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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in B, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Juni 1995, Zl. 4.325.419/3-III/13/92, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung in einer Asylsache, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 1. (Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Soweit sich die Beschwerde gegen den Spruchpunkt 2. (Zurückweisung der Berufung) richtet, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. Dezember 1991 wurde auf Grundlage des Asylgesetzes (1968) festgestellt, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Zaire, der am 24. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am darauffolgenden Tag den Asylantrag gestellt hat, nicht Flüchtling sei.
Dieser Bescheid wurde an den Beschwerdeführer, der sich zu dieser Zeit im kreisgerichtlichen Gefangenenhaus Wr. Neustadt (nunmehr: Justizanstalt Wr. Neustadt) in Untersuchungshaft befand, am 16. Dezember 1991 eigenhändig zugestellt. Am 18. Dezember 1991 langte bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich die mit 16. Dezember 1991 datierte Anzeige der Vollmachtserteilung an Rechtsanwalt Dr. H. ein.
Mit dem am 4. Februar 1992 bei der Behörde eingelangten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch Dr. H., Berufung gegen den abweisenden Asylbescheid und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Dazu führte er im wesentlichen aus, er habe den Bescheid vom kreisgerichtlichen Gefangenenhaus Wr. Neustadt an die Flüchtlingsbetreuerin der evangelischen Pfarre in Traiskirchen mit dem Ersuchen übersendet, eine Berufung zu erheben. Diese Sendung sei aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen auf dem Postweg in Verlust geraten. Davon habe er erst nach seiner Haftentlassung am 24. Jänner 1992 erfahren.
Mit Bescheid vom 21. Juni 1995 hat die belangte Behörde
1. in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 14. April 1992 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und
2. die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. Dezember 1991 als verspätet zurückgewiesen.
Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages begründete die belangte Behörde im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer jedenfalls bereits innerhalb der offenen Berufungsfrist durch Dr. H. vertreten gewesen sei und der Rechtsvertreter entweder die Berufungsfrist bewußt habe verstreichen lassen oder verschuldet versäumt habe. Es sei sowohl dem Beschwerdeführer zuzumuten gewesen, seinen Rechtsvertreter auf die Zustellung des Asylbescheides hinzuweisen, als auch dem Vertreter, sich über den Stand des Verfahrens zu erkundigen.
Die Zurückweisung der Berufung begründete die belangte Behörde damit, daß aufgrund der Zustellung des Asylbescheides am 16. Dezember 1991 die Berufung bis zum 30. Dezember 1991 hätte eingebracht werden müssen. Die erst am 3. Februar 1992 erhobene Berufung sei daher verspätet.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
1. Zur Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden eines Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen (vgl. etwa die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 671, E 3a zu § 71 AVG, zitierte hg. Rechtsprechung).
Vorliegend wurde der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft - zulässigerweise, weil die Vollmachtsbekanntgabe erst nachträglich bei der Erstbehörde einlangte - an den Beschwerdeführer selbst und nicht an dessen Vertreter Dr. H. zugestellt. Der Beschwerdeführer wollte unstrittig - trotz des im Verwaltungsverfahren ausgewiesenen Vertretungsverhältnisses - mit der Einbringung einer Berufung einen anderen Vertreter beauftragen. Da die Vollmachtsbekanntgabe mit 16. Dezember 1991 datiert ist und die Zustellung des Asylbescheides an den Beschwerdeführer am selben Tag erfolgte, ist jedenfalls davon auszugehen, daß die vor der Vollmachtsbekanntgabe erfolgte Kontaktaufnahme des Beschwerdeführers mit Dr. H. bereits vor Zustellung des Bescheides erfolgte. Es ergeben sich somit keine Anhaltspunkte dafür, daß Dr. H. innerhalb der Berufungsfrist überhaupt Kenntnis von diesem Bescheid hatte. Die Begründung des angefochtenen Bescheides ist daher insoweit nicht nachvollziehbar, als die belangte Behörde die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages darauf stützt, daß Dr. H. die Berufungsfrist habe bewußt verstreichen lassen oder - trotz Kenntnis von der Erlassung des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich - schuldhaft versäumt habe. Insoweit die belangte Behörde meint, Dr. H. wäre verpflichtet gewesen, "sich umgehend dergestalt über den Stand des Verfahrens zu erkundigen, daß die Wahrung allfälliger Fristen gewährleistet ist", unterliegt sie einem Rechtsirrtum. Es hieße die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwaltes überspannen, wollte man von ihm verlangen, sich anläßlich der Anzeige eines Vertretungsverhältnisses - ohne entsprechende Anhaltspunkte - in jedem Fall vorsorglich bei der Behörde darüber zu informieren, ob bereits ein Bescheid an seinen Mandanten zugestellt worden ist.
Ebenso teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht die Meinung der belangten Behörde, wenn diese dem Beschwerdeführer zum Vorwurf macht, Dr. H. nicht von der Zustellung des abweislichen Asylbescheides in Kenntnis gesetzt zu haben. Da für den Beschwerdeführer - trotz eines im Verwaltungsverfahren ausgewiesenen Vertreters - weiterhin die Möglichkeit bestand, ein Rechtsmittel selbst oder durch einen anderen Vertreter zu erheben, traf ihn nicht die Obliegenheit, seinen ausgewiesenen Vertreter von der Zustellung zu verständigen.
Die belangte Behörde ist somit aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht nicht auf den von der Beschwerde als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemachten Umstand (Verlust der Sendung an die Flüchtlingsbetreuerin der evangelischen Pfarre Traiskirchen auf dem Postweg) eingegangen.
Der angefochtene Bescheid war daher insoweit wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2. Zur Beschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als verspätet:
Da der Beschwerdeführer nicht bestreitet, daß ihm der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. Dezember 1991 am 16. Dezember 1991 zugestellt wurde und er die Berufung dagegen erst am 3. Februar 1992 einbrachte, bestehen gegen die Rechtsansicht der belangten Behörde, daß die Berufungsfrist versäumt wurde, keine Bedenken. Die belangte Behörde hat die Berufung daher zu Recht als verspätet zurückgewiesen. Der Umstand, daß aufgrund der Aufhebung des Berufungsbescheides (oben 1.) das Verfahren über den Wiedereinsetzungsantrag wieder in das Berufungsstadium zurücktritt, ändert daran nichts, weil über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem anhängigen, aber noch nicht entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich aufgrund der Aktenlage entschieden werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/02/0251, Slg. Nr. 12275 A).
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996010026.X00Im RIS seit
20.11.2000