2018).

Quellen:

?        BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 4.5.2020

?        EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo* 2019 Report, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 7.4.2020

?        FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 7.4.2020

?        REU - Rat der Europäischen Union (8.6.2019): EULEX Kosovo: neue Rolle für die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2018/06/08/eulex-kosovo-new-role-for-the-eu-rule-of-law-mission/#, Zugriff 23.12.2019

?        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 17.4.2020

2.1.    Der Kanun / Blutrache

Letzte Änderung: 11.5.2020

Historisch bedingt existierte in der kosovarischen Gesellschaft eine grundsätzliche Distanz gegenüber staatlichen Strukturen. Dies führte zur Ausbildung umfangreicher Prozesse der Gemeinschaftsbildung, welche u. a. in der Entwicklung von Stämmen, Clans, Patenschaften und Blutsverwandtschaft Ausdruck fand. Insbesondere in der albanischen Bergwelt basierte die Ordnung auf mündlich tradiertem Gewohnheitsrecht. Diese sogenannten Kanune variierten regional, wobei die bekannteste dieser Rechtsordnungen der Kanun Lekë Dukagjini ist. Die grundlegende soziale Einheit, auf der der Kanun basiert, ist die Großfamilie unter Führung des männlichen Familienältesten (Senioritätsprinzip). Der Kanun ist ein umfassendes Regelwerk und befasst sich mit weiten Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie Kirchen-, Ehe-, Erb-, Schuld-, Handels- und Strafrecht. Zentral für dieses Rechtsverständnis ist der Begriff der Ehre, was sich u.a. in der Bedeutung der Blutrache, aber auch des umfassenden Gastrechts ausdrückt. Die Rolle der Frauen im Kanun ist eine nachgeordnete und charakterisiert die marginale Stellung der Frau in der traditionellen albanischen (Hochland-)Gesellschaft (GIZ 3.2020b).

Die Blutrache, die teils Ausdruck Jahrzehnte alter Konflikte ist, war bis in die 1980er Jahre ein weit verbreitetes Phänomen in Albanien und im Kosovo. 1990 nahmen unter Führung von Anton Çetta, einem Professor für Ethnologie, ca. 100.000 Personen aus dem Kosovo, aus Albanien, Mazedonien und Montenegro an einer großen Aussöhnung von Familien teil, bei der ca. 2.000 Fälle der Blutrache versöhnt wurden. Obwohl er zunehmend an Bedeutung verliert, spielt der Kanun in entlegenen Regionen bis heute eine Rolle bei der Rechtsinterpretation. Nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Albanien 1997 kam es zu einer Renaissance der Blutrache, allerdings nicht nach den Regeln des Kanuns. Waren traditionell Frauen und Kinder vor der Blutrache geschützt, sind heute auch diese Personengruppen von der Verfolgung betroffen. Bei der Bewertung krimineller Handlungen bzw. Formen der organisierten Kriminalität (in der Diaspora) spielen Aspekte des Gewohnheitsrechts aktuell eine Rolle (GIZ 3.2020b).

Insbesondere außerhalb der größeren Städte sind nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten. Diese werden landläufig als „Blutrache“ bezeichnet und ohne Beachtung der einschränkenden Regeln des Kanun - der Eröffnung, Ablauf und Beendigung regelt - beharrlich betrieben, zum Teil mit blutigen bzw. tödlichen Folgen. Bei diesen Racheakten ist die Hemmschwelle, eine Schusswaffe zu benutzen, oft sehr niedrig. Beteiligte an solchen Taten werden verfolgt, angeklagt und verurteilt (AA 21.3.2019).

Blutrache stellt im Westen des Kosovo (und im Norden Albaniens) nach wie vor ein Problem dar und wird infolge der Migrationsbewegung von Albanern und Kosovo-Albanern hin und wieder auch ins Ausland getragen. Eine Grundregel ist, dass eine Ehrverletzung mit Blut vergolten werden muss – sonst werden der Geschädigte und seine Familie von der Dorfgemeinschaft geächtet, was den gesellschaftlichen Tod bedeutet. Dieser gesellschaftliche Zwang ist ein Grund, weshalb sich die Blutrache in einigen Gegenden von Albanien und Kosovo zäh halten kann. Da eine Tötung stets die Revanche der anderen Familie herausfordert, können sich die Kettentötungen einer Blutfehde über Jahrzehnte hinziehen und ganze Familien auslöschen. Ursprünglich verlangte der Ehrenkodex des Kanuns, dass nur an männlichen Familienmitgliedern Blutrache geübt werden darf – doch heute sind in Nordalbanien durchaus auch Frauen gefährdet. Nur innerhalb des eigenen Hauses sind betroffene Familien vor der Blutrache sicher. Eine Blutfehde kann aber durch Verhandlungen und ein Sühnegeld beendet werden, wenn die (zuletzt) geschädigte Familie einwilligt. Diese Sühne wird im albanische Kanun Blutgeld genannt (GRA 2015).

Es bestehen keine Zufluchtsmöglichkeiten in anderen Landesteilen oder größeren Städten. Wegen der geringen Größe des Kosovo ist es leicht möglich, eine Person auch in größeren Städten sehr schnell zu finden, zumal Neuankömmlinge meist in einen Stadtteil ziehen, in dem bereits andere Personen aus ihrem Dorf oder Clan leben. Die größeren Städte setzten sich daher sozusagen aus “ethnischen“ Vierteln zusammen, in denen Familien Verwandtschaftsbeziehungen zu ihrem Heimatort und ihrem patrilinearen Clan bewahrten. Ferner ist es nicht möglich, von einem in einen anderen Landesteil zu ziehen und einfach unterzutauchen, da jede kosovo-albanische Person ihre Herkunft auf einen der zwölf Gründungsclans der Albaner in Kosovo zurückführen kann. Eine falsche Identität zu erfinden, die einer Überprüfung standhalten würde, ist daher kaum möglich. Zusätzlich werden Neuankömmlinge stets in einem Kontext sozialer Beziehungen eingeordnet, und Höflichkeitsnormen schreiben vor, sich bereits bei der ersten Begegnung nach Herkunft, Familienbeziehungen und Freunden einer Person zu erkundigen. Auch die Ombudsperson des Kosovo bestätigt, dass es kaum möglich ist, in anderen Landesteilen oder größeren Städten vor Blutrache Schutz zu finden (SFH 1.7.2016).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 14.4.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 5.5.2020

?        GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (o.D.): Belastete Begriffe. Blutrache/Vendetta, https://www.gra.ch/bildung/gra-glossar/begriffe/belastete-begriffe/blutrache-vendetta/, Zugriff 5.5.2020

?        SFH – Schweizer Flüchtlingshilfe (1.7.2016): Kosovo. Blutrache, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/kosovo/160701-kos-blutrache.pdf, Zugriff 14.4.2020
3.         Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 11.5.2020

Die innere Sicherheit der Republik Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Polizei (KP), den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften (EU-Rechtstaatlichkeitsmission, Anm.) und den KFOR-Truppen (mit 3.500 Soldaten) (AA 21.3.2019).

Als eine ihrer Operationslinien unterstützt die KFOR Aufbau und Training der multiethnischen und zivil kontrollierten, leicht bewaffneten Sicherheitskräfte „Kosovo Security Force“ (KSF), die nach dem bisherigen Gesetzesrahmen nicht mehr als 2.500 Mitglieder und maximal 800 Reservisten hatten. Die KSF übernimmt derzeit primär zivile Aufgaben wie Krisenreaktion, Sprengmittelbeseitigung und Zivilschutz. Das am 14.12.2018 mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Gesetzespaket zur Transition in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte unterwirft die KSF einem 10-jährigen Übergangsprozess, an dessen Ende ca. 5.000 leicht bewaffnete Defensivkräfte stehen sollen. Die kosovarische Regierung hat der NATO gegenüber schriftlich die volle Transparenz des Prozesses, die Bewahrung des multiethnischen Charakters der KSF sowie das Festhalten an den Bedingungen von UNSCR 1244 und dem KFOR-Mandat bekundet (AA 21.3.2019).

Die Polizei (Kosovo Police, KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen. Der Frauenanteil in der KP beträgt 14%; der Anteil der Angehörigen von Minderheiten liegt bei 16%. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Für die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitskräfte ist im Parlament der Ausschuss für Inneres, Sicherheitsfragen und Überwachung der KSF zuständig (AA 21.3.2019). Weiterhin sollen die Polizeistrukturen im Kosovo vereinheitlicht und Mitglieder serbischer Sicherheitskräfte in die kosovarische Polizei integriert werden. Die Polizeikräfte im serbischen Norden sollen die Bevölkerungsverhältnisse widerspiegeln und unter Führung eines kosovo-serbischen Regionalkommandanten stehen (GIZ 3.2020a). Es gibt 436 Polizeibeamte (Angehörige der KP) pro 100.000 Einwohner. Dies übertrifft den EU-Durchschnitt, der sich im Jahr 2016 gemäß Eurostat auf 318 Beamte belief. Die Polizei ist relativ gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt über moderne IT-Infrastruktur. Die „Kosovo Academy for Public Safety“ gewährleistet eine gute Ausbildung für Polizeibeamte und andere Angehörige des Sicherheitsapparats (Zollbeamte, Beamte des Strafvollzugs) sowohl im Bereich der Grundausbildung als auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung. Die Kapazität der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist gut, jedoch unterliegt die Polizei immer noch Korruption und politischem Druck (EC 29.5.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 10.4.2020

?        EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo 2019 Report, S33 u. S35, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 27.11.2019

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 5.5.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 23.12.2019
4.         Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 11.5.2020

Das Verbot der Folter sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe wird im Artikel 27 der kosovarischen Verfassung verankert. Artikel 199 des Strafgesetzbuches kriminalisiert Folter in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen (AA 21.3.2019). Die Gesetze werden aber uneinheitlich umgesetzt und es gab anhaltende Vorwürfe, dass Gefangene von der Polizei und in geringerem Maße auch vom Personal des Strafvollzugsdienstes gefoltert und misshandelt wurden (UDOS 11.3.2020). Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nahm in seinem letzten Bericht über den Besuch in Serbien und Kosovo mit großer Besorgnis zahlreiche Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen durch die Polizei zur Kenntnis (AA 21.3.2019; vgl. UN 25.1.2019). In erwähntem Papier wird über Misshandlungen von Gefangenen sowie verbale und psychologische Drohungen berichtet. Auch besteht ein Mangel an Aufsicht in der Untersuchungs- und Verhörphase der Inhaftierung, was angeblich zu erzwungenen Geständnissen führt (USDOS 11.3.2020).

Die Ombudsperson des Kosovo (KOI) verfügt in ihrer Eigenschaft als Nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT) über sieben Mitarbeiter. Darunter sind ein Arzt, ein Psychiater, ein Sozialarbeiter und zwei Anwälte, die sich hauptberuflich mit der Verhütung von Folter befassen. Im Jahr 2018 unterzog sich der NPMT einem intensiven vom Europarat finanzierten Schulungsprogramm, um seine Kapazitäten zu verbessern. Auch führte er in Gefängnissen, Haftanstalten, psychiatrischen Einrichtungen und Polizeistationen Inspektionen durch. Gefangene und Inhaftierte können den NPMT über Rechtsanwälte, Familienangehörige, internationale Organisationen, direkte Telefonanrufe oder über Briefkästen in Haftanstalten, die nur für Mitarbeiter der KOI zugänglich sind, kontaktieren. Die KOI berichtete zwar über Beschwerden gegen die Polizei und den Strafvollzugsdienst; darunter Vorwürfe der körperlichen Misshandlung von Gefangenen, aber keine Folterhandlungen (USDOS 11.3.2020).

Das Kosovo-Rehabilitationszentrum für Folteropfer (KRCT), die führende NGO des Landes in Fragen der Folter, gab ebenfalls an, im Laufe des Jahres keine glaubwürdigen Berichte über Folterungen erhalten zu haben, obwohl die Misshandlung von Gefangenen nach wie vor ein Problem darstellt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 30.3.2020

?        UNHRC – United Nations Human Rights Council (25.1.2019): Visit to Serbia and Kosovo. Report of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, https://atlas-of-torture.org/api/files/1552483246133hd6yw6vl38u.pdf, Zugriff 31.3.2020

?        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 21.4.2020
5.         Korruption

Letzte Änderung: 11.5.2020

Laut Gesetz steht Korruption von Beamten unter Strafe, aber die Regierung setzt diese Vorgaben nicht effektiv um. Korruption bei Beamten bleibt gelegentlich ungesühnt. Das Fehlen einer wirksamen Justizaufsicht und eine allgemeine Schwäche der Rechtsstaatlichkeit tragen zu diesem Problem bei. Gegen Korruptionsfälle wird routinemäßig wiederholt Berufung eingelegt, und das Justizsystem lässt oft Verjährungsfristen auslaufen, ohne die Fälle vor Gericht zu bringen. Die Antikorruptionsbehörde (ACA) und das Nationale Rechnungsprüfungsamt tragen gemeinsam die Verantwortung für die Bekämpfung staatlicher Korruption. Verurteilungen wegen Korruptionsvorwürfen machen weiterhin nur einen geringen Teil der untersuchten und angeklagten Fälle aus. NGOs berichten, dass Anklageerhebungen oft fehlschlagen, weil Staatsanwälte falsche Anklagen erheben oder Verfahrensfehler machen (USDOS 11.3.2020).

Die institutionellen Rahmenbedingungen zur Korruptionsbekämpfung sind schwach. Die Zuständigkeitsbereiche der vier primären Korruptionsbekämpfungsbehörden überlappen sich, was eine effiziente Koordinierung der Bemühungen erschwert. Die Behörden zeigen nur wenig Anstrengung, hochrangige Korruptionsfälle zu untersuchen, und wenn hochrangige Beamte doch verfolgt werden, so kommt es selten zu Verurteilungen. Ende 2018 waren vier Minister, denen Korruption bzw. Interessenskonflikte vorgeworfen wurden, trotz entsprechender Anklagen weiterhin im Amt. Staatsanwälte und Gerichte sind nach wie vor anfällig für politische Einmischung und Korruption durch mächtige politische und geschäftliche Eliten, wodurch ordnungsgemäße Verfahren untergraben werden (FH 4.2.2019). Auch die Ergebnisse der EULEX-Anti-Korruptionsbemühungen waren minimal. Besonders hochrangige Korruptionsfälle wurden nicht einmal untersucht, was einen weit verbreiteten Eindruck der Straflosigkeit hervorrief. Es schien, als sollte wichtigen Persönlichkeiten der politischen Elite des Kosovo eine Untersuchung oder gar ein Gerichtsverfahren erspart bleiben, im höheren Interesse der Aufrechterhaltung des kosovarischen Staatsbildungsprojekts (BS 2020).

Zentrale Bereiche der Korruption sind neben dem Gesundheits- und Bildungswesen die Justiz, in der es regelmäßig zu politischer Einflussnahme kommt, außerdem die öffentliche Verwaltung, in der Nepotismus, Beschäftigung nach Parteibuch wie die Manipulation öffentlicher Ausschreibungsverfahren weit verbreitet sind. Politische Korruption, etwa bei der Besetzung von Aufsichtsräten herrscht auch bei öffentlichen Unternehmen vor. Die kosovarische Presse berichtet regelmäßig von Korruptionsskandalen, in die hochkarätige Partei- oder Regierungsvertreter verwickelt sein sollen. Zur Anklage kommt bisher jedoch nur ein kleiner Teil davon und zu Verurteilungen kommt es ganz selten. So wurde der frühere Minister Fatmir Limaj diverse Male, unter anderem von EULEX-Richtern, wegen Korruption angeklagt, zu einer Verurteilung kam es nie. Auch sein Bruder, Florim Limaj, der im Innenministerium mit der Bekämpfung von Korruption betraut war, wurde wegen Korruption angeklagt. Ähnlich gelagert war der Fall des Staatsanwalts Nazim Mustafi. Der mit der Bekämpfung von Korruption beauftragte Staatsanwalt wurde 2013 von einem EULEX-Gericht selbst zu fünf Jahren Haft verurteilt - wegen Bestechlichkeit. Nicht nur lokalen Richtern, Staatsanwälten und Polizei fehlt die politische Unabhängigkeit zur Verfolgung politisch sensibler Korruptionsfälle – selbst die EU-Rechtsstaatsmission EULEX erwies sich als außerordentlich ineffizient, hochkarätige Fälle politischer Korruption abzuurteilen. 2017 wurden laut offiziellen Statistiken von den Staatsanwaltschaften im Kosovo knapp 1.800 Personen wegen Korruption angeklagt, 90% davon waren Behördenvertreter. 2015 wurde eine behördenübergreifende Task Force gegen politisch sensible Korruption und organisierte Kriminalität geschaffen. Bis einschließlich 2018 kamen allerdings lediglich 27 Fälle zur Anklage, ganze 9 Personen wurden verurteilt. Nicht zuletzt wegen der ineffizienten Korruptionsbekämpfung haben zwei Drittel der Bevölkerung im Kosovo kein Vertrauen in die Justiz bzw. den Rechtsstaat (GIZ 3.2020a).

Diese Auffassung vertritt auch der Direktor der albanischen Antikorruptionsbehörde, Shaip Havolli und rief die Justizbehörden auf, keine Angst zu haben, auch hochrangige Personen wegen Korruption anzuklagen. Er betonte, dass niedrige Strafen und Freilassungen ein negatives Signal für die Entwicklung des Kosovo und seine Integration in die internationalen Strukturen seien (CoE o.D.a; vgl. Telegrafi 25.5.2019). Das Kosovo Law Institute beklagte 2019, dass das Ausmaß der Nichtbestrafung von Korruption als besorgniserregend. Die Korruption auf hoher Ebene bleibe ein ernstes Problem. Der britische Botschafter im Kosovo zeigte sich beunruhigt, dass trotz aller Investitionen der internationalen Gemeinschaft ein hoher Prozentsatz von in Korruption verwickelten hohen Beamten nicht bestraft wird (CoE o.D.b).

Transparency International listet den Kosovo in seinem „Corruption Perceptions Index“ 2019 auf Platz 101 von insgesamt 180 bewerteten Staaten. Dies entspricht einer Verschlechterung um acht Plätze gegenüber 2018 (TI 1.2020; vgl. TI 30.1.2019). Im regionalen Vergleich zu seinen Nachbarländern liegt das Kosovo hinsichtlich des Ausmaßes an Korruption im Mittelfeld GIZ 3.2020a).

Quellen:

?        BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 14.4.2020

?        CoE – Council of Europe (o.D.a): Action against economic crime and corruption. KLI: The Justice System has failed to treat targeted cases, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo, Zugriff 14.4.2020

?        CoE – Council of Europe (o.D.b): Action against economic crime and corruption. Kosovo Law Institute: corruption remains unpunished in the country, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo, Zugriff 17.4.2020

?        FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 27.11.2019

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 5.5.2020

?        Telegrafi.com (25.5.2019): Havolli kërkon dënime të larta për korrupsion, fton prokurorët e gjyqtarët të mos frikësohen, https://telegrafi.com/havolli-kerkon-denime-te-larta-per-korrupsion-fton-prokuroret-e-gjyqtaret-te-mos-frikesohen/, Zugriff 5.5.2020

?        TI – Transparency International (1.2020): Corruptions Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/whatwedo/publication/corruption_perceptions_index_2019, Zugriff 5.5.2020

?        TI – Transparency International (30.1.2019): Corruptions Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018, Zugriff 5.5.2020

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten