Entscheidungsdatum
26.11.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L507 2237098-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.11.2020, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 22.09.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.09.2020 und bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 02.10.2020 brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, dass er Staatsangehöriger der Türkei und in Wien geboren sei. Der Beschwerdeführer lebe seit seiner Geburt – mit Ausnahme der Zeit von 1996 bis 1999, wo er in der Türkei seinem Militärdienst und eine Drogenentzugstherapie absolviert habe – in Österreich. Der Beschwerdeführer sei drogenabhängig, leide an Hepatitis C und sei HIV-positiv. Die Eltern des Beschwerdeführers sein bereits verstorbener und seine sieben Geschwister würden in Österreich wohnen. In der Türkei lebe eine Tante, zu der der Beschwerdeführer keinen Kontakt habe. Der Beschwerdeführer wolle ein humanitäres Bleiberecht beantragen und habe den Asylantrag deswegen gestellt, um mit einem Referenten des BFA reden zu können. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei habe er dort „keine Aussichten“.
2. Mit Schreiben des BFA vom 05.11.2020 – zugestellt an den Beschwerdeführer am selben Tag – wurde dem Beschwerdeführer das Ergebnis einer an die Staatendokumentation gerichteten Anfrage betreffend die medizinische Versorgung und die Verfügbarkeit von Medikamenten in der Türkei zur Abgabe einer Stellungnahme bis zum 09.11.2020 und somit innerhalb einer Frist von vier Tagen [sic!] übermittelt.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 10.11.2020, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 6 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger und ledig sei und keine Sorgepflichten habe. Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren und aufgewachsen und habe sich von 1996-1999 in der Türkei aufgehalten, um eine Entzugstherapie zu besuchen und seinen Wehrdienst abzuleisten. Der Beschwerdeführer „laboriere“ an HIV und Hepatitis C. Er sei drogenabhängig und bekomme diesbezüglich eine Drogenersatztherapie. Laut Befund und Gutachten vom 16.10.2020 zeige der Beschwerdeführer unter der derzeitigen Medikamenteneinstellung keine Entzugssymptome. Außerdem sei durch die Medikation ebenfalls ein guter psychischer und physischer Zustand gegeben. Der Beschwerdeführer zeige einen sehr guten Gesundheitszustand. Im Gespräch mit dem Beschwerdeführer wirke er psychisch geordnet, stabil und positiv gestimmt. Eine Haft- und Verhandlungsfähigkeit sei jedenfalls im vollen Umfang gegeben.
Nach einer Aufzählung der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Türkei einer individuellen asylrelevanten Verfolgung nicht ausgesetzt wäre und eine solche künftig nicht zu befürchten habe. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland einer Verfolgung bzw. einer Bedrohungssituation ausgesetzt sei, er sei keinen Verfolgungshandlungen durch staatliche Behörden ausgesetzt. Er sei keinen Verfolgungshandlungen durch Dritte ausgesetzt. Es könne keine (wie auch immer geartete) Gefährdung seiner Person im Falle der Rückkehr in die Türkei festgestellt werden. Es könne unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei dort der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung im Sinn der GFK ausgesetzt wäre. Es könne unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Türkei dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zielperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Der Beschwerdeführer verfüge über eine mehrjährige Schulausbildung und Arbeitserfahrung als Maler. Er sei in einem arbeitsfähigen Alter und es sei ihm deswegen zuzumuten, sich künftig den Lebensunterhalt mithilfe der eigenen Arbeitsleistung in der Türkei zu sichern. Obwohl der Beschwerdeführer in Österreich geboren und aufgewachsen sei, verfüge er über gute Sprachkenntnisse in Türkisch und sei auch drei Jahre in der Türkei wohnhaft gewesen. Er sei mit der Kultur und den traditionellen Bräuchen seines Heimatlandes vertraut, seine Erkrankungen seien ein der Türkei nachweislich behandelbar und die von ihm benötigten Medikamente würden ihm in seinem Heimatland zur Verfügung stehen bzw. würde ihm ein gleichwertiger Wirkstoff zur Verfügung stehen. Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Beantragung der grünen Karte ein Versicherungsschutz zukommen. Die Beantragung der sogenannten grünen Karte aus eigenem sei dem Beschwerdeführer zuzumuten. Der dafür benötigte Einkommenstest werde von der Stiftung für Sozialhilfe und Solidarität des Amtes des Distriktgouverneurs durchgeführt. Da der Beschwerdeführer aufgrund eines fehlenden Einkommens die Voraussetzungen erfülle, habe er daher Anspruch auf die grüne Karte und somit Zugang zu medizinischer Versorgung unter einem Versicherungsschutz. Es sei aufgrund der genannten Umstände in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in die Türkei nicht in eine Notlage entsprechend Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK gelangen würde.
Zu Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet mehrmals straffällig geworden sei und bereits Haftstrafen verbüßt habe. Gegen den Beschwerdeführer bestehe schon vor der Asylantragstellung eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot. Der Beschwerdeführer stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.
In der Folge traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in der Türkei im Ausmaß von 67 Seiten des 88 Seiten umfassenden Bescheides, wobei der überwiegende Teil dieser Feststellungen keinerlei Bezug zum Vorbringen und zur Person des Beschwerdeführers aufweist.
In den beweiswürdigenden Ausführungen wurde im angefochtenen Bescheid unter anderem folgendes wörtlich ausgeführt:
„Zu der derzeitigen COVID-19 Situation wird angemerkt, dass es sich um eine Pandemie handelt. Österreich ist ebenso wie die Türkei von dieser Pandemie betroffen. Daher stellt die derzeitige COVID-19 Situation ebenfalls keinen Grund für einen subsidiären Schutz dar.“
In der rechtlichen Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass sich die Begründung des Antrages auf internationalen Schutz im Besonderen auf die wirtschaftliche Lage in der Türkei beziehe bzw. auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer nur drei Jahre in der Türkei gelebt habe. Dies könne jedoch nicht zu einer Asylgewährung führen, zumal eine solche eine konkret gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgung oder begründete Furcht vor Verfolgung voraussetze. Nachteile, die auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen seien, würden keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen.
Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe sich keine – wie immer geartete – Rückkehrgefährdung ergeben. Der Beschwerdeführer „laboriere“ an HIV und Hepatitis C. Diese Erkrankungen seien in der Türkei behandelbar und seien notwendige Medikamente vorhanden, auch eine allfällige Drogenersatztherapie sei in der Türkei möglich. Das Bestehen einer Gefährdungslage gemäß § 50 FPG sei bereits unter Spruchpunkt I. geprüft und verneint worden.
Auch wenn sich die Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr vielleicht schwierig gestalten könnte, so sei dennoch in einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der individuellen Situation festzuhalten, dass von einer allgemeinen lebensbedrohenden Notlage in der Türkei, welche die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK bei einer allfälligen Rückkehr indizieren würde, aus Sicht der erkennenden Behörde nicht gesprochen werden könne. Grundsätzlich bestünden für die Türkei keine Anhaltspunkte dafür, dass dort gegenwärtig eine derart extreme Gefahrenlage herrsche, durch die praktisch jeder – unabhängig vom Vorliegen individueller Gründe – der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Wie aus den Feststellungen ersichtlich, liege in der Türkei auch aktuell keine Situation vor, die eine pauschale Gewährung subsidiären Schutzes für alle Antragsteller rechtfertigen könnte.
Der Beschwerdeführer habe laut seinen eigenen Angaben eine Schulbildung genossen und es sei ihm daher sicherlich möglich und auch zumutbar, sich selbst zu versorgen, sollte es sich zu Beginn auch lediglich um Gelegenheitsjobs handeln. Selbst wenn der Beschwerdeführer von seiner Familie nicht unterstützt würde, könne er insbesondere durch humanitäre Organisationen oder Missionsstationen Unterstützung finden. Abgesehen davon bestehe die Möglichkeit, im Rahmen der freiwilligen Rückkehr finanzielle Unterstützung zu erhalten. Auch ansonsten sei nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Im gegenständlichen Fall sei bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen festzustellen, dass hierdurch im gegenständlichen Fall die vom EGMR verlangten ausführlichen Umstände nicht gegeben seien. Zusammenfassung sei daher festzustellen, dass beim Beschwerdeführer auch keine individuellen Umstände vorliegen würden, die dafür sprechen, dass er bei einer Rückständigkeit in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK darstellen würde.
3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 10.11.2020 zugestellten Bescheid wurde am 16.11.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als – eine – Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern – auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt – auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Mit dem oben dargestellten, im Zuge des Verfahrens vor dem BFA erstatteten Vorbringens hat der Beschwerdeführer ausreichend deutlich geltend gemacht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei aufgrund der Erkrankung an HIV und Hepatitis C sowie der Drogenabhängigkeit eine insbesondere Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohe.
Vor dem Hintergrund der derzeitigen weltweit vorherrschenden Situation infolge der Corona Pandemie hat es die belangte Behörde völlig unterlassen Ermittlungen zur Rückkehrsituation von an HIV und Hepatitis C erkrankten Personen in der Türkei – insbesondere im Hinblick auf ein mögliches erhöhtes Risiko dieser Personengruppe an COVID-19 zu erkranken und die damit im Zusammenhang stehende Behandlungsmöglichkeit bzw. die benötigte Verfügbarkeit notwendiger intensivmedizinischer Betreuung, für den Fall, dass der Beschwerdeführer zur Personengruppe mit einem erhöhten Risiko zählt – durchzuführen und darauf gestützte Feststellungen zu treffen.
Infolge gänzlicher Unterlassung dieser Ermittlungen und entsprechender Feststellungen dazu erweist sich der angefochtene Bescheid als grob mangelhaft.
Insgesamt gesehen hat die belangte Behörde im gegenständlichen Verfahren im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht erstmals vorgenommen werden müssten.
Da im gegenständlichen Verfahren aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhaltes für die abschließende Beurteilung in Bezug auf die Frage, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei das Vorliegen einer realen Gefahr eines ungerechtfertigten Eingriffs in seine insbesondere durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde, gänzlich unterlassen wurden und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war der angefochtene Bescheid zu beheben und das Verfahren zur neuerlichen Durchführung und Erlassung eines Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.
Eine – durch bewusste Unterlassung der notwendigen Ermittlungen durch die belangte Behörde erforderliche – Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde vor dem Hintergrund der derzeit vorherrschenden COVID-19 Pandemie und der diesbezüglich einschlägigen Judikatur des VfGH und VwGH bewusst sein musste, dass in Asylentscheidungen – gestützt auf entsprechende Ermittlungen – konkrete Feststellungen zur COVID-19 Pandemie in Bezug auf die Herkunftsstaaten der Antragsteller sowie zu deren persönlichen Situation im Hinblick auf den jeweiligen Gesundheitszustand im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie zu treffen sind.
Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren – nach erfolgten geeigneten und nachvollziehbaren Ermittlungen – mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt auseinander zu setzen haben, wobei es dem Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit zu geben hat, sich zu diesen Ermittlungen zu äußern.
Diesfalls wird die Einräumung einer viertägigen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs – wie im gegenständlichen Fall geschehen – vom Bundesverwaltungsgericht als nicht ausreichend erachtet.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
Behandlungsmöglichkeiten Erkrankung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung PandemieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2237098.1.01Im RIS seit
10.03.2021Zuletzt aktualisiert am
10.03.2021