TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/17 W274 2217020-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2020
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Entscheidungsdatum

17.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W274 2217020-1/22E
W274 2217022-1/20E
W274 2217021-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Lughofer als Einzelrichter über die Beschwerden des 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX und 3. XXXX , geb. XXXX , alle iranische Staatsbürger, alle XXXX , vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, je vom 13.02.2019, zu 1. Zl. GZ 1207334901-180905326/BMI-BFA_SZB_RD, zu 2. Zl. 1207339102-180905334/BMI-BFA_SZB_RD und 3. Zl. 1207339309-180905342/BMI-BFA_SZB_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Den Beschwerden wird nicht Folge gegeben.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Bei den Beschwerdeführern (BF) handelt es sich um Eltern und die volljährige Tochter – der Sohn lebt derzeit offenbar als Asylbewerber in Deutschland – die allesamt am 23.09.2018 vor der PI Salzburg Wals-Siezenheim internationalen Schutz beantragten.

XXXX , im Folgenden Erstbeschwerdeführer, 1.BF, gab in der Befragung vor der Polizei (Niederschrift vom 24.09.2018) die Namen seiner Mutter sowie von sechs Brüdern als „Familienangehörige im Herkunftsland oder anderen Drittstaat“ an. Sein Bruder XXXX , 59 Jahre alt, befinde sich in Australien, die anderen Geschwister, zwischen 49 und 63 Jahre alt, im Iran. Der 1.BF habe den Ausreiseentschluss vor etwa 45 Tagen gefasst. Er habe kein bestimmtes Ziel gehabt. Er sei zu Fuß über die Grenze in die Türkei ausgereist.

Als Fluchtgrund gab er an, vor ca. 40 Tagen, als er sich in seinem Geschäft aufgehalten habe, seien zwei zivile Polizisten hereingekommen. Sie seien vom Geheimdienst der Pasdaran gewesen. Man habe ihm unterstellt, dass er zugeneigt wäre, zum Christentum zu konvertieren, woraufhin er zwei Tage lang verhaftet worden sei. Er habe unterschreiben müssen, dass er sich nicht für das Christentum interessiere. Während seiner Haft sei er geschlagen und gefoltert worden. Als er am dritten Tag freigelassen worden sei, habe er Angst gehabt, nach Hause zu gehen und habe deshalb telefonisch Kontakt mit seinem Bruder Abdullah aufgenommen. Dieser habe ihm geraten, zu ihm zu fahren. Am nächsten Tag habe ihn seine Frau angerufen und erzählt, dass Polizisten die Wohnung gestürmt und sie geschlagen hätten. Am nächsten Tag sei seine Frau in Begleitung seiner Tochter zu ihm gefahren. Nach längerer Überlegung hätten sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als den Ausreiseentschluss zu fassen.

1993 sei sein Bruder XXXX , ein Offizier beim iranischen Militär, aufgrund seiner Nähe zur alten Schah-Regierung verhaftet und erschossen worden. Auch seine Brüder XXXX (gemeint offenbar XXXX ) und XXXX seien daraufhin in das Visier des Geheimdienstes geraten. XXXX (gemeint offenbar wieder XXXX ) sei gezwungen gewesen, ins Ausland zu flüchten und XXXX sei für 14 Jahre lang verhaftet worden. Auch diese Vorgeschichte habe die BF zur Flucht verleitet. Sie befürchteten Verhaftung und Tötung.

Zur Frage „Angaben über Familienangehörige in Österreich und einem EU-Staat mit Status“ nannte der 1.BF damals lediglich seine Frau XXXX (im Folgenden Zweitbeschwerdeführerin, 2.BF) und seine Tochter XXXX (im Folgenden Drittbeschwerdeführerin, 3.BF).

Vor dem BFA gab der 1.BF am 15.01.2019 zusammengefasst an, er habe einen Sohn, der in Deutschland lebe, XXXX , geboren XXXX . Dieser sei ca. 2 bis 3 Monate vor den 1. – 3.BF nach Deutschland gereist. Der 1.BF wisse nicht, wo sein Sohn lebe, ebensowenig, welchen Aufenthaltsstatus er habe und was seine Fluchtgründe seien. Es könne sein, dass er auch wegen der Religion geflüchtet sei.

Der 1.BF habe ein Geschäft im Bazar in XXXX gehabt, das geschlossen sei. Er habe auch 2 – nun leerstehende – Wohnungen. Die 2. BF und die 3.BF hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Der 1.BF sei im Iran konvertiert. Er habe 4 Jahre davor einen Stoffverkäufer kennengelernt, der ihm eine Bibel gegeben habe und über den er sodann an Hauskirchen teilgenommen habe. Er habe beginnend mit Jänner 2018 ca. sieben Monate lang einmal pro Woche eine Hauskirche besucht, insgesamt ca. 26 Mal. Er habe dort innere Ruhe gekommen.

Am Donnerstag dem 09.08.2018 seien zwei Beamte in Zivilkleidung in sein Geschäft gekommen und hätten ihn festgenommen, ins Gefängnis gebracht und 2 bis 3 Tage inhaftiert. Er sei körperlich und geistig gefoltert worden. Sie hätten wissen wollen, ob er zum Christentum konvertiert sei. Er habe das verneint. Sie hätten auf ihn gespuckt, ihn beschimpft und geschlagen. Am dritten Tag, am Sonntag, sei er freigelassen worden. Er sei über den Rat seines Bruders sodann nach Shahin Shahr und nicht nach Hause gefahren. Seine Frau habe ihn am nächsten Tag kontaktiert und ihn darüber informiert, dass Zivilbeamte zu Hause seinen PC und seine Bibel mitgenommen hätten. Seine Frau sei auch geschlagen worden. Sie hätten nach ihm gefragt und seine Frau damit bedroht, auch sie zu verhaften, wenn er sich nicht stelle. Am nächsten Tag habe der Bruder seiner Frau angerufen und gesagt, dass Herr XXXX , der den 1.BF zum Christentum gebracht habe, auch verhaftet worden sei. Der 1.BF sei Protestant und habe jetzt Freude am Leben, früher habe er eine Leere gefühlt. Er bete, lerne seine neue Religion und richte sein Leben nach der Lehre Jesu und der Bibel aus. Er sei in Grundversorgung und besuche einen Deutschkurs.

Mit Bescheinigung der Baptistengemeinde XXXX vom 12.01.2019, unterfertigt von Pastor XXXX , wurde dem 1.BF „bestätigt, dass dieser seit Oktober 2018 zusammen mit seiner Frau und Tochter die Baptistengemeinde besuche, der 1.BF den Islam abgelehnt habe, den persisch-sprachigen Gottesdienst besuche und dem Pastor gesagt habe, dass er an Jesus glaube.“

Die 2.BF gab im Rahmen ihrer Erstbefragung am 24.09.2018 über „weitere Familienangehörige im Herkunftsstaat oder anderen Drittstaaten“ die Namen der Eltern, von zwei Brüdern und zwei Schwestern an. Über Frage nach „Familienangehörigen in Österreich oder einem EU-Staat mit Status“ gab sie lediglich den Namen des Ehemanns und der Tochter an. Ihr Fluchtgrund sei identisch mit dem ihres Mannes. Ihr Mann habe alles gemacht.

Die 2.BF gab am 16.01.2019 vor dem BFA zusammengefasst an, sie habe keine eigenen Fluchtgründe, ebensowenig wie ihre Tochter. Sie habe Probleme mit ihrem rechten Arm. Bei der Durchsuchung zu Hause sei die 2.BF geschubst worden und zu Boden gefallen. Seither habe sie Probleme mit dem linken Arm, sie könne diesen nicht richtig bewegen. Sie habe einen Sohn, der sich derzeit in Deutschland aufhalte. Er sei 2 bis 3 Monate vor der Ausreise der restlichen Familie aus dem Iran ausgereist. Sie kenne seine Ausreisegründe nicht. Sie glaube, dass er auch wegen dem Christentum ausgereist sei.

Die ausdrückliche weitere Frage, ob die 2.BF - abgesehen von den mitgereisten 1.BF und der 3.BF - weitere Familienangehörige oder Verwandte in Österreich oder im EU-Raum habe, verneinte sie. Lediglich der Bruder ihres Mannes befinde sich in Australien.

Der 1.BF sei konvertiert. Die Wohnung sei durchsucht worden. An diesem Tag sei die 2.BF alleine zuhause gewesen. Man habe sie geschubst und sie sei auf ihren rechten Arm gefallen. Man habe ihr gesagt, man werde ihren Ehemann erwischen, egal wo er sich befinde. Man habe bei der Durchsuchung der Wohnung die Bibel und den Computer des Ehemannes gefunden. Sie sei dann in ihr Elternhaus gegangen. Die Eltern hätten ihren Ehemann angerufen, der gesagt habe, sie sollten nach Shahin Shahr kommen. Die Tochter und sie seien sodann mit dem Taxi dorthin gefahren. Des Weiteren gab sie an, der 1.BF sei an einem Donnerstag festgenommen worden, das sei drei Tage vor der Hausdurchsuchung gewesen. Er habe eine Ohrfeige ins Gesicht bekommen. Er sei nicht verletzt worden. Über neuerliche Befragung nach dem Durchsuchungszeitpunkt gab sie diesen mit „einen Tag nach der Verhaftung ihres Ehemannes“ an. Am Donnerstag sei ihr Ehemann verhaftet worden und am Freitag sei die Wohnung durchsucht worden.

Das Interesse ihres Ehemanns für das Christentum habe vor 3 bis 4 Jahren begonnen. Er habe es ihr gesagt. Er habe Bücher gelesen und Filme über das Christentum angeschaut. Er habe aber nicht sehr oft über diese Sache mit ihr gesprochen. Sie sei verängstigt gewesen, habe gefürchtet, dass es gefährlich sei und habe gesagt, dass er das nicht tun dürfe. Sie sei dagegen gewesen. Er habe dann ständig Hauskirchen über einen Zeitraum von etwa einem Jahr besucht. Er habe sich verändert. Früher sei er sehr nervös gewesen und ständig ausgerastet. Danach habe er ständig christlichen Gebeten zugehört und habe ständig Filme über das Christentum angeschaut.

Nunmehr gingen die 1. - 3.BF jede Woche gemeinsam in die „ XXXX -Kirche“. Es gefalle mittlerweile auch der 2.BF. Die Frage, ob sie den christlichen Glauben - abgesehen davon, dass sie ihren Mann sonntags in die Kirche begleite - nunmehr praktiziere, verneinte die 2.BF. Ein Rückkehrhindernis in den Iran bestehe in der Konversion des Ehemannes.

Die 2.BF legte ein Personenstandsdokument in Kopie und Übersetzung vor, wonach der 1.BF die 2.BF am 30.12.1993 in Abadan geheiratet habe. Sie gaben an, Cousin und Cousine zu sein.

Aus verschiedenen Dokumenten (AS 119 und 125) ergeben sich betreffend den Sohn XXXX unterschiedliche Geburtsdaten, einmal XXXX ( XXXX , AS 119), einmal XXXX ( XXXX , AS 125).

Über Frage welche Religion die 2.BF und die 3.BF - ausgehend vom Befragungsdatum 16.01.2019 – verfolgten, gab die 2.BF an, „zurzeit Islam, aber sie besuchten hier auch die Kirche mit dem 1.BF.

Die 3.BF gab Rahmen ihrer Erstbefragung, damals 16-jährig, unter „weitere Familienangehörige im Herkunftsland oder anderen Drittstaat“ an, „die gesamte Familie meiner Eltern“, unter „Angaben über Familienangehörige in Österreich oder einem EU-Staat mit Status“ den 1.BF und die 2.BF. Sie wisse nur, dass sie wegen der Probleme des Vaters das Land verlassen hätten. Sie habe Angst, dass ihr Vater festgenommen und getötet werde.

Vor dem BFA gab die 3.BF am 16.01.2019 zusammengefasst an, sie wisse nicht wo ihr Bruder genau sei. Sie wisse nur, dass ihr Vater im Iran konvertiert sei. Während das Haus durchsucht worden sei, sei sie bei ihrer Oma zuhause gewesen. Sie wisse, dass ihr Vater verhaftet worden sei, das sei an irgendeinem Donnerstag gewesen. Sie habe nicht wahrgenommen, dass sich im Iran ein Interesse ihres Vaters für das Christentum entwickelt habe. Er sei aber ruhiger geworden und habe mehr auf sie geachtet. Z.B. sei der Islam in ihrer Familie so praktiziert worden, dass sie selber ständig gebetet und ab und zu gefastet habe. Das Christentum praktizierten sie nunmehr so, dass sie die Kirche besuchten und dort beteten. Herr XXXX predige für sie.

Über ausdrückliche Frage, ob die 3.BF das Christentum praktiziere, seit sie in Österreich sei, gab sie an, nein, sie gingen nur in die Kirche, sie seien noch nicht getauft. Über Frage, ob sie sich taufen lassen wolle, gab sie an, sie wisse es nicht.

Mit den bekämpften Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge auf Asyl und Subsidiärschutz ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei und setzte Fristen für die freiwillige Ausreise.

Betreffend den 1.BF erachtete die belangte Behörde die Identität als feststehend. Der 1.BF sei Angehöriger der muslimischen Religion und habe Interesse an der christlichen Religion. Die 2.BF und die 3.BF seien Angehörige der muslimischen Religion. Der 1.BF habe in seinem Herkunftsstaat keine asylrelevanten Probleme aufgrund einer Religionsangehörigkeit.

Auch betreffend die 2.BF wurde die Identität als feststehend anerkannt. Die 2.BF sei Angehörige der muslimischen Religion. Nicht festgestellt werden könne, dass sie begründete Furcht vor Verfolgung habe. Sie habe in ihrem Herkunftsstaat keine asylrelevanten Probleme aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit.

Betreffend die 3.BF wurde die Identität als nicht feststehend erachtet und festgestellt, diese habe in ihrem Herkunftsstaat keine asylrelevanten Probleme aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit. Es ergäben sich weder abgeleitet noch originär Asylgründe der 3.BF.

Begründend verwies die belangte Behörde in erster Linie auf zeitlich widersprüchliche Angaben des 1.BF und der 2.BF, die oberflächlich erscheinenden Schilderungen betreffend die Verhaftung, die nicht nachvollziehbaren Angaben, wonach aus den geschilderten Misshandlungen keine Verletzungen resultiert hätten und offenbar auch keine Nachdenkphase für einen Wechsel der Religion stattgefunden habe. Im Übrigen habe der 1.BF kaum Basiswissen über das Christentum. Der 1.BF habe die belangte Behörde mit den Angaben über seine Beweggründe für eine Zuwendung zum Christentum nicht überzeugen können und es sei nicht davon auszugehen, dass der 1.BF nachhaltig am Christentum interessiert sein werde. Er habe kein ernsthaftes Interesse am Christentum gehabt und es sei dabei lediglich darum gegangen, sich Vorteile für das Asylverfahren zu verschaffen. Das Fluchtvorbringen sei ein Konstrukt.

Gegen diese Bescheide richtet sich die verbundene Beschwerde der 1.- bis 3.BF wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften mit den erkennbaren primären Anträgen, den BF Asyl zuzuerkennen.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Nach Vorlage ergänzender Unterlagen fand am 29.06.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der die BF sowie der Zeuge XXXX vernommen und weitere Unterlagen, insbesondere Aktenstücke aus den BFA-Akten betreffend XXXX (geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX ) vorgelegt und verlesen wurden.

Durch die Aussage des Zeugen XXXX , diesem sei die Familie im Oktober 2018 vom Bruder der 2.BF, der dort Mitglied sei, empfohlen und vorgestellt worden, kamen erstmals Anhaltspunkte dafür hervor, dass weitere Familienangehörige der 2.BF bereits in Österreich lebten, als die BF nach Österreich einreisten.

Aufgrund dessen erfolgten Verlesungen von Aktenstücken aus den Asylverfahren der Brüder der 2.BF, XXXX , geboren XXXX (Erstbefragung vom 16.11.2015, Aktenvermerk betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vom 08.11.2017) sowie XXXX , geboren XXXX (Niederschrift BFA vom 24.11.2016 und AV über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vom 05.09.2017).

Der 1.- und die 2.BF legten nach der Verhandlung unvertreten ein nicht datiertes Schreiben vor, wonach sie sich „entschuldigen, dass sie nicht von Anfang an ehrlich über die Familienangehörigen gesprochen hätten“. Dies tue ihnen leid. Sie hätten Angst gehabt, dass sie sodann mit XXXX und seiner Familie zusammenleben müssten. Sie wollten mit diesem keinen Kontakt. Er sei ein unstabiler Mensch. Sie hätten auch keine Probleme für XXXX verursachen wollen. Sie hätten einen schlechten Rat befolgt.

Am 21.09.2020 langte ein Schreiben des BFA ein, womit eine Niederschrift vom 21.09.2020, aufgenommen mit XXXX , vorgelegt wurde. Dieser gab zusammengefasst an, er sei der Bruder der 2.BF und wolle dem BFA folgende Mitteilung machen: Der 1.BF sei vor ungefähr drei Jahren mit dem Flugzeug nach Serbien gekommen. Nach ein bis zwei Wochen seien sein Sohn, seine Tochter und seine Ehefrau auch mit dem Flugzeug nach Serbien gekommen. Sie wären dann etwa ein Jahr in Serbien geblieben und hätten in dieser Zeit mehrfach versucht, nach Österreich, Deutschland oder in die Niederlande zu gelangen. Dann sei es dem Sohn gelungen, aus Serbien auszureisen und danach sei es dem BF gelungen, mit der Ehefrau und der Tochter. Im Iran habe XXXX Probleme mit dem 1.BF gehabt.

Als die BF nach Österreich gekommen seien, sei der Kontakt zunächst normal gewesen. XXXX habe den BF zunächst etwa 1.200,-- € geliehen und, als er sie zurück habe wollen, habe dies zu Problemen geführt. Der 1.BF habe weiters einen Bruder, der 22 bis 25 Jahre lang in den Niederlanden gelebt habe und seit ca. 8 Jahren wieder im Iran zurück sei. Auch dieser Bruder wolle nach Österreich kommen. Dieser Bruder heiße XXXX und habe XXXX gedroht. Die BF hätten sich bei der Polizei über XXXX beschwert. XXXX habe sehr große Angst vor dem 1.BF und seiner Familie. XXXX sei in Sorge um seine Eltern, seine Familie und XXXX .

Aufgrund der Behauptungen im Rahmen der Niederschrift von 21.09.2020 vor dem BFA des dortigen Zeugen XXXX erfolgte eine weitere mündliche Verhandlung vor dem BVwG am 11.11.2020, zu der die drei BF sowie XXXX als Zeuge geladen wurden. Letztlich erfolgten lediglich Vernehmungen der BF.

Die BF brachten im Rahmen dieser Verhandlung – nach ihrer ergänzenden Aussage - ergänzend vor, von den bisherigen unrichtigen Angaben der BF in Bezug auf die Brüder der BF2 sowie den Fluchtweg (damit verbundene Detailangaben bezüglich des Fluchtvorbringens des BF1) sei nicht auf die Tatsachenwidrigkeit des gesamten Vorbringens der BF zu schließen. Im Übrigen seien die BF2 und die BF3 erst in Österreich zum Christentum konvertiert. Die BF hätten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29.06.2020 sowohl ihr Bibelwissen, die Ernsthaftigkeit ihrer Religionsausübung sowie ihre jeweilige Motivation zum Religionswechsel nachvollziehbar darlegen können. Die Aussagen des Pastors habe in allen Aspekten die Angaben der BF bestätigt, insbesondere eine Konversion aus innerer Überzeugung sowie die kirchlichen Aktivitäten.

Sollte das Gericht daher von einer Scheinkonversion ausgehen, wäre auch deren Asylrelevanz zu prüfen.

Im Übrigen sei eine Rückkehr in den Iran aufgrund der derzeitigen Gesundheits- und Versorgungslage im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie nicht zumutbar und es wäre den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten in eventu zu zuerkennen.

Insbesondere am 18.11.2020 wurden durch die BF weitere Urkunden vorgelegt.

Mit undatiertem handschriftlichen Schreiben, beim BVwG eingelangt am 30.11.2020, wandte sich XXXX neuerlich an den Richter unter Bezugnahme auf die stattgefundene Verhandlung und führte aus, der 1.BF sei im Iran arbeitslos gewesen und habe lediglich manchmal mit seinem Auto gearbeitet. Als die Visapflicht durch Serbien für Iran aufgehoben worden sei, seien zuerst er und dann seine Familie nach Serbien geflogen und nach ein paar Wochen in Belgrad nach Sid gefahren (UN Camp). Dort habe sich seine Frau an der Schulter verletzt. XXXX sei mit seiner Familie einmal mit dem Zug nach Serbien gefahren. Sie seien aber von der Grenzpolizei zurückgeschickt worden. XXXX ersuche das Gericht, die Familie der BF „in ein anderes Bundesland zu senden“, weil er und seine Familie Angst vor den BF habe.

Die Beschwerden sind nicht berechtigt:

Folgender Sachverhalt steht fest:

Aufgrund des Akteninhaltes im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:

Die für den Fall derzeit relevante Situation im Iran stellt sich wie folgt dar:

Politische Lage

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der

zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA).

Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-        Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

-        Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-        Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-        Spionage für fremde Mächte;

-        Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-        Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom

„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab- Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst,

Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU- Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

-        Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

-        Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

-        Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

-        Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht)

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

-        Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

-        Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

-        UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

-        Konvention über die Rechte behinderter Menschen

-        UN-Apartheid-Konvention

-        Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 26.2.2020) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

-        Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

-        Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

-        Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe

-        Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

-        Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2019). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition (GIZ 2.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die

Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Die Regierung unternahm wenige Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 11.3.2020).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte, insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2019). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 2020).

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 4.3.2020), oder sie müssen auf Gängen oder am Boden schlafen. Geschätzt gibt es ca. eine Viertelmillion Häftlinge (US DOS 11.3.2020). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung, in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Auch ist von mangelnder Hygiene auszugehen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.4.2020).

In den Gefängnissen wird auch von physischer und psychischer Folter berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit Häftlingen, die unter politischem Druck stehen, zu intensive Kontakte mit Ausländern pflegen, etc. Neben Elektroschocks werden u.a. Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen, Verhaftung der Familie, Einzelhaft und Schlafentzug verwendet. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 10.2019).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 26.2.2020). Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran manchmal fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in „sichere Häuser“ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen, wo sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten werden. Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 10.2019). Von Hungerstreiks in iranischen Gefängnissen wird des Öfteren berichtet, in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020).

Es ist nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern und anderweitig zu misshandeln, z. B. in Form von Einzelhaft über lange Zeiträume hinweg. Die größte Gefahr droht Inhaftierten bei Verhören. Die Behörden gingen Foltervorwürfen grundsätzlich nicht nach und zogen die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft. Folter soll zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt oder dazu beigetragen haben (AI 18.2.2020).

Todesstrafe

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren

Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. HRW 14.4.2020, AA 26.2.2020). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin (AA 26.2.2020). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 26.2.2020).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020) und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt (ÖB Teheran 10.2019) und auch (selten) gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, HRW 14.4.2020, FH 4.3.2020, HRC 28.1.2020, AI 18.2.2020). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018; vgl. AA 26.2.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2018 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter/innen hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 26.2.2020). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 10.2019). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 26.2.2020). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 4.3.2020).

Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 10.2019). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 4.3.2020) und die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen sank (AI 10.4.2019; vgl. HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, HRC 8.2.2019). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 26.2.2020). Nichtsdestotrotz hat Iran im Laufe des Jahres 2019 fast 300 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zwei jugendliche Straftäter (FH 4.3.2020).

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet, insbesondere bei „politischen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffenden Fällen. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom

„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019).

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019).

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen

–        werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha‘i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2019). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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