TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/2 W279 2188224-1

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Veröffentlicht am 02.12.2020
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Entscheidungsdatum

02.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W279 2188224-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX .2000, StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .01.2018, Zl. 1131323810/161369398, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.09.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine auf ein Jahr ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. bis VI. werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.





Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 04.10.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des BF am selben Tag führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass er in Logar mit einem Mädchen zusammen gewesen sei, deren Verwandte Mitglieder der Taliban gewesen seien. Als diese erfahren hätten, dass sie mit dem BF zusammen sei, habe sein Vater ihm Geld gegeben, um Afghanistan zu verlassen. Im Zuge eines Telefonates mit seiner Tante habe der BF erfahren, dass seine Eltern von den Taliban getötet worden seien. Bei einer Rückkehr sei sein Leben in Gefahr.

Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF an, dass der Religion der Sunniten und der Volksgruppe der Tadschiken angehöre. Er stamme aus der Provinz Logar und habe dort von 2006 bis 2009 die Grundschule besucht.

3. Am 20.04.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass er in Österreich einen familiären Anknüpfungspunkt in Form eines Onkels habe, der anerkannter Flüchtling sei.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er einmal in der Woche einen Deutschkurs besuche und in seiner Freizeit Fußball spiele. Die Fragen, ob er Medikamente einnehme oder Therapien machen müsse oder in Österreich straffällig geworden sei, wurden vom BF verneint. Er sei gesund. Für seine Zukunft im Bundesgebiet beabsichtige er, als Bauingenieur tätig zu sein.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, brachte der BF vor, dass er in der Provinz Logar geboren worden sei und neben Paschtu auch Englisch und etwas Deutsch spreche. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei sunnitischer Moslem. Seine Tazkira habe er vor seiner Einreise in Österreich verloren. Er sei Einzelkind und seine Eltern seien getötet worden. Sein Vater sei zwar Lehrer gewesen, habe seinen Beruf jedoch nicht ausüben dürfen und deshalb ein Lebensmittelgeschäft eröffnet. Befragt, welche seiner Familienangehörigen noch im Herkunftsstaat leben würden, entgegnete der BF, dass er in der Heimatregion eine Tante väterlicherseits habe und eine Großmutter in Kabul wohne, die er jedoch nie gesehen habe. Mit seiner Tante sei er zuletzt vor eineinhalb Wochen in Kontakt gestanden. Die finanzielle Situation seiner Familie im Heimatland sei insgesamt gut gewesen. Die Frage, ob er auch im Iran oder in Pakistan aufhältig gewesen sei, wurde vom BF verneint. In Afghanistan habe er in einem Eigentumshaus gelebt, das vor ungefähr acht oder neun Monaten von seiner Tante verkauft worden sei. Auf Nachfrage, wie ihre Tante den Lebensunterhalt bestreite, erwiderte der BF, dass ihr Mann den Lebensunterhalt für die Familie als Schneider verdiene. Der Vater des BF habe ihm das Geld in Höhe von 5.000,- Euro für die Flucht gegeben.

Zum Fluchtgrund befragt, erklärte der BF, dass sie ein Lebensmittelgeschäft gehabt hätten und es in der unmittelbaren Umgebung viele Taliban gegeben habe. Eine Tochter eines Talibs habe regelmäßig bei ihnen eingekauft und der BF habe sich in diese verliebt, was sein Vater auch mitbekommen habe, dieser habe ihm jedoch von der Verbindung abgeraten, weshalb der BF seiner Freundin mitgeteilt habe, dass sie nicht zusammenbleiben könnten. Sein Vater habe ihm eines Tages mit dem besagten Mädchen im Geschäft erwischt, woraufhin sein Vater sie weggewiesen habe und dem BF mitgeteilt habe, dass sie um ihre Hand anhalten müssten. In seinem Elternhaus habe ihm sein Vater die Unmöglichkeit dieser Beziehung aufgezeigt und die Ausreise aus Afghanistan nahegelegt. Auf Nachfrage, wie lange sein Vater das Lebensmittelgeschäft gehabt habe, entgegnete der BF, dass er dieses insgesamt sieben Jahre gehabt habe und Kekse, Öl, Mehl und weitere Lebensmittel verkauft habe. Auf Aufforderung, die Beziehung zu seiner Freundin näher zu beschreiben, gab der BF an, dass sie sein Vater beim Geschlechtsverkehr erwischt habe. Die Fragen, ob er den Vater des Mädchens gekannt oder gesehen habe, wurde vom BF verneint. Bei ihrem Vater handle es sich jedenfalls um einen Talib, was ihm sein Vater mitgeteilt habe, da dieser ihn kenne. Der Vater des Mädchens habe den Vater des BF als Lehrer jedenfalls aus der Schule verbannt. Zur Frage, wieso sein Vater angegeben habe, Lehrer zu sein, obwohl er bereits für längere Zeit Geschäftsmann gewesen sei, replizierte der BF, dass er in seiner Umgebung als Lehrer bekannt gewesen sei. Befragt, wieso er wieder ins Geschäft seines Vaters gegangen sei, obwohl es ihm sein Vater verboten habe, erklärte der BF, dass er es ihm lediglich für 15 oder 20 Tagen verboten habe und ihn danach wieder aufgefordert habe, ins Geschäft zu gehen. Die Frage, ob er ihm den Umgang mit seiner Freundin verboten habe, wurde vom BF bejaht. Sie seien verliebt gewesen und hätten sich nicht trennen wollen, über die Konsequenzen hätten sie sich keine Gedanken gemacht. Der BF verneinte die Frage, ob im Geschäft weitere Personen anwesend gewesen seien, als sein Vater ihn mit seiner Freundin erwischt habe. Auf Aufforderung, die Situation mit seinem Vater im Geschäft detailliert zu beschreiben, gab der BF an, dass sein Vater gerade einkaufen gewesen sei, als seine Freundin ins Geschäft gekommen sei und sie sich nähergekommen seien. Sie seien nackt beieinander gewesen, als sie sein Vater erwischt habe. Danach habe sie sein Vater weggewiesen und vorgeschlagen, sie in ihrem Elternhaus um ihre Hand zu bitten. Auf Nachfrage, woher sein Vater gewusst habe, dass es sich bei „ XXXX um die Tochter eines Talibs handle, entgegnete der BF, dass sein Vater ihren Vater aus der Moschee kenne. Befragt, wieso sein Vater zuerst gemeint habe, dass er um die Hand des Mädchens anhalten könne, erwiderte der BF, dass er „ XXXX lediglich zum Verlassen der Moschee veranlassen habe wollen. Die Frage, ob es ihm möglich gewesen wäre, seine Freundin zu ehelichen, wurde vom BF verneint und er erklärte, dass sein Vater gegen diese Beziehung gewesen sei. Nachgefragt, was geschehen sei, als „ XXXX das Geschäft verlassen habe, gab der BF an, dass er mit seinem Vater nach Hause gegangen sei und dieser ihm gesagt habe, dass er seine Freundin nicht heiraten könne und das Land verlassen müsse, da er ansonsten getötet werde. Zu diesem Zeitpunkt sei der BF bereits ungefähr fünf oder sechs Monate mit „ XXXX zusammen gewesen. Auf Nachfrage habe er den Vater seiner Freundin nie gesehen und sei nie von diesem bedroht worden. Der Vater des BF habe jedoch nicht gewollt, dass er seine Freundin heirate. Befragt, wann er erfahren habe, dass seine Eltern ermordet worden seien, entgegnete der BF, dass er am dritten Tag seiner Flucht in Nimroz diese Mitteilung von seiner Tante erhalten habe, die ihm berichtet habe, dass sein Vater getötet worden sei. Seine Tante habe die Ansicht vertreten, dass die Familie von XXXX ihn ermordet habe. Zur Frage, ob seine Tante die Familie von XXXX gekannt habe, replizierte der BF, dass der Ehemann seiner Tante XXXX Vater gekannt habe. Auf die weitere Frage, ob der Mord den Behörden gemeldet worden sei, gab der BF an, dass die Regierung Bescheid wisse, sie aber nichts dagegen tun könne. Die Frage, ob er wisse, wie sein Vater genau getötet worden sei, wurde vom BF verneint. Über die genauen Todesumstände seiner Mutter könne er auch keine Angaben machen, seine Tante habe ihm nur erzählt, dass sie am nächsten Tag gestorben sei. Der BF habe in Afghanistan nur eine Tante, mit der er nach wie vor in Kontakt stehe. Auf Nachfrage habe er auch in Österreich keine näheren Informationen über die Todesumstände seiner Eltern erfahren. Der BF wisse auch nicht, wann und wo seine Eltern bestattet worden seien. Zur weiteren Frage, wieso XXXX Vater seinen Vater hätte töten sollen, erwiderte der BF, dass ihm seine Tante gesagt habe, dass XXXX Vater seinen Vater aufgefordert habe, den BF zurückzuholen, dieser jedoch erklärt habe, dass sein Sohn nicht mehr Afghanistan sei. Er wisse jedenfalls nicht, wieso XXXX Vater seine Meinung damals geändert haben sollte. Befragt, wieso er sich mit seiner Freundin nicht in einem anderen Landesteil Afghanistans ein neues Leben aufgebaut habe, führte der BF an, dass dies nicht möglich gewesen sei, da sein Vater gegen eine Eheschließung gewesen sei. Der BF habe seine Freundin zuletzt im Geschäft seines Vaters gesehen. Die Frage, ob er XXXX gerne geheiratet hätte, wurde vom BF bejaht. Auf Vorhalt, wie es möglich gewesen sei, dass seine Freundin und ihre Mutter alleine einkaufen hätten können, erklärte der BF, dass sie nur zwei Gassen vom Geschäft seines Vaters entfernt gewohnt hätten. Die Frage, ob er keine Angst gehabt habe, dass ein Kunde des Geschäfts über die Liaison mit XXXX erfahren könnte, konnte der BF nicht beantworten. Befragt, was mit dem Geschäft seines Vaters nach seiner Ausreise geschehen sei, gab der BF an, dass er dies nicht genau wisse, aber vermute, dass der Ehemann seiner Schwester in diesem Geschäft arbeite. Nachgefragt, wieso seine Tante und ihr Gatte auch weiterhin unbehelligt in Afghanistan leben könnten, erwiderte der BF, dass deren Leben nicht in Gefahr sei, da nur er selbst gesucht werde. Ein Umzug in einen anderen Landesteil sei einer alleinstehenden Person nicht möglich. Bei einer Rückkehr würde er getötet werden, da bereits sein Vater getötet worden sei. Die Frage, ob er im Heimatland straffällig geworden sei, wurde vom BF verneint.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine Teilnahmebestätigung an einem Werte-und Orientierungskurs vom 09.03.2017 und eine Bestätigung vom 27.03.2017 über die Teilnahme an einem Deutschkurs in Vorlage gebracht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Zusammenfassend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des BF bezüglich einer Gefährdungslage seiner Person in Afghanistan den Anforderungen zu Plausibilität und Schlüssigkeit in keiner Weise erfülle. Schon aufgrund der äußerst oberflächlichen und keinesfalls schlüssigen Darlegungsweise der Ereignisse sei am Vorbringen des BF zu zweifeln. So erscheine bereits das zentrale Element der Fluchtgeschichte nach Ansicht der Behörde nicht glaubhaft, da eine lebensnahe Schilderung mit verbundenen Emotionen ausgeblieben sei. Es sei anzumerken, dass es nicht annähernd plausibel erscheine, dass der BF in einem Geschäft in einer afghanischen Ortschaft keine Vorkehrungsmaßnahmen ergriffen hätte, nicht erwischt zu werden, zumal er darüber keine Angaben gemacht habe. Darüber hinaus sei festzuhalten, dass es nicht möglich gewesen sei, dass irgendjemand zu seiner Beziehung zu XXXX erfahren haben könnte, da er lediglich von seinem Vater in flagranti erwischt worden sei. Zudem habe der BF auch eine Bedrohung von Seiten des Vaters seiner Freundin verneint und habe angegeben, dass er diesen nie gesehen habe. Somit sei auch nicht nachvollziehbar gewesen, weswegen für den BF eine Gefahr bestanden habe, wo ihm seine Tante auch mitgeteilt habe, dass der Vater seiner Freundin einer Heirat zugestimmt hätte und gewollt habe, dass der BF nach Afghanistan zurückkehre. Im Rahmen seiner Befragung seien jedenfalls keine substanzhaltigen Aussagen zu gewinnen, da er nicht wisse, wer seinen Vater getötet habe, aber seine Tante der Ansicht sei, dass es die Familie von XXXX gewesen sei. Der BF habe jedoch nicht erläutern können, woher seine Tante dies wisse. Es erscheine eigenartig, dass der BF gerade von seiner Tante das Detail erfahren habe, dass man den Vater des BF aufgefordert habe, seinen Sohn zur Eheschließung zurück zu holen, obwohl er ansonsten keine detaillierten Informationen über die Umstände des Todes seiner Eltern erfahren habe. Aufgrund der vagen Äußerung des BF sei sowohl der Umstand rund um den Tod seiner Eltern als auch sein Fluchtmotiv weitestgehend im Dunkeln, ohne dass er in der Lage gewesen wäre, dieses schlüssig und plausibel darzulegen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso der Vater seiner Freundin letztendlich doch gewollt habe, dass seine Tochter heirate, wenn der BF zuvor gemeint habe, dass er mit einer Heirat nicht einverstanden gewesen wäre. Zu all diesen vom BF ansatzweise angedeuteten Vorfällen sei anzumerken, dass dem Vorbringen der BF kein zusammenhängender, nachvollziehbarer und in keinster Weise als lebensnah zu bezeichnender Sachverhalt zur behaupteten Gefährdungssituation zu entnehmen gewesen sei und der dadurch gewonnene Eindruck entstanden sei, dass er von Ereignissen berichte, die so nicht passiert seien. In Summe hätten die Schilderungen des BF kein abgerundetes und schlüssiges Bild einer Gefährdungssituation seiner Person ergeben, sodass dem BF die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen sei. In einer Gesamtbetrachtung gelange die erkennende Behörde deshalb zum Schluss, dass der BF keinesfalls einen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht habe, der die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft erfülle und gehe die Behörde davon aus, dass es sich bei diesem Vorbringen um ein bloßes Konstrukt handle und der BF nicht die wahren Beweggründe für die Asylantragstellung dargelegt habe.

5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wurde zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass das Bundesamt unterlassen habe, individuelle Länderberichte, insbesondere zur Sicherheitslage in Logar und zu den dortigen Aktivitäten der Taliban einzuholen. Bezüglich der prekären Sicherheitslage in Afghanistan wurde auf mehrere Berichte und Gutachten verwiesen. Die Feststellung, dass der Antrag des BF unglaubwürdig sei, basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletze § 60 AVG. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens habe das BFA jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen. Der BF habe entgegen der Ansicht des BFA sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet und habe über die drohende Verfolgung und die Erlebnisse in Afghanistan freigesprochen. Ein Abgleich mit den einschlägigen Länderberichten sei der Beweiswürdigung jedoch nicht zu entnehmen. Bei näherer Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des BF hätten sich Widersprüche leicht auflösen können. Das BFA habe es unterlassen, konkret nachzufragen, welches Gespräch der BF wann mit seiner Tante geführt habe. Aufgrund der Beziehung des BF zu dem erwähnten Mädchen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer privaten Rachenahme am BF durch den Vater des Mädchens auszugehen, was auch die Länderberichte bestätigen würden, da durch das Verhalten des BF die Ehre des Mädchens verletzt worden sei, diese Ehrverletzung jahrzehntelang bestehe und nicht vergessen werde. Der afghanische Staat sei nicht gewillt, den BF vor einer privaten Rache der Familie des Mädchens zu schützen. Der BF werde daher aufgrund seiner ihm zumindest unterstellten religiösen bzw. politischen Gesinnung in seinem Heimatland verfolgt, da er als Nicht-Taliban Mitglied eine Beziehung zu einer Tochter eines Taliban Mitglieds geführt habe. Zusammenfassend sei somit festzuhalten, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen aufgrund der ihm unterstellten politischen und religiösen Gesinnung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würden und diese vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur durchaus als asylrelevant einzustufen seien. Dem BF stehe entgegen der Ansicht des BFA keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da die Taliban im gesamten Staatsgebiet eine starke Präsenz hätten. Eine Abschiebung nach Afghanistan würde den BF aufgrund der Sicherheits-und Versorgungslage jedenfalls eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Beschwerde wurden eine Kursbesuchsbestätigung für Fahrtkostenerstattung und eine Teilnahmebestätigung des AWZ Soziales XXXX vom 21.11.2017 über die Teilnahme an einem Intensiv-Deutschkurs auf dem Niveau B2 vom 19.10.2017-21.11.2017 angeschlossen.

Mit Schriftsatz vom 27.11.2018 wurden eine Anmeldebestätigung einer Volkshochschule vom 22.01.2018, eine Zeitbestätigung vom 29.05.2017 über eine absolvierte Bildungsberatung, eine Kursbestätigung für eine Fahrtkostenerstattung vom 16.01.2018, eine Kursbesuchsbestätigung vom 06.07.2017 über den regelmäßigen Besuch eines Deutschkurses auf dem Niveau B1 vom 29.05.2017 bis 06.07.2017, eine Kursbesuchsbestätigung vom 30.11.2017 über einen absolvierten Deutschkurs vom 22.11.2017-22.12.2017, eine Information über einen Brückenkurs Modul C, eine Anmeldebestätigung vom 30.05.2018, eine Anmeldebestätigung vom 27.08.2018 über die Anmeldung an einem Pflichtabschluss-Lehrgang, eine Kursantrittsbestätigung vom 25.07.2017, eine Anmeldebestätigung über den Besuch eines Deutschkurses vom 19.10.2017-21.11.2017, eine Anmeldebestätigung über die Einstufung für einen VHS-Pflichtschulabschlusskurs, eine Kursinformation über ein Kursniveau auf B2, mehrere Anmeldebestätigungen und Kursbesuchsbestätigungen und eine Teilnahmebestätigung vom 21.11.2017 über die Teilnahme am Intensiv-Deutschkurs vom 19.10.2017-21.11.2017 sowie mehrere Informationen zu Kursen in Vorlage gebracht.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.09.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Auf die Frage, wie er sich gesundheitlich fühle, brachte der BF vor, dass er Diabetes habe und deswegen Medikamente einnehme. Mit einem Gerät müsse er seine Zuckerwerte messen und ab und zu Schokolade einnehmen. Befragt, ob er derzeit einer Beschäftigung nachgehe, gab der BF zu Protokoll, dass er derzeit einen B1-Kurs besuche, aber nicht arbeite. Er habe den Hauptschulabschluss absolviert. Auf Aufforderung, auf Deutsch seinen Tagesablauf zu schildern, erklärte der BF, dass er in der Früh seinen kleinen Cousin in den Kindergarten bringe und danach in den Deutschkurs fahre. Neben dem Besuch eines Deutschkurses fahre er gern mit dem Fahrrad und müsse seinen Cousin vom Kindergarten abholen. Der BF wolle in Zukunft einer Tätigkeit als Bauingenieur oder Elektrotechniker nachgehen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er von den Taliban getötet werden. Auf Nachfrage, wie ihn die Taliban finden würden, entgegnete der BF, dass der BF neben einer Tante keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan mehr habe und ihn die Taliban beim Wohnort seiner Tante antreffen würden. Befragt, wie ihn die Taliban in einer größeren Stadt wie Mazar-e Sharif oder Herat finden könnten, führte der BF an, dass es dort zwar schwierig sei, ihn zu finden, sich ein Existenzaufbau als alleinstehende Person jedoch schwierig gestalte. Seine Eltern seien beide tot, ein Elternteil sei getötet worden, ein Elternteil sei verstorben. Nachgefragt, woran seine Eltern gestorben seien, erklärte der BF, dass der Vater seiner Freundin ein Anhänger der Taliban gewesen sei. Die Taliban hätten seinen Vater ermordet, seine Mutter sei den Erzählungen seiner Tante zufolge daraufhin einen Tag später gestorben. Auf die Frage, ob diese Tante nach wie vor im Dorf wohnhaft sei, replizierte der BF, dass er zuletzt vor einem Jahr mit dieser im Kontakt gestanden sei.

Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF an, dass er der Volkgruppe der Tadschiken angehöre und sunnitischer Moslem sei. Er spreche Dari, Paschtu, Englisch und Deutsch. Von seinem Vater, der auch an seiner Schule Englisch unterrichtet habe, habe er auch Englisch gelernt. Zudem habe sein Vater hat ein Geschäft gehabt, in dem der BF auch als Verkäufer mitgeholfen habe. Zudem habe er auch die Waren im Geschäft sortiert.

Befragt, ob er in Österreich etwas gearbeitet habe, führte der BF an, dass er in Österreich die Schule besucht habe, jedoch nicht arbeiten dürfe, da er noch keinen positiven Bescheid erhalten habe. Die Kosten für sein Insulin trage der BF in Österreich nicht selbst tragen, er müsse sich jedoch neben Insulin einen weiteren Wirkstoff spritzen. In Afghanistan sei die Versorgung wegen seiner Diabetes nicht gesichert.

Der als Zeuge einvernommene Onkel des BF brachte vor, dass er seit 2015 die österreichische Staatsbürgerschaft habe und den BF adoptieren wolle. Er stamme aus Kabul. In Afghanistan wäre die gesundheitliche Versorgung und auch die ökonomische Versorgung nicht sichergestellt. Auch die Ausbildungsmöglichkeiten für die Zukunft wären sehr beschränkt. Es gebe es keine Sozialversicherung und keine Sozialleistungen. Wenn der BF schwer arbeite, zittere er aufgrund seiner Diabetes. Wenn er nicht dann sofort was trinke, dann wäre er tot. Der BF besuche den Zeugen ca. vier oder fünfmal in der Woche, zudem habe er mit ihm acht Monate zusammengewohnt. Er sei verheiratet, habe zwei Söhne, die den BF wie einen Bruder betrachten würden. Der Zeuge gehe Erwerbstätigkeiten als Maurer nach.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden eine Bestätigung eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 02.09.2020 mit der Diagnose „Diabetes Mellitus Typ I“ und der entsprechenden Anordnung einer Medikation (Toujeo, Novrapid), eine Kursbestätigung vom 02.09.2020 über eine absolvierte Kursmaßnahme vom 06.07.2020 bis zum 02.09.2020, ein Zeugnis einer öffentlichen Neuen Mittelschule über die Pflichtschulabschlussprüfung vom 27.01.2020, ein Zertifikat eines Mozaik Computerkurses vom 12.08. bis zum 28.08.2019, ein Zertifikat vom 26.06.2019 über eine erfolgreich absolvierte Prüfung zum energie-Führerschein, eine Kursbesuchsbestätigung vom 23.08.2018 über den regelmäßigen Besuch des „Brückenkurs Modul D“ vom 23.07.2018 bis zum 27.08.2018, ein Empfehlungsschreiben vom 22.09.2020 und ein Patientenbrief der XXXX vom 10.04.2019 (Behandlungszeitraum 29.03.2019-10.09.2019) mit den Diagnosen Diabetes mellitus Typ I, Dyslipidämie (Stoffwechselerkrankung), Hepatitis B sowie Vitamin D Mangel unter Anordnung einer entsprechenden Medikation sowie empfohlenen regelmäßigen Kontrollen in Vorlage gebracht.

In einer Stellungnahme zur Staatendokumentation Afghanistan vom 21.07.2020 führte die bevollmächtigte Rechtsvertreterin des BF mit Schriftsatz am 23.09.2020 aus, dass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative aus individuellen Gründen aufgrund der Verschlechterungen im Zusammenhang mit der COVID-Pandemie nicht zumutbar, wie sich aus der Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan vom 21.07.2020 ergibt. Der BF leide unter Diabetes Mellitus Typ 1. Da der BF aufgrund seiner Erkrankung zur Risikogruppe zähle, sei die Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf ausgesetzt wäre, um ein Vielfaches höher. Es würden insbesondere konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass gerade der Betroffene aufgrund seiner Vorerkrankung einer derartigen Gefahr durch das COVID-19 Risiko ausgesetzt sein würde. Es könne somit im konkreten Fall davon ausgegangen werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine derart ausweglose Lage geraten würde, die ihm jegliche Existenzgrundlage entziehe. Der BF habe in den afghanischen Großstädten keine Familienangehörigen, die ihm direkt nach Ankunft eine hygienische Unterkunft zur Verfügung stellen könnten. Der BF wäre somit einem realen Risiko ausgesetzt bzw. würden stichhaltige Gründe vorliegen, dass der BF unter qualvollen Umständen sterben könnte, sodass unter Berücksichtigung der Judikatur die Zuerkennung eines subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls erforderlich sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist in der Provinz Logar geboren, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der BF besuchte in der Heimatprovinz drei Jahre lang die Grundschule. Er hat keine Berufsausbildung absolviert, arbeitete jedoch im Lebensmittelgeschäft seines Vaters.

Der BF bewohnte mit seiner Familie in Afghanistan ein Eigentumshaus, das von seiner Tante verkauft wurde. Der BF hat keine Besitztümer in Afghanistan. Der Vater des BF verdiente den Lebensunterhalt für die Familie als Lehrer und als Inhaber eines Lebensmittelgeschäfts. Die Eltern des BF sind bereits verstorben. In Österreich wohnt ein Onkel des BF.

In Afghanistan lebt weiterhin eine Tante des BF, mit welcher der BF in regelmäßigen Kontakt steht. Die Tante des BF lebt von den Einkünften ihres Ehegatten.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit dem 04.10.2016 durchgehend in Österreich auf.

Der BF hat in Österreich an einem Werte-und Orientierungskurs, einem Computerkurs sowie einem Integrationskurs des bfi teilgenommen und Deutschkurse auf dem Level A2, B1 sowie Brückenkurse besucht. Zudem hat er die Pflichtschulabschlussprüfung sowie einen Energie-Führerschein bestanden. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Der BF leidet an Diabetes mellitus Typ I, Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung), Hepatitis B und einem Vitamin D Mangel. Er benötigt laufend eine medikamentöse Behandlung mit Toujeo und Novrapid. Der BF bedarf zudem regelmäßige Kontrollen mit Blutzuckeraufzeichnungen sowie der Lipide.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF war keiner konkreten und individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung aufgrund von Blutrache durch die Familie eines Mädchens ausgesetzt und wurde nicht persönlich bedroht. Der BF hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Familie einer ehemaligen Geliebten oder durch andere Personen.

1.3. Zu einer Rückkehr nach Afghanistan:

Dem BF droht bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Logar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Die Provinz ist für den BF nicht sicher erreichbar.

Der BF kann bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine familiäre Unterstützung erwarten.

Aus einer ACCORD Anfragebeantwortung zur Behandlung von Diabetes in Afghanistan vom 04.07.2018 geht hervor, dass in Afghanistan bezüglich der Behandlung chronischer Krankheiten starke regionale Unterschiede bestehen. In manchen abgelegenen Provinzen oder konfliktgefährdeten Distrikten existiert medizinische Behandlung nur für Notfalloperationen. Chronische Krankheiten, wie z.B. Diabetes Mellitus können dann nur auf einem niedrigen Niveau behandelt werden, da diagnostisches Medizinequipment fehlt. Insulin- Medikamente bzw. Blutzuckermessungsgeräte stehen in Afghanistan jedenfalls nicht generell zur Verfügung.

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfällen steigt bei Personen über 65 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, geschwächtem Immunstatus, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelöst wurde, für die Allgemeinbevölkerung als milde bis moderate Atemwegserkrankung, für Menschen mit definierten Risikofaktoren jedoch als gravierend bis tödlich eingeschätzt wird.

Aufgrund der diagnostizierten Diabetes mellitus Typ I gehört der BF zur COVID-19-Risikogruppe iSd COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II Nr. 203/2020.

Er droht daher im Falle einer Ansiedelung in Afghanistan in eine existenzbedrohende medizinische Notlage zu geraten. Es ist dem BF derzeit aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus und der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe in Verbindung mit einem fehlenden tragfähigen familiären Netz nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif oder in ähnlich sicheren Gebieten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht dem BF einerseits aufgrund eines fehlenden familiären Netzes, seiner fehlenden Berufserfahrung und anderseits aufgrund der Zugehörigkeit des BF zur Risikogruppe der durch den COVID-19 Virus besonders gefährdeten Personen ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Stand 29.06.2020) wiedergegeben:

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020

XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020

XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr u

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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