TE Vwgh Erkenntnis 1997/5/6 96/08/0286

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Veröffentlicht am 06.05.1997
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §26 Abs4 idF 1993/817;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der D in G, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 29. August 1996, Zl. LGS600/LA2/1218(7022)/1996-Mag. Ed/Fe, betreffend Widerruf und Rückforderung von Karenzurlaubsgeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 14. April 1995 mit Wirkung ab 3. April 1995 unter Verwendung des bundeseinheitlich aufgelegten Antragsformulares den Antrag auf Gewährung von Karenzurlaubsgeld. Im Antrag wurde die Frage 4. ("Ich stehe derzeit in Beschäftigung. Wenn ja, Art der Tätigkeit (z.B. Dienstnehmer, Hausbesorger, Mitarbeit im Familienbetrieb, Geschäftsführer)") ebenso verneint wie die Frage 5. ("Ich war bzw. bin selbständig erwerbstätig. Wenn ja, haben Sie die Gewerbeberechtigung zurückgelegt oder das Ruhen des Gewerbes angemeldet?") und die Frage 8. ("Ich habe ein eigenes Einkommen. Wenn ja, welcher Art? (z.B. Alterspension, Invaliditätspension, Rente aus der Kriegsopferversorgung oder aus der Opferfürsorge, Unterhaltsleistung, Alimente, Erziehungsbeitrag, Unfallrente, Einkommen aus Vermietung oder Hausbesorgertätigkeit u.ä.) Höhe des Einkommens"). Laut der mit der Beschwerdeführerin aufgenommenen Niederschrift vom 14. April 1995 wurde die Beschwerdeführerin u.a. darüber aufgeklärt, daß jede Änderung in den persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen binnen einer Woche dem "Arbeitsamt Graz" zu melden sei. Mit Zahlungs- und Verrechnungsauftrag vom 19. April 1995 wurde der Beschwerdeführerin Karenzurlaubsgeld gewährt.

Am 2. Oktober 1995 langte beim Arbeitsmarktservice Graz das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 27. August 1995 ein, worin sie, soweit hier wesentlich, ausführt:

"Wie telefonisch bereits mitgeteilt, hat sich an der Einkommenssituation meiner Familie nach wie vor nichts geändert."

Am 23. Mai 1996 langte beim Arbeitsmarktservice Graz ein Schreiben der Beschwerdeführerin mit folgendem Inhalt ein:

"An Herrn

Dr. F

Betrifft: Honorarnote vom 29.12.1995

Leistungen laut mündlichem Werkvertrag vom 3.4.1995 bis 29.12.1995 S 36.000,-- (inklusive 20 % USt von S 6.000,--). Ich bedanke mich für die Akonto-Überweisung mit heutigem Tag.

Mit freundlichen Grüßen

D"

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Graz vom 25. Juni 1996 wurde gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 AlVG 1977 das der Beschwerdeführerin gewährte Karenzurlaubsgeld "für nachstehend angeführten Zeitraum widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 AlVG die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes von S 86.681,-- verpflichtet. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 3. April 1995 bis 29. Dezember 1995 zu Unrecht bezogen habe, da sie laut vorgelegter Honorarnote über ein monatliches Einkommen verfügt habe, das über der Geringfügigkeitsgrenze von monatlich S 3.452,-- gelegen sei.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Darin führte sie aus, daß die gegenständliche Honorarnote ein Nettoeinkommen von S 30.000,-- aufweise. Die Umsatzsteuer sei - wie ihr das Arbeitsamt anläßlich einer Anfrage im Jahr 1991 bekanntgegeben habe - nicht als Einkommen zu werten. Es lägen daher keine über die Geringfügigkeitsgrenze hinausgehenden Einkünfte vor. Falls die Umsatzsteuer bei der Einkommensberechnung nach dem AlVG doch einzurechnen sei, mache sie Aufwendungen geltend, welche einkommensmindernd wirkten. Dies seien Telefonkosten in Höhe von S 500,-- pro Monat, insgesamt S 4.500,--, sowie Fahrtkosten in Höhe von ca. S 2.000,--. Schlußendlich bestünde in keinem Fall ein Rückersatzanspruch, weil sie nicht erkennen habe können, daß die Leistung nicht gebührte und keinerlei sonstiges Verhalten im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG gesetzt habe. Im Rahmen des Berufungsverfahrens übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein Formular über eine Niederschrift, welches die Beschwerdeführerin ausfüllte und mit anderen Unterlagen der belangten Behörde retournierte. Nach dieser "Niederschrift" war die Beschwerdeführerin seit 3. April 1995 selbständig erwerbstätig; ein Einkommen- bzw. Umsatzsteuerbescheid liege noch nicht vor, weil noch keine Erklärung abgegeben worden sei. Im Zeitraum vom 3. April 1995 bis 29. Dezember 1995 habe sie ein Bruttoeinkommen von S 36.000,-- und einen Umsatz von S 36.000,-- erzielt. Die Beschwerdeführerin legte fünf Fotokopien über Telekom-Rechnungen sowie ein Schreiben des M mit nachstehendem Inhalt vor:

"Hiemit bestätige ich, daß Frau D (24. Juli 1959), monatlich einen Telefonrechnungsbeitrag von S 500,-- (p.m.) im Zeitraum April bis Dezember 1995 bezahlt hat."

Weiters legte die Beschwerdeführerin zwei offenbar formularmäßige Aufzeichnungen über Reisekosten vor, und zwar vom 9. November 1995 und vom 19. Dezember 1995, in welchen lediglich Ort, Zeit und Programm der Reise sowie der Aufwand an km-Geld (400 km a S 4,60, insgesamt S 1.840,--) sowie (zumindest in dem mit 19. Dezember 1995 datierten) der Name D festgehalten ist. In dem mit 7. August 1996 datierten Begleitschreiben führte die Beschwerdeführerin aus, die Reisespesen betrügen für das Jahr 1995 S 3.680,--. Der Aufwand sei notwendig gewesen, um zwei Gerichtsverhandlungen zu besuchen, wobei die tägliche Arbeitszeit aber nicht über zwei Stunden gelegen sei. Das erzielte Nettoeinkommen liege keinesfalls über der Geringfügigkeitsgrenze, weshalb der angefochtene Bescheid unberechtigt sei. In dem Schreiben heißt es weiter, zu den Telefongebühren sei auszuführen, daß das Telefon auf den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin angemeldet sei. Die Beschwerdeführerin habe ihre Telefonkosten über ihren Lebensgefährten bezahlt. Das Schreiben enthält auch ein Beweisanbot: "PV, M als Zeuge, Zahlungsbelege."

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge. In der Begründung des Bescheides wird nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen ausgeführt, es gehe aus der Aktenlage nicht hervor, daß die Umsatzsteuer von S 6.000,-- an das Finanzamt abgeführt worden sei und es sei diese daher sehr wohl als Einkommen zu werten.

Die Beschwerdeführerin habe angeführt, daß ihr aus ihrer selbständigen Tätigkeit, bei der sie in ca. neun Monaten S 36.000,--, also pro Monat ca. S 3.980,--, verdient habe, monatliche Telefonkosten in Höhe von S 500,-- erwachsen seien. Dies sei gänzlich unglaubhaft und würden daher die Telefonkosten im Rahmen der freien Beweiswürdigung nicht als einkommensmindernde Aufwendung angerechnet.

Die Reisekosten in Höhe von S 3.680,-- seien, wie aus den beiliegenden Reiserechnungen ersichtlich, gesondert verrechnet und ausbezahlt worden und könnten daher keinesfalls einkommensmindernd wirken.

Die Beschwerdeführerin habe weder bei Geltendmachung ihres Antrages auf Karenzurlaubsgeld am 3. April 1995 (gleichzeitig Tag des Beginns der selbständigen Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin) noch bei der Abgabe ihres Antrages am 14. April 1995, wobei sie auch niederschriftlich über die Strafsanktion bei unberechtigtem Karenzurlaubsgeld aufgeklärt worden sei, und auch im weiteren Schriftverkehr bis zur Vorlage der Honorarnote im Mai 1996 nicht bekanntgegeben, selbständig erwerbstätig zu sein. Die Beschwerdeführerin habe somit den Bezug des Karenzurlaubsgeldes für den gegenständlichen Zeitraum durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt und somit den Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz zweiter Fall AlVG erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde behauptet, der angefochtene Bescheid sei insofern verfehlt, als die Umsatzsteuer als Einkommen gewertet worden sei. Die Umsatzsteuer sei jedenfalls vom Einkommen verschieden und auch dann nicht hinzuzurechnen, wenn sie nicht an das Finanzamt abgeführt werde. Die Feststellungen im Bescheid gingen auch von einem Einkommen von S 30.000,-- zuzüglich USt aus, sodaß die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten worden sei. Die Aufwendungen seien selbstverständlich vom Bruttoeinkommen abzuziehen.

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, daß die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Zeitraum vom 3. April bis 31. Dezember 1995 selbständig erwerbstätig war. Die belangte Behörde hat richtig erkannt, daß die Frage, welche Rechtslage für die Beurteilung, ob eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung gebührt, grundsätzlich (d.h. sofern nicht anderes bestimmt ist) zeitraumbezogen zu beurteilen ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 21. September 1993, Zl. 91/08/0145, 0146, m.w.N.). Diese Frage wurde von der belangten Behörde jedoch unrichtig gelöst:

Gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 AlVG (i.d.F. BGBl. Nr. 609/1977, Nr. 615/1987 und Nr. 408/1990) haben Anspruch auf Karenzurlaubsgeld Mütter, a) die die Anwartschaft erfüllt haben und b) sich aus Anlaß der Mutterschaft in einem Karenzurlaub bis zum Höchstausmaß von zwei Jahren vom Tag der Geburt des Kindes an gerechnet befinden oder - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - deren Dienst- (Ausbildungs-, Lehr-)verhältnis von ihnen wegen der bevorstehenden oder erfolgten Entbindung oder vom Dienstgeber gelöst oder durch Zeitablauf beendet wurde, und c) deren neugeborenes Kind mit ihnen im selben Haushalt lebt und von ihnen überwiegend selbst gepflegt wird, wobei diese Voraussetzungen nicht erforderlich sind, solange sich das Kind in einer Krankenanstalt in Pflege befindet.

Gemäß § 26 Abs. 3 (i.d.F. BGBl. Nr. 609/1977) haben keinen Anspruch auf Karenzurlaubsgeld u.a. Mütter, die selbständig erwerbstätig sind (lit. b).

Gemäß § 26 Abs. 4 lit. d AlVG (i.d.F. BGBl. Nr. 817/1993) haben Anspruch auf Karenzurlaubsgeld bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen jedoch u.a. Mütter, die auf andere Art selbständig erwerbstätig sind und daraus im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit einen Umsatz erzielen, von dem 11,1 v.H. die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt.

Gemäß § 12 Abs. 11 AlVG i.d.F. der nach § 79 Abs. 7 AlVG am 1. Jänner 1994 in Kraft getretenen Novelle BGBl. Nr. 817/1993 sind bei der Ermittlung des Umsatzes oder des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit für die Beurteilung des Anspruches auf Familienzuschlag (§ 20 Abs. 2) und Karenzurlaubsgeld (§ 26 Abs. 4 und 27 Abs. 3) die Abs. 9 und 10 und § 36 Abs. 3 lit. A sublit. f und lit. B sublit. d sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 12 Abs. 9 AlVG i.d.F. dieser Novelle wird der Umsatz (gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG) aufgrund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem Arbeitslosengeld bezogen wird, festgestellt. Als monatlicher Umsatz gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag.

§ 26 Abs. 4 AlVG wurde durch das Strukturanpassungsgesetz BGBl. Nr. 297/1995 geändert. Diese Änderung trat gemäß § 79 Abs. 19 AlVG i.d.F. BGBl. Nr. 297/1995 mit 1. Mai 1995 in Kraft und gilt (bezogen auf Ansprüche bis 31. Dezember 1995) nur für solche, deren Anfallstag nach dem 30. April 1995 liegt.

Im vorliegenden Fall ist der Anfallstag der der Beschwerdeführerin zuerkannten Leistungen bis 29. Dezember 1995 mit 3. April 1995 gegeben. Es ist daher § 26 Abs. 4 i.d.F. BGBl. Nr. 297/1995 nicht anzuwenden, sondern gilt gemäß § 79 Abs. 19 AlVG (i.d.F. BGBl. Nr. 297/1995) für diesen Fall weiterhin § 26 Abs. 4 lit. d AlVG i.d.F. BGBl. Nr. 817/1993. Diese Bestimmung stellt ausdrücklich nur auf den aus der selbständigen Erwerbstätigkeit erzielten Umsatz ab. Feststellungen zu einem Umsatz der Beschwerdeführerin enthält der angefochtene Bescheid nicht. Da die belangte Behörde ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht Feststellungen über einen Umsatz der Beschwerdeführerin nicht traf, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Da der Widerruf des Karenzurlaubsgeldes nicht zu Recht erfolgte, ist auf die Frage der Rückforderung nicht einzugehen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996080286.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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