Entscheidungsdatum
25.11.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
G311 2237050-1/2Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Kroatien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2020, Zahl XXXX betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 18 Abs. 5 BFA – VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom15.10.2020, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf vier Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt, einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Begründend wurde ausgeführt und dabei als Sachverhalt festgestellt, dass der Beschwerdeführer erstmals am 27.03.1992 seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dokumentiert habe, er habe von 23.12.2014 bis 17.10.2016 seinen Lebensmittelpunkt nicht in Österreich gehabt. Seine beiden minderjährigen Kinder würden bei der Ex-Frau des Beschwerdeführers in Tirol leben. Seit 29.01.2019 habe er seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in Österreich, da er in Italien lebe. Er habe von 20.07.2002 bis 14.05.2020 rechtswidrige Handlungen im Bundesgebiet gesetzt. Er sei in 23 Fällen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt worden und 11 Mal verurteilt wurden. Seine Geschwister würden in Österreich leben und habe er in Anbetracht seines delinquenten Verhaltens kein schützenwertes Privat- und Familienleben in Österreich.
In weiterer Folge wurden die Daten zweier Urteile zitiert, auf das diesbezügliche Fehlverhalten und auf eine weitere Verurteilung wurde disloziert in der Beweiswürdigung Bezug genommen. In der rechtlichen Beurteilung wird zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes ausgeführt, es könne keine positive Zukunftsprognose getroffen werden, er stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Hinsichtlich der Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes wurde pauschal auf die massive Verletzung der Grundinteressen der Gesellschaft seit 2020 verwiesen. Hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde wurde auf die zahlreichen Verstöße gegen die Rechtsordnung, trotz Verbüßen von Haftstrafen sei er in sein übliches Muster verfallen.
Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
In dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug vom 20.11.2020 scheinen 11 strafgerichtliche Verurteilungen auf. Dem Verwaltungsakt liegen lediglich fünf strafgerichtliche Urteile ein.
II. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A.): Zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde:
§ 18 BFA-VG lautet:
„(1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs. 2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.
(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn
1. die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,
2. der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder
3. Fluchtgefahr besteht.
(3) Bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
(4) Der Beschwerde gegen eine Ausweisung gemäß § 66 FPG darf die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden.
(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.
(7) Die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs. 1 bis 6 nicht anwendbar.“
Der Beschwerdeführer ist kroatischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger. Die belangte Behörde hat zwar festgestellt, dass der 23.12.2014 bis 17.10.2016 seinen Lebensmittelpunkt nicht in Österreich gehabt habe und seit 29.01.2019 er seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in Österreich habe. Sie ist offenbar vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG iVm Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie ausgegangen. Konkrete Ausführungen fehlen jedoch.
§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält somit zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. im Fall von Minderjährigen. Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als für bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus "schwerwiegenden" Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FPG insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 idF FrÄG 2011 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262)
Es wäre daher jedenfalls zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bereits 2014 ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG erworben hat, ob dieses zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes noch besteht und für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes allenfalls Aufenthaltsverbotes § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG iVm Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG maßgeblich wäre.
Weiters sind die fehlenden strafgerichlichen Urteile einzuholen.
Festzuhalten ist auch, dass sich die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf jene bezogen, mit dem bereits die Erlassung des Aufenthaltsverbotes und die Versagung des Durchsetzungsaufschubes begründet wurde.
Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes keinesfalls zu ersetzen. Demnach ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom BFA abzuerkennen, wenn - wie bei der Versagung eines Durchsetzungsaufschubs nach § 70 Abs. 3 FrPolG 2005 - die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Dafür genügt es nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind. Dies gilt sinngemäß auch für die unter den (im Wesentlichen) inhaltsgleichen Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG 2014 mögliche Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot. Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FrPolG 2005 hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung des Fremden schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist (VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360 mwN).
Eine derartige Begründung ist im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht enthalten und waren dem Akteninhalt keine diesbezüglichen Anhaltspunkte zu erkennen.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr strafgerichtliche VerurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2237050.1.00Im RIS seit
10.03.2021Zuletzt aktualisiert am
10.03.2021