Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ASVG §122;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerden
1. des MD und 2. der ED in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Oktober 1995, Zl. MA 15-II-D 10/95, betreffend Angehörigeneigenschaft des Erstbeschwerdeführers und Zurückweisung von dessen Einspruch als unzulässig (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der vorliegenden Beschwerde und der ihr beigeschlossenen Ablichtung des angefochtenen Bescheides sowie der vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Mängelbehebung vom 18. April 1997 ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid vom 12. Juli 1995 stellte die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse fest, daß der Erstbeschwerdeführer als eheliches Kind der zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemeldeten Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 124 Abs. 1 vierter Satz ASVG in Verbindung mit § 22 Abs. 2 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse in der geltenden Fassung über den 30. Juni 1995 hinaus nicht anspruchsberechtigter Angehöriger der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 123 ASVG sei.
Gegen diesen Bescheid erhoben beide Beschwerdeführer Einspruch im wesentlichen mit der Begründung, § 22 Abs. 2 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse sei verfassungswidrig.
Nach Hinweisen auf die angewendeten Bestimmungen des ASVG und der Satzung wies die belangte Behörde den Einspruch des Erstbeschwerdeführers als unzulässig zurück, den Einspruch der Zweitbeschwerdeführerin hingegen ab.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluß vom 25. November 1996, B 3745/95-7, abgelehnt und die Beschwerde über Antrag der Beschwerdeführer mit Beschluß vom 14. Februar 1997, B 3745/95-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die Beschwerdeführer ihre Beschwerde ergänzt und beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zur Beschwerde des Erstbeschwerdeführers:
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 9. Februar 1993, Zl. 92/08/0251, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Juni 1992, G 208/91, und zur gegenteiligen Regelung des § 56 B-KUVG (vgl. dazu das Erkenntnis vom 17. November 1992, 91/08/0091) dargelegt hat, betrifft die Angehörigeneigenschaft ein Recht des Versicherten und nicht des Angehörigen. Der Erstbeschwerdeführer besitzt daher im Verfahren zur Anerkennung seiner Angehörigeneigenschaft im Sinne des § 123 ASVG keine Parteistellung, weshalb die belangte Behörde seinen Einspruch zu Recht zurückgewiesen hat.
Zur Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin:
Die Zweitbeschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Mitversicherung des Erstbeschwerdeführers im Sinne des § 124 iVm § 123 ASVG dadurch als verletzt, daß dieser ab dem 1. Juli 1995 nicht mehr als mitversichert anerkannt wurde.
Die belangte Behörde hat dies damit begründet, daß gemäß § 124 Abs. 1 vierter Satz ASVG die Satzung für Selbstversicherte auch den Kreis der Angehörigen einschränken könne, wobei jedoch Kinder "(§ 123 Abs. 2 Z. 2 bis 6)" nicht ausgeschlossen werden dürften. Von dieser Ermächtigung habe der Hauptverband der Sozialversicherungsträger durch Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in die Mustersatzung 1994 (§ 22 Abs. 2 der Mustersatzung) Gebrauch gemacht. Danach würden als Angehörige von Selbstversicherten nach § 16 ASVG nur der Ehegatte und "die Kinder (§ 123 Abs. 2 Z. 2 bis 6 ASVG) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres" gelten.
Die Generalversammlung der Wiener Gebietskrankenkasse habe am 30. Mai 1995 eine Neufassung der Satzung beschlossen, welche mit Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 13. Juni 1995 genehmigt worden sei. Die Neufassung der Satzung sei gemäß § 31 Abs. 9 ASVG an dem der Kundmachung in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" folgenden Tag, dies sei der 1. Juli 1995 gewesen, in Kraft getreten. Im Hinblick darauf, daß gemäß § 22 Abs. 2 der nunmehr geltenden Satzung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse nur Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Angehörige von Selbstversicherten nach § 16 ASVG gelten, habe im vorliegenden Fall, in dem der Erstbeschwerdeführer unbestrittenermaßen das 18. Lebensjahr vor dem 1. Juli 1995 vollendet gehabt habe, wie im Spruch entschieden werden müssen.
Dagegen bringt die Beschwerdeführerin vor, daß bei "verfassungskonformer Interpretation der anzuwendenden einfachgesetzlichen Bestimmungen (namentlich der § 124 iVm 123 ASVG) sowie folgerichtig bei gesetzeskonformer Interpretation der anzuwendenden Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse ihren Anträgen vollinhaltlich stattzugeben gewesen wäre".
Diesen Ausführungen sowie den Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin in ihrer Verfassungsbeschwerde (auf welche sie im Schriftsatz zur Mängelbehebung auch ausdrücklich verweist) ist zu entgegnen, daß sich der Verfassungsgerichtshof sowohl mit § 22 Abs. 2 der Mustersatzung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger als auch mit § 22 Abs. 2 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse in der hier anzuwendenden Fassung in seinem Erkenntnis vom 25. September 1996, V 54, 55, 56/96, befaßt hat. Der Verfassungsgerichtshof hat darin Anträge der Volksanwaltschaft auf Aufhebung des § 22 Abs. 2 der Mustersatzung 1994 und des § 22 Abs. 2 Z. 2 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse abgewiesen. Er hat dies ausführlich mit der Entstehungsgeschichte des § 124 Abs. 1 letzter Satz ASVG begründet: Während nach der Stammfassung
BGBl. Nr. 189/1955 die Kinder nur bis zum vollendeten
14. Lebensjahr als Mitversicherte nicht ausgeschlossen hätten werden dürfen, sei dies mit der 21. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 6/1968, auf das vollendete 15. Lebensjahr erweitert und durch die 32. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 704/1976, durch die heute maßgebliche Fassung ersetzt worden. Bei einer systematischen Interpretation des Gesetzes komme der Regelung des § 123 Abs. 4 ASVG besondere Bedeutung zu. Nach der Grundregel des ersten Satzes des § 123 Abs. 4 würden Kinder und Enkel nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Angehörige gelten. Es sei daher davon auszugehen, daß die Durchbrechung dieser Regelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedürfe. Eine solche finde sich im ASVG lediglich in den Ziffern 1 und 2 des § 123 Abs. 4 sowie in § 123 Abs. 5, nicht aber in § 124 Abs. 1. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung hinsichtlich der für die Angehörigeneigenschaft im Sinne des ASVG maßgeblichen Altersgrenzen von Kindern von Selbstversicherten sei anzunehmen, daß der Gesetzgeber dann, wenn er eine völlige Gleichbehandlung von Pflichtversicherten und Selbstversicherten hinsichtlich der Mitversicherung ihrer Kinder beabsichtigt hätte, dies - auch im Hinblick auf § 123 Abs. 4 ASVG - ausdrücklich angeordnet hätte. Aus den Materialien ergebe sich aber kein Anhaltspunkt dafür, daß die Frage der - schon in finanzieller Hinsicht bedeutsamen - Gleichstellung im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens überhaupt diskutiert worden sei.
§ 124 Abs. 1 ASVG habe aber auch keinen verfassungsrechtlich bedenklichen Inhalt. Der Verfassungsgerichtshof vertrat dazu die Auffassung, daß Unterschiede im Leistungsrecht zwischen Pflicht- und Selbstversicherten durch den Gleichheitssatz selbst bei gleicher Beitragshöhe nicht ausgeschlossen würden. Da Selbstversicherte im Gegensatz zu Pflichtversicherten eine Wahlmöglichkeit hätten, ob und bejahendenfalls bei wem sie sich versichern wollten, befänden sie sich in einer völlig anders gelagerten Situation als Pflichtversicherte, denen eine solche Wahlmöglichkeit von vornherein nicht zukomme. Es sei daher aus der Sicht des Gleichheitssatzes eine völlige Gleichgestaltung des Leistungsrechtes selbst bei gleicher Beitragszahlung nicht geboten.
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im genannten Erkenntnis vom 25. September 1996 an.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich der angefochtene Bescheid als frei von Rechtsirrtum; insbesondere wurde die in der Beschwerde für erforderlich erachtete "gesetzeskonforme Interpretation" der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse von der belangten Behörde ohnehin vorgenommen (wenn auch mit einem anderen Ergebnis, als die Zweitbeschwerdeführerin anstrebte). Die von der Zweitbeschwerdeführerin angestrebte Interpretation wäre im übrigen vom Wortlaut her nicht möglich.
Da in der vorliegenden Beschwerde andere als vom Verfassungsgerichtshof bereits behandelte Gründe für die behauptete Verfassungswidrigkeit der genannten Satzungsbestimmung nicht vorgebracht werden, die vorgetragenen Gründe aber bereits vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 25. September 1996, V 54, 55, 56/96, verworfen wurden, sieht der Verwaltungsgerichtshof auch keine Veranlassung, beim Verfassungsgerichtshof ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 124 Abs. 1 vierter Satz ASVG anhängig zu machen. Im Hinblick auf § 16 Abs. 3 ASVG, wonach die für den Erstbeschwerdeführer mögliche Selbstversicherung im Falle einer rechtzeitigen Antragstellung innerhalb von sechs Wochen nach dem Ende der Versicherung unmittelbar an die Krankenversicherung anschließt, bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der übergangslosen Beseitigung der Mitversicherung des Erstbeschwerdeführers keine Bedenken. Da der Erstbeschwerdeführer im Jahre 1969 geboren wurde und daher im fraglichen Zeitraum auch das 20. Lebensjahr überschritten hatte, kann die Frage offenbleiben, ob weiterhin die Bestimmung des § 123 Abs. 4 letzter Satz ASVG (Fortdauer der Mitversicherung über das 18. Lebensjahr hinaus für die Dauer von höchstens 24 Monaten unter der Voraussetzung der Erwerbslosigkeit) anzuwenden ist.
Da somit bereits die vorliegende Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung sowohl des Erstbeschwerdeführers als auch der Zweitbeschwerdeführerin nicht vorliegt, war sie ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997080049.X00Im RIS seit
31.07.2001