TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/21 W141 2233499-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.12.2020
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Entscheidungsdatum

21.12.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W141 2233499-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 30.06.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des in Höhe von fünfzig (50) von Hundert (vH) festgestellten Grades der Behinderung vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin hat am 11.11.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvoluts einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO gestellt.

1.1.    Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 08.01.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung mit 40 vH bewertet wurde.

1.2.    Im Rahmen des gem. § 45 AVG erteilten Parteiengehör hat der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Unter Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel gibt der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin an, dass bei der Beschwerdeführerin eine deutliche AC- Arthrose sowie eine hochgradige Omarthrose und ein ausgeprägter acromialer Sporn des rechten Sprunggelenks diagnostiziert worden wäre, all diese Gesundheitsschädigungen seien bis dato nicht berücksichtigt worden. Weiters kann die Beschwerdeführerin ihr rechtes Knie weder Biegen noch Belasten, aufgrund dieser Funktionsbeeinträchtigungen habe die Beschwerdeführerin jetzt auch Probleme im linken Knie, wodurch ihr das Treppensteigen nicht mehr möglich sei.

1.3.    Zur Überprüfung wurde von der belangten Behörde eine Stellungnahme derselben Fachärztin für Orthopädie mit dem Ergebnis eingeholt, dass am Ergebnis festzuhalten sei.

1.4.    Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen und einen Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH festgestellt.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin am 24.07.2020 Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer Beweismittel wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das eingeholte Gutachten nicht ausreichend sei um das Beschwerdebild der Beschwerdeführerin beurteilen zu können. Die Beschwerdeführerin leide an degenerativen und posttraumatischen Veränderungen der Wirbelsäule bei Zustand nach Fraktur BWK 9 und 12, Hüftschädigung rechts, Knieschädigung rechts (Zustand nach Knie-TEP), AC-Arthrose sowie einer hochgradigen Omarthrose und einem ausgeprägten acromialen Sporn des rechten Schultergelenks. Die erfolgte Einstufung der Leiden 2 und 3 mit jeweils einem Grad der Behinderung von nur 10 v.H. entspreche keinesfalls dem tatsächlichen Leidenszustand der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin habe sich heuer einer schweren Knieoperation unterziehen müssen, da sie ihr rechtes Knie weder Biegen noch Belasten habe können. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass laut der Sachverständigen nur eine geringgradige Einschränkung der Beweglichkeit vorliege. Weiters bringt der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin vor, dass auch die Einstufung des Leiden 1, aufgrund der bestehenden radiologischen Veränderungen nicht dem tatsächlichen Schweregrad entspreche. Abschließend wird vorgebracht, dass es keinesfalls schlüssig und nachvollziehbar sei, dass bei den Leiden der Beschwerdeführerin keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung bestehe, da diese ausschließlich den Stütz und Bewegungsapparat beträfen.

3        Mit Schreiben vom 29.07.2020 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

4.       Mit Schreiben vom 30.07.2020 werden vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin weitere Unterlagen in Vorlage gebracht.

4.1.    Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 12.10.2020, und ein Sachverständigengutachten desselben Facharztes für Orthopädie, basierend auf der Aktenlage vom 15.11.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung 50 vH betrage.

4.2.    Mit Schreiben vom 26.11.2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht den Parteien das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu zu äußern. Von Seiten der belangten Behörde wurde keine Stellungnahme eingebracht. Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin brachte eine Stellungnahme ein, in der er erklärte, dass er mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme einverstanden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich die Beschwerdeführerin mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.

1.       Feststellungen:

1.1.    Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.

1.2.    Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 (fünfzig) vH.

1.2.1.   Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: gut

Größe: 157 cm Gewicht: 59 kg

Klinischer Status - Fachstatus:

Wirbelsäule im Lot. HWS in R 40-0-40, F 10-0-10, KJA 2 cm, Reklination 10 cm. Normale Brustkyphose, BWS-drehung 25-0-25, FKBA 25 cm, Seitneigung bis 10 cm ober Patella.

Obere Extremitäten: Schultern in S 40-0-160, F 160-0-50, R 70-0-70, Ellbogen 0-0-130, Handgelenke 50-0-60, Faustschluß beidseits möglich. Nacken- und Kreuzgriff durchführbar.

Untere Extremitäten: Hüftgelenke in S 0-0-105, F 30-0-20, R 25-0-10, Kniegelenke in S rechts 0-0-115 zu links 0-0-135. Sprunggelenke 10-0-45.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Gang in Straßenschuhen ohne Gehbehelfe gering kleinerschrittig, aber frei möglich. Zehenspitzen- und Fersenstand möglich.

1.2.2. Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

degenerative und posttraumatische Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Bruch des 9. und des 12. Brustwirbels; multisegmentale Osteochondrose, Vertebrostenose L3/4

Oberer Rahmensatz, da gesamte Wirbelsäule betroffen und beträchtliche monosegmentale Enge L3/4

Wahl der Position, da ungestörte periphere Sensomotorik

02.01.02

40 vH

02

Knieendoprothese rechts

Oberer Rahmensatz und Wahl der Position, da mäßiges Beweglichkeitsdefizit bei Endoprothese

02.05.18

20 vH

03

Polyneuropathie rechtsbetont

Unterer Rahmensatz und Wahl der Position, da geringes Beweglichkeitsdefizit

04.06.01

20 vH

04

Posttraumatische Einschränkung rechte Hüfte

unterer Rahmensatz, da geringes Defizit und geringe radiologische Veränderungen

02.05.07

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

50 vH

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 vH, da das führende Leiden 1 durch die Leiden 2 und 3 wegen ungünstiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöht wird.

1.3.    Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist am 11.11.2019 bei der belangten Behörde eingelangt.

2.       Beweiswürdigung:

Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).

Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

Zu 1.1) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt sowie dem Auszug aus dem zentralen Melderegister mit Stichtag 04.08.2020.

Zu 1.2) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen.

Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen. Diese stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis der eingeholten Sachverständigenbeweise, es wird kein höheres Funktionsdefizit beschrieben, als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.

Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.

Der medizinische Sachverständige setzt in seinem Gutachten das führende Leiden 1, degenerative und posttraumatische Veränderung der Wirbelsäule, unter der Positionsnummer 02.01.02 fest und bewertet dieses mit einem Grad der Behinderung von 40 vH. Der obere Rahmensatz wird von dem Sachverständigen nachvollziehbar dahingehend begründet, dass die gesamte Wirbelsäule betroffen ist und eine beträchtliche monosegmentale Enge L3/L4 bei der Beschwerdeführerin besteht. Die Position wurde wegen der ungestörten peripheren Sensomotorik gewählt.

Das Leiden 2, Knieendoprothese rechts, wird vom Facharzt für Orthopädie unter der Positionsnummer 02.05.18 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 20 von Hundert festgesetzt. Dies entspricht dem oberen Rahmensatz, da ein mäßiges Beweglichkeitsdefizit bei Implantation einerEndoprothese besteht.

Als weiteres Leiden wird Leiden 3, Polyneuropathie rechtsbetont, im Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie unter der Positionsnummer 04.06.01 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 20vH angeführt. Erläutert wird die Wahl des unteren Rahmensatz anhand des geringen Beweglichkeitsdefizits.

Das Leiden 4, posttraumatische Einschränkung der rechten Hüfte, wird vom Sachverständigen unter der Positionsnummer 02.05.07 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 10 von Hundert festgesetzt. Dies entspricht dem unteren Rahmensatz, da ein geringes Defizit und eine geringe radiologische Veränderung besteht.

Die angeführten Einsprüche der Beschwerdeführerin sind aus fachärztlicher Sicht voll und ganz nachvollziehbar. Aufgrund der ungünstigen wechselseitigen Leidensbeeinflussung war daher der Gesamtgrad der Behinderung um eine Stufe zu erhöhen.

Im Vergleich zum Vorgutachten gibt der Facharzt für Orthopädie an, dass sich das Knieleiden wegen der Implantation der Endoprothese um eine Stufe erhöht hat und das Leiden, Polyneuropathie neu hinzugekommen ist.

Unter Berücksichtigung der Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie ergibt sich somit eine Anhebung des Grades der Behinderung von 40 auf 50 vH.

Die Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Einwendungen der Beschwerdeführerin waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.

Zu 1.3.) Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses weist am Eingangsvermerk der belangten Behörde das Datum 11.11.2019 auf.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

Gemäß § 35 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 7. Juli 1988 über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988), BGBl. Nr. 400/1988 idgF, bestimmt sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1.       in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2.       in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

–        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

–        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

–        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Maßgeblich für die gegenständliche Entscheidung ist, dass das Leiden 2 „Knieendoprothese rechts“ statt mit 10 vH mit 20 vH eingestuft wurde und das Leiden 3 „Polyneuropathie“ neu hinzugekommen ist. Aufgrund der ungünstigen Leidensbeeinflussung der Leiden 2 und 3 wird das führende Leiden 1 um eine Stufe erhöht, weshalb eine Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung auf 50 vH gerechtfertigt ist. Es liegen somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2.         Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der - verfahrensgegenständlichen - Höhe des Grades der Behinderung, wurde sowohl vom Beschwerdeführer als auch von der belangten Behörde zur Kenntnis genommen. Das Beschwerdevorbringen war – wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt – geeignet, relevante Bedenken an den Feststellungen der belangten Behörde hervorzurufen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und es resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W141.2233499.1.00

Im RIS seit

10.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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