TE Bvwg Beschluss 2021/1/13 I422 2128301-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.01.2021
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Entscheidungsdatum

13.01.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I422 2128301-5/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.01.2021, IFA: 830695010/VZ INT: 201164900/VZ FAS: 210020249 erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch den Verein Legal Focus, Lazarettgasse 28/3, 1090 Wien:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Fremde reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 27.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er in Nigeria im Zuge eines Raufhandels einen Polizisten verletzt habe und aufgrund dessen der Gefahr einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt sei.

Der Erstantrag des Fremden auf internationalen Schutz wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2015, GZ: I406 2010958-1/10E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist.

2. Der Fremde kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 15.03.2016 einen (ersten) Folgeantrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen mit psychischen Problemen begründete.

Dieser Folgeantrag des Fremden auf internationalen Schutz wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.09.2017, GZ: I403 2128301-2/3E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist, sowie gegen ihn ein auf die Dauer von zwölf Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen.

3. Der Fremde kam seiner Ausreiseverpflichtung abermals nicht nach und stellte am 28.12.2017 einen zweiten Folgeantrag, welchen er neuerlich mit psychischen Problemen begründete.

Der zweite Folgeantrag des Fremden auf internationalen Schutz wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.05.2018, GZ: I414 2128301-3/5E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

4. Am 04.01.2020 stellte der Fremde während seiner Anhaltung in Schubhaft seinen dritten Folgeantrag, welchen er erneut mit psychischen Problemen begründete.

Der dritte Folgeantrag des Fremden auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA/belangte Behörde) vom 17.01.2020 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Zugleich wurde gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist, sowie gegen ihn ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

5. Am 04.07.2020 stellte der Fremde während seiner Anhaltung in Schubhaft den vierten Folgeantrag und insgesamt fünften Antrag auf internationalen Schutz. Als Grund für seine neuerliche Antragstellung gab er seine Angst vor dem Corona-Virus an und verwies er erstmalig auf den Umstand, dass er aufgrund seiner Konfession als Zeuge Jehovas in Nigeria von Leuten angegriffen und in Auseinandersetzungen verwickelt worden sei, nachdem er in der Öffentlichkeit gepredigt habe.

Der vierte Folgeantrag des Fremden auf internationalen Schutz wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.09.2020, GZ: I410 2128301-4/5E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

6. Am 20.11.2020 stellte der Fremde aus dem Stande der Schubhaft den verfahrensgegenständlichen fünften Folgeantrag, sohin insgesamt sechsten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab er bei seiner Erstbefragung vom 21.11.2020 durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Folgeantrag wie folgt an: „Ich habe gehört, dass Nigerianer die abgeschoben werden, in Nigeria inhaftiert und dann geschlagen werden. Die Behörde mache das, weil sie sagen diese abgeschobenen Nigerianer wären gewalttätig gegenüber den nigerianischen Politikern.“ Im Falle seiner Rückkehr habe auch er Angst inhaftiert und geschlagen zu werden. Er kenne niemanden, der ihm helfen würde. Von diesen besagten Inhaftierungen habe er erst vor rund einer Woche erfahren.

7. Der Fremde wurde am 07.01.2021 niederschriftlich durch die belangte Behörde einvernommen. Befragt nach den Gründen für seine Antragsstellung, brachte der Fremde vor, dass sein Fluchtgrund noch derselbe sei. Allerdings bekämen nach Nigeria abgeschobene Personen Probleme mit der Regierung. Die abgeschobenen Personen würden ins Gefängnis verbracht und dort geschlagen werden. Außerdem verlange man von den Festgenommenen Geld, damit sie wieder freigelassen werden. Des Weiteren habe der Fremde gehört, dass Organisationen wie die Boko Haram und die „Axman“ Menschen attackieren, angreifen sowie Menschen und Christen entführen. Als Christ habe er auch deswegen Angst vor einer Rückkehr nach Nigeria. Außerdem habe ich dort niemanden der sich um ihn kümmere und wenn er zurückkehren müsste, habe er keine Ahnung wo er wohnen könnte. Im Anschluss wurde mit mündlich verkündetem Bescheid der faktische Abschiebeschutz des Fremden gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben.

8. Der Verwaltungsakt langte am 13.01.2021 bei der Gerichtsabteilung des erkennenden Gerichtes ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Fremden:

Der Fremde ist volljährig, ledig und kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria. Er stammt aus Agbor in Delta State, ist Angehöriger der Volksgruppe der Agbo und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Seit (spätestens) 27.05.2013 hält er sich in Österreich auf, wobei er sich seit dem 03.01.2020 durchgehend in Schubhaft befindet.

Der Fremde leidet an keiner lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensteht. Psychische Erkrankungen sind in Nigeria behandelbar. Auch zählt er nicht zu einer COVID-19-Risikogruppe.

Er ist erwerbsfähig und betätigte sich in Österreich bis zu seiner Anhaltung in Schubhaft als Straßenzeitungsverkäufer. Er führt kein Familienleben in Österreich. Eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung liegt nicht vor.

1.2. Zu den bisherigen Verfahren und zum gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

Der erste Antrag des Fremden auf internationalen Schutz vom 27.05.2013 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2017 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen; die Entscheidung erwuchs im Beschwerdeweg durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2015, GZ: I406 2010958-1/10E in Rechtskraft. Dem folgten vier weitere Folgeanträge, die jeweils rechtskräftig wegen bereits entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Die letzte diesbezügliche Entscheidung vom Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl stammt vom 06.08.2020 und erwuchs im Beschwerdeweg mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.09.2020, GZ: I410 2128301-4/5E in Rechtskraft. Gegen den Fremde besteht eine aufrechte Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf die Dauer von drei Jahren befristeten Einreiseverbot.

Im gegenständlichen (insgesamt sechsten) Asylverfahren bringt der Fremde keine neuen substantiierten Gründe für die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz vor. Der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde missbräuchlich gestellt.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation im Herkunftsstaat ist seit der Rückkehrentscheidung nicht eingetreten, insbesondere nicht auf das Vorbringen bezogen. Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden.

Nach all dem wird die belangte Behörde aller Voraussicht nach feststellen, dass keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts eingetreten ist. Der Folgeantrag wird daher voraussichtlich von der belangten Behörde zurückzuweisen sein.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria auf Stand 23.11.2020 zitiert. Im gegebenen Zusammenhang sind die Informationen zur Sicherheit, der medizinischen Versorgung, zu COVID-19 sowie insbesondere zur Lage von Rückkehrenden von Relevanz. Demnach ist im Wesentlichen wie folgt festzustellen:

Allgemeine Sicherheitslage:

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Medizinische Versorgung:

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).

COVID-19:

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).

Rückkehr:

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes und aus dessen bisherigen, angeführten Erkenntnissen.

2.2. Zur Person des Fremden:

Die Feststellungen zur Person des Fremden, insbesondere seiner Volljährigkeit, seinem Familienstand, seiner Staats-, Volksgruppen- und Glaubenszugehörigkeit ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Fremden in seinen vorangegangenen Asylverfahren. Aus diesen ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, die an der Richtigkeit dieser Feststellungen zweifeln lassen. Auch wenn der Fremde am 03.08.2019 durch die Vertretungsbehörde seines Herkunftsstaates als nigerianischer Staatsangehöriger identifiziert wurde, steht seine Identität mangels Vorlage identitätsbezeugender Dokumente nicht fest.

Sein seit 27.05.2013 bestehender Aufenthalt im Bundesgebiet gründet auf der Einsichtnahme in das ZMR und ergibt sich daraus auch, dass er sich seit 03.01.2020 durchgehend in Schubhaft befindet.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand und die Tatsache, dass er nicht zu einer COVID-19-Risikogruppe gehört, ergeben sich aus den vorangegangen Asylverfahren. Sowohl in der letzten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.09.2020, GZ: I410 2128301-4/5E (insbesondere S 56 bis S 58) als auch in der verfahrensgegenständlichen Entscheidung der belangten Behörde wurde sich in der Beweiswürdigung sehr ausführlich mit der Gesundheitssituation – allen voran seiner psychischen Beeinträchtigung sowie der mangelnden Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe – auseinandergesetzt und schließt sich das erkennende Gericht diesen Ausführungen zunächst vollinhaltlich. Dass sich in Hinblick auf seinen Gesundheitszustand keine wesentliche Veränderung ergeben hat, ergibt sich in weiterer Folge auch aus den Angaben des Fremden im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 07.10.2021. In dieser verwies der Fremde lediglich unsubstantiiert darauf, dass er psychische Probleme habe. Auf näheres Nachfragen nach der gestellten Diagnose brachte der Fremde vor, dass ihm der Arzt gesagt habe, dass er ein psychisches Problem habe. Er bejahte die Frage, ob er sich in ärztlicher Behandlung befinde und ob er regelmäßig Medikamente nehme. Die Bezeichnung der Medikamente vermochte der Fremde jedoch auf Nachfragen des einvernehmenden Beamten nicht widergeben und führte er auch aus, dass er nicht wisse, wogegen er diese Tabletten nehme. Abschließend verneinte der Fremde das Bestehen einer lebensbedrohenden Krankheit.

Der Fremde war unmittelbar bis zu seiner Anhaltung in Schubhaft als Straßenzeitungsverkäufer tätig und resultieren daraus die Feststellungen zu seiner Erwerbsfähig und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit. Anhaltspunkte dafür, dass er im Bundesgebiet eine Beziehung oder eine Lebensgemeinschaft führt, ergaben sich weder aus den vorangegangenen Asylverfahren, noch aus seinen Angaben im gegenständlichen Verfahren. Ebenso verneinte der Fremde im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 07.01.2021 die Frage, ob er in der EU bzw. in Österreich verwandtschaftliche Anbindungen habe und ob er in Österreich über sonstige soziale Kontakte verfüge. Es besteht daher kein Familienleben im Bundesgebiet. Durchaus hat er sich Deutschkenntnisse angeeignet, die A2-Prüfung absolviert, eine Straßenzeitung verkauft und Bekanntschaften geschlossen. Allerdings begründet sich angesichts seiner Aufenthaltsdauer daraus noch keine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung.

2.3. Zu den bisherigen Verfahren und zum gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

Die Feststellungen zu den bisherigen Asylverfahren beruhen auf der Einsichtnahme in die vorliegenden Verwaltungs- und den jeweiligen Gerichtsakten.

Seinen verfahrensgegenständlichen (insgesamt sechsten) Antrag auf internationalen Schutz begründete der Fremde mit einer dahingehenden Änderung, dass nach Nigeria abgeschobene Personen Probleme bekämen. Die abgeschobenen Personen würden ins Gefängnis verbracht und dort geschlagen werden. Außerdem verlange man von den Festgenommenen Geld, damit sie wieder freigelassen werden. Des Weiteren habe der Fremde gehört, dass Organisationen wie die Boko Haram und die „Axman“ Menschen attackiere, angreife sowie Menschen und Christen entführe. Als Christ habe er auch deswegen Angst vor einer Rückkehr. Außerdem habe ich dort niemanden der sich um ihn kümmere. Wenn er zurückkehren müsste, habe er keine Ahnung wo er wohnen könnte.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

In diesem Zusammenhang zeigte bereits die belangte Behörde zu Recht auf, dass sich das gesamte Vorbringen lediglich auf allgemeinen Behauptungen stützt, die einer Verifizierung in Bezug auf den Fremden nicht zugänglich und die als Steigerung im Hinblick auf seine bisherigen Ausführungen zu werten sind. Dem Vorbringen des Fremden kann zudem kein glaubhafter Kern entnommen werden (vgl. VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0487). Einerseits spricht hiefür der Umstand, dass dieses Vorbringen zur Begründung seines mittlerweile sechsten Antrages auf internationalen Schutz während seiner Anhaltung in Schubhaft gestellt wurde. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens beträchtlich geschmälert, denn wie die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes im Erkenntnis zur Prüfung der weitern Anhaltung des Fremden in Schubhaft vom 23.07.2020, W278 2227983-6/7E zeigen, vermochte der Fremde schon einmal durch die Stellung eines unbegründeten Asylfolgeantrages aus dem Stande der Schubhaft seine bereits mit einem Charterflug organisierte Abschiebung zu verhindert und ist auch unter diesem Aspekt dem Vorbringen des Fremden kein glaubhafter Kern beizumessen. Des Weiteren erschöpfen sich seine diesbezüglichen Angaben in allgemeinen Behauptungen und „Hörensagen“ und wurden allfällige Beweismittel zur Untermauerung seiner Befürchtungen seitens des Fremden nicht in Vorlage gebracht. Darüber hinaus lassen sich auch aus den der Entscheidung zu Grunde gelegten Länderberichten ebenfalls keine Anhaltspunkte für das Vorbringen des Fremden entnehmen.

Somit ergibt sich im Hinblick auf das Vorbringen kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt und ist über alles flucht- und verfolgungsbezogene Vorbringen bereits rechtskräftig abgesprochen worden. Es war daher auch nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Fremden nach Nigeria eine reale Gefahr einer konventionsrelevanten Verfolgung mit sich bringen würde. Folglich konnte somit auch die Feststellung getroffen werden, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückgewiesen werden wird.

Für die Feststellung, dass der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz missbräuchlich gestellt wurde, sprechen die Umstände, dass es sich beim gegenständlichen Folgeantrag einerseits um den insgesamt sechsten Antrag auf internationalen Schutz des Fremden im Bundesgebiet handelt und andererseits, dass der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz aus dem Stande der Schubhaft gestellt wurde. Erhärtet wird dies dadurch, dass der Fremde bereits zuvor eine bereits organisierte Abschiebung seiner Person erfolgreich verhindert hat und ist dahingehend auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes im Erkenntnis zur Prüfung der weiteren Anhaltung des Fremden in Schubhaft vom 23.07.2020, W278 2227983-6/7E zu verweisen: „Bereits vor den pandemiebedingten Flugeinschränkungen hat der Beschwerdeführer durch Stellung seines 4. unbegründeten Asylfolgeantrages im Stande der Schubhaft seine bereits mit einem Charterflug organisierte Abschiebung verhindert. Auch erfolgte die nunmehrige 5. Asylfolgeantragstellung ausschließlich zur Verzögerung der Durchführung seiner Abschiebung.“ Auch im Lichte dessen ist davon auszugehen, dass der Fremde den gegenständlichen sechsten Asylantrag ausschließlich in Verzögerungsabsicht und somit missbräuchlich gestellt hat.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen, welche der Entscheidung der belangten Behörde zu Grunde liegen, sind aktuell. Es ist daher keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten und schließt sich das Bundesverwaltungsgericht diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss.

Zu A) Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:

Gemäß der Bestimmung des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat und bei dem – wie im vorliegenden Fall - die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 AsylG 2005 nicht erfüllt sind, aberkennen, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind: Erstens muss gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG bestehen; zweitens muss die Prognose zu treffen sein, dass der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und drittens darf die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen.

Im verfahrensgegenständlichen Fall besteht eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren. Wie auch bereits dargetan, ist kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre.

Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 („wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist“) führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass „eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags“ zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für „klar missbräuchliche Anträge“ beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0079).

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, insbesondere handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um nachträglich hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Wie die Ausführungen in der Beweiswürdigung zeigen, liegt der Zweck des gegenständlichen Folgeantrags viel mehr in der Verhinderung seiner Abschiebung und ist von einer missbräuchlichen Antragsstellung des Fremden auszugehen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung der belangten Behörde zu erwarten ist.

Daraus ergibt sich, dass der Fremde einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegen, weil dem Fremden keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag des Fremden voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass dem Fremden im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal der Fremde für Arbeitstätigkeiten ausreichend gesund und daher erwerbsfähig ist.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Fremde seinen Lebensunterhalt und seine Existenz nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn er keine Angehörige mehr in seinem Herkunftsstaat aufweist, zumal er sich auch in Österreich ohne familiäre Anbindung durch seine Tätigkeit als Zeitungsverkäufer seinen Unterhalt bestreiten konnte. Zudem besteht ganz allgemein in Nigeria keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Fremden ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Fremde führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat keine maßgeblichen über die Aufenthaltszeit selbst hinausgehenden - z. B. sprachlichen, kulturellen, beruflichen oder sozialen - privaten Integrationsmerkmale.

Im Lichte des § 22 BFA-VG und des eindeutigen Sachverhaltes hatte keine mündliche Verhandlung stattzufinden.

Da insgesamt die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vorgelegen sind, ist der dazu mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes vom 07.01.2021 rechtmäßig erfolgt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache und zur Beurteilung gesteigerten Vorbringens in Folgeverfahren. Weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I422.2128301.5.00

Im RIS seit

10.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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