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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Dezember 1995, Zl. 4.330.569/11-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der
"Jugosl. Föderation", der am 29. Jänner 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. Jänner 1992 einen Asylantrag gestellt hat, gab bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 6. Februar 1992 an, er sei Moslem, seine Muttersprache sei albanisch und er komme aus dem Kosovo. Zu seinen Fluchtgründen gab er an:
"In meiner Heimat werde ich aus religiösen Gründen nicht verfolgt. Ich war jedoch Mitglied der LDK-Partei (Liga-Demokratie-Kosovo). Ich schrieb für diese Partei bzw. Bewegung Parolen für die Einhaltung der Menschenrechte. Auch nahm ich an mehreren Demonstrationen teil. Ich wurde auch mehrere Male festgenommen, nach kurzen Verhören jedoch wieder freigelassen. Bei diesen Verhören wurde ich von Polizeibeamten auch geschlagen, ärger verletzt wurde ich jedoch nicht.
Mein eigentlicher Fluchtgrund ist jedoch, meine Desertation von der Jugoslawischen Bundesarmee, in der ich meinen Grundwehrdienst ableistete. Am 26.1.1992 wurde uns in der Kaserne mitgeteilt, daß wir am nächsten Tag zur Front gebracht werden um dort zu kämpfen. Genauere Erläuterungen gab es jedoch nicht. Ich will aber weder gegen meine Landsleute kämpfen noch in diesem sinnlosen Gemetzel meine Gesundheit verlieren. Deshalb flüchtete ich aus der Kaserne und entschloß mich nach Österreich zu fliehen. Bei meiner Rückkehr würde mich wahrscheinlich eine Gefängnisstrafe erwarten."
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich stellte mit Bescheid vom 27. Februar 1992 fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei. Die formularmäßig gestaltete Begründung nahm auf die individuell vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe nicht Rücksicht. Der Beschwerdeführer erhob dagegen eine ebenso formularmäßig gestaltete Berufung ohne Bezug auf seine individuell vorgebrachten Gründe.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem Bescheid vom 11. Jänner 1994 ab. Sie ging ausschließlich von der vom Beschwerdeführer erlangten Sicherheit vor Verfolgung in Slowenien und damit vom Vorliegen des Ausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 aus. Dieser Bescheid wurde aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1994, B 163/94-12, aus Anlaß der Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch das Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben. Im fortgesetzten Verfahren wies die belangte Behörde die Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 1995 neuerlich ab. Sie begründete ihre Ansicht, daß der Beschwerdeführer im Sinne des Asylgesetzes 1991 nicht Flüchtling sei, wie folgt:
"Zu den von Ihnen ins Treffen geführten Demonstrationsteilnahmen sowie den damit zusammenhängenden Verhören ist auszuführen, daß diese einerseits nicht den Grad an Intensität erreichten, um aus objektiver Sicht eine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 annehmen zu können, und hat andererseits offenbar auch Ihrerseits nicht eine Furcht bestanden, wenn Sie ausführen, daß Ihr "eigentlicher Fluchtgrund" Ihre Desertion von der Jugoslawischen Bundesarmee sei.
Die von Ihnen geltend gemachte Desertion von der Jugoslawischen Bundesarmee ist jedoch nicht geeignet, einen asylbegründenden Sachverhalt darzustellen, da sich Ihrem Vorbringen nicht entnehmen läßt, daß Sie hiebei eine Verfolgung aus einem der im § 1 Ziffer 1 Asylgesetz 1991 aufgezählten Gründe zu erwarten hätten. Aus Ihrem Vorbringen ist nicht glaubwürdig ableitbar, daß Sie wegen eines in der Genfer Konvention bzw. im § 1 Ziffer 1 des Asylgesetzes 1991 idgF genannten Grundes im Hinblick auf Ihre Volksgruppenzugehörigkeit eine unterschiedliche Behandlung oder im Falle Ihrer Aufgreifung und Verurteilung eine differenzierte Bestrafung im Vergleich zu serbischen Volksgruppenangehörigen zu erwarten hätten.
Eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Desertion als solche stellt jedoch keine Verfolgung im Sinne des § 1 Ziffer 1 Asylgesetz 1991 dar, da die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme darstellt.
Auch die Tatsache, daß Sie allenfalls gezwungen gewesen wären, im Rahmen des Bürgerkrieges gegen Ihre Landsleute vorzugehen, kann die Asylgewährung nicht nach sich ziehen, da es sich auch hiebei nicht um eine gegen Sie persönlich gerichtete Verfolgung im Sinne des § 1 Absatz 1 Asylgesetz 1991 handelt."
Darüber hinaus begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung damit, daß der Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthaltes in Slowenien Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe. Slowenien sei seit 25. Juni 1991 Mitgliedstaat der Genfer Konvention. Es sei legitim, davon auszugehen, daß in einem Staat, dessen Rechts- und Verfassungsordnung im großen und ganzen effektiv sei, wie das für Slowenien gelte, auch größere Teilbereiche dieses Rechtsbestandes, wie eben das Non-Refoulement-Recht, ebenfalls effektiv in Geltung stünden. Schon aus der Systematik des § 2 Abs. 3 des Asylgesetzes 1991 ergebe sich, daß hiebei eine generalisierende Betrachtung ausreiche. Der Beschwerdeführer habe nicht darzutun vermocht, daß er keinen Rückschiebeschutz genossen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - worunter sowohl die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst als auch nach dessen Antritt die Desertion zu verstehen ist - grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht, was auch in den Fällen gilt, in denen in dem betreffenden Heimatstaat unter anderem ein Bürgerkrieg oder eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung stattfindet. Allerdings kann die Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit der Ableistung des Militärdienstes dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohen (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 = Slg. Nr. 14.089/A).
Die belangte Behörde hat die politische Betätigung des Beschwerdeführers und deren Folgen sowie seine Desertion isoliert voneinander betrachtet. Sie war dazu aufgrund der Darstellung des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 6. Februar 1992 ("Mein eigentlicher Fluchtgrund") berechtigt.
Den Ausführungen der belangten Behörde zu den Demonstrationsteilnahmen des Beschwerdeführers und den anschließenden Verhören tritt der Beschwerdeführer konkret nicht entgegen. Er erwähnt seine politische Tätigkeit in der Beschwerde nur im - vermeintlich gegebenen - Zusammenhang mit der Desertion. Der Verwaltungsgerichtshof kann ausgehend von den Beschwerdeausführungen eine diesbezügliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht erkennen.
Der Beschwerdeführer hat in seinen erstinstanzlichen Angaben einen Zusammenhang zwischen seiner Desertion und einer asylrechtlich relevanten wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des obgenannten Erkenntnisses vom 29. Juni 1994 nicht dargetan.
Die in der Beschwerde vorgetragene Rüge, aus den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers sei insbesondere im Zusammenhang mit der von ihm behaupteten politischen Tätigkeit und deren Folgen erkennbar, daß er befürchte, von den Behörden aufgrund seiner Desertion verfolgt zu werden und einer strengeren Bestrafung ausgesetzt zu sein, als sonst eine Person, die lediglich ihre staatsbürgerlichen Pflichten verweigere, was die belangte Behörde nicht erkannt habe, ist daher nicht berechtigt.
Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken habe, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800 bis 0803).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides (Sicherheit des Beschwerdeführers vor Verfolgung in Slowenien) sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverhalt Neuerungsverbot Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996010108.X00Im RIS seit
20.11.2000