TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/17 W215 2168406-1

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Entscheidungsdatum

17.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W215 2168406-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Kirgisische Republik, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zahl 1135587806-161564972, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG, § 57 AsylG, in der Fassung
BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017,
§ 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin reiste problemlos legal mit einem von Griechenland ausgestellten Schengenvisum aus ihren Herkunftsstaat aus, nach Österreich ein und stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

In ihrer Erstbefragung am selben Tag gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, sie sei ledig und gehöre der Volksgruppe der Kirgisen an. Sie stamme aus XXXX und habe dort von 2008 bis 2014 die Grundschule und danach von 2014 bis 2015 die islamische Berufsschule besucht. Sie habe keinen Beruf erlernt und sei Schülerin gewesen. Ihre Eltern und ihr Bruder würden nach wie vor in XXXX leben. Sie sei am XXXX mit dem Zug von XXXX nach Moskau gereist und danach mit einem Mikrobus über unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Ihre Mutter habe alles organisiert, sie könne nichts Genaueres über die Schleppung angeben. Zu ihren Fluchtgründen führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass ihre Großeltern väterlicherseits bestimmt hätten, dass sie 2014 in eine muslimische Berufsschule gehen solle. Sie sei dann ca. ein Jahr dort hingegangen, habe die Schule aber nicht weiter besuchen wollen, da sie dort fünfmal am Tag hätte beten müssen. Ihre Großeltern hätten gewollt, dass sie mit einem älteren muslimischen Mann zwangsverheiratet werde. Ihre Mutter und die Beschwerdeführerin hätten das nicht gewollt und ihre Mutter habe daraufhin ihre Ausreise organisiert. Im Fall einer Rückkehr habe die Beschwerdeführerin Angst um ihr Leben.

Erst nach einem Abgleichsbericht zur VIS-Abfrage kam hervor, dass der Beschwerdeführerin von der griechischen Botschaft in Astana ein Schengenvisum für eine einmalige Einreise im Zeitraum vom XXXX für neun Tage zum Zwecke einer medizinischen Behandlung erteilt worden war. Auf Ersuchen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl übermittelte die griechische Botschaft mit Schreiben vom XXXX die von der Beschwerdeführerin im Visaverfahren vorgelegten Unterlagen (Einladungsschreiben des „European Interbalkan Medical Center“, Antragsformular für ein Schengenvisum für Griechenland, Reiseversicherung, Kopie des Reisepasses, Schulbesuchsbestätigung, Arbeitsbestätigung der Mutter der Beschwerdeführerin samt Kopie ihres Reisepasses, ihrer Kontobestätigung und einem Sponsorenschreiben, wonach sie für alle Kosten der Tochter in Griechenland aufkomme, Hotelvoucher und Flugtickets für die Beschwerdeführerin und ihre Mutter, Personalausweis und Vollmacht des Vaters der Beschwerdeführerin, wonach die Mutter für die Dauer des Auslandsaufenthaltes die Obsorge über die Beschwerdeführerin ausübe und ärztliche Bestätigung des Nationalkrankenhauses der Republik Kirgisistan, wonach die Beschwerdeführerin am XXXX wegen einer Narbendeformation infolge einer Brandwunde an der Innenhandfläche der linken Hand vorstellig worden sei).

Am 16.02.2017 wurde die Beschwerdeführerin im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt. Dabei gab sie zu ihren Lebensumständen zusammengefasst an, dass sie in XXXX geboren sei. Sie habe sieben Jahre lang eine deutsche Schule besucht und sei danach zwei Jahre in eine muslimische Schule gegangen. Ihre Eltern und ihr Bruder würden in XXXX leben, weiters habe sie ihre Großeltern sowie Onkel und Tanten im Herkunftsstaat. Ihre wirtschaftliche/finanzielle Situation sei gut gewesen und es habe ihnen an nichts gefehlt. Ihre Eltern hätten nicht gearbeitet, wie sie den Lebensunterhalt finanziert hätten, wisse die Beschwerdeführerin nicht. Auf Vorhalt, wonach ihre Eltern vor mehreren Jahren einen Asylantrag in Österreich gestellt hätten, gab die Beschwerdeführerin an, sie wisse die Gründe dafür nicht. Sie habe keinen Kontakt zu ihrer Familie, ihre Mutter habe ihr gesagt, dass sie keinen Kontakt haben solle. Die Beschwerdeführerin sei illegal nach Österreich eingereist und könne zu der Organisation der Reise nichts Näheres angeben, das habe alles ihre Mutter gemacht. In Griechenland sei die Beschwerdeführerin nie gewesen, ihre Mutter habe sie nach Österreich geschickt. Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, dass ihre Großeltern väterlicherseits sehr religiös seien und die Beschwerdeführerin gezwungen hätten, in eine muslimische Schule zu gehen. Es sei für die Beschwerdeführerin wie ein Gefängnis gewesen, sie habe mehrmals am Tag beten und einen Hijab tragen müssen. Nachdem sie sich gegen diese Regeln gewehrt und auch schlechte Beziehungen zu ihren Mitschülerinnen gehabt habe, habe ihr Großvater die Beschwerdeführerin von der Schule genommen und gesagt, dass sie heiraten müsse. Die Beschwerdeführerin sei damit nicht einverstanden gewesen und daraufhin habe er sie verprügelt. Ihre Eltern seien zwar auf ihrer Seite gewesen, aber ihre Großeltern hätten nicht auf ihre Eltern gehört. Ihr Vater sei krank und ihre Mutter sei nur die Schwiegertochter und habe sich unterordnen müssen. Deswegen habe die Mutter der Beschwerdeführerin beschlossen, die Beschwerdeführerin hierher zu schicken. Die Beschwerdeführerin wolle auf keinen Fall zurück, ihre Großeltern würden sie umbringen, weil sie die Heirat abgelehnt und Schande über sie gebracht habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zahl 1135587806-161564972, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kirgisistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Kirgisistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zahl 1135587806-161564972, zugestellt am 18.07.2017, erhob die Beschwerdeführerin am 16.08.2017 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass ihr alkoholabhängiger Vater nicht in der Lage gewesen sei, sich ausreichend um die Beschwerdeführerin zu kümmern und ihr Großvater Entscheidungen über ihr Leben getroffen habe, mit die Beschwerdeführerin nicht einverstanden gewesen sei. Aufgrund der ihr auferlegten religiösen Einschränkungen und Zwänge sei die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland in asylrelevanter Weise aus religiösen Gründen verfolgt worden. Da sie sich den Anordnungen ihres Großvaters widersetzt habe, fürchte sie bei ihrer Rückkehr getötet zu werden, da sie nach islamischen Wertvorstellungen Schande über ihre Familie gebracht habe.

2. Die Beschwerdevorlage vom 22.08.2017 langte am 23.08.2017 im Bundesverwaltungsgericht ein.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 31.08.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen die Beschwerdeführerin und ihr Vertreter. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich bereits in der Beschwerdevorlage für die Verhandlung entschuldigt. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Die Beschwerdeführerin und ihr Vertreter verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

Am 10.09.2020 langte ein mit 08.09.2020 datierte schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin im Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie ist Staatsangehörige der Republik Kirgisistan, gehört dem moslemischen Glauben und der Volksgruppe der Kirgisen an. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Kirgisisch, sie spricht darüber hinaus sehr gut Russisch. Die Beschwerdeführerin wurde in XXXX geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise im XXXX mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder im gemeinsamen Haushalt. Die Beschwerdeführerin besuchte von XXXX und war anschließend zwei Jahre in einer weiterführenden Schule.

b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:

Die Beschwerdeführerin reiste als Minderjährige problemlos legal mit ihrem kurz davor ausgestellten kirgisischen Reisepass aus ihrem Herkunftsstaat mit einem XXXX gültigen griechischen Schengenvisum aus und stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zahl 1135587806-161564972, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kirgisistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Kirgisistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 18.07.2017, erhob die Beschwerdeführerin am 16.08.2017 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde.

c) Zu den Asylgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie in der Kirgisischen Republik von ihrem Großvater gezwungen werden sollte, einen 20 Jahre älteren Mann zu heiraten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr Gewalt durch ihren Großvater ausgesetzt wäre.

d) Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in die Kirgisischen Republik Opfer von Brautraub würde.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer XXXX und befindet sich deswegen seit XXXX

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der Kirgisischen Republik ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit droht oder sie Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und sie in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation gerät. Die Beschwerdeführerin verfügt über Schulbildung und hat nach wie vor zahlreiche enge Familienangehörige in der Kirgisischen Republik, darunter ihre Eltern und ihren Bruder. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr wieder bei ihrer Familie Unterkunft finden kann und sie diese beim Aufbau einer Existenz unterstützen werden.

e) Zum Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich:

In Österreich leben keine Familienangehörigen der alleinstehenden, kinderlosen Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin besuchte XXXX , in Österreich mehrere Deutschkurse, absolvierte am XXXX eine Deutschprüfung A2 und bestand am XXXX die Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte sich die Beschwerdeführerin fließend in Deutsch ausdrücken, verstand aber noch nicht alles.

Die Beschwerdeführerin schloss am XXXX die Übergangsstufe an einer XXXX mit geringen Kenntnissen der Unterrichtsprache Deutsch – mit nur einem „befriedigend“ in Ethik, drei „genügend“, vier „nicht genügend“ bzw. „keiner Beurteilung“ in Mathematik - ab und besuchte von XXXX einen Pflichtschulabschlusskurs; die Abschlussprüfung vom XXXX bestand sie mit einem „sehr gut“ in Kreativität und Gestaltung, einem „befriedigend“ in Gesundheit und Soziales und „genügend“ jeweils in Deutsch, Englisch und Mathematik. Laut Jahreszeugnis einer XXXX , schloss die Beschwerdeführerin die erste Klasse mit vier „nicht genügend“ ab und brach danach ihre Ausbildung ab.

Die Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über soziale Kontakte und unterstützt in ihrer Unterkunft andere dabei, keine ungesunden Lebensmittel einzukaufen, es liegen jedoch keine besonderen Abhängigkeitsverhältnisse zu Personen in Österreich vor und sind allfällige freundschaftlichen Beziehungen zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich die Beschwerdeführerin ihrer unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein musste. Die Beschwerdeführerin war von XXXX insgesamt 18 Stunden ehrenamtlich in einem Betreuungszentrum tätig und absolvierte im August 2020 44 Stunden ein Praktikum in einer Seniorenbetreuung. Sie legte eine mit 18.02.2020 datiert Bestätigung einer Zusage einer Arbeitsstelle, ohne Angaben der Art der Beschäftigung oder der Höhe des Gehalts und unter der Bedingung einer Arbeitserlaubnis, vor und lebt seit ihrer Einreise bzw. nach wie vor von der Grundversorgung.

f) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:

Politische Lage

Die Kirgisische Republik hatte im Juli 2020 mehr als 5,9 Millionen Einwohner (CIA Factbook letztes update 24.11.2020). Kirgisistan ist ein Binnenstaat in Zentralasien mit einer Fläche von 199.722 Quadratkilometern. Es grenzt im Norden an Kasachstan, im Südosten an China, im Süden an Tadschikistan und im Westen an Usbekistan (LIP Überblick letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

Kirgisistan ist seit 1991 unabhängig und seit 2010 eine parlamentarische Republik. Die Republik ist in acht Verwaltungsbereiche gegliedert, davon sieben Regionen: Tschui, Issyk-Kul, Talas, Naryn, Osch, Dschalalabat, Batken und die Hauptstadtregion Bischkek. Dschogorku Kenesch (deutsch „Oberster Rat“) ist das Parlament im Einkammersystem von Kirgisistan. In das Parlament werden 120 Abgeordnete für jeweils fünf Jahre nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Die Zahl der Abgeordneten pro Partei ist seit 2010 auf 65 beschränkt. Die aktuelle Regierungskoalition besteht aus vier Parteien und umfasst 94 von 120 Abgeordneten. Wahlen und Machtwechsel finden regelmäßig statt, ab Juni 2020 amtiert der neunte Premierminister seit 2011, K. Boronow (AA Steckbrief politisches Porträt 28.09.2020, abgefragt am 10.12.2020). Die neue Verfassung vom Juni 2010 definiert die Kirgisische Republik als einen unabhängigen, demokratischen, säkularen, unitären und sozialen Staat. Mit der Verfassungsänderung, die im Juni 2010 in einem Referendum mit großer Mehrheit bestätigt wurde, ist Kirgisistan die erste parlamentarische Demokratie Zentralasiens (LIP Geschichte und Staat letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

Die offizielle Verkündung des Wahlsiegs von zwei regierungsnahen Parteien bei der Parlamentswahl am 04.10.2020 löste Unruhen und eine politische Krise aus. Elf andere Parteien erkannten das Ergebnis nicht an. Tausende Menschen demonstrierten in Bischkek und anderen Städten des Landes gegen Wahlfälschungen und für einen Austausch der politischen Elite. Demonstranten befreiten am 06.10.2020 mehrere Politiker, u.a. den ehemaligen Präsidenten Almasbek Atambajew, aus dem Gefängnis und drangen in Regierungsgebäude ein. Die Wahlkommission annullierte inzwischen das Wahlergebnis. Das Staatliche Komitee für Nationale Sicherheit erklärte, der ehemalige Präsident sei erneut festgenommen worden (BAMF 12.10.2020).

Präsident war Sooronbaj Dscheenbekow, sein Amtsantritt war am 24.11.2017. Premierminister ist Kubatbek Boronow, sein Amtsantritt war am 16.06.2020 (AA Steckbrief Stand 28.09.2020, abgefragt am 10.12.2020). Kirgisistan hatte am 15.10.2017 einen neuen Präsidenten gewählt, der als das fünfte Staatsoberhaupt in der kirgisischen Geschichte das Land regiert. Der neue Präsident hieß Sooronbaj Dscheenbekow und hatte im Amt seinen Vorgänger Almasbek Atambajew abgelöst. In Kirgisistan wird der Präsident einmalig für eine sechsjährige Amtszeit gewählt. Sooronbaj Dscheenbekow hatte die Wahlen mit 54 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich entschieden. Von Anfang an galt er als der politische Verbündete Atambajews und versprach, den durch seinen Vorgänger gegangenen Weg weiter zu führen (LIP Geschichte und Staat letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020). Angesichts gewaltsamer Unruhen nach der Parlamentswahl vom 04.10.2020 verkündete Präsident Sooronbai Scheenbekow am 15.10.2020 seinen Rücktritt. Nachdem zwei regierungsnahe Parteien zu den Siegern der Parlamentswahl erklärt worden waren, entstanden aus Protesten gegen Wahlfälschungen gewaltsame Unruhen. Hunderte Personen wurden daraufhin bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden verletzt. Das Parlament stimmte am 16.10.2020 der Übertragung der präsidentiellen Kompetenzen auf Ministerpräsident Sadyr Schaparow zu. Dieser war bei den Protesten aus dem Gefängnis befreit und vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Zudem hob das Parlament den zuvor über die Hauptstadt Bischkek verhängten Ausnahmezustand auf. Die Zentrale Wahlkommission gab den 17.01.2021 als vorläufigen Termin für eine neue Wahl bekannt (BAMF 19.10.2020).

Im Zuge der gewaltsamen Unruhen und politischen Krise infolge der umstrittenen Parlamentswahl kündigte die Zentrale Wahlkommission für den 20.12.2020 die Wiederholung der Parlamentswahl und für den 10.01.2021 eine vorgezogene Präsidentschaftswahl an. Interimspräsident Sadyr Schaparow, der bei den Protesten aus dem Gefängnis befreit worden war, darf auf Grund seiner kommissarischen Ausübung des Präsidentenamts gemäß der Verfassung nicht bei dieser Wahl kandidieren (BAMF 26.10.2020).

Am 22.10.2020 verabschiedet das Parlament in erster Lesung eine Änderung der Wahlgesetzgebung: Die Sperrklausel für den Einzug ins Parlament wird von sieben auf drei Prozent heruntergesetzt und die Gebühr zur Wahlregistrierung wird verringert. Außerdem wird ein Gesetz verabschiedet, das den Termin für die Neuwahlen am 20.12.2020 aufhebt und diese erst nach der Verabschiedung aktuell geplanter Verfassungsänderungen ermöglicht. Demnach soll spätestens bis zum 21.01.2021 eine Verfassungsreform erfolgen, Neuwahlen sollen bis zum 01.06.2021 angesetzt werden. Das Parlament streicht außerdem das „Formblatt 2“ aus der Wahlgesetzgebung, mit dem es Bürgern bisher möglich war, außerhalb des eigenen Wahlbezirkes abzustimmen. Am 24.10.2020 terminiert die Zentralen Wahlkommission (CEC) die Wiederholung der Parlamentswahlen auf den 20.12.2020. am 28.10.2020 wurden Interimspräsident Dschaparow und die neue Regierung im Parlament vereidigt. Am 04.11.2020, nach der Nominierung von Kanatbek Isajew als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen am 10.01.2021 durch die Partei „Kirgistan“, tritt dieser von seinem Amt als Parlamentssprecher zurück. Der Abgeordnete Talant Mamytow (Respublika), der als Vertrauter Dschaparows gilt, wird daraufhin zum neuen Parlamentssprecher gewählt. Isajew ist der siebte Politiker, der seine offizielle Kandidatur für das Amt des Präsidenten bekannt gegeben hat. Am 14.11.2020 reicht Sadyr Dschaparow seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl bei der CEC ein. Sadyr Dschaparow trat zugunsten seiner Kandidatur für die anstehende Präsidentschaftswahl offiziell von seinen Ämtern als Interimspräsident und Premierminister zurück. Parlamentssprecher Talant Mamytow übernimmt die Interimspräsidentschaft, der erste stellvertretende Premierminister Artem Nowikow übernimmt das Amt des kommissarischen Premierministers. Am 18.11.2020 legt das Parlament der Öffentlichkeit einen Gesetzesvorschlag zur Änderung der Verfassung vor, über den am 10.01.2021, dem Tag der Präsidentschaftswahl, per Referendum abgestimmt werden soll. Der Vorschlag sieht u.a. die Einführung eines semi-präsidialen Regierungssystems vor, in dem der Präsident eine vom Konsens des Parlamentes abhängige Regierung einsetzt. Außerdem wird eine Kurultai genannte Volksversammlung als „höchstes beratendes Organ der Volksherrschaft“ bestimmt. Bereits kurz nach Veröffentlichung zieht der Vorschlag in den sozialen Medien und vonseiten der Opposition umfassende Kritik auf sich. Nach Ablauf der Frist und der Prüfung der eingereichten Dokumente auf Gültigkeit hat die CEC am 24.11.2020 47 Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 10.01.2021 registriert (ZA 04.12.2020).

(AA, Auswärtiges Amt, Kirgisistan, politisches Porträt, Stand 28.09.2020, abgefragt am 10.12.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kirgisistan-node/politisches-portrait/206926

LIP, Das Länder-Informations-Portal, Kirgisistan, Überblick, letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020, https://www.liportal.de/kirgisistan/ueberblick

CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Kirgisistan, letztes update 24.11.2020 abgefragt am 10.12.2020, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kg.html

LIP, Das Länder-Informations-Portal, Kirgisistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020, https://www.liportal.de/kirgisistan/geschichte-staat AA, Auswärtiges Amt, Kirgisistan, Steckbrief, Stand 28.09.2020, abgefragt am 10.12.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kirgisistan-node/steckbrief/206736

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 12.10.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2039327/briefingnotes-kw42-2020.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 19.10.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040305/briefingnotes-kw43-2020.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 26.10.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040307/briefingnotes-kw44-2020.pdf

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 144, 04.12.2020, https://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen144.pdf)

Sicherheitslage

Im Wahljahr 2017 erlebte Kirgisistan einen Anstieg konfrontativer, konfliktanfälliger Politik, mit dem damaligen Präsidenten Atambajew und seinem Team gegenüber Anwärtern, die gegen den Präsidenten und den von ihm bevorzugten Kandidaten, antraten. Nach der Wahl setzte sich die Konfrontationsdynamik fort. Sie wurde jedoch viel eingeschränkter, ohne viele Unterstützer auf beiden Seiten und meist auf Elitegruppen von Unterstützern beschränkt. Weder vor noch nach den Wahlen wurden die politische Konfrontation gewalttätig. Stattdessen wurden politische Konfrontation über Rechtsstreitigkeiten, Gerichtsverfahren und legale politische Kanäle der Anfechtung fortgesetzt (BTI 2020).

Bei einem Schusswechsel über die kirgisisch-tadschikische Grenze hinweg kam am 06.08.2020 ein tadschikischer Dorfbewohner ums Leben. Vertreter beider Staaten berichteten, dass zudem ein kirgisischer Grenzbeamter bei dem Schusswechsel verwundet wurde. Seit Jahren kommt es wiederholt zu Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen im Grenzgebiet beider Staaten. Im Mai 2020 wurden mehrere Personen bei grenzüberschreitenden Zusammenstößen verwundet (BAMF 10.08.2020).

Mit 11.05.2020 wurde der aufgrund der Corona-Pandemie bestehende Ausnahmezustand in Kirgisistan aufgehoben. Trotz Aufhebung des Ausnahmezustands sind weiterhin Regelungen und damit verbundene Einschränkungen des Allgemeinen-Lebens zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Kraft. Nach den Parlamentswahlen am 04.10.2020 kam es in Bischkek und anderen größeren Städten des Landes zu Demonstrationen mit teilweise gewalttätigen Ausschreitungen. Weitere Demonstrationen bzw. Ausschreitungen können nicht ausgeschlossen werden. Reisenden wird empfohlen, Stadtzentren, Plätze, große Straßen und touristische Sehenswürdigkeiten in den Städten sowie Menschenansammlungen jedenfalls zu meiden. Zusätzlich wird empfohlen, Nachrichten und Medien für aktuelle Informationen zur Situation im Land sorgsam zu verfolgen. Im gesamten Land können aufgrund innenpolitischer und sozialer Spannungen Unruhen sowie insbesondere im Süden ethnische Konflikte zwischen Kirgisen und Usbeken auftreten. Es besteht die Gefahr terroristischer Angriffe. Demonstrationen und Protestaktionen, auch mit Gewaltanwendung sind jederzeit möglich. Es wird dringend geraten, sich von Menschenansammlungen und politischen Kundgebungen fernzuhalten Aufgrund der gestiegenen Kriminalität wird landesweit zu besonderer Vorsicht geraten und empfohlen, nach Einbruch der Dunkelheit nicht unterwegs zu sein (BMEIA Stand 10.12.2020).

Gewalt- und Bandenkriminalität mit Raubüberfällen und Taschendiebstählen haben auch Ausländer an hoch frequentierten Orten zum Ziel. In der bei Dunkelheit teilweise schlecht beleuchteten Hauptstadt Bischkek ist es in der Vergangenheit gelegentlich zu Überfällen gekommen. Kriminelle haben sich vereinzelt als Polizisten in Uniform oder in Zivil ausgegeben. Vereinzelte Sexualdelikte wurden besonders aus abgelegenen Gebieten gemeldet. Überlandfahrten bei Nacht sind wegen der teilweise sehr schlechten Straßen, Erdrutschen, dem häufig unsicheren technischen Zustand der am Verkehr teilnehmenden Fahrzeuge und dem wechselhaften Klima (Kälteeinbrüche) schwierig und gefährlich. Die schlechten Straßenverhältnisse landesweit und die von westeuropäischen Verkehrsgewohnheiten abweichende Fahrweise bedeuten eine generell erhöhte Unfallgefahr im Straßenverkehr. Dies gilt auch für die vielbefahrene Strecke Bischkek-Almaty. Taxis sind in Bischkek günstig und können telefonisch bestellt werden (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 10.12.2020).

Nach den inzwischen annullierten Parlamentswahlen vom 04.10.2020 führten anfangs friedliche Proteste in der Nacht auf den 06.10.2020 in der Hauptstadt Bischkek und anderen größeren Städten zu Auseinandersetzungen von Demonstranten und Sicherheitskräften mit zahlreichen Verletzten. Auch wenn die Sicherheitslage seither weitestgehend ruhig geblieben ist, kann es im Stadtzentrum von Bischkek nach wie vor sporadisch zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen kommen. Gewaltsame Zusammenstöße, beispielsweise im Rahmen von Demonstrationen im Zusammenhang mit innenpolitischen Entwicklungen in Kirgisistan, können im gesamten Land nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt insbesondere auch in den Grenzregionen zu Usbekistan und Tadschikistan, wo es auch noch Landminen gibt. Anfang August 2019 kam es in Koi Tash bei Bischkek zu Konfrontationen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Insbesondere im Süden des Landes gibt es islamistische Gruppierungen mit potenziell terroristischer Ausrichtung. Anschläge auch auf westliche Einrichtungen sind nicht auszuschließen. Ende August 2016 war die chinesische Botschaft in Bischkek Ziel eines Selbstmordattentats (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 10.12.2020).

Im Zuge der gewaltsamen Unruhen und politischen Krise infolge der umstrittenen Parlamentswahl kündigte die Zentrale Wahlkommission für den 20.12.2020 die Wiederholung der Parlamentswahl und für den 10.01.2021 eine vorgezogene Präsidentschaftswahl an. Interimspräsident Sadyr Schaparow, der bei den Protesten aus dem Gefängnis befreit worden war, darf auf Grund seiner kommissarischen Ausübung des Präsidentenamts gemäß der Verfassung nicht bei dieser Wahl kandidieren (BAMF 26.10.2020).

(AA, Auswärtiges Amt, Kirgisistan, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 18.11.2020, Stand 10.12.2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kirgisistan-node/kirgisistansicherheit/206738

BTI, Bertelsmann Stiftung, Kirgisistan, Länderbericht, 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-dashboard-KGZ.html

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 10.08.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2035733/briefingnotes-kw33-2020.pdf

BMEIA, Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten, Kirgisistan (Kirgisische Republik), unverändert gültig seit 09.10.2020, Stand 10.12.2020, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/kirgisistan

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 26.10.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040307/briefingnotes-kw44-2020.pdf)

XXXX Justiz

Seit der Unabhängigkeit des Landes hat sich das Rechtssystem grundlegend gewandelt und ist durch permanente Neuerungen gekennzeichnet. Das Justizministerium der Kirgisischen Republik stellt Neuerungen in der Rechtsentwicklung in kirgisischer und russischer Sprachfassung der jeweiligen Gesetze, Erlasse (Ukase) und Verordnungen mit kurzer Darstellung der Entwicklung zur Verfügung. Entsprechendes bieten auch kommerzielle Anbieter an, z.B. Toktom. Eine (mehrmonatliche) Chronik der Rechtsentwicklung bietet die Zeitschrift für Wirtschaftsrecht in Osteuropa (WiRO), eine jährliche Zusammenfassung der Schwerpunkte der Rechtsentwicklung in Kirgisistan veröffentlicht das Jahrbuch für Ostrecht (JoR [LIP Geschichte und Staat letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020]).

Der schwächste Teil innerhalb der Gewaltentrennung bleibt die Justiz. Formal ist die Justiz klar definiert, verfügt über eigene Institutionen und ist gesetzlich von anderen Bereichen staatlicher Machtausübung getrennt. Dennoch stimmen diese formalen Bestimmungen nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen überein. Die Schwäche der Justiz liegt weniger in der Bereitschaft der Richter unabhängige Entscheidungen zu treffen, sondern vielmehr an der groß angelegten Kooptation der Justiz durch Präsidentschaft und andere Bereichen der Verwaltung. Die Reform der Justiz bleibt ein fortwährender Slogan der Führung des Landes. Im Berichtszeitraum wurde die Justiz jedoch zunehmend von der politischen Führung abhängig und von dieser dominiert. Am häufigsten wird die Justiz zur Erstellung von gewünschten Urteilen in politischen Verfahren benutzt. Im Berichtszeitraum gab es eine Reihe von Verurteilungen, bei denen in eklatanter Weise Beweismittel unbeachtet blieben und die systematisch gegen Verfahrensvorschriften verstießen. Der neue Präsident machte mehrere große Ankündigungen zur Reform der Justiz, die jedoch immer noch keine positive Ergebnisse gebracht, geschweige denn die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt, haben (BTI 2020).

Viele Bürger Kirgisistans nehmen das Justizsystem als nicht unabhängig wahr. Die staatlichen Rechtsorgane orientierten sich mehr an Loyalitäts- und Patronagebeziehungen denn am Gesetz, konstatiert die Politologin Mahabat Sadyrbek. Seit dem Regierungswechsel im Frühjahr 2010 und der Verabschiedung einer neuen Verfassung unternimmt die Regierung jedoch vermehrt Anstrengungen Korruption zu unterbinden und das Justizsystem zu erneuern, wie etwa mit dem Gesetz zur Schaffung eines Rates zur Richterauswahl. Trotzdem gibt es immer wieder Berichte einseitiger Rechtsprechung wie zum Beispiel bei der Aufarbeitung des Konflikts im Süden des Landes im Juni 2010. So sollen laut Berichten 80% aller Mordanklagen in Südkirgisistan Angehörige der usbekischen Minderheit betreffen. Kirgisische Täter sollen von Anklagen wohl weitgehend unbehelligt bleiben. Auch das oft mangelnde Wissen von Bürgern und Bürgerinnen über ihre Rechte und Zugangsmöglichkeiten zum Justizwesen gerade in ländlichen Gebieten, stellen ein Problem dar (LIP Geschichte und Staat letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

Die Verfassung und Gesetz sehen eine unabhängige Justiz vor, aber die Richter sind der Beeinflussung oder Korruption ausgesetzt. Es gibt Fälle, in denen die Ergebnisse der Gerichtsverhandlungen vorherbestimmt erscheinen. Mehrere Quellen, darunter NGOs, Anwälte, Regierungsbeamte und Privatpersonen, behaupten, dass Richter Bestechungsgelder bezahlt haben, um ihre berufliche Positionen zu erreichen. Etliche Anwälte behaupten, dass Bestechung unter Richtern allgegenwärtig sei. Im Allgemeinen respektieren Behörden Gerichtsbeschlüsse. Zahlreiche NGOs beschreiben allgegenwärtige Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren, einschließlich erzwungener Geständnisse, Anwendung von Folter, Verweigerung des Zugangs zu Rechtsbeistand und Verurteilungen in Ermangelung hinreichend schlüssiger Beweise, oder trotz entlastender Beweise. Internationale Beobachter berichten von Drohungen und Gewalttaten gegen Angeklagte und Verteidiger innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals sowie von Einschüchterungen von Prozessrichtern durch Angehörige und Freunde der Opfer. Während die Gesetze Angeklagten Rechte gewähren, widersprechen Sitten und Praktiken der Justiz regelmäßig der verfassungsmäßigen Unschuldsvermutung und die Ermittlungen im Vorfeld des Verfahrens konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Sammlung ausreichender Beweise zum Nachweis der Schuld. Prozesse werden in der Landessprache Kirgisisch oder der offiziellen Sprache Russisch geführt. In der Mehrzahlt der Prozesse erfordern es die Verfahrensvorschriften, dass er Angeklagte in einer Käfigzelle sitzt. Verteidiger beschweren sich, dass Richter routinemäßig Fälle, wenn es nicht genügend Beweise gibt, an die Ermittler zurückgeben, um Schuld nachzuweisen, während dieser Zeit können Verdächtige in Haft bleiben. Richter verhängen für gewöhnlich zumindest eine bedingte Strafe (USDOS Menschenrechtslage 11.03.2020).

Am 21.10.2020 versammelten sich vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofes in Bischkek ca. 50 Unterstützer von Ex-Präsident Atambajew und verlangten eine Revision im Fall der illegalen vorzeitigen Haftentlassung des Schwerkriminellen Asis Batukajew. Atambajew wurde im Juni zu elf Jahren Freiheitsentzug verurteilt, nachdem er während seiner Tätigkeit als Präsident 2013 die frühzeitige Entlassung des u.a. wegen Mordes verurteilten Batukajew angeordnet haben soll, wonach sich dieser nach Tschetschenien abgesetzt hat. Die ärztlichen Atteste, die Batukajew Blutkrebs bescheinigten, waren gefälscht. Am selben Tag versprach Interimspräsident Dschaparow allen Beamten, die sich „durch systematische Korruption selbst bereichert haben“, eine „wirtschaftliche Amnestie“, wenn diese innerhalb der kommenden 30 Tage ihre Korruptionsschemen aufdecken und die darüber generierten Geldsummen an den Staat zurückzahlen (ZA 04.12.2020).

(LIP, Das Länder-Informations-Portal, Kirgisistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020, https://www.liportal.de/kirgisistan/geschichte-staat

BTI, Bertelsmann Stiftung, Kirgisistan, Länderbericht, 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-dashboard-KGZ.html

USDOS, United States Department of State, Bericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Kirgisische Republik, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/kyrgyzstan/

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 144, 04.12.2020, https://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen144.pdf)

Sicherheitsbehörden

Die Untersuchung allgemeiner und lokaler Straftaten fällt in die Zuständigkeit des Innenministeriums, während Verbrechen auf nationaler Ebene in die Zuständigkeit des Staatskomitees für nationale Sicherheit (GKNB) fallen, welches auch den Sicherheitsdienst des Präsidenten kontrolliert. Die Generalstaatsanwaltschaft verfolgt sowohl lokale als auch nationale Verbrechen. Sowohl lokale als auch internationale Beobachter sagen, dass GKNB und Strafverfolgungsbehörden in weit verbreitete willkürliche Verhaftungen verwickelt sind, darunter einige, die angeblich politisch motiviert sind, sowie in Misshandlung von Häftlingen und Erpressung, insbesondere im südlichen Teil des Landes. NGOs und andere Rechtsbeobachter stellen routinemäßig den Mangel an Frauen und ethnischen Minderheiten in der Polizei und in allen Regierungspositionen fest. Offiziell machen Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten (nicht kirgisische Ethnien) etwa 6% bzw. 4% der Polizeikräfte aus. Nach UN-Statistiken machen ethnische Minderheiten jedoch etwa 27% der Bevölkerung aus (USDOS Menschenrechtslage 13.03.2019).

Die Antikorruptionsabteilung des GKNB ist die einzige Regierungsbehörde, die formell befugt ist, Korruption zu untersuchen. Es handelt sich nicht um eine unabhängige staatliche Einrichtung. Die Arbeit wird aus dem Betriebshaushalt der GKNB finanziert. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist eingeschränkt. Der Staatliche Dienst zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, auch bekannt als Finanzpolizei, untersucht Wirtschaftskriminalität, zu der manchmal auch Korruptionsdelikte gehören (USDOS Menschenrechtslage 11.03.2020).

(USDOS, United States Department of State, Bericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2018,

Kirgisische Republik, 13.03.2019, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289250.htm

USDOS, United States Department of State, Bericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Kirgisische Republik, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/kyrgyzstan/)

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Folter durch Strafverfolgungsbehörden geht weiter, Straffreiheit ist die Regel. Laut Regierungsstatistiken, die an die Anti-Folter-Gruppe Voice of Freedom geschickt wurden, wurden im ersten Halbjahr 2019 171 Foltervorwürfe registriert, obwohl bisher nur ein Fall vor Gericht gestellt wurde. Nach Angaben internationaler und lokaler Gruppen trugen Änderungen des kirgisischen Strafgesetzbuches im Jahr 2019 dazu bei, den Schutz vor Folter zu stärken und die Strafen für Täter zu erhöhen (HRW 14.01.2020).

Besonders besorgniserregende Bereiche sind die Behandlung von Gefängnisinsassen und Folter. Abgesehen von einigen seltenen Fällen führen Beschwerden, die von Opfern von Folter oder auf andere Weise von Polizei- oder Gefängnisbeamten Missbrauchten eingebracht und/oder vom Ombudsmann oder dem NPM (Nationaler Mechanismus zur Verhütung von Folter) unterstützt werden, in der Regel zu keinen Verurteilungen von Beamten (BTI 2020).

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen. Berichten zufolge bleiben Misshandlungen durch die Polizei ein Problem, vor allem in Untersuchungshaft. Missbrauch durch die Polizei blieb angeblich ein Problem, insbesondere in Untersuchungshaft. Behördenvertreter sollen Personen gefoltert haben, um ihnen bei strafrechtlichen Ermittlungen Geständnisse zu entlocken. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 registrierte die Oberstaatsanwaltschaft (PGO) 171 Foltervorwürfe durch Regierungsbeamte, darunter Strafverfolgungsbehörden (127 Fälle), den Nationalen Sicherheitsdienst des Staates (drei Fälle) und andere Beamte. Infolgedessen leiteten Staatsanwälte elf Strafverfahren ein: vier Fälle von Folter und sieben Fälle von unmenschlicher Behandlung. Es gab zwei Verurteilungen in Strafverfahren gegen Beamte sowie Polizei und es gab Untersuchungen der Staatsanwaltschaft in zwei Strafverfahren. Laut Angaben der PGO wurden sieben Strafverfahren aus Mangel an Beweisen und Unwillen der Beschuldiger sich körperlichen oder psychischen Untersuchungen zu unterziehen, eingestellt. NGOs erklärten, dass die Regierung starke Folter-Überwachungsgremien eingerichtet habe, aber der Einfluss einiger Teile der Regierung die Unabhängigkeit dieser Organe gefährde (USDOS Menschenrechtslage 11.03.2020).

(HRW, Human Rights Watch World Report 2020, Kirgisistan, 14.01.2020, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/kyrgyzstan

BTI, Bertelsmann Stiftung, Kirgisistan, Länderbericht, 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-dashboard-KGZ.html

USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018,

Kirgisische Republik, 13.03.2019, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289250.htm)

Korruption

Im Jahr 2018 belegte die Kirgisische Republik im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International Platz 132 von 180 (TI 2018) und im Jahr 2019 Platz 126 von 180 (TI 2019).

Während das Gesetz strafrechtliche Sanktionen gegen Beamte vorsieht, die wegen Korruption verurteilt wurden, hat die Regierung das Gesetz nicht wirksam umgesetzt. Nach Angaben von Transparency International wurden offizielle Korruptionsfälle selektiv untersucht und verfolgt. Die Zahlung von Bestechungsgeldern zur Vermeidung von Ermittlungen oder Strafverfolgung war ein großes Problem auf allen Ebenen der Strafverfolgung. Strafverfolgungsbeamte, insbesondere im Süden des Landes, setzten häufig willkürliche Festnahmen, Folter und die Androhung von Strafverfolgung als Mittel zur Erpressung von Bargeldzahlungen von Bürgern ein. Die einzige Regierungsstelle, die befugt war, Korruption zu untersuchen, war die Antikorruptionsabteilung des Staatskomitees für nationale Sicherheit (GKNB). Dieses ist keine unabhängige staatliche Einrichtung, und ihr Haushalt verblieb im Rahmen des Funktionshaushalts des GKNB. Die staatliche Stelle im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität, auch Finanzpolizei genannt, untersucht Wirtschaftskriminalität, die manchmal in Zusammenhang mit Korruptions-Straftaten stehen (USDOS 13.03.2019).

Die Antikorruptionspolitik war eine der wichtigsten Prioritäten sowohl für den ehemaligen Präsidenten Atambajew sowie für Präsident Jeenbekow. Beide haben unaufhörlich und nachdrücklich auf der Bekämpfung von Korruption bestanden. Experten und öffentliche Wahrnehmungen deuten jedoch darauf hin, dass das Problem in den letzten Jahren nicht an Relevanz verloren hat (BTI 2020).

Die Antikorruptionsabteilung des GKNB ist die einzige Regierungsbehörde, die formell befugt ist, Korruption zu untersuchen. Es handelt sich nicht um eine unabhängige staatliche Einrichtung. Die Arbeit wird aus dem Betriebshaushalt der GKNB finanziert. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist eingeschränkt. Der Staatliche Dienst zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, auch bekannt als Finanzpolizei, untersucht Wirtschaftskriminalität, zu der manchmal auch Korruptionsdelikte gehören (USDOS Menschenrechtslage 11.03.2020).

Kirgisistan steht laut dem Corruption Perceptions Index von 2019 auf Rang 126 (von 180 Ländern) mit einem Punktwert von 30 (100 = sehr geringe Korruptionswahrnehmung). Kirgisistan zählt damit zu den Staaten mit hoher Korruptionswahrnehmung. Diese Einschätzung stützen auch Zahlen des Global Competitiveness Index 2019 des World Economic Forum, bei dem Kirgisistan in den Unterpunkten „Unabhängigkeit der Justiz“ mit 3,0 Punkten (7 = größte Unabhängigkeit) und „Korruptionsfälle“ mit 30,0 (100= keine Fälle von Korruption) deutlich im unteren Bereich der Skala liegt. Zudem ist es unter den Bürgern Kirgistans ein offenes Geheimnis, dass für eine medizinische Behandlung oder gute Noten in der Schule und an der Universität häufig Bestechungsgelder gezahlt werden müssen. Seit dem Regierungswechsel im Jahr 2010 gibt es jedoch Bemühungen die Korruption im Land zu bekämpfen. So hat sich Kirgisistan im Länderranking von Transparency International von 2019 (Platz 126 von insgesamt 180 Ländern) eindeutig verbessert. Im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten Tadschikistan (Platz 153 - Stand 2019) und Usbekistan (Platz 153 – Stand 2019) schneidet Kirgisistan etwas besser ab, im Vergleich zu Kasachstan (Platz 113 - Stand 2019) aber etwas schlechter. Im Zusammenhang mit verstärkter Korruptionsbekämpfung können die jüngsten Verhaftungen hochrangiger Politiker aufgrund von Korruptionsvorwürfen gesehen werden. Am 08.02.2018 hielt der kirgisische Präsident Sooronbaj Dscheenbekow bei der Sitzung des Sicherheitsrates eine Rede, in der er heftige Kritik gegenüber den Mitarbeitenden der Sicherheitskräfte übte. Der Präsident war unzufrieden damit, wie ineffizient die Arbeiten zur Korruptionsbekämpfung im Lande seiner Ansicht nach verliefen. Anstelle Korruption zu bekämpfen die Mitarbeiter der Sicherheitskräfte selbst korrumpiert geworden. Dscheenbekow betonte, dass er dem kirgisischen Volk versprochen habe, Korruption zu bekämpfen und dass er den politischen Willen besitze, sein Versprechen zu verwirklichen. So begann eine Reihe von Verhaftungen und Entlassungen hochrangiger und einflussreicher Politiker. Anfangs Juni nach vier Befragungen wurde der damals amtierende Premierminister Sapar Isakow für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen. Ihm wurde vorgeworfen, er habe einseitig die Interessen der chinesischen Firma TBEA bevorzugt, die für die Modernisierung des Wärmekraftwerks TETs zuständig war. Dieser Großauftrag war von verschiedenen Problemen begleitet gewesen: Nach der Modernisierung des Kraftwerks war im Januar 2018 ein Unfall passiert, der die Wärmeversorgung von Tausenden Bewohnern Bischkeks lahmlegte. Zudem war das Modernisierungsprojekt äußerst teuer gewesen (Gesamtkosten: 386 Mio. USD), und Korruptionsvorwürfe waren aufgekommen. Neben Isakow befinden sich weitere hochrangige Personen, die mit der TETs-Modernisierung zu tun hatten, in Untersuchungshaft: der ehemalige Chef der Nationalen Energie-Holding Aibek Kaliew, der frühere Minister des Energie-Sektors Osmonbek Artykbaew und der ehemalige Leiter der „Elektro-Stantsija“ AG Salaidin Abasow. Auch die ehemaligen Premierminister Dschantörö Satybaldiev und Temir Sariew wurden festgenommen bzw. verhört. Kürzlich hat ein weiterer Korruptionsskandal für Aufsehen gesorgt. Im November 2019 deckte der kirgisische Dienst von Radio Free Europe – Radio Azattyk – in Zusammenarbeit mit Journalisten von Kloop.kg und OCCRP eine millionenschwere Geldwäsche auf. Dem Bericht zufolge wurden im Laufe von fünf Jahren (2011-2016) 700 Millionen USD illegal aus Kirgisistan geschafft. Im Mittelpunkt steht eine uigurische Familie aus Xinjiang, die chinesische Waren über Kirgisistan in andere zentralasiatische Länder sowie Russland geschmuggelt hat. In Kirgisistan hat die Familie Zoll-Beamten bestochen, unter anderem den ehemaligen Vizepräsidenten der Zollverwaltung in Osch, Raimbek Matraimow. Letzterer wurde dadurch märchenhaft reich, so dass seine Frau in den Bau eines Hochhauses in Dubai investieren konnte. Des Weiteren deckten die Journalisten auf, dass Raimbek Matraimow das Eigentum seiner Frau in Dubai in seiner Steuererklärung verheimlicht hatte. Infolge des Skandals wurde in Bischkek vor dem Parlamentsgebäude demonstriert und die Verhaftung Matraimows verlangt. Matraimow hat seinerseits gegen die Journalisten von Radio Azattyk und Kloop.kg Klage eingereicht. Das Gericht hat seine Klage gutgeheißen und die Bankkonten von Radio Azattyk und Kloop.kg eingefroren. Auf staatlich-institutioneller Ebene wurde 2011 vom damaligen Präsident Atambajew ein Anti-Korruptions-Dienst (AKS) errichtet, dessen Aufgabe die Untersuchung von Korruptionsfällen bei hochrangigen Politikern und Beamten ist. Seit 2003 ist ein Gesetz zur Bekämpfung von Korruption in Kraft. Anfang 2012 verabschiedete die kirgisische Regierung eine neue Anti-Korruptions-Strategie in Partnerschaft mit dem Anti-Korruptionsnetzwerk der OECD (LIP Geschichte und Staat letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

Am 20.10.2020 wurden in Bischkek der ehemalige Leiter der Finanzpolizei, Emil Dschamgyrtschijew und der ehemalige stellvertretende Leiter der nationalen Zollbehörde, Rajimbek Matraimow, wegen des Verdachtes auf Korruption während ihrer jeweiligen Amtstätigkeiten von GKNB-Beamten festgenommen. Matraimow wurde kurz darauf freigelassen, nachdem dieser schwört Bischkek nicht zu verlassen. Nach Angaben des GKNB hat sich Matraimow außerdem bereit erklärt, den ermittelten durch ihn verursachten Haushaltsschaden in Höhe von zwei Mrd. Som (ca. 25 Mio. US-Dollar) außergerichtlich zu begleichen, wovon er 80 Mio. Som bereits gezahlt habe. Matraimow hat nach Recherchen u.a. des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) zufolge während seiner Amtstätigkeit ein transnationales Korruptions- und Schmuggelschema entwickelt, durch das illegale Einnahmen in Höhe von bis zu 700 Mio. US-Dollar am Fiskus vorbei aus Kirgistan heraus transferiert worden sein solle (ZA 04.12.2020).

(LIP, Das Länder-Informations-Portal, Kirgisistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020, https://www.liportal.de/kirgisistan/geschichte-staat BTI, Bertelsmann Stiftung, Kirgisistan, Länderbericht, 2020, https://www.bti-project.org/en/reports/country-dashboard-KGZ.html

USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018,

Kirgisische Republik, 13.03.2019, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289250.htm

TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/KGZ

USDOS, United States Department of State, Bericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Kirgisische Republik, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/kyrgyzstan/

TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/en/countries/kyrgyzstan

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 144, 04.12.2020, https://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen144.pdf)

Menschenrechte und Ombudsmann

Das einst als „Insel für Demokratie und Freiheit“ bekanntes Kirgisistan macht seit einigen Jahren Rückschläge im Bereich der Menschenrechte durch. Obwohl die kirgisische Verfassung in Artikel 16 vorschreibt, dass alle in Kirgisistan lebenden Menschen vor dem Gesetz gleich sind und dass kein Mensch aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Glauben, politischer Überzeugung, Ausbildung oder Behinderung diskriminiert werden darf, sieht die Realität häufig anders aus. Der Bericht von Amnesty-International für 2017/2018 gibt eine Reihe von Beispielen für Menschenrechtsverletzungen. Objekt von Diskriminierung ist die LGBT-Community, die durch die Organisation „Labrys-Kyrgyzstan“ mit Sitz in Bischkek vertreten wird. Weil Homosexualität in der kirgisischen Gesellschaft ein Tabu ist, werden Labrys-Mitglieder und Homosexuelle oft diskriminiert, beleidigt, bedroht oder sogar körperlich angegriffen. Den bekannten Menschenrechtsaktivisten Asimdschan Askarow beschuldigt die kirgisische Regierung an den Unruhen 2010 teilgenommen und einen Polizisten ermordet zu haben. Nach zehn Gerichtsverhandlungen wurde Askarow im Januar 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt. Amnesty International hingegen spricht im Falle Askarow von einem politischen Gefangenen und hat im Februar 2017 während des Besuchs des damaligen Präsidenten Atambajew in Brüssel demonstriert. Die sofortige Freilassung Askarows fordert auch das UN Human Rights Committee (LIP Geschichte und Staat letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

Das Büro des Ombudsmannes agierte als unabhängiger Anwalt für Menschenrechte im Namen von Privatpersonen und NGOs und ist befugt, Fälle für eine gerichtliche Überprüfung zu empfehlen. Beobachter berichteten von einer die Atmosphäre der Straflosigkeit rund um die Sicherheitskräfte und deren Fähigkeit unabhängig gegen Bürgern vorzugehen reduzierte die Anzahl und Art der Beschwerden, die beim Büro des Ombudsmannes eingereicht wurden. Obwohl das Büro des Ombudsmannes auch deswegen existiert um, Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen entgegenzunehmen und die Beschwerden zur Untersuchung an die zuständigen Stellen weiterzuleiten, stellten sowohl nationale als auch internationale Beobachter die Effizienz des Büros in Frage (USDOS Menschenrechtslage 11.03.2020).

(LIP, Das Länder-Informations-Portal, Kirgisistan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020, https://www.liportal.de/kirgisistan/geschichte-staat

USDOS, United States Department of State, Bericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Kirgisische Republik, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/kyrgyzstan/)

Todesstrafe

Die Gesetze der Kirgisische Republik sehen keine Todesstrafe vor (AI 10.04.2019).

(AI, Amnesty International, Death Sentences and Executions 2018, 10.04.2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5098702019ENGLISH.PDF)

Religion

In der Sowjetunion war die Ausübung religiöser Praktiken fast nur im Versteckten möglich. In den größeren Städten Kirgisistans, wie Bischkek, Osch oder Karakol, gab es zwar jeweils eine zentrale Moschee und eine russischorthodoxe Kirche, doch nur ältere Leute konnten es sich erlauben, dort zu beten ohne Konsequenzen für ihre Arbeit oder ihre Familie fürchten zu müssen. Vor 1991 gab es 39 Moscheen und 25 Russisch- Orthodoxe Kirchen im ganzen Land. Seit der Unabhängigkeit gilt Religionsfreiheit als gesetzlich verbrieftes Recht, das je nach religiöser Gruppe eine relativ offene Religionsausübung ermöglicht. Heute bekennen sich 75% der Bevölkerung formal zum Islam und circa 20% zur russisch-orthodoxen Kirche. Laut der „Staatlichen Agentur für religiöse Angelegenheiten“ gibt es heute 1.648 Moscheen und 46 orthodoxe Kirchen. Neben muslimischen und orthodoxen Glaubensgemeinschaften existieren weitere religiöse Gruppen, wie protestantische, katholische und jüdische Glaubensgemeinschaften, sowie eine kleine buddhistische Gruppe. Ungefähr 1.800 islamische und 300 christliche Organisationen sind in Kirgisistan aktiv. Radikal-islamische Organisationen wie Hizb-ut Tahrir oder die Islamische Bewegung Usbekistans (IMU) sind verboten und agieren im Untergrund (LIP Gesellschaft letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

Die Verfassung garantiert die Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht, eine Religion einzeln oder gemeinsam mit anderen Personen auszuüben oder nicht auszuüben sowie das Recht auf Verweigerung der Darlegung der eigenen religiösen Ansichten. Die Verfassung verbietet Handlungen, die zum religiösem Hass aufstacheln. Die Verfassung legt eine Trennung von Religion und Staat fest. Sie verbietet die Gründung religiös begründeter politischer Parteien und die Verfolgung politischer Ziele durch religiöse Gruppen. Die Verfassung verbietet die Etablierung einer Religion als Staats- oder Pflichtreligion. Die kirgisischen Gesetze besagen, dass alle Religionen und religiösen Gruppen gleich sind. Sie verbieten „beharrliche Versuche, Anhänger einer Religion zu einer anderen zu bekehren“ und „illegale missionarische Aktivitäten“, definiert als missionarische Tätigkeit von Gruppen, die nicht bei der Staatlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten (SCRA) registriert sind. Sie verbieten die Beteiligung von Minderjährigen an organisierten, religiösen Gruppen, die Proselytismus, d.h. beharrlich versuchen andere zu bekehren, oder illegale missionarische Tätigkeiten betreiben, es sei denn, ein Elternteil erteilt schriftliche Zustimmung (USDOS Religionsfreiheit 10.06.2020).

Kirgisistan gilt laut Einschätzung mancher Experten als das Land in Zentralasien, in dem die Islamisierung am schnellsten voranschreitet. Wer das Straßenbild der Hauptstadt Bischkek Ende der 90er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Jahr 2014 vergleicht, dem springt sofort ins Auge, dass sich die religiöse Landschaft in Kirgisistan verändert. Neben jungen Mädchen in Miniröcken sieht man immer mehr Frauen, die den Hijab tragen der Haar und Hals vollständig bedeckt. Noch gibt es ein gelassenes Nebeneinander der verschiedenen Lebensstile und die Zahl der Frauen, die einen Hijab tragen reicht nicht an die Anzahl verhüllter Frauen in Berlin-Kreuzberg oder KölnKalk, doch die Veränderung des Straßenbilds vor allem zwischen dem Jahr 2013 und 2015 fällt sehr ins Auge (LIP Gesellschaft letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020).

(USDOS, United States Department of State, Bericht zur Religionsfreiheit im Jahr 2019, 10.06.2020, https://www.state.gov/reports/2019-report-on-international-religious-freedom/kyrgyzstan/

LIP, Das Länder-Informations-Portal, Kirgisistan, Gesellschaft, letzte Aktualisierung März 2020, abgefragt am 29.08.2020, https://www.liportal.de/kirgisistan/gesellschaft)

Eheschließungen

Die Kirgisische Republik hat 2017 ein verschärftes Familiengewaltgesetz verabschiedet und im Januar 2019 häusliche Gewalt kriminalisiert. Die Behörden setzen jedoch nicht konsequent Schutzmaßnahmen für Frauen und Mädchen durch, einschließlich des Familiengewaltgesetzes und eines Gesetzes von 2016 zur Eindämmung der Kinder- und Zwangsheirat. Entscheidend ist, dass die Regierung noch kein Gremium ernannt hat, das die Umsetzung von Maßnahmen zur Verhütung häuslicher Gewalt überwacht, wie es das Gesetz vorschreibt (HRW 14.01.2020).

Einige Opfer der Brautentführung gingen an die örtliche Polizei, um Schutzanordnungen zu erhalten, aber die Behörden setzten solche Anordnungen oft schlecht durch. NGOs berichteten weiterhin, dass Staatsanwälte selten Entführer für Brautentführungen verfolgen. Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches, das im April in Kraft getreten ist, sehen Strafen für die Entführung von Braut von 10 Jahren Gefängnis und eine Geldstrafe von 210.000 Soms (3.000 USD) vor. Im Oktober berichtete die lokale Presse über ein Video der Entführung eines
16-jährigen Mädchens in Talas. Presseberichten zufolge wurde das Mädchen in dem Video gezwungen, einen 35-jährigen Mann zu heiraten. Nach der Veröffentlichung des Videos in sozialen Medien und in lokalen Medien leitete die Polizei von Talas eine Untersuchung des Falles ein. Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren dürfen legal mit Zustimmung der örtlichen Behörden heiraten, aber das Gesetz verbietet unter allen Umständen standesamtliche Ehen vor dem

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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