TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 W102 2182835-1

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8

Spruch


W102 2182835-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 21.12.2017, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.11.2020 zu Recht:

A)       

I.       Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

III.    Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

IV.       XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und Z 2 erster Fall AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 27.10.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 28.10.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er habe Afghanistan in Richtung Iran verlassen, um dort zu arbeiten. Nach einem Jahre habe er zurückkehren wollen und seine Eltern hätten gesagt, es herrsche ein schlimmer Zustand. Viele seiner Freunde seien verschwunden. Es gebe Krieg. Im Iran habe er nicht weiterleben können, weil er keine Dokumente gehabt habe. Es sei nicht möglich gewesen, zu arbeiten und zu studieren. Er fürchte sich vor Taliban und IS.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 16.11.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, in Afghanistan herrsche Krieg, sie hätten mit den Taliban Probleme gehabt. Die Taliban hätten gewollt, dass sie nicht in die Schule gehen könnten. Er habe einen Lehrer gehabt, der sei auch ein Freund gewesen, die Taliban hätten ihn erschossen. Er sei von Kabul nach Jaghuri unterwegs gewesen und habe einen Zettel von der Regierung dabeigehabt. Er wolle, dass Frauen und Männer und alle ethnischen Gruppen gleiche Rechte hätten. Er habe in Afghanistan nicht in die Schule gehen können und habe keine Freiheit gehabt. Für den Iran habe er keine Aufenthaltsberechtigung gehabt. Die Sicherheitslage sei schlecht. Sein Problem sei, dass er Hazara sei. Autos würden von den Taliban angehalten, diese würden Leute mitnehmen und töten. Wenn er zurückkehre, würden die Taliban sagen, er sei ein Ungläubiger und ihn töten, wenn sie ihn erwischen würden.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21.12.2017, zugestellt am 28.12.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt ohne Nummerierung) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt ohne Nummerierung), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe keine persönliche Verfolgung glaubhaft nennen können oder glaubhaft gemacht. Dass die Taliban nicht gewollt hätten, dass er die Schule besuche, stehe im Widerspruch zu seinen eigenen Angaben, denen zufolge er sieben Jahre die Schule besucht habe. Er habe keine konkrete, ihn betreffende Verfolgungs- oder Bedrohungshandlung genannt und führe lediglich allgemeine Befürchtungen und Vorfälle vom Hören-Sagen ins Treffen. Zwischen dem Fluchtvorbringen und der vom Beschwerdeführer angegebenen Ermordung lasse sich kein Zusammenhang herstellen. Die persönliche Überzeugung, Männer und Frau sowie die unterschiedlichen ethnischen Gruppen sollten gleiche Rechte haben, sei nicht glaubhaft. Hazara seien keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt. Die Provinz Ghazni sei volatil, dem Beschwerdeführer sei jedoch zumutbar, sich in Kabul niederzulassen. Er habe familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan und könne auf die Unterstützung der Eltern zurückgreifen. Der Beschwerdeführer sei volljährig, im erwerbsfähigen Alter und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Er habe nahezu sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht und verfüge über Schulbildung und Berufserfahrung.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2017 richtet sich die am 11.01.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer bringe glaubhaft vor, von seinen Eltern wegen des schlimm gewordenen Zustandes vor einer Rückkehr gewarnt worden zu sein. Die belangte Behörde halte selbst fest, dass die Sicherheitslage in Ghazni volatil sei. Der Beschwerdeführer sei als Hazara in seiner Herkunftsprovinz einer asylrelevanten Verfolgungslage von Seiten der Taliban ausgesetzt. In der Annahme, dem Beschwerdeführer stehe in Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, gehe die belangte Behörde fehl.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 03.11.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Flucht- und Ausreisegründen, sowie zu seinen Lebensverhältnissen befragt.

Mit Schreiben vom 19.11.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        ÖSD Zertifikat A1 – „nicht bestanden“

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

?        Mehrere Vereinbarungen und eine Bestätigung über gemeinnützige Arbeit

?        Konvolut medizinischer Unterlagen

?        Integrationsprüfungszeugnis A2

?        Bestätigung über freiwillige Mithilfe

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Deutsch auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer litt an beiden Augen an einem Pterygium (auch „Flügelfell“; Gewebswucherung der Bindehaut), das am rechten Auge im August 2020 entfernt wurde. Die Operation des linken Auges steht noch aus. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Provinz Ghazni, Distrikt Jaghuri geboren. Er hat im Herkunftsstaat sieben Jahre die Schule besucht. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet als Hilfsarbeiter als Tagelöhner. Der Beschwerdeführer hat gelegentlich zusammen mit seinem Vater als Hilfsarbeiter gearbeitet und auf dem Feld mitgeholfen.

Im Alter von etwa 15 Jahren reiste der Beschwerdeführer in den Iran aus und arbeitete dort etwa ein Jahr lang als Hilfsarbeiter auf Baustellen.

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinem Vater, seiner Mutter und zwei Schwestern, lebt mittlerweile im Iran. Zu ihnen besteht Kontakt.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Oktober 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat laufend Deutschkurse besucht und am 03.11.2020 sein Integrationsprüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds über seine am 12.01.2019 bestandene Integrationsprüfung für das Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen in Vorlage gebracht. Auch zuletzt hat der Beschwerdeführer einen Deutschkurs besucht. Der Beschwerdeführer hat in seiner Wohnsitzgemeinde wiederholt im Rahmen „punktueller Projekte“ gemeinnützige Arbeit geleistet, so hat er sich etwa an einer „Flurreinigungsaktion“ im Gemeindegebiet beteiligt. Zudem hat der Beschwerdeführer freiwillig in einem landwirtschaftlichen Betrieb bei der Feldarbeit mitgeholfen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte geknüpft. In seiner Freizeit spielt er etwa Fußball, Volleyball oder Billard mit seinen Freunden. Der Beschwerdeführer möchte als Fliesenleger oder Maler arbeiten.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer reiste mit etwa 15 Jahren von Afghanistan in den Iran aus, um dort zu arbeiten. Auf Anraten seiner Eltern kehrte der Beschwerdeführer wegen der Sicherheitslage nicht nach Afghanistan zurück, sondern reiste nach Europa weiter.

Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung Afghanistans aus. Die Provinzen Ghazni und Balkh gehören teilweise zum Hazarajad, dem traditionellen Siedlungsgebiet der Hazara. Der Distrikt Jaghuri wird überwiegend von Hazara bewohnt. Im November 2018 starteten die Taliban eine Großoffensive unter anderem gegen den Distrikt Jaghuri, wurden jedoch bis Ende November wieder vertrieben.

Hazara bekleiden prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara haben seither auch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

Hinweise auf von staatlichen Akteuren ausgehende Misshandlungen gibt es nicht.

Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, seine landesweite Mannesstärke lag im November 2019 bei etwa 4.000 für 5.000 Kämpfern. „Zellen“ des ISKP sind in ganz Afghanistan präsent. Er ist in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Der ISKP zielt darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern, indem er seine Angriffe gegen Schiiten richtet. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.

Es kommt zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür kann jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter. Die Taliban führen Angriffe auf religiöse Stätten und Führer durch, die die Legitimität der Taliban anzweifeln. In Ghazni kommt es zu Entführungen und Tötungen entlang der Straßen, die Taliban betreiben Checkpoints. Ein systematischer Zusammenhang der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam ist nicht ersichtlich.

Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Provinz Ghazni gehört zu den volatilen Provinzen des Herkunftsstaates und zählte im Jahr 2019 sowie in der ersten Jahreshälfte 2020 zu den aktivsten Konfliktgebieten Afghanistans. Für das Jahr 2019 sind 673 zivile Opfer dokumentiert, zwischen 01.03.2019 und 30.06.2020 sind 1 291 Sicherheitsvorfälle in der Provinz Ghazni verzeichnet. Der von Hazara dominierte Distrikt Jaghori wurde im November 2018 im Zuge der Großoffensive der Taliban angegriffen, die Taliban konnten jedoch bis Ende November wieder vertrieben werden. Die Hazara-dominierten Distrikte der Provinz standen im Oktober 2019 unter Regierungskontrolle, während die von Paschtunen dominierten Distrikte von den Taliban kontrolliert wurden. Für den Distrikt Jaghuri sind für das Jahr 2019 zwei und für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.03.2020 keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet. Die Taliban errichten Checkpoints in der Provinz, um Geld zu erpressen und Personen zu kontrollieren (ID-Karten und Mobiltelefone). Reisen ist in der Provinz sehr gefährlich. Es kommt zu militärischen Operationen, bewaffneten Zusammenstößen und Luftangriffen.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Wirtschaft stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht. Lebensgrundlage von 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft. Ca. 44 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 54 % zwischen 15 und 64. Jedes Jahr treten sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können.

Die afghanische Wirtschaft wurde hart von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie getroffen. Als Folge sind die Preise von Grundnahrungsmitteln stark gestiegen. Aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, was etwa zu einer Verschärfung von Armut, einem Rückgang der Staatseinnahmen und einer geringeren Nachfrage nach Arbeitskräften führt. Besonders von weiterer Verarmung betroffen sind von Tagelöhner-Einkommen abhängige Familien.

Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung im Sinne von Ausgangsbeschränkungen, Beschränkungen des wirtschaftlichen Lebens oder der Bewegungsfreiheit sind aktuell nicht in Kraft.

Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt auch für Balkh. Das afghanische Gesundheitssystem ist mangelhaft, der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat jedoch Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Die medizinische Versorgung ist in großen Städten und auf Provinzebene sichergestellt. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildetem Personal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In Distrikten mit guter Sicherheitslage werden in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten. Die Behandlungskosten sind hoch. Mazar-e Sharif verfügt über mehrere Krankenhäuser und sonstige Behandlungseinrichtungen. Bedingt durch die begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und die begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan unzureichend erfasst. Krankenhäuser und Kliniken haben Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19.

Mazar-e Sharif steht unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen finden im Wesentlichen nicht statt, es kommt jedoch zu Sicherheitsvorfällen. Die Kriminalität ist zuletzt gestiegen. Die Stadt verfügt über einen internationalen Flughafen, über den sie Stadt sicher erreicht werden kann.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenszugehörigkeit, Muttersprache und Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde hegte keine Zweifel an den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers. Im Hinblick auf die Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass sich dieser durchgehend als schiitischer Muslim bezeichnet. Zwar gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.11.2020 an, Religion habe keine Bedeutung mehr für ihn, er sei zwar in einer islamischen Gesellschaft zur Welt gekommen, aber Religion sei ihm nicht mehr wichtig (OZ 12, S. 4). Hiermit konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass er sich aus innerer Überzeugung vom Islam abgewandt hat. So sind diese Angaben des Beschwerdeführers oberflächlich und vage und nahm der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit allfälligen Rückkehrgefährdungen keinen Bezug auf seine religiöse Überzeugung. Dementsprechend wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt.

Die Feststellung zum spätestmöglichen fiktiven Geburtsdatum des Beschwerdeführers beruht auf dem von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen, schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachten zur Unterscheidung von Minder- vs. Volljährigkeit (AS 41 ff.), dem der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist. So erhob der Beschwerdeführer auf die Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 17.05.2016 (AS 69) hin keine Einwände und gab in der niederschriftlichen Einvernahme am 16.11.2017 zum Geburtsdatum befragt lediglich an, er sei am XXXX (entspricht dem XXXX ) geboren, dies habe ihm seine Mutter gesagt (AS 118).

Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten Integrationsprüfungszeugnis vom 12.01.2019 (Beilage zu OZ 12).

Die Feststellungen zur Augenerkrankung des Beschwerdeführers beruhen auf den vorgelegten medizinischen Unterlagen. Im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers wurde keinerlei Vorbringen erstattet, dass diese durch die Augenerkrankung beeinträchtigt wäre. Auch hat der Beschwerdeführer sondern im Zuge der mündlichen Verhandlung 03.11.2020 etwa seine Berufspläne geschildert, ohne irgend einen Zusammenhang zu seinem Gesundheitszustand herzustellen (OZ 12, S. 4).

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Zum Verbleib seiner Angehörigen hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.11.2020 angegeben, diese seien etwa ein Jahr nach seiner Flucht nach Herat gezogen und hätten, als er zuletzt im Jahr 2018 Kontakt zu ihnen gehabt hatte, vorgehabt, in den Iran zu reisen. Der Kontakt zur Familie sei abgebrochen, weil er sein Handy verloren habe (OZ 12, S. 3). Hierzu ist anzumerken, dass zwar ein Umzug der Familie und letztlich eine Ausreise in den Iran sich vor dem Hintergrund der Länderberichte als plausibel erweisen. Im Hinblick auf den behaupteten Kontaktabbruch ist allerdings anzumerken, dass dieser durch die lapidare Behauptung des Beschwerdeführers, er habe sein Handy verloren, nicht glaubhaft dargelegt ist. So ist es nicht mehr üblich, dass Kontaktdaten ausschließlich lokal auf dem Mobiltelefon gespeichert werden. Weiter ist damit, dass der Beschwerdeführer die ausschließlich im Mobiltelefon gespeicherte Telefonnummer mit diesem verloren haben will, noch nicht nachvollziehbar erklärt, warum seine Familie den Beschwerdeführer seither nie kontaktiert haben soll. Weiter steht neben der Nutzung einer bestimmten Telefonnummer eine Fülle weiterer Kommunikationskanäle zur Verfügung. Dass der Beschwerdeführer alleine durch den Verlust eines Mobiltelefons den Kontakt zu seiner Familie verloren haben will, ist damit völlig unplausibel.

Das Antragsdatum ist aktenkundig, während Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen sind. Zu seinen Deutschkursen hat der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen vorgelegt (AS 133-139; Beilage zu OZ 12). Die Feststellung zur Integrationsprüfung des Beschwerdeführers beruht auf seinem Integrationsprüfungszeugnis (Beilage zu OZ 12). Zu seiner gemeinnützigen Tätigkeit hat der Beschwerdeführer mehrere Vereinbarungen in Vorlage gebracht, aus denen hervorgeht, dass er wiederholt im Rahmen „punktueller Projekte“ gemeinnützige Arbeit für seine Wohnsitzgemeinde geleistet hat (AS 143-151). Zur Flurreinigungsaktion hat der Beschwerdeführer ein Bestätigungsschreiben des Bürgermeisters vorgelegt (AS 153). Zu seiner Mithilfe bei der Feldarbeit hat der Beschwerdeführer ebenso eine Bestätigung vorgelegt (Beilagen zu OZ 12). Die Feststellungen zur sonstigen Freizeitgestaltung des Beschwerdeführers beruhen auf seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.11.2020 (OZ 12, S. 4). Seine Berufsvorstellungen hat der Beschwerdeführer ebenso in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.11.2020 dargelegt (OZ 12, S. 4).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Seine ursprünglichen Ausreisegründe hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 16.11.2017 plausibel dargelegt, wo er angab, er sei ursprünglich in den Iran ausgereist, um dort zu arbeiten (AS 119), hab nach einem Jahr zurückkehren wollen und mit seinem Vater gesprochen. Dieser habe gesagt, die Sicherheitslage habe sich verschlechtert, er solle nicht zurückkehren (AS 125). Auch in der Erstbefragung machte der Beschwerdeführer gleichlautende Angaben (AS 11). Hierzu ist anzumerken, dass sich bereits aus den von der belangten Behörde im Wortlaut des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation, Stand 25.09.2017, getroffenen Feststellungen ergibt, dass die Sicherheitslage in der Provinz Ghazni volatil und von Talibanaktivitäten betroffen ist (AS 237-238). Die Angaben des Beschwerdeführers erweisen sich sohin auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat als plausibel.

Die Feststellung zum Bevölkerungsanteil der schiitischen Hazara, sowie zu ihrem traditionellen Siedlungsgebiet beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 19.11.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt). Die Feststellung, dass der Distrikt Jaghuri überwiegend von Hazara bewohnt wird, beruht ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.10. Ghazni, wo berichtet wird, dass dieser von Hazara dominiert wird. Weiter wird berichtet, dass die Taliban im November 2018 eine Großoffensive gegen unter anderem den Distrikt Jaghuri gestartet haben, jedoch bis Ende November wieder vertrieben wurden.

Die Feststellungen zur gesellschaftlichen Lage der Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.3. Hazara, sowie auf der mit Schreiben vom 19.11.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebrachten EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance), Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) – ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 19.11.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebracht – berichten einerseits von gesellschaftlicher Diskriminierung, Erpressung durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung, aber auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107).

Hinweise auf Misshandlungen der schiitischen Hazara durch den Staat sind der EASO Country Guidance zufolge nicht ersichtlich (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).

Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.3. Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel 2. Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)). Der vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 19.11.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebrachte EASO COI Report: Afghanistan. Anti-Government Elements (AGEs) von August 2020 berichtet, dass es weiterhin zu Angriffen des ISKP auf schiitische Hazara kommt (Kapitel 3. Islamic State Khorasan Province (ISKP), Unterkapitel 3.6.1 Hazara Shia, S. 34), ihm sind die Feststellungen zur aktuellen Präsenz und Stärke des ISKP in Afghanistan entnommen (insbesondere Kapitel 3.2 Strength, presence, territorial control, capacity, S. 30 ff). Von relevanter territorialer Kontrolle wird hier (weiterhin) nicht berichtet.

Der EASO COI Report: Afghanistan. Anti-Government Elements (AGEs) von August 2020 führt Schiiten und Hazara hinsichtlich der Taliban nicht gesondert als „Targeted individuals“ an. Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Der EASO COI Report: Afghanistan. Anti-Government Elements (AGEs) von August 2020 führt ebenso Anschläge der Taliban gegen religiöse Stätten und Führer an, bringt diese jedoch in Zusammenhang mit einer Infragestellung der Legitimität der Taliban (Kapitel 2. The Taliban, Unterkapitel 2.6. Targeted individuals, Unterkapitel 2.6.2.4 Religious leaders, S. 27-28). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch auch, dass dies häufig mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Aus dem aktuelleren EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020 geht hervor, dass die Taliban Checkpoints in Ghazni entlang der Straßen errichten, insbesondere für Regierungsangestellte und Studierende der Universität sei Reisen gefährlich. Mehrere Vorfälle von Entführungen und Tötungen durch die Taliban werden angeführt, jedoch wird ein Zusammenhang mit der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit ebenso nicht angeführt (Kapitel 2.10 Ghazni S. 130 ff., insbesondere Unterkapitel 2.10.3 Recent security trends and impact on the civilian population, S. 133 ff.).

Im Hinblick auf die Verbundenheit von Ethnie und Religion berichtet das Länderinformationsblatt, die schiitische Religionszugehörigkeit würde wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählen (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von einer häufig untrennbaren Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit, weswegen eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder der ethnischen Zugehörigkeit andererseits oftmals nicht möglich sei (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Auch die EASO Country Guidance spricht die Verknüpfung an (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).

Seine Angaben zu seinen Ausreisegründen aus der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 16.11.2017 (AS 184) wiederholte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.11.2020 dagegen nicht mehr und verneinte auch, jemals persönlich von den Taliban bedroht worden zu sein (OZ 12, S. 4). Zudem ist hierzu anzumerken, dass der Beschwerdeführer bereits vor der belangten Behörde lediglich allgemeine Angaben zur Lage im Herkunftsstaat machte, etwa hinsichtlich der Diskriminierung von Ethnien und Frauen, fehlender Bildungsmöglichkeiten für Kinder, fehlende „Freiheit“ und Probleme mit den Taliban für Reisende (AS 184). Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um allgemeine Probleme, die im Grunde von den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten bestätigt werden. Im Hinblick auf Ethnie und Religion ist eine umfassende Auseinandersetzung bereits erfolgt. Die schlechten Bildungsmöglichkeiten für Kinder bestätigen alle vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte (etwa EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 10. Children, Buchstabe e. Education of children and girls in particular, S. 58-59 und UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 10. Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben, Buchstabe c) Systematische Verweigerung des Zugangs zu Bildung, S. 94-95). Der Beschwerdeführer selbst hat allerdings die Schule besuchen können, vermag seine persönliche Betroffenheit auch nicht zu konkretisieren und ist insbesondere mittlerweile erwachsen. Im Hinblick auf die infolge der Sicherheitslage beschränkte Bewegungsfreiheit, gibt der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.11.2020 an, er sei einmal von den Taliban angehalten und durchsucht worden (OZ 12, S. 4). Dies erweist sich vor dem Hintergrund der Lage in der Herkunftsprovinz zwar als plausibel, bestätigt jedoch auch, dass der Beschwerdeführer für die Taliban nicht von Interesse ist, nachdem weiter nichts vorgefallen ist. Auch die angesprochene systematische Diskriminierung von Frauen wird in den Länderberichten bestätigt (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 11. Woman, S. 60 ff. und 7. Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben, S. 75 ff.), es ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern dies den männlichen Beschwerdeführer betrifft. Damit ist eine konkrete und individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers von diesen allgemeinen Umständen nicht ersichtlich und wurden hierzu keine Feststellungen getroffen.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance, und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Ghazni beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.10. Ghazni, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.10 Ghazni, S. 130 ff., sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15 (c) QU, Abschnitt Ghazni, S. 96).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Rechtsschutz/Justizwesen, 5. Folter und unmenschliche Behandlung und 10. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage in Afghanistan beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung und dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020.

Der negative Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die afghanische Wirtschaft geht aus dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020 hervor und wird auch vom EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 bestätigt. Dieser berichtet etwa, dass für das Jahr 2020 ein Rückgang des BIP von 5,5 bis 7,4 % erwartet wird (Kapitel 2.1.1 Economic growth, S. 23), von einem Anstieg der Arbeitslosenrate für das Jahr 2020 (Kapitel 2.2.1. Unemployment, S. 28), von insgesamt negativen Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf Arbeitsmarkt, Geschäftsaktivitäten, Armutsrate, etc. (etwa Kapitel 2.2.2 Employment opportunities and working conditions, S. 29-30; Kapitel 2.3.1. General trends, S. 36), einem verringerten Zugang zu Einkommen für arme städtische Haushalte, insbesondere für Tagelöhner (Kapitel 2.3.2. Urban poverty, S. 37) und einem Anstieg der Lebensmittelpreise (Kapitel 2.4.1. General situation, S. 39).

Im Hinblick auf aktuelle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung geht aus dem Länderinformationsblatt hervor, die „landesweite Abriegelung“ sei zuletzt am 06.06.2020 um drei Monate verlängert worden, ebenso die Schließung der Schulen (Information vom 21.07.2020). Informationen zu einer darüberhinausgehenden Verlängerung waren allerdings nicht auffindbar (Vgl. etwa die aktuelle Informationen bietende Homepage der US-Botschaft in Afghanistan: https://af.usembassy.gov/covid-19-information/, abgerufen am 04.12.2020). Der Beschwerdeführer hat auch kein Vorbringen im Hinblick auf aktuelle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung erstattet.

Die Feststelllungen zur COVID-19-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020. Die Feststellungen zur Gesundheitsversorgung beruhen ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 21. Medizinische Versorgung, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020, Kapitel 2.6 Health care, S. 45 ff.).

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich § 3 AsylG 2005 (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.  Zur Ausreise aufgrund der Sicherheitslage

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt in dem Umstand, dass im Heimatland Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (zuletzt VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404 mwN). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (VwGH 19.10.2018, 98/20/0233).

Zwar konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er auf den Rat seiner Eltern hin aufgrund der schlechten Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz nicht nach Afghanistan zurückkehrte. Dies ist vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung jedoch nicht asylrelevant.

3.1.2.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers

Eine Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit bringt der Beschwerdeführer bringt der Beschwerdeführer bereits in seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 16.11.2017 vor (etwa AS 185-186), verneint jedoch gleichzeitig, persönlich ein Problem gehabt zu haben. Auch die der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gibt der Beschwerdeführer an, nicht persönlich bedroht worden zu sein (OZ 12, S. 4). Damit behauptet der Beschwerdeführer eine konkrete, individuelle Verfolgungsgefahr nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden, sondern auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (jüngst etwa VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450). Eine Eingriffsintensität im Sinne eines „Genozids“ muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht vorliegen, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034).

Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – glaubhaft machen, dass der zu den schiitischen Hazara gehört. Auch kommt es im Herkunftsstaat zu Angriffen auf schiitische Hazara.

Hinsichtlich des ISKP ist zwar – nachdem dieser Angriffe auf schiitische Hazara durchführt, die mit deren schiitischer Glaubenszugehörigkeit, sowie einer zumindest unterstellten Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen IS in Syrien in Zusammenhang stehen – ersichtlich, dass dieser zielgerichtete Maßnahmen gegen Schiiten und damit auch gegen schiitische Hazara setzt. Dem ISKP kommt jedoch lediglich eine beschränkte territoriale Reichweite und Stärke zu.

Durch die Taliban kommt es zwar ebenso zu Angriffen auf Angehörige der schiitischen Hazara, jedoch ist diesbezüglich ein systematisches Vorgehen nicht ersichtlich und stehen diese Angriffe häufig in einem anderen Kontext als jenem der Volkgruppen- oder Religionszugehörigkeit.

Eine Gruppenverfolgung von Seiten des ISKP, sowie der Taliban im Sinne der oben zitierten Judikatur ist damit bereits mangels systematischer, zielgerichteter Maßnahmen zu verneinen, weswegen eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob staatliche Schutz bestünde, unterbleiben konnte.

Hinweise auf systematische Misshandlungen von Seiten des Staates konnten dagegen nicht festgestellt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist weiter nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).

Zwar gibt es Hinweise auf Diskriminierungen der schiitischen Hazara etwa auf dem Arbeitsmarkt, soziale Diskriminierung und eine Unterrepräsentation in der Verwaltung, jedoch wurde ebenso die Beteiligung von Hazara an nationalen Institutionen festgestellt, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte. Diskriminierende Maßnahmen gegen alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Sinne einer „Verfolgung“ nach der oben zitierten Rechtsprechung sind damit nicht ersichtlich. Eine individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers wurde dagegen nicht konkret vorgebracht.

Auch der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (jüngst etwa VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ging zuletzt davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Im Übrigen geht auch EASO im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam nicht von einer Gruppenverfolgung aus, sondern stellt auf individuelle Elemente des Betroffenen ab, nämlich etwa die Herkunftsregion insbesondere im Hinblick auf die dortige Präsenz des ISKP, die Teilnahme an religiösen Praktiken, sowie politischer Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara stellt EASO auf individuelle Merkmal ab, nämlich ebenso die Herkunftsregion, das Arbeitsgebiet, den Beruf und politischen Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 70). Den UNHCR-Richtlinien zufolge ist dagegen auf die lokalen Umstände abzustellen, nämlich insofern, als möglicherweise ein Risiko für eine Minderheit auf nationaler Ebene nicht besteht, wenn sie in einem Gebiet lokal die Mehrheit bildet (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, S. 103). Nun wird der Herkunftsdistrikt Jaghuri von Hazara dominiert und sind konkrete Hinweise für deren Diskriminierung bzw. Verfolgung in diesem Gebiet nicht ersichtlich. Auch sonst finden sich beim Beschwerdeführer keine der angeführten risikoerhöhenden Merkmale.

Im Ergebnis war zu verneinen, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr Verfolgung wegen seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit droht.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich § 8 AsylG 2005 (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu können, reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (jüngst etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage ist nach der ständigen, auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH bezugnehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Voraussetzung des „real risk“ iSd Art. 3 EMRK nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt, als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243).

3.2.1.  Zu einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz

Im Hinblick auf die Herkunftsprovinz Ghazni ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass die Provinz zu den volatilen Provinzen und insbesondere zu den aktivsten Konfliktgebieten Afghanistans zählt. Hiervon ist allerdings – nachdem kaum Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind und der Distrikt unter Regierungskontrolle steht – der Herkunftsdistrikt Jaghuri hiervon in geringem Ausmaß betroffen.

Der Einschätzung der EASO Country Guidance zufolge ist Ghazni von in erheblichem Ausmaß betroffen, das Gewaltniveau sei jedoch nicht so hoch, dass bereits ein extremer Fall im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen sei (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Ghazni, S. 96-97). Gerade im Hinblick auf den Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers, der relativ gering betroffen ist, ist nicht erkennbar, dass die bloße Anwesenheit des Beschwerdeführers bereits einem „real risk“ im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgesetzt wäre. Bedingt durch die Lage in der Provinz – so finden Bodenkämpfe, Luftangriffe etc. statt – und insbesondere den Umstand, dass Reisen sehr gefährlich ist und die Taliban Checkpoints betreiben, an denen sie Geld erpressen und Reisende kontrollieren – ist jedoch nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsdorf erreichen kann, ohne einem „real risk“ im Sinne der oben zitierten Judikatur ausgesetzt zu sein. Im Fall der Rückkehr ins Herkunftsdorf droht dem Beschwerdeführer daher die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK.

3.2.2. Zur Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG 2005 zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des VwGH die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch mit den UNHCR-Richtlinien und den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 22.07.2020, Ra 2020/18/0090).

UNHCR stellt im Hinblick auf die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf Relevanz und Zumutbarkeit ab (UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, S. 119), wobei hiermit im Wesentlichen die bereits in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 11 AsylG 2005 herausgearbeiteten Elemente angesprochen sind. UNHCR stellt dabei – abgesehen vom Schutz vor Verfolgung, der gegenständlich mangels glaubhaft gemachter Verfolgungsgefahr nicht zu prüfen ist – auf Sicherheitslage und sichere Erreichbarkeit ab (Unterkapitel 1. Analyse der Relevanz, S. 220 ff.).

Wie festgestellt steht Mazar-e Sharif unter der Kontrolle der afghanischen Regierung und finden Kampfhandlungen im Wesentlichen nicht statt. Weiter ist die Stadt auch über ihren internationalen Flughafen sicher erreichbar. Damit ist im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ein aus der Sicherheitslage resultierende „reales risiko“ im Sinne der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 23.01.2019, Ra 2018/14/0196). So geht auch EASO im Hinblick auf Mazar-e Sharif davon aus, dass das Gewaltniveau in Mazar-e Sharif so niedrig ist, dass ein „real risk“ für Zivilpersonen im Allgemeinen nicht besteht (EASO Country Guidance, Kapitel III. Subsidiary protection, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 93). Individuelle Elemente, die ein Abgehen von dieser generellen Einschätzung erforderlich machen würden, sind dagegen nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargelegt.

Auch bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zuge der Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlichen Beurteilung einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/19/0455). Im Hinblick auf die Menschenrechtslage in Afghanistan ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer kein Vorbringen erstattete, dass seine aktuelle, konkrete und individuelle Betroffenheit wahrscheinlich erscheinen ließe.

Nach österreichischer Rechtslage (Vgl. nochmals VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006) ist zudem zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Teil des Herkunftsstaates unabhängig von Akteuren oder dem bewaffneten Konflikt eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK droht.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B2400/07 mwN).

Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Der Beschwerdeführer leidet an einem Pterygium (Gewebswucherung der Bindehaut), wobei die Operation des linken Auges noch ausständig ist. Die Erkrankung des Beschwerdeführers weist jedoch nicht jene besondere „Schwere“ auf, die nach der oben zitierten Rechtsprechung eine Abschiebung nach Afghanistan als unmenschliche Behandlung erscheinen ließe. Weiter wurde festgestellt, dass die medizinische Versorgung in großen Städten sichergestellt ist, auch wenn Verfügbarkeit und Qualität der Behandlung begrenzt ist. Im Hinblick auf Mazar-e Sharif ist damit davon auszugehen, dass die erforderliche Behandlung verfügbar ist, so ist diese relativ sicher und verfügt über Krankenhäuser und weitere Behandlungseinrichtungen. Weiter wird angemerkt, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Erkrankung auch kein konkretes Vorbringen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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