TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/25 L504 2168677-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L504 2168677-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 AsylG 2005, §§ 52 Abs 2 Z 2 u. Abs 9, 46 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen. Spruchpunkt IV. wird insoweit abgeändert als dieser lautet:

Gemäß § 55 Abs 1 – 3 FPG iVm 2. COVID-19-Gesetz beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab 01.05.2020.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 12.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger der Türkei mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und aus XXXX stammt.

Zusammengefasst brachte die bP zur Begründung ihres Antrages vor, dass gegen sie Gerichtsverfahren anhängig seien und es drohe ihr eine etwas mehr als dreijährige Haftstrafe. Sie habe wegen drohender Gefängnisstrafe das Land verlassen.

In der von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.02.2016 durchgeführten Erstbefragung gab die bP zu ihrer Ausreisemotivation Folgendes an:

„[…]

Frage: Warum haben Sie Ihr Land verlassen? (Fluchtgrund)

Antwort: Ich war ein Parteimitglied der Partei BDP (kurdische Partei in Südosttürkei). Die türkische Regierung hat die Partei aber nicht anerkannt und als illegal erklärt. Daraufhin wurde diese Partei in HDP umbenannt. Nach der neuerlichen Wahl erreichte die HDP ein gutes Ergebnis und ich war dann Parteimitglied im Gemeinderat XXXX . Diese Parteimitglieder der HDP wurden verfolgt und ich habe ein gerichtliches Urteil bekommen, dass ich für drei Jahre eine Haft antreten muss, da ich Parteimitglied der HDP war. Daraufhin habe ich die Türkei verlassen.

Frage: Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Antwort: Haftantritt für drei Jahre bzw. den Tod, da mir damit auch von der

Zivilpolizei gedroht wurde.

Frage: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?

Wenn ja, welche?

Antwort: Gerichtliches Urteil gegen mich.

[…]“

Mit Bescheid der EASt West vom 28.07.2016 wurde der Antrag als unzulässig zurückgewiesen und die Zuständigkeit Ungarns ausgesprochen. Mit Erkenntnis vom 22.09.2016, AZ W185 2132596-1/5E, gab das BVwG der Beschwerde statt und hat das Verfahren in Österreich zugelassen

In der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat und allfälligen Problemen die sie im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat erwarte, am 16.05.2017 im Wesentlichen vor:

„[…]

LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen

Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so

detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar

sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

VP: Ich war Mitglied der Partei HADEP, der alten, damaligen Partei. Und aus

diesem Grund bin ich automatisch Mitglied aller Folgeparteien der HADEP. Wenn Sie

wollen, kann ich alle Parteien erwähnen. Ich wollte das nur deswegen erwähnen oder

auch nicht, weil die HADEP wurde vom Staat geschlossen, die HADEP hat unter

anderem Namen weitergemacht, das System und die Personen waren aber immer

gleich, nur der Namen hat sich geändert. Ich habe unter der HADEP Politik gemacht.

Die letzte Partei, bei der ich Mitglied war, heißt DDP (Anm.: Partei selbst unsicher, ob

DTP oder DDP). Während der Wahlen im Jahr 2009 war ich....ich wurde gewählt als

Gemeinderat der Partei DDP. Das war eine Aufgabe für fünf Jahre laut der

Wahlordnung. Ich war auch inzwischen stellvertretender Bürgermeister. Die

Bürgermeisterin heißt XXXX , sie ist zur Zeit inhaftiert. Wir haben drei Jahre

miteinander gearbeitet, nach drei Jahren wurde sie verhaftet. Vorgeworfen wurde ihr

Mitgliedschaft bei der KCK. Damals nach meiner Schätzung wurden cirka 10.000

Mitglieder bzw. Sympathisanten unserer Partei verhaftet. Nachdem sie verhaftet

wurde, wurde sie von XXXX vertreten. Innerhalb dieser Zeiten wurde uns

gegenüber oder auch mir gegenüber einige Anzeigen erstattet und Verfahren

eingeleitet. Die Verhandlungen dazu finden zur Zeit auf freiem Fuß statt. Nachdem

diese politische Zeit vorbei war, ist die tatsächliche Bürgermeisterin freigelassen

worden. Dann hat sie sich bei der nächsten Wahl als Abgeordnete beworben, sie hat

kandidiert, und wurde auch gewählt. Sie war Sprecherin, Gruppensprecherin, für die

HDP. Bei der Wahl 2014 war ich wieder Kandidat für den Gemeinderat in XXXX . Ich

war aber jetzt leider als Reservemitglied, auf der zweiten Liste, geführt. Wenn Sie

wollen kann ich das zeigen.

Anm.: VP legt vor:

- Eine Liste, auf der VP als Nr. 14 geführt wird, es wird weder näher ausgeführt,

was das für eine Liste ist, noch ist sie datiert

- Foto, das VP im Anzug an einem Schreibtisch sitzend unter einem Foto von

Mustafa Kemal Atatürk zeigt; lt. VP stammt dieses Foto aus ihrer Zeit als

stellvertretender Bürgermeister

VP: Ich meine unsere Partei ist wirklich unter großem Druck. Speziell ich war auch

unter großem Druck. Eines Tages, am 20.11.2015, als ich das Parteihaus verließ,

wurde ich von zwei Polizeibeamten bedroht. Sie bewachten immer unser Haus und

waren immer gegenüber unseres Hauses und haben uns überwacht. In dieser Zeit

und auch davor. Oftmals um 1:00 Uhr Mitternacht wurde bei uns geläutet und sind

wieder verschwunden. Wir wussten nicht, wer genau das war. Aber unsere Nachbarn

bzw. die Dorfwächter haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir beobachtet

werden und dass wir aufpassen sollen. Am 25.11.2015 gab es einen großen Kampf

in XXXX . Da wurden die Straßen gegraben. Ich war damals in XXXX und XXXX

und XXXX waren damals beide Abgeordnete der DDP und sind auch

beide hingekommen. XXXX auch. Mir fällt gerade ein, dass die Partei

damals DBP hieß, mit Parteiabkürzungen bin ich nicht so gut. Kamuran ist der zweite

Führer der Partei. Die Partei hat immer zwei Führer. In den Stadtteilen Dag mah. und

Kücükpinar gab es große Kämpfe. Es kamen einige Abgeordnete und Politiker

dorthin, ich war auch dabei, wir wollten uns einmischen, wir wollten sagen, dass hier

Zivilisten leben, dass so ein Kampf zwischen beiden Parteien nicht sein soll, es geht

um Zivilisten. Das Volk hat sich versammelt und wir sind als Politiker mit den

Einwohnern in den Kampfort einmarschiert. Wir wurden natürlich daran gehindert,

diesen Stadtteil zu betreten. Man hat uns mit Tränengas angegriffen. Unsere

Abgeordneten wurden dabei auch verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Sie

haben oft mit den Zuständigen für die Sicherheit, Polizeichef oder je nachdem wer

zuständig war, gesprochen. Das hat aber überhaupt nichts gebracht. Neun Tage lang

gab es einen heftigen Kampf. Es war natürlich am Anfang verboten, auf die Straße zu

gehen, es wurde Ausnahmezustand verhängt. Nachdem der Ausnahmezustand

aufgehoben war, sind wir mit Abgeordneten in die Stadtteile, wo gekämpft wurde,

gegangen. Das, was wir dabei gesehen haben, war sehr traurig und grausam. Die

Stadt war kaputt. Viele Tiere lagen am Boden. Tot. Nach diesem Ereignis gab es in

XXXX kein Leben mehr. Ich habe in XXXX keine Lebenschance mehr gesehen. Weil

ich jahrelang für diese Partei gearbeitet habe und noch dazu einige Male bedroht

wurde. Und deshalb habe ich beschlossen, nach Europa zu flüchten.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Ja, ich meine diese Verhaftungen und Akten. Nachdem ich hier hergekommen

bin, wurden in XXXX 160 Leute verhaftet, darunter sind auch meine Neffen. Und ich

habe damals Angst gehabt um mich, dass ich entweder verhaftet oder getötet werde.

Als ich hier war gab es noch einen heftigen Kampf in XXXX , in den gleichen

Stadtteilen. Beim letzten Kampf wurden zwei Zivilisten getötet. Einer davon kommt

auch in meinem Akt vor. Es kommt hier vor: XXXX . Ich habe mich dort

nicht mehr in Sicherheit gefühlt.

LA: Zusammenfassend sind Sie einerseits vor den bürgerkriegsähnlichen

Zuständen in XXXX und andererseits wegen Ihnen drohender Strafverfolgung

geflohen. Ist das richtig?

VP: Das ist richtig.

LA: Hatten Sie noch andere Gründe als diese zwei?

VP: Es ist das, was ich gesagt habe. Ich überlege, ob ich noch etwas vergessen

habe. Das sind die Wahrheiten!

Anm.: LA belehrt VP dahingehend, dass seitens des LA nicht unterstellt wird, dass

VP die Unwahrheit sagt, sondern dass LA die Fluchtgründe eingrenzen will.

VP: Das sind politische Gründe, ich glaube nicht, dass ich etwas Wichtiges

vergessen haben könnte.

LA: Wegen was wurden Sie genau verurteilt?

VP: Am 14.07.2012 habe ich an einem Meeting teilgenommen und dann wurde ich

vier Tage vorrübergehend aufgehalten, ich wurde verhaftet. Ich wurde zu einer

Freiheitsstrafe im Ausmaß von 3 Jahren und einem Monat sowie zu einer Geldstrafe

in der Höhe von 12.000 TL verurteilt. Bei einem anderen Verfahren gegen mich sollte

ich 1 ½ Jahre Strafe bekommen haben, aber ich bin inzwischen hierhergekommen.

LA: Die Freiheitsstrafe im Ausmaß von 3 Jahren und einem Monat sowie die

Geldstrafe im Ausmaß 12.000 TL haben Sie beide verbüßt?

VP: Ich habe das weder verbüßt, noch bezahlt. Ich habe Rechtsmittel eingelegt.

LA: Was wurde Ihnen in diesem ersten Verfahren konkret vorgeworfen?

VP: Dass ich an einem Meeting teilgenommen habe, das nicht erlaubt war. Ich

sollte aufgrund eines Aufrufes der PKK an einem Meeting teilgenommen haben, das

steht alles hier drinnen.

LA: Und dieses Verfahren ist noch in der Rechtsmittelinstanz und wurde noch

nicht rechtskräftig entschieden, verstehe ich das richtig?

VP: Ich, die haben mich angeschrieben, die haben mir das Urteil bekanntgegeben,

ich habe Rechtsmittel erhoben und über das Rechtsmittel wurde noch nicht

entschieden.

LA: Haben Sie das Ihnen im ersten Verfahren vorgeworfene Verbrechen

begangen?

VP: Nein. Mit Sicherheit nein.

LA: Was wurde Ihnen im zweiten Verfahren konkret vorgeworfen?

VP: Hier wird mir vorgeworfen, dass ich bezüglich der Auflösung der Partei an

einem Meeting teilgenommen haben sollte bzw. eine Presseerklärung haben sollte.

Kurz gesagt: Werbung für die PKK.

LA: Wie ist im zweiten Verfahren der aktuelle Verfahrensstand?

VP: Ich habe drei insgesamt. Da habe ich 1 ½ Jahre Strafe bekommen und auch

Berufung eingelegt.

LA: Haben Sie das Ihnen im zweiten Verfahren vorgeworfene Verbrechen

begangen?

VP: Ich glaube nicht, weil vorgeworfen wurde, wir sollten illegal aufgerufen haben,

ich bestreite das alles. Wir sind eine politische offizielle Partei. Wir dürfen was sagen.

LA: Was war der Inhalt dieser inkriminierten Presseerklärung?

VP: Über die Auflösung der Partei.

LA: Was wurde Ihnen im dritten Verfahren konkret vorgeworfen?

VP: Ich muss selber überlegen, ich kann mich selbst nicht erinnern. Das muss

irgendwo hier stehen. (Anm.: VP liest die vorgelegten Unterlagen) Meistens eher

Meeting, Aufklärung, Äußerungen… Es steht hier irgendwo… Ich sollte auch in XXXX

eine Presseerklärung abgegeben haben. Der hauptsächliche Vorwurf ist, dass ich für

die PKK Werbung gemacht haben soll. Das hat mit dem Gründungsdatum der PKK

zu tun, das soll am Gründungstag passiert sein. Entschuldigung, das habe ich falsch

gesagt, das möchte ich verbessern: das hat mit dem Tag zu tun, als Öcalan aus

Syrien fliehen musste.

LA: Wie ist im dritten Verfahren der aktuelle Verfahrensstand?

VP: Das läuft zur Zeit noch.

LA: Also da wurden Sie noch nicht verurteilt?

VP: Noch nicht, bei den ersten beiden ja, dort habe ich Berufung eingelegt, aber

im dritten Verfahren noch nicht. Die letzte Verhandlung sollte sein am 7.6.2017,

nächste Woche irgendwann einmal.

LA: Haben Sie das Ihnen im dritten Verfahren vorgeworfene Verbrechen

begangen?

VP: Ja, wir haben in XXXX ja oft Presseerklärungen abgegeben. Das ist aber aus

meiner Sicht nichts Strafbares. Der Staat sieht das aber anders. Das haben wir schon

gemacht. Das meinte ich damit. ERDOGAN war vor kurzem in Washington, es gab

eine Gruppe von Kurden, die gegen ihn protestiert haben. Er konnte nicht einmal

diesen Protest aushalten. Ich meinte damit, wenn jemand so einen kleinen Protest

nicht ignoriert und so ernst nimmt. Was könnte er im Heimatland machen. Ich möchte

damit sagen, dass diese Meetings, die wir abgehalten haben, vergleichbar zu dem in

Amerika waren.

LA: Hatten Ihre Parteikollegen in XXXX – abgesehen von der Bürgermeisterin –

auch derartige Probleme?

VP: Der Großteil ist im Gefängnis.

LA: Ich möchte den Dolmetscher bitten, die relevanten Passagen der vorgelegten

Dokumente zu übersetzen. Bitte zeigen Sie uns genau, wo es um Sie geht, also

insbesondere wo Sie namentlich genannt werden, wo steht, zu was Sie verurteilt

worden sind, wo steht, was Ihnen vorgeworfen wurde, und wo die Beweismittel, die

zu Ihrer Verurteilung geführt haben, ausgeführt werden.

Erstes Dokument: XXXX

XXXX Strafgericht: Im Namen des Türkischen Volkes:

Beschuldigter XXXX (Anm.: die Beschuldigten umfassen 3 Seiten),

Vorwurf: Teilnahme an einem unerlaubten Meeting in XXXX / XXXX . Die

Beschuldigten werden wegen der Teilnahme an unerlaubten Meetings angezeigt und

es wird ein Verfahren eingeleitet. Der Staatsanwalt beantragt die Bestrafung aller

Beschuldigten. Die Beschuldigten äußern sich gegenteilig. Die Entscheidung enthält

einen Hinweis auf die vorangegangenen Akten und spricht aus, dass bedingte

Strafnachsichten bei neuerlicher einschlägiger Verurteilung widerrufen werden. Der

Staatsanwalt will, dass es nicht die Möglichkeit zur Erhebung eines Rechtsmittels

gibt. Eine Entscheidung wider die VP ist in diesem Verfahren noch nicht gefallen.

Einige der anderen Beschuldigten wurden zu Haftstrafen im Ausmaß von 1 ½ Jahren

verurteilt. (VP besteht darauf, dass „HAGB“ bedeutet, dass er auch zu 1 ½ Jahren

verurteilt wird, Dolmetscher repliziert, dass er kein Jurist ist und das daher nicht weiß,

aber in der Urkunde nicht explizit steht, dass VP erneut eine einschlägige Tat

begangen hat und deshalb zu einer Haftstrafe verurteilt worden wäre). Die namentlich

bezeichneten Personen sind bislang strafrechtlich unbescholten, weshalb deren

Strafen unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen werden, die VP besteht

darauf, dass sie, da sie namentlich nicht angeführt ist, unbedingt verurteilt worden ist.

Auf der letzten Seite steht ausdrücklich, dass VP zum dritten Mal verurteilt wurde und

es wird auf die ersten beiden Verurteilungen verwiesen. Kostenentscheidung +

Rechtsmittelentscheidung. Datum: XXXX 2014

Zweites Dokument: XXXX

XXXX ): VP: Ich wollte nur sagen, dass diese Verhandlung

aufgrund des tödlichen Anschlages auf den XXXX meiner Stadt

verlegt wurde, sie wurde vom 22.02.2017 auf den 07.06.2017 verlegt; Inhalt lt.

Dolmetscher: Dolmetscher bestätigt von der VP angegebenen Inhalt.

Drittes Dokument: XXXX

XXXX , Protokoll): zahlreiche Personen, u.a. VP,

werden als Beschuldigte geführt (bis Seite 8 von 9 werden Beschuldigte aufgezählt).

Tatzeit: 21.10.2012, das Vorbereitungsbüro XXXX hat ans Gericht geschrieben.

Verlegung der Verhandlung wegen Erhebung von Beweismitteln. Datum: 01.05.2013

Viertes Dokument: XXXX

Nr. 9): Im Namen des Türkischen Volkes: VP ist

Drittbeschuldigter. Tatzeit 14.07.2012, vorrübergehende Anhaltung: 14.07.2012,

Inhaftierung 17.07.2012, Verhaftungsentscheidung 17.07.2012. Das Urteil beschreibt

die Kampfhandlungen in XXXX . Teil der Entscheidung sind die Einvernahmen der

Beschuldigten. Vorgeworfen wird der VP, dass sie unerlaubterweise nach den

Kampfhandlungen das Sperrgebiet betreten und an unerlaubten Meetings

teilgenommen habe. Angemerkt wird, dass die PKK und mit dieser assoziierte

Gruppierungen auch in Europa als terroristische Vereinigung angesehen werden und

es sich bei dieser um eine bewaffnete Terrorgruppe handelt, die ein Kurdistan

gründen will. Deshalb dürften Bürger nicht an deren Versammlungen teilnehmen.

Den Beschuldigten wird vorgeworfen, dass die Teilnahme an den Versammlungen

eine Unterstützungshandlung für die PKK darstellt. Auf S. 10 steht, dass VP zu einer

Freiheitsstrafe im Ausmaß von 6 Monaten verurteilt werden soll. Für eine andere

Straftat wird VP zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 7 ½ Jahren verurteilt. Die

Gesamtfreiheitsstrafe beträgt 3 Jahre, 1 Monat und 15 Tage. Diese Strafe kann nicht

gemildert werden. Bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens werden ein

Reiseverbot und ein Wahlverbot ausgesprochen. Nachdem die Beschuldigten die

Strafe verbüßt haben, müssen diese unter behördliche Beobachtung gestellt werden,

da dieses Delikt staatsgefährdend ist. Rechtsmittelentscheidung. Datum: 29.05.2013;

VP gibt an, dagegen Berufung erhoben zu haben

5 Minuten Pause.

Anm.: VP zeigt auf ihrem Mobiltelefon ein Video vor, das auf der Facebookseite der

VP abzurufen ist (veröffentlicht von XXXX – ehem. Bürgermeister von

Diyabakir, jetzt Abgeordneter-, VP hat dieses Video „geliked“)

Videobeschreibung: Umzug durch eine unbekannte Stadt im Nahen Osten, man sieht

die VP am rechten Bildschirmrand mit schwarzem Shirt und grauer Hose

LA: Ist jemand Bekanntes auch in dem Video zu sehen?

VP: Ja, einige Abgeordnete und der HDP-Führer Selahaddin Demirtas.

LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?

VP: Ein Bruder von mir hat sich im Jahre 1992 der PKK angeschlossen. Eine

Schwester von mir war die zweite Leiterin der Partei und war 9 Wochen in Haft und

wurde gerade entlassen, als ich hier herkam. Zwei Neffen von mir, die Söhne von

meinen zwei Schwestern XXXX und XXXX , kämpfen gerade in Syrien gegen den

IS. Ein Cousin von mir väterlicherseits ist im Gefängnis. Ich habe viele von meiner

Familie, die schon einmal im Gefängnis waren, aber nicht alle wegen der PKK. Aber

jedenfalls aus politischen Gründen. Ein anderer weiterer Cousin wurde gerade

verhaftet, weil er über Facebook Sachen veröffentlicht hat. Ist aber zur Zeit wieder

freigelassen. Sonst fällt mir nichts ein. Ich wollte mich noch einmal dazu äußern, das

habe ich noch nicht erwähnt, einige wichtige Persönlichkeiten, die in meinem Strafakt

vorkommen, mit denen ich zusammengearbeitet habe: XXXX , das ist die zweite

Leiterin der HDP in XXXX ; XXXX , das ist der ehemalige Parteiführer in

XXXX , er ist zur Zeit verschwunden; XXXX , er ist mein ehemaliger

Arbeitskollege im Gemeinderat, er ist zur Zeit auch im Gefängnis; XXXX ,

ist ein Arbeitskollege aus der Partei, er hat in Deutschland Asyl bekommen;

XXXX , er ist auch ein Parteikollege und in Haft; XXXX , ist auch

eine Kollegin, wir haben gemeinsam gearbeitet, sie ist Bürgermeisterin von XXXX -

XXXX und zur Zeit im Gefängnis; XXXX , er wurde im letzten Kampf in

XXXX getötet, er war mein bester Arbeitsfreund aus der Partei; XXXX , er

hat unsere Bürgermeisterin vertreten, als sie verhaftet wurde, jetzt ist er auch im

Gefängnis; XXXX , er ist auch ein Arbeitsfreund aus dem Gemeinderat, er

ist auch nach Deutschland geflohen. Es sind sicher noch viele Freunde und Bekannte

von mir in diesem Akt, die noch im Gefängnis sind oder schon waren. Ich möchte

euch damit nicht länger aufhalten. Ich meine damit, wie Sie sehen, sind viele

Freunde, Arbeitsfreunde, von mir verhaftet worden oder im Gefängnis. Ich habe mich

gerettet. Wäre ich dort geblieben weiß ich nicht, was mit mir passiert. (VP legt Foto

vor) Dieser Mann (Anm.: dritte Person von rechts) ist XXXX , er ist der

zweite Leiter der Partei. Die Frau rechts von ihm sitzt gerade seit 3 Monaten im

Gefängnis, sie war Abgeordnete und Gruppensprecherin der HDP. Sie heißt XXXX

. Früher war sie Bürgermeisterin, dann Abgeordnete. Die Dame rechts von ihr

ist eine Abgeordnete des Bundeslandes Van. Der alte liegende Mann ist mein Vater.

Der Mann links bin ich mit meiner Tochter.

Anm.: Lichtbild wird zum Akt genommen.

LA: Warum haben Sie nicht die Rechtsmittelverfahren abgewartet?

VP: Ich war ganz sicher, dass ich verhaftet werde, weil hunderte Menschen

verhaftet worden sind.

LA: Sie waren in der Stadt XXXX Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister,

richtig?

VP: Stellvertretender, ja. Nicht die ganze Zeit, ich habe mal 7-8 Tage gemacht,

dann wieder… Wenn er mal nicht da war, dann war ich seine Vertretung sozusagen.

LA: Waren Sie also bloßer Abwesenheitsstellvertreter oder „fixer“ Stellvertreter?

VP: Genau, das ist richtig. Er hatte schon einen richtigen Stellvertreter. Aber wenn

der auch nicht da war, hat er meinen Namen eingesetzt, um ihn zu vertreten.

LA: XXXX XXXX ?

VP: XXXX

LA: Und in diesem Zeitraum haben Sie auch den Bürgermeister bei Abwesenheit

vertreten?

VP: Ja, in dieser Zeit.

LA: Wann sind Sie der HDP bzw. ihren Vorgängerparteien beigetreten?

VP: 2000

LA: Können Sie mir etwas über Ihre Politisierung erzählen?

VP: In der Türkei, die Kurden können sich weder äußern noch ihre Rechte

verteidigen. Es geht den Kurden in der Türkei wirklich nicht so gut. Nachdem ich das

gesehen habe, war ich der Meinung, dass man mit politischen Lösungen mit

Gesprächen diesen Konflikt zwischen Kurden und Türken lösen muss. Deshalb bin

ich in die Politik gegangen, ich wollte auf der politischen Ebene kämpfen. Bis 2015

war das auch so. Nach 2015 ist dieser Friedensprozess ans Ende gekommen, er war

nicht erfolgreich. Dann hat der Staat tausende Kollegen von uns verhaftet. Nachdem

ich gesehen habe, ich kann ab 2015 in der Türkei politisch nichts erreichen, ich

würde entweder verhaftet werden und ins Gefängnis gesteckt oder ich würde getötet,

habe ich beschlossen, zu flüchten, wie hunderte Bekannte und Freunde von mir. Wer

in der Lage ist zu flüchten, der flüchtet sowieso, und ich bin einer von denen, die das

geschafft haben. Nachdem ich hier herkam habe ich gehört, dass cirka 160

Menschen, aber nur von meiner Partei verhaftet wurden, darunter sind auch Neffen

von mir.

LA: Haben Sie einen HDP-Mitgliedsausweis oder ähnliches?

VP: Nicht Mitglied, aber ich habe eine Karte, die beweist, dass ich gewählt wurde,

das habe ich schon damals abgegeben.

Anm.: Gemeinderatsausweis wurde von der VP abgegeben und befindet sich beim

Akt.

VP: Wenn Sie Zweifel daran haben, dass ich den Bürgermeister vertreten habe,

können Sie das auch im Internet sehen.

Anm.: VP sucht einige Begriffe über Google.com.tr woraufhin folgende Seite geöffnet

wird: XXXX

Ein Screenshot wird erstellt, zum Akt gelegt und Dolmetscher wird um Übersetzung

ersucht

Inhalt des Artikels „Im Bundesland XXXX und in 9 weiteren Bezirken von XXXX

wurde ein Festival organisiert. Es waren Menschen aus mehr als 20 Ländern dabei.

Der Vertreter der Bürgermeister Hr. XXXX und viele andere Menschen haben

teilgenommen. Dieses Festival wurde vom XXXX -Landeshauptmann und

Bezirkshauptmann und vielen anderen Politikern unterstützt.“

LA: Was wollen die türkischen Behörden mit der Strafverfolgung gegen Sie Ihrer

Ansicht nach erreichen?

VP: Ich persönlich habe Angst, dass sie mich töten nach der Verfolgung. Dass sie

mich verfolgen und irgendwann töten, weil ich in der Partei wirklich aktiv war.

LA: Was hätten die türkischen Behörden davon, Sie zu töten?

VP: Es gab in der Türkei 17.000 Tote, bei denen noch immer unklar ist, wer und

warum das getan hat. Innerhalb eines Jahres!

LA: Gab es Drohungen gegen Sie persönlich?

VP: Zwei Zivilpolizisten haben mich mal bedroht.

LA: Wann war das?

VP: 20.11.2015

LA: Warum können Sie sich an das Datum so genau erinnern?

VP: Der hat mich mit dem Tod bedroht. Wie kann ich das vergessen?

LA: Was genau hat er Ihnen angedroht?

VP: Als ich einmal das Parteihaus verlassen habe, sagten sie zu mir „du gehst zu

weit, wir werden dich töten“. Ich sagte zu ihnen „warum möchtet ihr mich töten, ich

mache doch nur Politik? Ich habe euch nichts angetan.“ Den Grund haben sie mir

nicht gesagt.

LA: Woher wissen Sie, dass das Zivilpolizisten waren?

VP: Sie sagten zu mir, dass sie Zivilpolizisten wären, ich habe sie aber vorher nie

gesehen.

LA: Was denken Sie wollten die Polizisten mit der Drohung erreichen?

VP: Ich kann das natürlich nicht genau sagen, aber ich denke, ich gehe davon

aus, weil ich jahrelang für die Partei gearbeitet habe, damit ich mit der Parteiarbeit

aufhöre.

LA: Haben Sie die Drohung ernst genommen?

VP: Ja, natürlich habe ich kurz Angst bekommen. Vor der Drohung und auch

danach waren viele Menschen um unser Haus herum. Unsere Hunde haben in der

Nacht immer laut gebellt als wäre jemand draußen, da habe ich die Drohung schon

richtig ernst genommen.

LA: Gab es Angriffe gegen Sie persönlich?

VP: Ich wurde oftmals zusammengeschlagen auf Polizeirevieren falls Sie das

meinen.

LA: Ja, ich meine so etwas und allgemeine Übergriffe gegen Ihre Person.

VP: Ich bin einmal nicht stehengeblieben, als sie die türkische Hymne gesungen

haben, nachdem ich nicht stehengeblieben bin, aus Respekt hätte ich das tun sollen,

wurde ich von einem Dorfwächter namens XXXX zusammengeschlagen, er war der

Wächter für unseren Stadtteil.

LA: Wann war der letzte körperliche Übergriff gegen Sie?

VP: Das muss vor 2000 gewesen sein.

LA: Es gab also seit cirka 2000 keine körperlichen Übergriffe mehr gegen Ihre

Person?

VP: Stimmt.

LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?

VP: Gefängnisstrafe und Tod. Zur Zeit sind 10.000 Menschen in der Türkei

verhaftet worden. Vor diesem Putsch in der Türkei wurden Kurden immer wieder

verhaftet aus irgendeinem Grund, nach diesem Putsch, wurden viele Menschen

verhaftet, darunter auch Kurden und diese Verhaftungen sind viel leichter als vorher,

weil sie sagten „xy gehört zu dieser Putschbewegung, verhaftet ihn“.

LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit (außer den

bereits genannten)?

VP: Ich habe schon ein Mal ein Problem bekommen, weil ich Kurde war. Weil das

eine sehr lange Geschichte ist, wollte ich das nicht erzählen, aber wenn Sie mich

schon fragen, möchte ich das erzählen..(LA unterbricht)

LA: Wann war diese Geschichte?

VP: 1996, 1997 sollte das sein.

LA: Diese Geschichte war lange vor Ihrer Ausreise und ist daher sicher nicht

asylrelevant.

VP: Kann sein, nachdem Sie gefragt haben, ob ich als Kurde ein Problem hatte,

wollte ich das erzählen. Ich wurde weil ich Kurde war, von hunderten Menschen

niedergeschlagen, zusammengeschlagen.

Anm.: LA erläutert, dass dies schlicht zu lange her ist.

LA: Hatten Sie (abgesehen vom bereits Besprochenen) Probleme aufgrund Ihrer

politischen Überzeugungen?

VP: Das sind eigentlich die Gründe, die ich erwähnt habe. Ich habe in XXXX eine

Strafe bekommen und konnte in XXXX nicht mehr leben.

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten

sozialen Gruppe?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie (abgesehen vom bereits Besprochenen) persönliche Probleme mit

staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?

VP: Zur Zeit fällt mir nichts anderes ein.

LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?

VP: 29.12.2015

LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?

VP: Zuerst nach Serbien mit einem Schlepper, der hat mich nach Wien gebracht.

In Ungarn wurde ich erwischt. 20 Tage haben mich die ungarischen Behörden

aufgehalten, dann wurde ich entlassen und habe um Asyl angesucht.

LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?

VP: Ungarn-Österreich mit dem Zug.

LA: Und davor?

VP: Türkei-Belgrad mit dem Flugzeug. Das beweist mein Reisepass.

LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?

VP: Aus der Türkei nach Serbien legal. Von Serbien Richtung Österreich illegal.

LA: Wie konnten Sie legal ausreisen, wenn die türkischen Behörden so ein

Interesse an Ihnen hatten?

VP: Es gab ja kein rechtskräftiges Urteil gegen mich damals. Ich wurde von

Polizisten beobachtet, aber ich hatte keine rechtskräftige Verurteilung.

[…]

LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?

VP: Ich wollte nach Österreich, weil mein Bruder hier lebt.

LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?

VP: In Ungarn hat man uns die Fingerabdrücke abgenommen, aber ich habe nicht

um Asyl angesucht.

LA: Warum nicht?

VP: Wo hätte ich das? Ich wollte ja in Österreich ansuchen, ich wollte zu meinem

Bruder.

[…]

VP: Ich habe nicht angesucht, nachdem ich nach Ungarn kam haben die

Schlepper gesagt, dass wir unseren Reisepass vernichten sollen, das haben wir auch

gemacht. Und Ungarn wollte uns abschieben, sie haben auch zwei Menschen

abgeschoben. Der Staat Ungarn hat diesen Pass beantragt, mit der Absicht uns

abzuschieben.

LA: Sie haben Ihren Reisepass vernichtet?

VP: Ja, der Schlepper hat gesagt, ich soll ihn wegschmeißen, ich habe ihn dann

weggeschmissen.

LA: Sie sagten vorhin, ich kann über Ihren Reisepass nachvollziehen, dass Sie

das Land legal über den Flughafen verlassen haben. Wie sollte ich das

nachvollziehen können, wenn Sie den Reisepass vernichtet haben?

VP: Ich wollte damit sagen, ich habe den Originalpass zerrissen, aber dass ich mit

dem Flugzeug nach Serbien gekommen bin…. Ich weiß nicht ob das da vorkommt,

warum ich das gesagt habe, weiß ich auch nicht.

LA: Wie soll ich sehen, dass Sie mit dem Flugzeug nach Serbien gekommen sind?

VP: Kann so sagen, in der Türkei bin ich eingestiegen, in Belgrad – Nikola

ausgestiegen. Flughafen Atatürk eingestiegen und Flughafen Nikola ausgestiegen.

Sie haben Recht. Nachdem ich meinen Pass vernichtet habe, könnt ihr das nicht

sehen.

LA: Haben Sie eine Idee, warum der Schlepper wollte, dass Sie Ihren Pass

vernichten?

VP: Nachdem ich ihn zerrissen habe, konnte ich auch nicht nachvollziehen warum.

Aber ich habe mir gedacht, letztendlich muss er mich rüberbringen, ich mache was er

sagt.

LA: Das macht man, um seine Abschiebung zu erschweren. Mit der Türkei gibt es

jedoch Rückübernahmeabkommen.

VP: Kann sein, dass er das deswegen gesagt hat. Ich habe ihn vernichtet.

LA: Haben Sie sich Ihren ursprünglichen Reisepass persönlich ausstellen lassen?

VP: Ja.

LA: Haben Sie andere Identitätsdokumente, zB einen Nüfus?

VP: Ich habe einen Führerschein. Soll ich ihn rausholen?

LA: Ja.

Anm.: VP legt türkischen Führerschein vor.

VP: Ich habe auch einen Nüfus, der ist aber nicht bei mir.

LA: Wo ist Ihr Nüfus?

VP: zu Hause, in der Heimat.

LA: Ich würde gerne Ihren Führerschein zum Akt nehmen und ich hätte gerne

binnen 14 Tagen Ihren Nüfus im Original.

LA: Stimmen Sie zu, dass Ihr Führerschein zum Akt genommen wird?

VP: Ja.

Verfahrensanordnung: Ihnen wird die AO erteilt, Ihren Nüfus binnen 14 Tagen im

Original dem BFA – RD Salzburg vorzulegen.

[…]

LA: Haben Sie auch ein Gehalt von der HDP bezogen?

VP: Nur in der Zeit als ich Gemeinderat war.

LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?

VP: Eher arm.

LA: Haben Sie neben Ihrem Bruder und Ihrem Cousin weitere Familienangehörige

oder sonstige Verwandte in Österreich?

VP: Nein.

[…]

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren

können?

VP: Alle politischen Gefangenen müssen entlassen werden. Es muss ein

friedliches Klima da sein.

[…]

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Fragen bzw. Einwendungen

vorzubringen?

VP: Auf Seite 13 möchte ich geändert wissen: ich habe nicht gesagt oder gemeint,

dass ich den Bürgermeister nur in dessen Abwesenheit vertreten habe, sondern,

dass ich immer in dessen Vertretung zeichnungsberechtigt war. Auf Seite 18 möchte

ich geändert wissen: bzgl. des Visums meinte ich, dass ich wenn ich um ein

österreichisches Visum ansuche, ich beweisen müsste, dass ich genug Vermögen

habe. Das Visum an sich kostet nicht viel, aber ich muss so viel Geld bzw. Besitz

haben, dass ich beweisen kann, dass ich reich bin damit man mir glaubt, dass ich nur

zu touristischen Zwecken einreisen will.

Anmerkung: Die Ergänzung wird rückübersetzt. Dem AW eine Kopie der

Niederschrift ausgefolgt.

[…]“

Am 06.06.2017 wurde vom Bundesamt der Staatendokumentation eine Anfrage betreffend der bP übermittelt, welche mittels Anfragebeantwortung vom 18.07.2017 beantwortet

wurde. Eine Mitgliedschaft zur HDP wurde darin bestätigt. Eine Stellungnahme zum ausgefolgten Länderinformationsblatt langte nicht ein.

Das Bundesamt hat wie folgt entschieden:

„I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 12.02.2016 wird hinsichtlich der

Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1

Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf

internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär

Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Türkei abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57

AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012

(BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer

2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG

nach Türkei zulässig ist.

IV. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage

ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass die dargelegte Strafverfolgung durch die türkische Justiz glaubhaft sei, sich die Verfahren jedoch, wie von der bP dargelegt, sich im Rechtsmittelverfahren befinden würden. Auf Grund der legal möglichen Ausreise sei nicht zu erkennen, dass seitens des Staates tatsächlich ein aktuelles Strafverfolgungsinteresse

bestünde, zumal die bP selbst behauptet habe, dass zuvor gegen sie ein Ausreise- und Wahlverbot verhängt worden sei. Hinsichtlich der behaupteten persönlichen Übergriffe gegen ihre Person fehle es diesen an Aktualität, zumal die angab, dass dies zuletzt im Jahr 2000 gewesen sei. Die bis zur Ausreise von den türkischen Strafverfolgungsbehörden gesetzten Maßnahmeng gegen die bP – wie etwa Observation – sei nicht als asylrelevante Verfolgung zu werten und auch nicht unzumutbar. Soweit die bP in ihrem Herkunftsort von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ gesprochen habe, so hätten für die bP jedenfalls innerhalb der Türkei Ausweichmöglichkeiten bestanden, wie zB in Istanbul.

Letztendlich könne aus dem Vorbringen und den vorgelegten Bescheinigungsmitteln keine ungerechtfertigte Strafverfolgung erkannt werden, die von Asylrelevanz wäre.

Auch sonst seien keine besonderen Umstände hervorgekommen, wonach bei einer Rückkehr eine hier relevante, reale Gefahr von Leib und/oder Leben bestünde. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Am 24.08.2017 langte die Beschwerde samt Verwaltungsakt beim BVwG ein.

Mit Schriftsatz vom 09.05.2019 wurde die bP im Rahmen ihrer Mitwirkungsverpflichtung aufgefordert zu dem vorgelegten Strafregisterauszug – in diesem befinden sich 4 Eintragungen – die dazu ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen dem BVwG zu übermitteln. Bei der Vorlage müsse eine klare Zuweisung zu den Einträgen im Strafregister nachvollziehbar sein. Sollten noch weitere Verfahren aktuell anhängig sein, so wurde die bP aufgefordert Nachweise zu erbringen woraus insbesondere ersichtlich ist von (1.) welcher Behörde/welchem Gericht sie wegen (2.) welcher Straftat verfolgt werde und (3.) in welchem Stadium sich das Verfahren aktuell befinde.

Mit Schriftsatz vom 21.05.2019 wurde eine Stellungnahme abgegeben, in der der Aufforderung des BVwG nur unvollständig nachgekommen wurde.

Dazu wurde angegeben: „Der BF legt das zugehörige Urteil XXXX dem Bundesverwaltungsgericht vor. Es sei darauf hingewiesen, dass sich die Einträge des Strafregisterauszuges auf ein und dasselbe oben genannte Urteil beziehen. Darin wurden insgesamt vier Strafen ausgesprochen und wurden diese vier Strafen im Strafregister vermerkt. Zudem legt der BF noch 2 weitere Urteile XXXX , 2013/193 bzw. entsprechende Erklärungen zu den Urteilen, sowie weitere Auszüge aus Verfahren gegen ihn vor. […]

Ich wurde in diesem Verfahren XXXX zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und sechs Monaten verurteilt. Da ich aber zwei weitere Verfahren auf Bewährung hatte, hat das Gericht mich angezeigt. Das heißt, dass die Bewährung somit aufgehoben wurde. Das Gericht hat die Akten XXXX , 2011/186, 2012/481, zusammengefasst und diese neuen Akte hat nun die Aktennummer XXXX . Das Verfahren mit den drei zusammengefassten Akten XXXX läuft aktuell noch weiter.

Die Akte 2013/193 hatte das letzte Verfahren am 27. März 2019 um 13:20 Uhr. In diesem Verfahren ist es zu einem Urteil gekommen. Da ich aber an dem Tag nicht im Gericht erschienen bin, kenne ich das Urteil, das für mich gefällt wurde, nicht. Jedoch ist es in der Türkei üblich, dass wenn man einen Freispruch hat, man dann auch einen Brief mit dem Urteil nach Hause geschickt bekommt. Hat man aber eine Haftstrafe, bekommt man dem Brief, in dem das Urteil niedergeschrieben ist, erst wenn man verhaftet wurde, also im Gefängnis. Zu diesem Verfahren habe ich noch keinen Brief bekommen.

Beigelegt wurde der Stellungnahme ein Konvolut aus Gerichtsunterlagen in türkischer Sprache, die nicht näher kommentiert wurden.

Mit Schriftsatz vom 19.06.2019 stellte die bP – dem Inhalt nach als Reaktion auf die vorangegangene Aufforderung des BVwG vom 21.05.2019 - durch ihren Rechtsfreund einen Fristsetzungsantrag. Mit Beschluss vom 02.07.2019 hat der VwGH dem Antrag stattgegeben und eine dreimonatige Entscheidungsfrist festgesetzt.

Am 12.09.2019 wurde eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. In der Ladung wurde die durch die ARGE vertretene beschwerdeführende Partei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zur Verhandlung alle verfügbaren Beweismittel mitzubringen sind.

Im Zuge dieser Verhandlung ergab sich aus Gründen, die in der alleinigen Sphäre der bP lagen und eine mangelnden Mitwirkung darstellte, das Erfordernis einer Vertagung. Auszug aus der Verhandlungsschrift vom 12.09.2019.

„[…]

Seit Ihrer Ausreise aus Ihrem Heimatland ist nun schon einige Zeit vergangen. Würden Sie aus heutiger Sicht bei einer Rückkehr in die Türkei noch Probleme erwarten? Wenn ja, geben Sie bitte vollständig ALLE Probleme an, die Sie persönlich für sich aktuell bei einer Rückkehr erwarten würden und begründen Sie diese im Detail.

Ich werde festgenommen, weil ich noch 4 Verhandlungen ausständig habe. Ich habe noch 15 Verhandlungen, die auf unbestimmte Zeit vertagt sind.

Vorhalte / Fragen:

Können Sie nachweisen, dass Sie noch 4 Verhandlungen ausständig haben und 15 Verhandlungen auf unbestimmte Zeit vertagt wurden?

Ich habe einige Dokumente hier, was die Verhandlungen betrifft. Ich kann die Dokumente nachschicken für die Verhandlungen, die noch ausständig sind.

RI fordert die P auf binnen 3 Wochen Nachweise zu erbringen für die behaupteten ausstehenden Verhandlungen. Weiters Nachweise dafür, was im Einzelnen Gegenstand dieser Verhandlungen ist und was dem BF konkret vorgeworfen wird. Es sollte sich aus jedem Bescheinigungsmittel das konkrete Beweisthema und Kurzzusammenfassung der Inhalt ergeben.

RI weist darauf hin, dass es um den jeweils aktuellen Verfahrensstand geht.

Ich kann die Gründe herausfinden und dem Gericht vorlegen. Man kann auch den aktuellen Stand der Verhandlungen festlegen. Ich habe keinen Anwalt in der Türkei.

RI teilt mit, dass es ihm zumutbar ist, auch über Familienangehörige Bescheinigungsmittel über den aktuellen Verfahrensstand beizubringen.

Ich habe keinen Anwalt. Ich kann nur meine Frau beauftragen.

Bestehen gegen Sie aktuell rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen deren Strafe Sie noch nicht verbüßt haben? Wenn ja, von welchem Gericht, wegen welchem Straftatbestand und welche Strafhöhe?

Ich habe 3 Jahre und 1 ½ Monate Strafe bekommen.

Ist diese rechtskräftig bzw. haben Sie dagegen Rechtsmittel eingelegt?

Ja, dies dürfte auch im Akt vorliegen. Ich kann den aktuellen Zustand der Verhandlungen am Handy oder Computer zeigen.

RI fordert die P auf, auch dies binnen 3 Wochen vorzulegen.

RI wiederholt die Frage.

Ich habe Rechtsmittel gegen diese Strafe eingelegt und es wurde vom Höchstgericht noch einmal bestätigt.

D übersetzt: Das vorgelegte Urteil ist nicht vom Höchstgericht, sondern vom Straflandesgericht.

RI fordert auf, diesbezüglich die Entscheidung der Rechtsmittelinstanz (Höchstgericht) binnen 3 Wochen vorzulegen.

Ich habe gegen das Gericht Einspruch erhoben. Das ist das Einzige, was ich jetzt in der Hand habe.

RI vertagt die Verhandlung und wartet die Vorlage der aufgetragenen Bescheinigungsmittel ab.

[…]“

Einem am 17.09.2019 gestellten Antrag des BVwG, der VwGH möge einer Verlängerung der Entscheidungsfrist stattgeben, da die bP – auch nach Stellung des Fristsetzungsantrages – der bestehenden Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht nicht entsprechend mitwirkte, hat dieser bis zum 09.04.2020 stattgegeben.

Auf Grund der in der Verhandlung erteilten Aufforderung langte in weiterer Folge ein in 3 Mappen aufgeteiltes Konvolut an Auszügen und Gerichtsunterlagen in türkischer Sprache ein.

1.       Mappe, bezeichnet mit „Bewährung“ und folgender Anmerkung:

„Rechtsvermerk von 13 Verfahren, mit den folgenden Verfahrensnummern: XXXX

.

Alle 13 Verfahren sind auf Bewährung. Bei zwölf Verfahren ist die Art der Strafe folgende „Teilnahme und Organisation von illegalen Demonstrationen und Treffen“. Bei dem Verfahren mit der Nr. XXXX ist die Art der Strafe folgende „Nichterfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten“. Entschieden wurden in allen 13 Verfahren von dem erstinstanzlichen Strafgericht in XXXX .“

Die Mappe enthält 19 Seiten an von der bP nicht näher kommentierten Strafregisterauszügen aus denen sich insbesondere der konkrete Sachverhalt nicht ergibt.

2.       Mappe, bezeichnet mit „abgeschlossene Verfahren“ und folgender Anmerkung

„Dekret des Berufungsgerichtes XXXX

das 16. Berufungsgericht lehnt die Beschwerde ab und genehmigt die Entscheidung des 9. Schwurgerichts der Bakker.

Rechtsvermerk XXXX

Straftat: Mitglied einer terroristischen Vereinigung

Strafe: Drei Jahre 1 Monat 15 Tage Haft

Straftat: Mitglied einer terroristischen Vereinigung

Strafe: Verbot von Ausführung öffentlicher Dienstleistungen

Straftat: Hinderung der Beamten bei ihrer Aufgabe

Strafe: 6000 TL

Straftat: Unbewaffnete Teilnahme an rechtswidrigen Treffen und Demonstrationen. Trotz Warnung nicht freiwillig aufgelöst.

Strafe 3000 TL

Straftat: Unbewaffnete Teilnahme an rechtswidrigen Treffen und Demonstrationen. Trotz Warnung nicht freiwillig aufgelöst.

Strafe: 3000 TL

Aktenbeleg über Nebenentscheidung XXXX

das vierte Schwurgericht in XXXX hat mich zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt.

Rechtsvermerk XXXX

Straftat: Propaganda einer terroristischen Vereinigung

Strafe: Es ist verboten ein Jahr bestimmte Orte zu besuchen

Begründetes Urteil XXXX

Verbietung des Besuchs von bestimmten Orten (verboten an Demonstrationen und Treffen teilzunehmen)

Verurteilung zu fünf Jahren auf Bewährung

Rechtsvermerk XXXX

Straftat: Propaganda einer terroristischen Vereinigung

Urteil: Freispruch

Begründetes Urteil

alle Angeklagten wurden freigesprochen.

Rechts vermerkt XXXX

Straftat: Propaganda einer terroristischen Vereinigung

Strafe: Drei Jahre auf Bewährung

Begründetes Urteil XXXX

Verurteilung zu drei Jahren auf Bewährung“

Beigelegt wurden der Mappe 43 Seiten an Gerichtsunterlagen in türkischer Sprache.

3.       Mappe, bezeichnet mit „laufende Verfahren“ und folgen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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