Entscheidungsdatum
23.12.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W133 2230442-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 09.03.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin ist seit 15.03.2018 Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.) mit der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“. Die Ausstellung dieses Behindertenpasses erfolgte nach Einholung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 26.07.2018, in dem die Funktionseinschränkungen 1. „mittelschweres persistierendes allergisches Asthma bronchiale mit beginnender Emphysembildung und mit COPD überlappend“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. nach der Positionsnummer 06.05.03 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 2. „bipolare affektive Erkrankung und Erwachsenen-ADS“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 30 v.H. nach der Positionsnummer 03.06.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 3. „degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Osteoporose“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 02.01.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 4. „geringgradige Hörstörung beidseits“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 12.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, 5. „Sehstörung rechts mit Reduktion des Sehvermögens auf 0,5 bei gutem Sehvermögen links: 0,8“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 11.02.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung und 6. „Zustand nach erfolgreicher Magenverkleinerungsoperation wegen morbider Adipositas“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 07.04.02 der Anlage zur Einschätzungsverordnung, festgestellt und ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. objektiviert wurden. Begründend wurde ausgeführt, das führende Leiden 1 werde durch die Gesundheitsschädigungen 2-6 nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken bestehe. Es wurde weiters festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Am 02.10.2019 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), der entsprechend dem von der Beschwerdeführerin unterfertigten Antragsformular für den - auf sie zutreffenden - Fall, dass sie nicht über einen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in diesem Behindertenpass verfügt, auch als Antrag auf Vornahme der genannten Zusatzeintragung in dem Behindertenpass galt. Dem Antrag wurden ein klinisch-psychologischer Befund vom 17.06.2019 und ein Schreiben der PVA vom 10.09.2019 betreffend eine Pflegegeldleistung (Pflegestufe 1) beigelegt.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In diesem Gutachten vom 10.02.2020 wurden auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und umfassender Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen
festgestellt. Begründend führte die Gutachterin aus, dass sich im Vergleich zum Vorgutachten keine wesentlichen Veränderungen ergeben hätten. Hinsichtlich des psychiatrischen Leidens seien neben der bipolar affektiven Störung und Erwachsenen-ADS die Diagnosen Angststörung und posttraumatische Belastungsstörung mitaufgenommen worden, wobei sich jedoch keine Änderung hinsichtlich der Schwere der psychiatrischen Erkrankung ergebe. Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Mit Schreiben vom 10.02.2020 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin betreffend die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Das Gutachten vom selben Tag wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Im Rahmen des erteilten Parteiengehörs erhob die Beschwerdeführerin mit handschriftlichem Schreiben vom 26.02.2020 Einwendungen. Darin bringt sie vor, dass sie seit vielen Jahren COPD habe. Da sie ständig unter Atemnot leide, könne sie keine weiten Strecken gehen und müsse ständig Pausen machen. Sie habe diesbezüglich ja auch die Behinderung sowie Pflegestufe 1. Öffentliche Verkehrsmittel könne sie wegen dem Zittern und dem Schwindel wegen der Medikamente ohne Begleitung nur schwer besteigen, außerdem gebe es keine Sitzplätze. Da ihr Alter noch nicht so fortgeschritten sei, würden die Leute denken, dass sie ohnehin gesund sei. Man würde ihr ja nicht ansehen, dass sie keine Luft bekomme. Sie mache alles, damit sich ihr Gesundheitszustand nicht verschlechtere, da die nächste COPD Stufe ständig Sauerstoff bedeuten würde. Sie sei des Weiteren seit über 30 Jahren in psychiatrischer Behandlung, der Auslöser sei wohl die gewalttätige Behandlung durch ihren Ehemann gewesen. Viele Jahre müsse sie schon Medikamente gegen die Angstzustände und die Panik nehmen, es gebe viele Situationen, die dies triggern würden. Dies sei auch durch ihre Medikamentenliste belegbar. Ihre Psychiaterin habe versucht, sie von den Angstmedikamenten wegzubekommen, weil diese abhängig machen würden. Aber oft gehe es ihr wieder schlechter und dann müsse sie wieder Medikamente einnehmen. Sie befinde sich seit etwa zwei Jahren in einer von der WGKK bezahlten Therapie. Im Rahmen dieser Therapie seien ein Trauma-Gutachten und auch ein Gutachten einer Psychologin eingeholt worden. Sie sei dort in Gruppentherapie (Traumatherapie) und seit Jänner 2019 in einer wöchentlichen Fixgruppe. Auch sei sie seit circa drei Jahren wöchentlich in Einzeltherapie bei einer eingetragenen Therapeutin. Seit circa 20 Jahren habe sie das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden, was den Zustand noch verschlimmert habe, weil sie durch die Angst und die Aufregung verwirrt sei. Sie habe extreme Angst, weshalb sie es überhaupt vermeide, unter viele Menschen zu gehen. Im Auto fühle sie sich hingegen sicher. Im letzten Gutachten der Psychologin sei auch auf ihre Ängste hingewiesen worden. Der Stellungnahme wurden ein Pflegebrief vom 20.02.2020 und ein Patientenbrief sowie eine Zeitbestätigung vom 24.02.2020 beigelegt.
Aufgrund der eingebrachten Stellungnahme holte die belangte Behörde eine Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie, welche das Gutachten vom 10.02.2020 erstellt hatte, vom 05.03.2020 ein. Darin führt die Gutachterin aus, dass an der bereits getroffenen Einschätzung festgehalten werde. Es liege keine Unzumutbarkeit der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln vor.
Daher wies die belangte Behörde mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 09.03.2020 den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ vom 02.10.2019 unter Hinweis auf das medizinische Beweisverfahren gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab. Das Gutachten vom 10.02.2020 und die Stellungnahme vom 05.03.2020 wurden der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Mit E-Mailnachricht vom 17.04.2020 brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 09.03.2020 bei der belangten Behörde ein. Ohne Vorlage von Beweismitteln führt die Beschwerdeführerin darin aus, dass sie mit dem erlassenen Bescheid nicht einverstanden sei. Sie werde zu einem späteren Zeitpunkt noch Unterlagen zu dieser Beschwerde weiterleiten. Leider seien viele Menschen wegen Corona in Kurzarbeit und im Home-Office, daher sei es schwierig, die notwendigen Unterlagen und die notwendige Hilfe vom XXXX zu bekommen.
Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 22.04.2020 die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.
Mit Nachreichung zur Beschwerdevorlage vom 04.05.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde eine von der Beschwerdeführerin gezeichnete Vollmacht zugunsten des XXXX vom 15.04.2020 sowie eine Bestätigung einer näher genannten Psychotherapeutin vom 17.04.2020 und ein psychologischer Befund vom 05.04.2018 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.
Sie hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Die Beschwerdeführerin stellte am 02.10.2019 einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in dem Behindertenpass.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Mittelschweres persistierendes allergisches Asthma bronchiale mit beginnender Emphysembildung und mit COPD überlappend;
2. Bipolar affektive Störung, Erwachsenen-ADS, Angststörung, Posttraumatische Belastungsstörung;
3. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Osteoporose;
4. Geringgradige Hörstörung beideits;
5. Sehstörung rechts mit Reduktion des Sehvermögens auf 0,5 bei gutem Sehvermögen links: 0,8;
6. Zustand nach erfolgreicher Magenverkleinerungsoperation wegen morbider Adipositas.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung bezüglich der Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel liegen nicht vor. Der Beschwerdeführerin ist es möglich, Wegstrecken von zumindest 300-400 m ohne erhebliche Erschwernis zurückzulegen. Das sichere Besteigen sowie der sichere Transport sind gegeben, Haltegriffe können benützt werden.
Es bestehen weder erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten, noch erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit. Es besteht keine massive hochgradige Atemnot schon bei geringster Belastung und keine Indikation für eine Langzeitsauerstofftherapie.
Es liegen weiters keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. Funktionen vor. Bei angegebenen panikartigen Zuständen, welche auch in öffentlichen Verkehrsmitteln auftreten würden, liegt kein Nachweis dafür vor, dass die Therapieoptionen ausgeschöpft sind, eine therapieresistente Agora- bzw. Klaustrophobie ist ebenfalls nicht belegt.
Es besteht auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems und auch keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung, medizinischer Diagnose und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen medizinischen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 10.02.2020 (inklusive der ergänzenden Stellungnahme der Fachärztin vom 05.03.2020) der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die Beschwerdeführerin erhob in ihrer Stellungnahme zum Parteiengehör bzw. in der Beschwerde keine konkreten und substantiierten Einwendungen gegen das vorliegende Gutachten und die Stellungnahme, welche geeignet wären, diese zu entkräften oder in Frage zu stellen; diesbezüglich wird auf die nachfolgende Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung verwiesen. Eine vom Gutachten und der Stellungnahme abweichende Beurteilung erweist sich zum Entscheidungszeitpunkt als nicht möglich.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen über die Ausstellung eines Behindertenpasses, den aktuellen Grad der Behinderung und das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergibt sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Die Feststellungen zu den bestehenden Leidenszuständen und zur aktuellen Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 10.02.2020 und deren ergänzende Stellungnahme vom 05.03.2020. Darin wird nachvollziehbar ausgeführt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die Beschwerdeführerin zumutbar ist. Es wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die Gutachterin setzt sich auch nachvollziehbar mit den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffene Beurteilung basiert auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund und entspricht auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (zur Art und zum Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen wird auf die detaillierten, oben im Original wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen).
Die Feststellungen und die getroffene medizinische Beurteilung zu den Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel decken sich auch mit den Ergebnissen der Untersuchung im Rahmen der Statuserhebung und auch mit den vorliegenden Befunden.
Im Rahmen der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 06.02.2020 wurde folgender klinischer Status erhoben:
„Allgemeinzustand:
56-jährige Antragstellerin in gutem AZ, kommt alleine ohne Hilfsmittel zur Untersuchung.
Ernährungszustand:
unauffällig
Größe: 163,00 cm Gewicht: 63,00 kg Blutdruck:
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput: HNAP frei, kein Meningismus, HWS frei beweglich, Sprache unauffällig Himnerven: Pupillen rund, isocor bds., Lichtreaktion prompt und konsensuell, Lidspalten gleich weit, Bulbusmotilität in allen Ebenen frei und koordiniert, kein pathologischer Nystagmus, keine Doppelbilder, HN VII seitengleich innerviert, basale HN frei.
OE: Trophik, Tonus und grobe Kraft stgl. unauffällig. VA: kein Absinken, Feinmotilität nicht beeinträchtigt, BSR, TSR, RPR seitengleich auslösbar, Knips bds. negativ, Eudiadochokinese bds., FNV bds. zielsicher, keine unwillkürlichen Bewegungen.
UE: Trophik, Tonus und grobe Kraft stgl. unauffällig. PV: kein Absinken, PSR und ASR seitengleich auslösbar, Babinski bds. negativ, KHV bds. zielsicher, keine unwillkürlichen Bewegungen.
Sensibilität: allseits intakt.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Gangbild unauffällig, Zehen- und Fersengang möglich
Status Psychicus:
wach, zur Person, örtlich, zeitlich orientiert, Konzentration, Aufmerksamkeit im Gespräch unauffällig, Mnestik altersentsprechend unauffällig, Antrieb unauffällig, Stimmung leicht gedrückt, anamn. Panikattacken, Affizierbarkeit in beiden Skalenbereichen gegeben, Ductus kohärent und zielführend, keine produktive Symptomatik, Durchschlafstörung“
Die beigezogene Fachärztin für Psychiatrie beschreibt nachvollziehbar, dass bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung bezüglich der Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel nicht vorliegen. Der Beschwerdeführerin ist es möglich, Wegstrecken von zumindest 300-400 m ohne erhebliche Erschwernis zurückzulegen. Das sichere Besteigen sowie der sichere Transport sind gegeben, Haltegriffe können benützt werden.
Hinsichtlich Leiden 1 (Mittelschweres persistierendes allergisches Asthma bronchiale mit beginnender Emphysembildung und mit COPD überlappend) besteht keine massive hochgradige Atemnot schon bei geringster Belastung und keine Indikation für eine Langzeitsauerstofftherapie. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das eine Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ausschließen würde.
Betreffend Leiden 2 (Bipolar affektive Störung, Erwachsenen-ADS, Angststörung, Posttraumatische Belastungsstörung) mit Angabe von panikartigen Zuständen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht belegt, dass die Therapieoptionen ausgeschöpft sind oder etwa eine therapieresistente Agora- bzw. Klaustrophobie vorliegen würde. Bei vorliegendem Vermeidungsverhalten könnte z.B. durch eine entsprechende Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken etc. eine Verbesserung der Beschwerdesymptomatik erzielt werden.
In diesem Zusammenhang ist weiters festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin in dem, im Rahmen der Stellungnahme zum Parteiengehör vorgelegten Pflegebrief vom 20.02.2020 ausdrücklich empfohlen wurde, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten, um Einsamkeit und Isolation vorzubeugen. Die Therapieempfehlung der psychiatrischen Abteilung der Krankenanstalt vom 20.02.2020 beinhaltet somit ausdrücklich die weitere aktive Teilnahme am Sozialleben, jedoch nicht die Vermeidung der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Die innerhalb der verlängerten Beschwerdefrist mit Eingabe der rechtlichen Vertretung vom 27.04.2020 nachgereichten Befunde widerlegen ebenfalls nicht die gutachterliche Beurteilung der im gegenständlichen Verfahren beigezogenen Fachärztin für Psychiatrie. Der nachgereichte psychologische Befund vom 05.04.2018 entspricht von der Diagnosestellung nach IDC-10 her im Wesentlichen dem aktuelleren, bereits im Rahmen der Antragstellung vorgelegten klinisch-psychologischen Befund vom 17.06.2019, der im vorliegenden Gutachten berücksichtigt wurde. Dem psychologischen Befund vom 05.04.2018 lassen sich daher keine neuen Erkenntnisse betreffend die psychiatrischen Leiden der Beschwerdeführerin entnehmen. Er trifft auch keine Aussagen über die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Aus der nachgereichten Bestätigung der die Beschwerdeführerin behandelnden Psychotherapeutin vom 17.04.2020 ergibt sich lediglich, dass die Beschwerdeführerin seit 2017 bei der näher genannten Psychotherapeutin in Behandlung ist und im Rahmen des psychotherapeutischen Prozesses „unter anderem auch Angststörungen“ behandelt würden. Diese Bestätigung vermag somit nicht nachzuweisen, dass die Therapieoptionen betreffend ihre geltend gemachte Angststörung ausgeschöpft sind oder etwa eine therapieresistente Agora- bzw. Klaustrophobie vorliegen würde.
Hinsichtlich aller Leiden, insbesondere auch bezüglich Leiden 3 (Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Osteoporose), ist es der Beschwerdeführerin somit möglich, Wegstrecken von zumindest 300-400 m zurückzulegen, das Transportmittel sicher zu besteigen, es zu benützen und sich auch anzuhalten.
Es liegen somit bei der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt zusammengefasst keine ausreichend erheblichen Funktionseinschränkungen vor, welche die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung rechtfertigen würden.
Schließlich ist anzumerken, dass sich dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen lassen, dass bei der Beschwerdeführerin von der beigezogenen Sachverständigen keine fachgerechte Untersuchung durchgeführt worden wäre; insbesondere widersprechen die Untersuchungsergebnisse auch nicht den im Verwaltungsakt aufliegenden sowie den innerhalb der verlängerten Beschwerdefrist nachgereichten medizinischen Unterlagen.
Die Beschwerdeführerin ist dem Sachverständigengutachten auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 10.02.2020 und der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 05.03.2020. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
…
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:
„§ 1 ...
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)…
b)…
…
2. …
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)..."
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) – (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):
„Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
…
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
…
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.
…
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
…“
Der Vollständigkeit halber ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im gegenständlichen Verfahren der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das durch die belangte Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 10.02.2020 (inklusive ergänzender Stellungnahme vom 05.03.2020) zu Grunde gelegt, wonach der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Weder bestehen entscheidungserhebliche Einschränkungen der oberen oder unteren Extremitäten, noch ausreichend erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, noch ausreichend erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen. Auch liegen keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit vor, sowie auch keine anhaltende ausreichend erhebliche Funktionseinschränkung des Immunsystems im Sinne der genannten Verordnung. Ein psychiatrisches Leiden in einem Ausmaß, welches die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in unzumutbarem Ausmaß behindert, wurde ebenfalls nicht belegt.
Trotz des Vorliegens einer Angststörung sind bei der Beschwerdeführerin keine solcherart maßgeblichen Funktionseinschränkungen gegeben, welche die Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel bedingen würden. Insbesondere ist nicht belegt, dass diesbezüglich die Therapieoptionen ausgeschöpft sind bzw eine therapieresistente Agora- bzw. Klaustrophobie vorliegt.
Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, wurden im gegenständlichen Verfahren keine Befunde vorgelegt bzw. nachgereicht, die das Gutachten bzw. die ergänzende Stellungnahme entkräften würden. Das Gutachten und die Stellungnahme erweisen sich als richtig, vollständig und schlüssig.
Auch eine Ausschöpfung der zumutbaren Therapieoptionen in Bezug auf die geltend gemachten Funktionseinschränkungen ist - wie schon ausgeführt wurde - nicht belegt.
Da festzustellen war, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches aktuell die Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ rechtfertigt, war die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid spruchgemäß abzuweisen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt zumutbar.
Die Beschwerdeführerin ist darauf hinzuweisen, dass bei einer befundmäßig objektivierten offenkundigen Verschlechterung ihres Leidenszustandes eine neuerliche Antragstellung und die neuerliche Prüfung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen, deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht ausreichend substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens (inklusive ergänzend eingeholter Stellungnahme) geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Weder die belangte Behörde noch die rechtlich vertretene Beschwerdeführerin haben zudem eine mündliche Verhandlung beantragt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W133.2230442.1.00Im RIS seit
10.03.2021Zuletzt aktualisiert am
10.03.2021