TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/30 W196 2192065-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2020
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Entscheidungsdatum

30.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §11 Abs2
IntG §11 Abs3
IntG §9 Abs4
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W196 2192065-1/16E

W196 2192066-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Mutter XXXX , beide StA. Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018 zu den Zlen. 1.) 1077373401-150827978, 2.) 1077373608-150828095, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. und V. der angefochtenen Bescheide werden stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine die Beschwerdeführer betreffende Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
XXXX , geb. XXXX , wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
XXXX , geb. XXXX , wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt

III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte VI. und VII. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige der Ukraine, stellten nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am Tag der Antragstellung fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin nach dem AsylG 2005 statt, wobei sie zu ihren persönlichen Daten befragt angab, Staatsangehörige der Ukraine zu sein, der tatarischen Volksgruppe anzugehören und russisch-orthodoxem Glauben zu haben. Die Erstbeschwerdeführerin sei verwitwet.

Zu den Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihr Mann Offizier im ukrainischen Geheimdienst (SBU) gewesen wäre, aber auf der Seite der russischen Separatisten gearbeitet habe. Am 29.07.2014 sei er wegen seines Dienstes von unbekannten Tätern ermordet worden. Die Erstbeschwerdeführerin habe anschließend von Dezember 2014 bis April 2015 in der Landesregierung (LNR) beim Stellvertreter des Landeshauptmannes, XXXX , als Sekretärin gearbeitet. In der Ukraine würde Krieg herrschen, ihr Mann wäre ermordet worden und sei auch die Erstbeschwerdeführerin wiederholt von Angehörigen der SBU bedroht worden. Aus diesem Grund habe sie sich entschlossen, gemeinsam mit ihrem Sohn, dem Zweitbeschwerdeführer, die Ukraine zu verlassen. Vor ihrer Ausreise hätten sie bei den Angehörigen des Geheimdienstes einen Zettel unterschreiben müssen, dass sie die Ukraine nicht verlassen würden. Dies seien ihre Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat würden sie befürchten, dass sie verhaftet würden.

Am 07.11.2017 erfolgte nach Zulassung ihrer Verfahren eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Zum Fluchtgrund befragt, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass ihr Mann von der ukrainischen Regierung getötet worden sei, weil er viel gewusst habe. Er habe für russische Separatisten gearbeitet und seinen Dienst verlassen. Er sei in Lugansk geblieben, um einige Informationen auszutauschen. Er wäre Patriot und habe er der Erstbeschwerdeführerin vor dessen Tod gesagt, dass er in Lugansk leben und ganz normal als ziviler Bürger arbeiten wolle. Vor einem halben Jahr habe er mit Ermittlern geredet, die der Erstbeschwerdeführerin bestätigt hätten, dass die ukrainische Regierung behauptet habe, dass ihr Ehemann für russische Separatisten gearbeitet habe. Die ganze Geschichte habe im Juni 2014, in Lugansk, angefangen: Der Krieg wäre akut. Ihr Mann habe Urlaub genommen und sie wären gemeinsam nach Sotchi (Russland) in den Urlaub gefahren. Er habe sich berufliche Gedanken machen wollen, weil er seinen Job aufgeben habe wollen. Sie wären einen Monat lang in Sotchi geblieben, bis es einen Befehl von der ukrainischen Regierung gegeben habe, dass es keine behördlichen Kündigungen geben dürfe. Ihr Mann habe aber kündigen wollen. Bei einer Kündigung drohten zehn Jahre Gefängnis und man werde als Verräter bezeichnet, wenn man sich nach wie vor in Lugansk aufhalten würde. Trotzdem habe ihr Mann gekündigt und schickte diese per Post. Er habe gekündigt, als sie in Sotchi gewesen wären und dann seien sie nach Lugansk zurückgekehrt. Bei der Grenze Lugansk habe ihnen die Grenzwache empfohlen, dass sie mit deren Sohn weggehen sollten. Die Erstbeschwerdeführerin habe darum gebeten, dass sie noch ihre Sachen holen dürften. Sie wären dann rein nach Lugansk gefahren und hätten deren Sachen in der Wohnung zusammengepackt. Nach zwei Tagen sei die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Sohn nach Moskau gefahren, während ihr Mann in Lugansk geblieben sei. Sie wären einen Monat in Moskau und sie hätten miteinander telefoniert. Dabei habe er immer gesagt, dass es ihm gutgehen würde. Er habe am Telefon nicht viel sagen wollen. Da sie noch einige Papiere gebraucht habe, habe sie sich mit ihrem Mann verabredet, dass er ihr die Papiere übergebe. Er hätte am Abend des 27.07.2014 die Papiere dem Busfahrer übergeben sollen und er bestätigte ihr telefonisch, dass er bereits unterwegs sei. In Krasnadonsk (Grenze) sei sein Benzin ausgegangen und es habe keine Tankstellen in der Nähe gegeben. Es wäre ein Taxi hinter seinem Auto gewesen und habe ihr Mann diesem Taxifahrer den Auftrag gegeben, fünf bis zehn Liter Benzin zu holen. Das wäre bei der Grenze Krasnadonsk (Militärposten). Ihr Mann sei im Auto gesessen, aber der Grenzwachmann habe ihn wahrscheinlich erkannt und sei zu ihrem Mann gegangen und habe nach Papiere verlangt. Er habe zu ihm gesagt, dass ihr Mann geholt werde. Er sei festgenommen und zu einem Militärbüro gebracht worden. Er sei verhört worden -das habe ihr der Taxifahrer erzählt -und der Taxifahrer sei ebenfalls festgenommen und dorthin gebracht worden. Es habe den Befehl gegeben, dass ihr Mann nach Lugansk verlegt werden sollte. Er sei am 28.07.2014 am Vormittag gegen 11 Uhr nach Lugansk gebracht worden. Bis zur seiner Festnahme sei sie in Kontakt mit ihrem Mann gewesen. Am 28.07.2014 gegen acht Uhr abends habe sie ihn nicht erreichen können, nachdem sie es den ganzen Tag versucht habe. Es sei ein unbekannter Mann rangegangen und habe gesagt, dass sich ihr Mann bei ihm befinde und verhört werde. Sie habe mit ihrem Mann gesprochen. Er wäre ganz ruhig am Telefon und sagte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen solle und sie sich bald treffen würden. Dann habe der unbekannte Mann mit ihr geredet und von ihr Informationen über die Arbeit ihres Mannes wollen. Er habe ihr gesagt, dass ihr Mann bald heim komme. Am nächsten Tag habe sie ihren Mann zu erreichen versucht, es jedoch nicht geschafft. So wäre es fünf Tage lang gegangen, bis sie ein Mitglied des Geheimdienstes (SBU) angerufen habe und ihr gesagt habe, dass man eine Leiche im Fluss gefunden habe. Sie sei dorthin gefahren und habe zwei Leichen gesehen- wobei keiner von denen ihr Mann gewesen sei. Sie wäre zurück nach Lugansk in ihre Wohnung gegangen. Die Eingangstür wäre von der Behörde versiegelt worden, jedoch sei sie trotzdem hineingegangen, wo sei ein Chaos vorgefunden habe. Alles wäre am Boden – es sei offensichtlich gewesen, dass jemand in der Wohnung etwas gesucht habe. Alle Papiere und auch der PC, auf dem ihr Mann wichtige Informationen gehabt habe, und sein Auto wären weg gewesen. Über seine Freunde sei sie zur ehemaligen Regierung Lugansk gegangen, um Hilfe zu bekommen und seine Leiche zu suchen. Die Erstbeschwerdeführerin habe in Krankenhäuser und Gefängnissen angerufen. Erst Anfang Oktober 2014 habe sie herausgefunden, dass die Leiche ihres Mannes gefunden worden sei. Um sich von diesem Stress abzulenken habe sie bei der humanitären Hilfe in Lugansk angefangen, und versucht die noch verbliebenen Anwohner mit Essen und Kleidung zu versorgen. Der Leiter der Regierung von Lugansk habe ihr einen Job als seine Sekretärin angeboten. Von Dezember 2014 bis April 2015 habe sie dort gearbeitet. Am 30.04.2015 sei die Erstbeschwerdeführerin nach Kiew geflohen, weil sie eine SMS bekommen habe, dass sie eine Verräterin sei und ermordet werden sollte. In Kiew habe sie für sich und ihren Sohn eine Wohnung gemietet. Mitte Mai 2015 habe der SBO mit ihr Kontakt aufgenommen und hätten sie miteinander reden sollen. Zunächst habe sie gedacht, dass es um ihren Mann gegangen sei, aber als sie dort gewesen sei, behaupteten diese, dass sie eine Verräterin sei und dafür im Gefängnis büßen oder mit ihnen kooperieren solle. Sie sollte alles, was sie wisse, sagen. Sie habe eine Bedenkzeit bekommen und einige Papiere unterzeichnen müssen, dass sie die Ukraine nicht verlassen werde. Nach einer Woche sollte sie nochmals kommen. Nach ein paar Tagen habe sie mit ehemaligen Mitgliedern des SBO geredet und einer von ihnen habe ihr gesagt, dass ihr Mann von „denen“ getötet worden sei, und habe er ihr empfohlen auszureisen. Am 15.06.2015 sei sie in Uzhgorod gewesen und habe alles organisiert. Sie habe kein Visum ausstellen lassen können. Am 05.07.2015 sei sie illegal mit dem Schlepper aus nach Österreich gereist. Vor einem halben Jahr habe sie mit einem Ermittler, der den Tod ihres Mannes aufklärt habe, geredet und er habe ihr die ganze Geschichte bestätigt. Es gebe eine Gefahr für sie und ihr Kind in der Ukraine, weil sie gegen das Gesetz verstoßen habe, da sie unterschrieben habe, dass sie die Ukraine nicht verlassen werde. Für den Zweitbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Mit im Familienverfahren ergangenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 10.07.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführer jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen (Spruchpunkte IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte VI.). Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diese Entscheidungen aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG gewährt.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass nicht festgestellt werden habe können, dass die Beschwerdeführer einer konkreten Gefährdung oder Bedrohung in der Ukraine ausgesetzt seien oder eine solche, im Falle ihrer Rückkehr, zu befürchten hätten. Es sei nicht glaubhaft, dass sie einer Verfolgung oder Bedrohung durch den SBU ausgesetzt seien. Ihr Vorbringen bezüglich deren Gründe zur Ausreise wären als gänzlich unglaubhaft befunden worden. Es habe kein glaubhaftes fluchtauslösendes Ereignis festgestellt werden können, zumal kein annähernder zeitlicher Zusammenhang zwischen den behaupteten Ereignissen und ihrer Ausreise festgestellt werden habe können. Festgestellt werde, dass für die Verfolgung von strafbaren Handlungen, wie sie von der Erstbeschwerdeführerin behauptet worden sei, in ihrer Heimatregion die lokalen Sicherheitsbehörden zuständig seien. Es könne nicht festgestellt werden, dass die lokalen Sicherheitsbehörden in ihrer Heimatregion nicht willens oder fähig wären, sie vor allfälligen Übergriffen zu schützen und Straftaten entsprechend zu verfolgen.

Mit Schreiben vom 09.04.2018 wurde durch den gewillkürten Vertreter der Beschwerdeführer Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens erhoben. In dieser wurden die erstinstanzlichen Bescheide unter näherer Begründung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufgrund Feststellungs- und Begründungsmängeln im vollen Umfang angefochten.

Mit Eingabe vom 20.05.2020 wurde ein Konvolut an Unterlagen zur Integration der Beschwerdeführer in Vorlage gebracht.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.10.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die Erstbeschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen und ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat befragt wurde. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung legten die Beschwerdeführer zahlreiche Unterlagen ihre Integration betreffend vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Sie sind ukrainische Staatsangehörige, der tatarischen Volksgruppe zugehörig und bekennen sich zum orthodoxen Glauben. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführer sprechen Russisch und Ukrainisch, die Erstbeschwerdeführerin spricht zudem Englisch und Französisch.

Die Beschwerdeführer stellten am 10.07.2015 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer sind in der Ukraine geboren. Die Beschwerdeführer lebten dort vor ihrer Ausreise in Lugansk. Die Erstbeschwerdeführerin ist verwitwet. Sie hat zehn Jahre lang die Schule besucht und studierte von 1994 bis 1999 in Lugansk (Ökonomie). Sie arbeitete als Buchhalterin und zuletzt als Sekretärin. Es leben mehrere Verwandte der Beschwerdeführer in der Ukraine, unter anderem die Eltern und ein Bruder sowie die Schwiegereltern und der Schwager der Erstbeschwerdeführerin. Bis auf ihren Schwager leben alle Angehörigen, zu denen Kontakt besteht, in Lugansk.

Die Beschwerdeführer sind gesund.

Die Beschwerdeführer befindet sich in Grundversorgung und leben im gemeinsamen Haushalt. Die Beschwerdeführer leben seit Juli 2015 in Österreich. Die Erstbeschwerdeführerin ist arbeitsfähig, verfügt über einen Führerschein. Sie hat in Österreich zahlreiche Kurse besucht. Sie verfügt über einen „Tiroler Integrations Kompass“, die Erstbeschwerdeführerin hat Deutschkurse, A2/B1, B2.1 besucht und ein ÖSD Zertifikat der Niveaustufe B1 am 04.08.2017 positiv absolviert. Im Jahr 2017 arbeitete sie als Volontariat bei XXXX . Zudem verrichtete sie gemeinnützige Tätigkeiten; gärtnerische Tätigkeiten beim Stadtmagistrat – Amt für Grünanlagen sowie Hausmeistertätigkeiten bei XXXX . Sie nahm an Integrationsprojekten, wie Yogakurse, teil. Die Erstbeschwerdeführerin konnte mehrere Einstellungszusagen in Vorlage bringen. Die Beschwerdeführer brachten zudem Empfehlungsschreiben in Vorlage. Der Zweitbeschwerdeführer besuchte in Österreich den Kindergarten und derzeit die Volksschule. Er ist Mitglied in einem Sportverein. Die Beschwerdeführer verfügen über einen Bekannten und Freundeskreis in Österreich. Es leben keine weiteren Verwandte in Österreich.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ihre Heimat aufgrund asylrelevanter Verfolgung verlassen haben.

Die Beschwerdeführer wären im Fall der Rückkehr in die Ukraine nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder von der Todesstrafe bedroht. Sie würden auch nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.10.2020:

COVID-19

Letzte Änderung: 16.10.2020

Die ukrainische Regierung verlängerte am 13.10.2020 die angepassten Quarantäne-Maßnahmen bis mindestens 31.12.2020. Mit dieser abermaligen Quarantäne-Verlängerung gehen geplante zusätzliche Beschränkungen einher, um COVID-19 einzudämmen (verringerte Teilnehmerzahlen bei Großveranstaltungen etc.). Die aktuelle Quarantäne-Verlängerung stellt eine Reaktion auf die in der Ukraine stark steigenden COVID-Fallzahlen dar (Gov 13.10.2020; vgl. KP 13.10.2020; vgl. Reuters 13.10.2020).

Die sogenannte angepasste Quarantäne (Ampelsystem) wurde im Juli 2020 von der ukrainischen Regierung eingeführt (UA 25.9.2020) und beruht auf Faktoren wie Fallzahlen pro 100.000 Einwohner während der letzten 14 Tage und Bettenauslastung in Krankenhäusern (KP 13.10.2020). Insgesamt stehen in der Ukraine 52.000 Krankenhausbetten für COVID-19Patienten zur Verfügung, wovon 34.154 Betten derzeit belegt sind (KP 13.10.2020). Die regierungseigene COVID-Homepage verlautbart, bisher (Stichtag 13.10.2020) insgesamt 2.630.988 COVID-Tests durchgeführt zu haben (CMU 13.10.2020).

Die ukrainische Regierung beschloss im April 2020 einen 66 Mrd. Hrywnja (ca. 2,2 Mrd. Euro) umfassenden Fonds zum Kampf gegen COVID-19 und entwickelte sozialpolitische Maßnahmen, um die Quarantäne-Folgen für Haushalte abzufedern: Im April 2020 veranlasste die Regierung eine Einmalzahlung von 1.000 Hrywnja (etwa 30 Euro) an einkommensschwache Rentner und führte eine allgemeine Zuzahlung von 500 Hrywnja an Rentner ein, die älter als 80 Jahre sind (insgesamt ca. 1,5 Millionen Menschen). Im Mai 2020 trat die ohnehin bereits geplante Rentenanpassung vorzeitig in Kraft. Die Regierung gewährt Arbeitnehmern, denen aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen der Verlust ihres Arbeitsplatzes droht, Kurzarbeitergeld. Die Mindesthöhe der Arbeitslosenunterstützung wurde von 1.630 auf 1.800 Hrywnja (etwa 54 Euro) angehoben. Zum 1. September 2020 wurde der Mindestlohn um 6% von 4.723 auf 5.000 Hrywnja (ca. 150 Euro) erhöht (UA 25.9.2020). Im September 2020 wies der ukrainische Präsident Selenskyj die Regierung an, die Gehälter/Löhne von Arbeitskräften im medizinischen Bereich zu erhöhen (WP 8.10.2020).

Seit Mai 2020 wurden mehrere Beschränkungen aufgehoben, beispielsweise sind der Betrieb von Kosmetiksalons und Fitnesscentern und Bewirtungen in Außenbereichen von Cafés und Restaurants wieder erlaubt. Seit Ende Mai 2020 fahren U-Bahnen in den Großstädten wieder, und einige Zugstrecken sind erneut aktiv. Im Juni 2020 starteten zuerst die Inlandsflüge, und kurze Zeit später fanden auch einige internationale Flüge wieder statt (UA 25.9.2020).

Laut jüngsten Zahlen des Ukrainischen Statistikamts ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 2. Quartal 2020 im Vergleich zum Wert des Vorjahres um 11,4 % gesunken (SSSU o.D.; vgl. UA 25.9.2020).

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20. Mai 2019 Präsident Wolodymyr Selenskyj (AA6.3.2020). Beobachtern zufolge verlief die Präsidentschaftswahl am 21. April 2019 im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Auf der russisch besetzten Halbinsel Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Donbas fanden keine Wahlen statt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

2019 war ein Superwahljahr in der Ukraine. Am 31. März fanden die Präsidentschaftswahlen statt; Parlamentswahlen waren ursprünglich für den 27. Oktober 2019 angesetzt. Nach der Inauguration des Präsidenten Selenskyj wurde das Parlament aufgelöst. Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 21. Juli 2019 statt (GIZ 3.2020a). Selenskyjs Partei „Sluha Narodu“ (Diener des Volkes) gewann 254 von 450 Sitzen. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (FH 4.3.2020; vgl. BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019). Es wurden sechs Fraktionen gebildet: „Diener des Volkes“ mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform „Für das Leben“ mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion „Für die Zukunft“ mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019). Auf der Krim und in den von Separatisten kontrollierten Teilen des Donbas konnten die Wahlen nicht stattfinden; folglich wurden nur 424 der 450 Sitze im Parlament besetzt. Darüber hinaus sind rund eine Million ukrainische Bürger nicht wahlberechtigt, weil sie keine registrierte Adresse haben (FH 4.3.2020).

Die nach der „Revolution der Würde“auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch von Präsident Poroschenko verfolgte europafreundliche Reformpolitik wird durch Präsident Selenskyj verstärkt fortgesetzt. Grundlage bildet ein ambitioniertes Programm für fast alle Lebensbereiche. Schwerpunkte liegen u.a. auf Korruptionsbekämpfung, Digitalisierung, Bildung und Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Selenskyj kann sich dabei auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Diese Politik, maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, hat über eine Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren zu einer Annäherung an europäische Verhältnisse geführt (AA 29.2.2020).

Während des ersten Jahres seiner Amtszeit war Präsident Selenskyj mit einigen Herausforderungen konfrontiert (RFE/RL 20.4.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Zwar liegt seine Popularität nicht mehr bei den historischen 70% Unterstützung, die er einst genoss; Umfragen zeigen jedoch, dass seine Zustimmungswerte immer noch höher sind als die aller seiner Vorgänger (RFE/RL 25.4.2020). Im März 2020 gestaltete er die Regierung um, nachdem Ministerpräsident Hon?aruk seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte (DW 3.3.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Seit 4. März 2020 ist Denys Schmyhal neuer Ministerpräsident und somit Regierungschef (AA 6.3.2020). Dem neuen Kabinett fehlt jedoch die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Reformen und Mitglieder der alten Eliten sind in Machtpositionen zurückgekehrt. Ob und wie stark das Kabinett Veränderungen durchsetzen wird, muss sich erst zeigen (Brookings 20.5.2020).

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wurde bisher über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt. Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus (FH 4.3.2020). Im Dezember 2019 wurde vom Parlament ein neues Wahlgesetz beschlossen. Es sieht teils ein Verhältniswahlsystem mit offenen Parteilisten sowohl für Parlaments- als auch für Kommunalwahlen vor (FH 4.3.2020).

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden undAmtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergeben sich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehendeAuswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an dreiAbschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

Halbinsel Krim

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Im Februar 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen dazu auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert, die von Sergey Aksyonov als ’Premierminister’ des ’Staatsrats der Republik Krim’ geführt wird. Der ’Staatsrat’ ist für die tägliche Verwaltung und andere Regierungsfunktionen zuständig. Die schwerwiegendsten Probleme in Bezug auf die Einschränkung der Menschenrechte beinhalten: Verschwindenlassen; Folter, einschließlich strafweise psychiatrische Einweisung; Misshandlung von Inhaftierten als Strafe oder zur Erpressung von Geständnissen; harte Haftbedingungen und Überführung von Gefangenen nach Russland; willkürliche Festnahme und Inhaftierung, auch aus politischen Gründen; allgegenwärtige Missachtung der Privatsphäre; schwerwiegende Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der Medien einschließlich Schließungen und Gewalt gegen Journalisten; Beschränkungen des Internets; grobe und weit verbreitete Unterdrückung der Versammlungsfreiheit; Einschränkung der Religionsfreiheit; starke Einschränkung der Vereinigungsfreiheit, einschließlich Verbot der Selbstverwaltung (Mejlis) der Krimtataren; Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Teilnahme am politischen Prozess; systemische Korruption; sowie Gewalt gegen und systematische Diskriminierung von Krimtataren und ethnischen Ukrainern. Die russischen Behörden unternehmen kaum Schritte, um Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, wodurch eine Atmosphäre der Straflosigkeit und Gesetzlosigkeit geschaffen wurde (USDOS 11.3.2020b).

Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Die Einwohner der Krim werden von der Russischen Föderation, wenn sie nicht ihr Widerspruchsrecht genutzt und damit u.a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren haben, als eigene Staatsangehörige behandelt. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit aufgrund politisch motivierter Vorwürfe inhaftiert werden, verschwinden, nicht mehr auf die Krim zurückreisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen wie willkürlichen Hausdurchsuchungen oder wirtschaftlichem Druck ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren (Mejlis) wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, ihre Mitglieder verfolgt. Es gibt Berichte über systematische Diskriminierungen ukrainisch-orthodoxer und muslimischer Gemeinden. Unabhängige Medien werden unterdrückt, dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine, sowie Sendungen anderer ukrainischer Sender, können auf der Krim nur noch sehr eingeschränkt verfolgt werden. Eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr, Auskunftspersonen haben die Krim verlassen. Religiöse Literatur gilt den Behörden als extremistisch. Auch jüngste Berichte von UNHCR, Amnesty International sowie des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte listen eine Reihe von Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und willkürlichen Tötungen reicht. Versuche der UN, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vor Ort vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 29.2.2020).

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die russischen Behörden unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren, jedoch auch auf Vertreter der ukrainischen Minderheit aus (ÖB 2.2019; vgl.HRW 17.1.2019). Während des Jahres 2019 setzten die russischen Behörden die Schikanen gegen Krimtataren fort und verfolgten Dutzende von ihnen wegen erfundener Terrorismusvorwürfe (HRW 14.1.2020).

Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der russischen Behörden zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erlangt wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlosseneAnstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters besteht Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit abweichender politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische Anti-Terror-Gesetzgebung zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Personen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend strafverfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt (ÖB 2.2019).

Ukrainer von der Krim mit russischen Reisepässen

Die Gesetzgebung der Ukraine sieht die einzige Staatsbürgerschaft vor. Wenn ein ukrainischer Staatsbürger legal die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation annehmen möchte, muss er auf die ukrainische Staatsbürgerschaft verzichten. Von den russischen Behörden werden jedoch, entgegen ukrainischen und internationalen rechtlichen Normen, russische Reisepässe an die Bevölkerung der Krim mit ukrainischer Staatsbürgerschaft ausgegeben. Diese Reisepässe der Russischen Föderation für Einwohner der Krim, werden international nur von einigen Ländern anerkannt (Nordkorea, Bolivien, Nicaragua, Armenien) (VB 28.1.2019). Die Frage der Staatsangehörigkeit der Einwohner der Krim ist damit eigentlich ungeklärt. Da die Beendigung der Staatsbürgerschaft der Ukraine erst durch einen entsprechenden Erlass des Präsidenten der Ukraine erfolgen kann, ist davon auszugehen, dass nach ukrainischem Recht die Einwohner der Krim Staatsbürger der Ukraine geblieben sind (BFH 30.6.2016).

Krim-Bewohner, die über keinen ukrainischen Reisepass, sondern nur über von russischen Behörden auf der Krim ausgestellte Reisedokumente verfügen, haben Schwierigkeiten bei der Einreise auf das ukrainische Festland, da diese Dokumente nicht anerkannt werden. Alle Krim-Bewohner wurden von der Russischen Föderation zu russischen Staatsbürgern erklärt. Krim-Bewohner, welche die russische Staatsbürgerschaft nicht annehmen, gelten alsAusländer und benötigen eine Aufenthaltserlaubnis. Personen, die eine Aufenthaltsgenehmigung ohne russische Staatsbürgerschaft besitzen, werden wichtiger Rechte beraubt und dürfen weder landwirtschaftliches Land besitzen, noch wählen oder kandidieren, noch eine religiöse Gemeinde registrieren oder ein Fahrzeug anmelden. Die Behörden verweigern denjenigen, welche die russische Staatsbürgerschaft ablehnten, unter anderem den Zugang zu staatlichen Jobs, Bildung und Gesundheitsversorgung sowie die Möglichkeit, Bankkonten zu eröffnen und Versicherungen abzuschließen. Die Ablehnung der russischen Staatsbürgerschaft kann zur Ausweisung bzw. Abschiebung führen. Nach Angaben der Crimean Human Rights Group wurden in den fünf Jahren der russischen Besatzung mehr als 1.500 Ukrainer wegen fehlender russischer Dokumente strafrechtlich verfolgt und 450 Personen zur Deportation verurteilt. In einigen Fällen wurden Krim-Bewohner von den Behörden gezwungen, ihren ukrainischen Reisepass abzugeben, was Auslandsreisen entsprechend erschwert (USDOS 11.3.2020b; vgl. IRB 28.2.2020).

Im November 2018 wurde ein Einreiseverbot in die Ukraine für männliche russische Staatsbürger im Alter von 16 bis 60 Jahren verhängt, das weiterhin gilt. Wenn Einwohner der Krim die Grenze als Bürger der Russischen Föderation passieren wollen, gilt dieses Verbot auch für sie. Wenn sie jedoch noch einen gültigen ukrainischen Pass vorweisen können, gilt dieses Verbot für sie nicht (VB 28.1.2019).

Ostukraine

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. IDPs sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer geflohen (AA 29.2.2020). An der Dynamik des Konfliktes hat sich wenig verändert, obwohl 2019 einige Durchbrüche gelangen, wie der mehrmalige Austausch von Gefangenen, die Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, und eine relativ erfolgreiche Waffenruhe im August 2019 (KAS 4.2020). Auch im April 2020 kam es wieder zu einem Gefangenenaustausch (RFE/RL 16.4.2020).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es besonders 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 29.2.2020).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einenAnschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. 2018 wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen, wenn eine Person an Verbrechen gegen die Sicherheit von DPR oder LPR beteiligt gewesen sein soll. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter und wird als hart und teils lebensbedrohlich bezeichnet. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern,Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie körperliche Misshandlung, Folter, Hunger, sexuelle Gewalt, öffentliche Demütigung, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020).

Im Donbas unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. In der LPR sollen die Websites von mehr als 50 ukrainischen Nachrichtenagenturen blockiert worden sein. Journalisten werden in der DNR genau überwacht, müssen die „Behörden“ der Separatisten z.B. über ihre Aktivitäten informieren oder werden von Mitgliedern bewaffneter Gruppen begleitet, wenn sie sich in der Nähe der Kontaktlinie bewegen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden; oft mit erzwungener Teilnahme. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 11.3.2020).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019). Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischenTeilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019). 2019 soll sich laut Berichten das soziale Stigma und die Intoleranz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verschärft haben; v.a. aufgrund der Anwendung von Gesetzen, welche die „Propaganda gleichgeschlechtlicher Beziehungen“ kriminalisieren (USDOS 11.3.2020). Obwohl DNR und LNR in ihren Verfassungen Religionsfreiheit garantieren, sind Anhänger von Glaubensrichtungen, die nicht der russisch-orthodoxen Kirche angehören, Verfolgung ausgesetzt. Am schlimmsten betroffen sind die Zeugen Jehovas, die 2018 als extremistische Organisation vollständig verboten wurden und deren Eigentum beschlagnahmt wurde (FH 2020).

Die separatistischen Kräfte im Gebiet Donezk verboten die humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung und schränken die Hilfe internationaler humanitärer Organisationen ein. Infolgedessen sind Berichten zufolge die Preise für Grundnahrungsmittel für viele Personen, die auf dem von Russland kontrollierten Gebiet verblieben, zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 11.3.2020). Die laufende Handelsblockade zwischen den besetzten Gebieten in der Ostukraine und dem Rest der Ukraine dämpfte, kombiniert mit Korruption und anhaltenden Kampfhandlungen, die Bemühungen zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft. Viele Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (FH 2020).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019). Die Bewegungsfreiheit nach Russland ist weniger eingeschränkt (FH 2020).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon „Ajdar“ wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 29.2.2020).

Es gibt Berichte über Entführungen auf beiden Seiten der Kontaktlinie. Am häufigsten wurden Zivilisten von den von Russland geführten Streitkräften an Ein-/Ausreisekontrollpunkten entlang der Kontaktlinie festgenommen. Beide Konfliktparteien setzen Landminen ohne Umzäunung, Beschilderung oder andere Maßnahmen ein, wodurch Opfer unter der Zivilbevölkerung verhindert werden könnten. Besonders akut sind die Risiken für Personen, die in Städten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie leben, sowie für Personen, welche die Kontaktlinie täglich überqueren müssen (USDOS 11.3.2020). Von Jänner bis November 2019 dokumentierte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte 162 konfliktbezogene zivile Unfallopfer; davon kamen 26 zu Tode, 136 wurden verletzt. Dabei wurden 101 der Unfälle durch Handfeuerwaffen und 58 durch Minen und Sprengstoffe verursacht. Insgesamt war im Jahr 2019 gegenüber 2018 ein Rückgang konfliktbedingter Unfälle um fast 40% zu verzeichnen (AA29.2.2020). Zu den fünf Gruppen, die am stärksten vom Konflikt betroffen sind, gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, IDPs, Kinder und Familien von Alleinerzieherinnen (UN 1.2020).

Im Juni 2019 begann die Russische Föderation damit, in einem erleichterten Verfahren russische Pässe für ukrainische Staatsbürger, die in den besetzten Gebieten leben, auszustellen (FH 2020). Acht Monate nach der Vereinfachung des Verfahrens zum Erwerb eines russischen Passes für die Donbas-Bewohner gab Russland bekannt, dass es bereits über 196.000 Ukrainern die Staatsbürgerschaft verliehen hatte (TMT 3.1.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommene Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufigeAufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert.Auch erhöhte die Reform die Belastung derAnkläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen, die sich gegen korrupte und politisierte Gerichte wenden, sind ins Stocken geraten oder blieben hinter den Erwartungen zurück. Das neue Hohe Anti-Korruptionsgericht, das im September 2019 seine Arbeit aufgenommen hat, hat noch keine Ergebnisse erzielt. Obwohl es Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren gibt, können Personen mit finanziellen Mitteln und politischem Einfluss in der Praxis einer Strafverfolgung wegen Fehlverhaltens entgehen (FH 4.3.2020). Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis orientieren sich an westeuropäischen Standards. Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts erkennbar seltener angeordnet als früher (AA 29.2.2020). Nach den 2019 veröffentlichten Statistiken des World Prison Bureau sind etwa 36% der Gefangenen in der Ukraine Untersuchungshäftlinge (FH 4.3.2020).

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Das Ministerium beaufsichtigt das Personal der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) ist für den Staatsschutz im weitesten Sinne, den nicht-militärischen Nachrichtendienst sowie für Fragen der Spionage- und Terrorismusbekämpfung zuständig. Das Innenministerium untersteht dem Ministerkabinett, der SBU ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Das Verteidigungsministerium schützt das Land vor Angriffen aus dem In- und Ausland, gewährleistet die Souveränität und die Integrität der Landesgrenzen und übt die Kontrolle über die Aktivitäten der Streitkräfte im Einklang mit dem Gesetz aus. Der Präsident ist der oberste Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Verteidigungsministerium untersteht direkt dem Präsidenten. Der Staatliche Steuerfiskus übt über die Steuerpolizei Strafverfolgungsbefugnisse aus und untersteht dem Ministerkabinett. Der dem Innenministerium unterstellte Staatliche Migrationsdienst setzt die staatliche Politik in Bezug auf Grenzsicherheit, Migration, Staatsbürgerschaft und Registrierung von Flüchtlingen und anderen Migranten um (USDOS 11.3.2020).

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest. Zuweilen wenden die Sicherheitskräfte selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen (USDOS 11.3.2020), oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen. Dies betrifft vor allem Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten, insbesondere Roma, LGBTPersonen, Feministinnen oder Personen, die von ihren Angreifern als „anti-ukrainisch“ wahrgenommen werden. Auch die Misshandlung von Festgenommenen durch die Polizei ist weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

Während der Maidan-Proteste 2013/2014 kam es zu Menschenrechtsverletzungen durch die gewaltsame Unterdrückung der Proteste durch Sicherheitskräfte, mehr als 100 Menschen wurden getötet, hunderte verletzt. Die laufende Untersuchung zu diesen Verbrechen ist langsam und ineffektiv (AI 16.4.2020). Es wurden dennoch einige Fortschritte erzielt, 422 Menschen wurden angeklagt, 52 verurteilt und 9 davon mit einer Gefängnisstrafe belegt. Die Gesellschaft fordert jedoch, dass auch diejenigen, die die Befehle zur Tötung gaben, zur Rechenschaft gezogen werden, und nicht nur jene, die diesen Befehlen folgten (BTI 2020).

In den letzten Jahren wurden u.a. Reformen im Bereich der Polizei durchgeführt (AA29.2.2020). Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EUAdvisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Februar 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch dieArbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Khatia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter des Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt (ÖB 2.2019). Kritiker bemängeln, dass bei den Reformen der Strafverfolgung ab 2015 systemische Fragen im Innenministerium und im Strafrechtssystem nicht behandelt wurden, und dass sich das weit verbreitete kriminelle Verhalten von Polizisten, Ermittlern und Staatsanwälten fortsetzt bzw. sich in einigen Fällen sogar verschlechtert hat (AC 30.6.2020).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen, sind gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 29.2.2020).

Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustande gekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Die Misshandlung von Gefangenen durch die Polizei blieb ein weit verbreitetes Problem. In einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von Jänner 2019 heißt es, dass der Sonderberichterstatter zahlreiche Vorwürfe von Folter und Misshandlung durch die Polizei erhalten habe, darunter auch gegen Jugendliche, fast immer während der Festnahme und des Verhörs. Die meisten Insassen berichteten, dass die Untersuchungsbeamten eine solche Behandlung einsetzten, um sie einzuschüchtern oder sie zu zwingen, ein angebliches Verbrechen zu gestehen. Der Sonderberichterstatter stellte ferner fest, dass es Rechtsanwälten, Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern an grundlegenden Kenntnissen mangelte, um Anschuldigungen von Folter und Misshandlung angemessen zu untersuchen und zu dokumentieren. Folglich erhielten Opfer von Folter oder anderen Misshandlungen im Allgemeinen keine Hilfe von staatlichen Behörden. Nach Angaben der Charkiwer Menschenrechtsgruppe berichteten diejenigen, die bei der Generalstaatsanwaltschaft Folterbeschwerden eingereicht hatten, dass Strafverfolgungsbeamte sie oder ihreAngehörigen eingeschüchtert und gezwungen hätten, ihre Beschwerden zurückzuziehen. Menschenrech

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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