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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. November 1995, Zl. 4.347.051/4-III/13/95, betreffend 1.) Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, und
2.) Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. November 1995 wurden die Berufungen des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "Jugosl. Föderation", der am 9. Juli 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 10. Juli 1995 den Asylantrag gestellt hat, 1.) gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Oktober 1995, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers vom 22. August 1995 (Postaufgabe 23. August 1995) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen worden war, abgewiesen, und 2.) gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. August 1995 als verspätet zurückgewiesen.
Dem angefochtenen Bescheid lag folgender - unbekämpfter - Sachverhalt zugrunde:
Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. August 1995 wurde nach dem im Akt einliegenden Rückschein nach einem ersten Zustellversuch am 3. August 1995 und einem zweiten Zustellversuch am 4. August 1995 beim Postamt 1053 Wien mit Beginn der Abholfrist 7. August 1995 hinterlegt. Mit Schreiben vom 22. August 1995, zur Post gegeben am 23. August 1995, erhob der Beschwerdeführer "Berufung", welche er folgendermaßen ausführte:
"Ich, S, Staatsangehöriger der Jugoslawischen Föderation, albanische Nationalität, berufe gegen den Bescheid vom 02.08.1995. Am 09.07.1995 bin ich nach Österreich illegal eingereist und am 10.07.1995 habe ich beim Bundesasylamt einen Antrag auf Asylgewährung gestellt.
Da ich im Spital bis 17.08.1995 war (beiliegender Entlassungsbericht), wird diese Berufung mit Verspätung eingereicht.
Ich bleibe bei meiner schon erwähnten Aussage und bin immer noch dieser Meinung, daß im Falle einer Abschiebung nach Kosovo zurück, werde ich sicher mit großen Schwierigkeiten rechnen müssen. Es tut mir eines leid, daß meine Familie auch mitreingezogen wird.
Was in Jugoslawien mit Albanern geschieht, weiß die ganze Welt. Es wäre sehr wichtig richtige Informationen von den richtigen Stellen zu holen.
Ich ersuche Sie höflichst, diesen Antrag nochmals zu bearbeiten und hoffe auch für mein junges Leben positiv zu entscheiden."
Der vorgelegte "Entlassungsbericht" des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Wien dokumentiert den Aufnahmetag (= AT) 9. August 1995 und das Entlassungsdatum 17. August 1995, die Diagnose "ac. Appendizitis Gangraenosa" und die operative Behandlung des Beschwerdeführers.
Die Behörde erster Instanz begründete die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand folgendermaßen:
"Sie wurden am 9.8.1995 in das Spital aufgenommen, also sechs Tage nach dem ersten Zustellversuch an der von Ihnen bekanntgegebenen Adresse. Das heißt, daß Sie zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung und der Hinterlegung des Schriftstückes beim Postamt noch an der Abgabestelle anwesend waren.
Bereits vor dem Spitalsaufenthalt hatten Sie mindestens zwei Tage Zeit, um das Schriftstück beim Postamt abzuholen. Sie hatten auch nach ihrer Entlassung aus dem Spital am 17.8.1995, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist am 21.8.1995 noch mindestens vier Tage Zeit das Schriftstück abzuholen und noch rechtzeitig eine Berufung einzubringen.
Da Sie sowohl vor, als auch nach dem Krankenhausaufenthalt genügend Zeit gehabt haben, den Bescheid abzuholen und rechtzeitig eine Berufung einzubringen, kann nicht davon gesprochen werden, daß Sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Absatz 1 Ziffer 1 AVG verhindert waren, die Frist zur Einbringung der Berufung einzuhalten."
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, seine Verhinderung aus Krankheitsgründen habe auch nach Entlassung aus dem Spital existiert. Er sei aus dem Spital entlassen worden, weil eine stationäre Behandlung nicht mehr vonnöten gewesen wäre, sei aber krank und daher verhindert gewesen. Seine Verhinderung habe bis "zur tatsächlichen Behebung des ursprünglichen erstinstanzlichen Bescheides" angedauert.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, den sie folgendermaßen begründete:
ad 1.)
"Die Behörde erster Instanz hat bereits zutreffenderweise erkannt, daß für Sie die Möglichkeit bestand, das bei der Post am 07.08.1995 hinterlegte Schriftstück sofort, also noch vor Ihrem Spitalsaufenthalt ab dem 09.08.1995 bis 17.08.1995, zu beheben, sodaß kein Ereignis vorlag, das Sie hinderte, das Schriftstück ehestens zu beheben und ein Rechtsmittel gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.08.1995 einzubringen.
Weiters ist festzuhalten, daß eine Erkrankung für sich allein keinen Wiedereinsetzungsgrund zu bilden vermag, sondern nur dann, wenn zufolge der Krankheit die Dispositionsfähigkeit der Partei ausgeschlossen wird, wenn also zufolge der Krankheit nicht einmal mehr für eine Stellvertretung vorgesorgt werden konnte. Daß Sie zufolge der Krankheit nicht einmal mehr für eine Stellvertretung vorsorgen hätten können, haben Sie aber nicht dargetan und sohin nicht im Sinne des § 71 Absatz 1 Ziffer 1 AVG glaubhaft gemacht. Keinesfalls kann im Sinne des Obzitierten ein Wiedereinsetzungsgrund nach Ihrer Entlassung aus dem Spital erkannt werden, da zu diesem Zeitpunkt Ihre Dispositionsfähigkeit jedenfalls außer Frage steht."
ad 2.)
"Gemäß § 63 Absatz 5 AVG beträgt die Frist zur Einbringung der Berufung zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides. Aus der bei den Akten befindlichen Empfangsbestätigung ist ersichtlich, daß der Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.08.1995 am 07.08.1995 durch Hinterlegung zugestellt worden ist. Der letzte Tag für die fristgerechte Einbringung der Berufung wäre somit der 21.08.1995 gewesen. Da die gegenständliche Berufung von Ihnen erst am 23.08.1995 eingebracht worden ist und die von Ihnen begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu bewilligen war, wie unter Punkt 2. des Spruches zu entscheiden."
Gegen diesen Bescheid in seiner Gesamtheit richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
ad 1.)
§ 71 Abs. 1 Z. 1 AVG lautet:
"Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft."
Nach dem unmißverständlichen Wortlaut der Norm muß der Antragsteller durch das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis an der Einhaltung der Frist VERhindert gewesen sein; ein innerhalb der Frist gelegenes Ereignis, das die Einhaltung der Frist lediglich erschwert (= BEhindert), reicht nicht. Daher kann zwar der Eintritt eines solchen Ereignisses am letzten Tag der Berufungsfrist die Wiedereinsetzung rechtfertigen, umgekehrt liegt aber keine Verhinderung vor, wenn ein solches Ereignis bei Fristablauf nicht (mehr) gegeben war.
Der im Verwaltungsverfahren herrschende Grundsatz der amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit entbindet einen Wiedereinsetzungswerber nicht von der Pflicht, ALLE WIEDEREINSETZUNGSGRÜNDE innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen. Gerade zufolge der Befristung eines Wiedereinsetzungsantrages ist es nicht Sache der Behörde, tatsächliche Umstände zu erheben, die einen Wiedereinsetzungsantrag bilden können. Dem Wiedereinsetzungsantrag allenfalls anhaftende Mängel sind inhaltlicher Natur und daher nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG verbesserungsfähig. Im Verfahren wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt die Partei an den im Antrag vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund gebunden. Eine AUSWECHSLUNG DIESES GRUNDES IM BERUFUNGSVERFAHREN ist rechtlich unzulässig (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, Seite 681, wiedergegebene
hg. Rechtsprechung).
Der Beschwerdeführer hat in seiner auch als Antrag auf Wiedereinsetzung gewerteten Berufung lediglich auf seinen Spitalsaufenthalt "bis 17.8.95" und den beiliegenden "Entlassungsbericht" hingewiesen. Abgesehen davon, daß aus der operativen Behandlung einer Entzündung des Wurmfortsatzes (= "Blinddarm") keinesfalls zwingend eine Dispositionsunfähigkeit des Patienten während der gesamten Dauer des Spitalsaufenthaltes abgeleitet werden kann und eine solche weder vom Beschwerdeführer in seinem Antrag behauptet noch dem "Entlassungsbericht" zu entnehmen ist, wurde eine Dispositionsunfähigkeit vom Beschwerdeführer jedenfalls für den Zeitraum nach seiner Entlassung aus dem Spital im Antrag weder behauptet noch finden sich dahingehende Anhaltspunkte im "Entlassungsbericht". Die späteren Behauptungen in der Berufung (zu diesen sei auch darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer das Datum der Behebung des Schriftstückes überhaupt nicht nennt) und die darüber noch hinausgehenden Behauptungen in der Beschwerde sind im Sinne der oben ausgeführten Rechtsprechung unbeachtlich. Lediglich angemerkt sei, daß eine Dispositionsunfähigkeit des Beschwerdeführers auch mit diesen späteren Behauptungen nicht ausreichend konkret dargelegt wurde. Denn das Vorbringen des Beschwerdeführers, eine Postvollmacht wäre nicht zielführend zur Ausfolgung des hinterlegten Schriftstückes gewesen, da eine solche persönliches Erscheinen des Postvollmachtgebers am Postamt erfordere, weshalb eine solche Vorkehrung dem Beschwerdeführer angesichts seines Gesundheitszustandes nicht zugemutet werden könne, geht schon deshalb ins Leere, weil die Erteilung einer Postvollmacht nicht die einzige Möglichkeit ist, die Versäumung der Rechtsmittelfrist zu verhindern. Eine andere Möglichkeit wäre z.B. die Bevollmächtigung eines Vertreters, welcher Akteneinsicht nehmen und darauf gestützt die Berufung hätte erheben können.
Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß jedenfalls nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Spital ein Wiedereinsetzungsgrund nicht (mehr) vorgelegen ist. Da die Spitalsentlassung am 17. August 1995 erfolgte, die Rechtsmittelfrist aber erst am 21. August 1995 ablief, war der Beschwerdeführer nicht verhindert, die Rechtsmittelfrist zu wahren.
ad 2.)
Der Beschwerdeführer bekämpft zwar den gesamten Bescheid, bestätigt aber selbst die Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides am 7. August 1995 und zeigt durch seine Ausführungen, daß er erst danach am 9. August 1995 "zur Entfernung des Blinddarms ins Spital" habe müssen, eine Rechtswidrigkeit des Hinterlegungsvorganges bzw. dessen Wirkung als rechtsgültige Zustellung nicht auf. Außerdem geht der Beschwerdeführer selbst von der verspäteten Erhebung der Berufung aus.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996010308.X00Im RIS seit
20.11.2000