TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/9 I414 2220453-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.02.2021
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Entscheidungsdatum

09.02.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


I414 2219641-1/17E

I414 2220453-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Vorsitzender und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX gegen die Bescheide des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (SMS) vom 15.05.2019, Zl. OB: XXXX , betreffend Feststellung auf Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten und vom 04.06.2019, Zl. OB: XXXX , betreffend Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 15.05.2019 wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 04.06.2019 wird stattgegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass liegen bis zum 28.02.2023 befristet vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer beantragte am 28.03.2019 die Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten. In einem weiteren Antrag vom selben Tag begehrte er die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Vornahme der Zusatzeintragung.

Die belangte Behörde beauftragte Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens und stellte die Fachärztin für physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation sowie Allgemeinmedizinerin in ihrem Aktengutachten einen Gesamtgrad der Behinderung von 50% fest. Die gesundheitliche Einschränkung wurde als generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates unter die Pos. Nr. 02.02.03 subsumiert. Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt, dass trotz funktioneller Einschränkungen kurze Wegstrecken aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zu bewältigen seien, das Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport seien gegeben.

Mit Bescheid vom 15.05.2019 wurde dem Antrag stattgegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab dem 28.03.2019 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört und der Grad der Behinderung 50 % beträgt. Am 04.06.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein entsprechender Behindertenpass übermittelt, mit Bescheid vom selben Tag der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen.

Mit Beschwerden vom 23.05.2019 und 12.06.2019 zeigte er sich mit den Entscheidungen nicht einverstanden. Es sei bei der Beurteilung des Grades der Behinderung der Unfall als Ganzes beurteilt worden und sei nicht auf die einzelnen Leiden eingegangen worden. Außerdem sei für ihn aufgrund von fehlendem Gefühl vom Fuß bis zum Knie und Bewegungsunfähigkeit im Bereich der Fußwurzel sowie der damit zusammenhängenden Schmerzen eine Wegstrecke von 300 bis 400 Metern nicht zu bewältigen.

Aus der ergänzend eingeholten Stellungnahme von Dr. K. vom 07.08.2019 geht zusammengefasst hervor, dass die Voraussetzungen der Zusatzeintragungen nicht vorliegen. Der Beschwerdeführer legte daraufhin ein unfallchirurgisches Fachgutachten, welches im Auftrag des LG Innsbruck durch Dr. L. erstellt wurde, vor.

Zuletzt wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein abschließendes Sachverständigengutachten von Dr. G. mit persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers eingeholt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist in Besitz eines Behindertenpasses und gehört seit 28.03.2019 dem Personenkreis der begünstigten Behinderten an.

Er leidet an folgenden Gesundheitseinschränkungen:

Schienbeinpseudarthrose rechts, Pos. Nr. 02.05.29 mit einem Grad der Behinderung von 40% (Leiden 1),

Zustand nach III° offener Fußwurzelzertrümmerung rechts, Pos. Nr. 02.05.35 mit einem Grad der Behinderung von 30% (Leiden 2),

Zustand nach fibular Bandruptur links, Pos. Nr. 02.05.32 mit einem Grad der Behinderung von 30% (Leiden 3),

Zustand nach Fraktur VI. Halswirbelkörper und degenerative Veränderung der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenvorfall und ausgeprägten osteochondrotischen Veränderungen, Pos. Nr. 02.01.02 mit einem Grad der Behinderung von 30% (Leiden 4) und

Schulterleiden links bei Zustnad nach Schulterverrenkung mit Bankartläsion, Pos. Nr. 02.06.03 mit einem Grad der Behinderung von 20% (Leiden 5).

Das Leiden 1 wird durch die restlichen Leiden aufgrund gegenseitiger negativer wechselseitiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöht.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50%.

Eine Verbesserung des führenden Leidens 1 in den nächsten zwei Jahren ist möglich.

Dem Beschwerdeführer ist es nicht möglich, eine kurze Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ohne Unterbrechung zurückzulegen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die Akten der belangten Behörde, in die Gutachten von Dr. K. und Dr. G., in die bekämpften Bescheide sowie in die Beschwerdeschriftsätze.

Die Feststellungen zur Person, zu den Anträgen und dem Behindertenpass ergeben sich aus dem Veraltungsakt der belangten Behörde und sind unstrittig.

Den festgestellten Funktionseinschränkungen wurden letztlich nicht mehr entgegengetreten und ergeben sich diese aus dem Gutachten des Dr. G. nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers.

Nachdem vom Beschwerdeführer ein Fachgutachten vorgelegt wurde und dieses nicht mit dem bisher von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten der Dr. K. in Einklang zu bringen war, wurde ein abschließendes Sachverständigengutachten eingeholt. Dr. G. konnte alle vorliegenden Befunde, Unterlagen und bisherigen Gutachten in seine Einschätzung miteinbeziehen und sich zudem ein umfängliches Bild vom aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers in einer persönlichen Untersuchung machen.

Dr. G. begründete auch ausführlich, weshalb er zu letztlich anderen Einschätzungen im Vergleich zum Vorgutachten, in dem der Zustand nach einem Motorradsturz als generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates eingestuft wurde, kam. Er erläuterte nachvollziehbar, dass es aus gutachterlicher Sicht unerlässlich ist, die einzelnen Leiden gesondert aufzuführen, da es sich um unterschiedliche Körperregionen handelt. Auch konnte er schlüssig darlegen, dass nicht alle Leiden mit dem vorgefallenen Polytrauma in Einklang zu bringen sind und verwies dabei auf das Wirbelsäulenleiden, ausgelöst durch die vorbestehende degenerative Veränderung im Lendenwirbelbereich mit Bandscheibenvorfall und schwerer Osteochondrose. Auch die Verrenkung im Fußwurzelbereich ist vom offenen 2-Etagenbruch am Unterschenkel gesondert einzuschätzen, da es sich um unterschiedliche klinische Symptomatiken handelt.

Der Gutachter ging auch nachvollziehbar auf die Bewertung des Leidens 1 als Führendes ein, da der 111° offene Unterschenkeletagenbruch aufgrund einer verzögerten Bruchheilung im Sinne einer Falschgelenkbildung noch nicht verheilt ist und auch dementsprechende Schmerzen und Bewegungseinschränkungen verursacht. Da sich dieser Zustand durch weitere Operationen bessern kann, ergibt sich die Nachuntersuchung in zwei Jahren. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Schmerzen haben auch zur Einschätzung geführt, dass der Beschwerdeführer eine kurze Wegstrecke nicht ohne Unterbrechung zurücklegen kann.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der Gutachter auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausreichend eingegangen ist und die Beeinträchtigungen im Sinne der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft wurden und die angewandten Rahmensätze auch begründet wurden. Diesen Einschätzungen ist der Beschwerdeführer auch nicht mehr entgegengetreten und führte er lediglich an, dass das Gutachten für ihn „undurchsichtig“ sei. Diese Ansicht teilt das Bundesverwaltungsgericht nicht, da Befund und Gutachten im engeren Sinn dargelegt wurden, das Gutachten also vollständig ist und mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang steht.

Der Gutachter ging auch ausreichend auf die vorliegenden wechselseitigen Leidensbeeinflussungen ein, sodass die Erhöhung des Gesamtgrades auf 50% nachvollziehbar ergibt.

Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat dieses Gutachten von. Dr. G vom 01.09.2020 unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zu Grunde.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem eingeholten Ergänzungsgutachten. Zudem sind die Verfahrensparteien dem letztlich eingeholten Ergänzungsgutachten nicht (mehr) auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Das vom Beschwerdeführer ins Verfahren eingebrachte Fachgutachten des Dr. L. wurde im abschließenden Gutachten des Dr. G. vollständig miteinbezogen. Auch wurde der Beschwerdeführer am Tag vor der Gutachtenserstellung persönlich untersucht und hatte ausreichend Gelegenheit (festgehaltene Untersuchungszeit: eine Stunde), dem Sachverständigen seine subjektiven Beschwerden zu schildern.

Dies lässt – auch wenn der Beschwerdeführer die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zu I.) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 2 BEinstG sind begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes österreichischer Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. Gemäß § 2 Abs 2 BEinstG gelten nicht als begünstigte Behinderte im Sinne des Abs 1 behinderte Personen, die

a) sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden oder

b) das 65. Lebensjahr überschritten haben und nicht in Beschäftigung stehen oder

c) nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften Geldleistungen wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit (dauernder Berufsunfähigkeit) bzw Ruhegenüsse oder Pensionen aus dem Versicherungsfall des Alters beziehen und nicht in Beschäftigung stehen oder

d) nicht in einem aufrechten sozialen versicherungspflichtigen Dienstverhältnis stehen oder in Folge des Ausmaßes ihrer Funktionsbeeinträchtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb (§ 11) nicht in der Lage sind.

Gemäß § 3 BEinstG gilt als Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Nicht als nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich 6 Monaten.

Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Grad der begünstigten Behinderten gelten Bescheide der in § 14 Abs 1 BEinstG bezeichneten Behörden, in denen über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 v.H. entschieden wurde.

Wenn ein Nachweis im Sinne dieser Bestimmung nicht vorliegt, hat gemäß § 14 Abs 2 BeinstG das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministerium Service) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderten einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Grades der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs 3) festzustellen.

Die Gesamteinschätzung mehrerer Leidenszustände hat nicht im Wege der Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze zu erfolgen. Vielmehr ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht, und dann zu prüfen, ob und in wie weit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit gerechtfertigt ist, wobei die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit im Vordergrund zu stehen haben. Bei dieser Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen (§ 14 Abs 2 BEinstG), wobei es dem Antragsteller freisteht zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften. Voraussetzung für eine derartige Vorgangsweise ist allerdings, dass das Gutachten des Sachverständigen (sein gesamter Inhalt) dem Beschwerdeführer im Verfahren zur Kenntnis gebracht wird (vgl VwGH 17.07.2009, 2007/11/0008; 21.02.2012, 2009/11/0111; 22.01.2013, 2011/0209; 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023).

Der Beschwerdeführer monierte die Einschätzung seines Zustandes nach einem Motorradunfall als generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates. Wie in der Beweiswürdigung bereits dargelegt, ist das zuletzt eingeholte Gutachten von. Dr. G. schlüssig, vollständig und nachvollziehbar und frei von Widersprüchen und folgt der Ansicht des Beschwerdeführers, dass seine Leiden einzeln und voneinander losgelöst einzuschätzen sind.

Allerdings ist für den Beschwerdeführer in Gesamtabrechnung damit nichts gewonnen, weil der Gesamtgrad der Behinderung durch die gesonderten Einschätzungen der einzelnen Leiden keine Änderung erfährt. Es ist der ärztlichen Einschätzung in Bezug auf die Festlegung des Grades der Behinderung im Hinblick auf die von der Einschätzungsverordnung getroffenen Prozentsätze, die der Sachverständige korrekt angewandt hat, zu folgen und ergibt sich durch wechselseitige Leidensbeeinflussung eine Erhöhung des führenden Leidens um eine Stufe.

Da der Gesamtgrad der Behinderung weiterhin 50% beträgt, war die Beschwerde gegen den Bescheid vom 15.05.2019, Zl. OB: XXXX , letztlich als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu II.) Stattgabe der Beschwerde:

§ 1 Abs 4 Z 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:

"Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen."

3.2.1. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

Nach den Ausführungen des Gutachters Dr. G. liegt die bewältigbare Wegstrecke des Beschwerdeführers aktuell bei nur rund 100 Metern. Durch die Pseudarthrosenbildung treten nach nur kurzer Wegstrecke derartig schwere Schmerzen auf, dass eine Pause eingelegt werden muss. Diese Ausführungen lassen sich unter erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten subsumieren und liegt bereits aus dem Grund des § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen die Voraussetzung für die Vornahme der Zusatzeintragung vor. Auch die oben angeführte Judikatur fordert die Möglichkeit des Zurücklegens einer Wegstrecke von ca. 300 bis 400 Metern ohne Unterbrechung und liegt die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers klar darunter.

Insbesondere war aber Augenmerk auf eine mögliche Verbesserung nach weiteren operativen Eingriffen zu legen und war daher eine Befristung auf zwei Jahre festzulegen. In dieser Zeit sollte die Endeinschätzung des Zustandes nach offenem Unterschenkelbruchs möglich sein.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Gesamteinschätzung mehrerer Leidenszustände, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Zusatzeintragung ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Befristung Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I414.2220453.1.00

Im RIS seit

10.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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