Entscheidungsdatum
10.08.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L524 2149056-1/33E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch RA Dr. Gerhard MORY, Wolf-Dietrich-Straße 19, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2017, Zl. 1071456300-150589406, betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2020 und am 23.06.2020, zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. erster Satz wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. zweiter und dritter Satz und IV. wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 AsylG wird dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 31.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 02.06.2015 erfolgte eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 19.07.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen.
Mit Bescheid des BFA vom 10.02.2017, Zl. 1071456300-150589406, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 28.05.2020 und am 23.06.2020 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur der Beschwerdeführer teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm nicht teil.
II. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Araber und schiitischer Moslem. Die Mutter des Beschwerdeführers ist im Jahr 2001 verstorben. Der Vater hat erneut geheiratet und lebt derzeit in Najaf. Der Beschwerdeführer lebte vor seiner Ausreise aus dem Irak mit seinen beiden Schwestern und seinem Onkel samt dessen Frau und Kindern im Haus der Großeltern mütterlicherseits in Bagdad. Die beiden Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und leben mit ihren Familien in Bagdad. Auch die Großmutter und der Onkel mit seiner Familie leben in Bagdad. Der Beschwerdeführer hat fast täglich Kontakt zu seinen Schwestern und zu seinem Vater.
Der Beschwerdeführer besuchte ca. zwölf Jahre die Schule. Von ca. 2007 bis 2010 arbeitete der Beschwerdeführer bei seinem Onkel, der einen Generator betrieb. Im selben Zeitraum arbeitete er auch als Kellner in einem Restaurant. Ab 2010 arbeitete der Beschwerdeführer bei dem XXXX als XXXX .
XXXX arbeitete als Moderator von zwei Sendungen beim XXXX . Er wurde am XXXX erschossen in seinem Haus in XXXX aufgefunden.
Der Beschwerdeführer verließ ca. im Mai 2015 den Irak und reiste illegal in Österreich ein, wo er am 31.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass er wegen seiner beruflichen Tätigkeit bedroht worden sei, wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.
Der Beschwerdeführer war von Dezember 2017 bis April 2018 unselbständig erwerbstätig. Seit Mai 2019 verfügt er über eine Gewerbeberechtigung (Hausbetreuung). In diesem Rahmen erbringt der Beschwerdeführer an verschiedenen Standorten Dienstleistungen für ein Unternehmen. Er bezieht seit Mai 2019 keine Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt über mehrere Empfehlungsschreiben und einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag. Der Beschwerdeführer hat das ÖSD-Zertifikat A1 bestanden und am Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. An der ÖIF Integrationsprüfung B1 hat der Beschwerdeführer teilgenommen, diese jedoch nicht bestanden. Der Beschwerdeführer hat die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht nachgewiesen. Der Beschwerdeführer hat nicht nachgewiesen, dass er im Entscheidungszeitpunkt ein Einkommen bezieht, das die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht.
Der Beschwerdeführer hat seit fünf Jahren eine Freundin, die österreichische Staatsangehörige ist. Der Beschwerdeführer hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist gesund. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19 Erkrankung an. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Zur Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:
Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt. Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.
Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser. 97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus. Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.
Der Konflikt mit dem IS hat die Wirtschaft des Irak erheblich geschwächt. Die irakische Wirtschaft ist weiterhin stark vom Öl abhängig und ihr wirtschaftliches Vermögen hängt eng mit den globalen Ölpreisen zusammen. Die Weltbank prognostiziert, dass sich die Wirtschaft durch den Wiederaufbau nach Konflikten und die Verbesserung der Sicherheitslage erholen wird.
Die Verfassung garantiert das Recht auf Gesundheitsfürsorge und es gibt ein staatliches Gesundheitswesen und Behandlungsmöglichkeiten sind vom Staat bereitzustellen. Der Irak verfügt über öffentliche und private Krankenhäuser. Die medizinische Grundversorgung erfolgt sowohl in privaten als auch in öffentlichen Kliniken. Die Gesundheitsinfrastruktur hat unter jahrzehntelangen Konflikten gelitten. Das Gesundheitswesen ist begrenzt, insbesondere in von Konflikten betroffenen Gebieten und in Gegenden mit einer großen Anzahl von Binnenvertriebenen.
Die Verfassung sieht eine obligatorische Grundschulausbildung vor. Für Kinder in der Region Kurdistan besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren. Der Irak war einst regional führend in der Bildung, aber jahrelange Konflikte haben zu sinkenden Bildungsergebnissen geführt. Kinder, die sich derzeit in der Schule befinden, werden ca. 10,1 Jahre Schulunterricht erhalten. Die durchschnittliche Schulzeit der derzeit über 25-Jährigen lag bei 6,6 Jahren. Mädchen hatten mit 9,7 Jahren eine niedrigere erwartete Schulzeit, verglichen mit Knaben mit 11,5 Jahren. Rund 80 Prozent der Iraker im Alter von über 15 Jahren sind gebildet. Wohlhabende Familien in Bagdad haben Zugang zu höherer Bildung von privaten und internationalen Schulen. Die privaten Schulgebühren in Bagdad betragen durchschnittlich rund 1.300 USD pro Monat.
Der öffentliche Sektor ist bei weitem der größte Arbeitgeber und der private Sektor ist unterentwickelt. Während die Regierung den größten Teil ihrer Einnahmen aus Ölexporten erwirtschaftet, beschäftigt die Ölindustrie nur wenige Mitarbeiter. Die Regierung beschäftigt schätzungsweise 40 Prozent der irakischen Arbeitskräfte. Im UNDP-Bericht 2016 wurde eine Arbeitslosenquote von 16,9 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit auf 35,1 Prozent geschätzt.
Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.
Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer. Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt. Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist.
Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt. Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden. Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen.
Bei der Einreise in den Irak über die internationalen Flughäfen, einschließlich der Region Kurdistan, werden Personen, die illegal ausgereist sind, nicht festgenommen. Es werden jene Iraker bei der Rückkehr festgenommen, die eine Straftat begangen haben und gegen die ein Haftbefehl erlassen worden war. Um den Irak zu verlassen, sind gültige Dokumente (in der Regel ein Pass) und eine entsprechende Genehmigung (z. B. ein Visum) für die Einreise in das vorgesehene Ziel erforderlich. Eine illegale Ausreise aus dem Irak ist rechtswidrig, jedoch sind keine Strafverfahren gegen Einzelpersonen wegen illegaler Ausreise bekannt. Iraker, die einen irakischen Pass verloren haben oder nicht haben, können mit einem laissez-passer in den Irak einreisen. Die Einreise mit einem laissez passer-Dokument ist üblich und Personen, die damit einreisen, werden weder gefragt, wie sie den Irak verlassen haben, noch werden sie gefragt, warum sie keine anderen Dokumente haben. Dem britischen Innenministerium zufolge können Grenzbeamte am Flughafen Bagdad ein Schreiben ausstellen, um die Verbringung an den Herkunftsort oder die Umsiedlung einer Person im Irak zu erleichtern. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018)
In der ersten Septemberwoche 2019 gab es 39 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dabei betrifft ein solcher Vorfall den Fund eines Massengrabs mit 13 Toten im Süden von Mossul. Die meisten Vorfälle, nämlich 14, ereigneten sich in Diyala. Neun Vorfälle ereigneten sich in Ninewa, sieben in Bagdad, fünf in Salah al-Din, zwei in Kirkuk und jeweils einer in Anbar und Babil. (Musings on Iraq, 17.09.2019)
In der zweiten Septemberwoche 2019 ereigneten sich weniger Vorfälle als in der Vorwoche, nämlich insgesamt 30. Zwei dieser Vorfälle waren Leichenfunde. Diese Woche ereigneten sich die meisten Vorfälle, nämlich elf, in Kirkuk. In Diyala waren es neun Vorfälle. Ein Vorfall war in Anbar. Dabei handelt es sich um den Fund eines Massengrabs mit 15 Toten. Jeweils drei Vorfälle entfielen auf Bagdad, Ninewa und Salah al-Din. Einer der drei Vorfälle in Ninewa betraf den Fund von neun Leichen in der Altstadt von West-Mossul. Bei den anderen zwei Vorfällen handelte es sich um Sprengfallen im Gebiet Hamam al-Alil, 27 Kilometer südlich von Mossul. Von den drei Vorfälle in Salah al-Din war einer eine Schießerei, die zur Folge hatte, dass die Autobahn von Tuz Kurmatu nach Bagdad kurze Zeit gesperrt war. Während es in der ersten Septemberwoche in Bagdad eine Reihe von Sprengfallen gab, kehrte in der zweiten Septemberwoche wieder Normalität ein, mit nur drei Schießereien im Norden und Westen. (Musings on Iraq, 23.09.2019)
Nach einem Anstieg der Angriffe Anfang September 2019 sind diese Mitte des Monats wieder auf einen Mittelwert zurückgegangen. Während es im August außerhalb von Diyala kaum Angriffe gab, fanden im September im gesamten Zentralirak welche statt. Es gab in der dritten Septemberwoche 2019 28 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Irak. Acht Vorfälle in Bagdad, fünf in Kirkuk, vier in Diyala. Zwei Vorfälle fanden in Ninewa statt und jeweils ein Vorfall in Anbar, Babil, Kerbala und Salah al-Din. Jener Vorfall in Kerbala war eine der selten vorkommenden Autobomben. Dabei gab es zwölf Tote und fünf Verletzte. Ninewa und Salah al-Din, die früher die Hauptfronten des IS waren, sind jetzt nur noch zweitrangig. Im Vergleich dazu sind die Vorfälle in Diyala und Kirkuk weiterhin hoch. (Musings on Iraq, 01.10.2019)
In der ersten Oktoberwoche 2019 gab es nur drei Zwischenfälle in Anbar, Diyala und Ninewa. In der zweiten Oktoberwoche gab es 14 Vorfälle, davon fünf in Diyala, drei in Kikruk, jeweils zwei in Ninewa und Salah al-Din und jeweils einen in Anbar und Babil. Im Zentralirak ist der IS am aktivsten. Ninewa und Salah al-Din sind weniger wichtiger für den IS. In Kirkuk und Diyala findet die meiste Gewalt statt. In Bagdad gab es im September die meisten Angriffe. Anfang Oktober gab es wegen der in Bagdad stattgefundenen Proteste keine Angriffe. (Musings on Iraq, 22.10.2019)
Es gibt kaum noch Autobomben im Irak. In Diyala gab es bis Mitte Oktober 2019 keine einzige Autobombe. In Kirkuk gab es im Jänner 2019 die einzige Autobombe des Jahres. In Ninewa gab es drei Autobomben und zwar im Februar, März und Mai. In Salah al-Din gab es vier Autobomben im Jänner, März, April und August. Früher wurden vom IS routinemäßig Autobomben in städtischen Gebieten eingesetzt. Jetzt kommen diese kaum noch vor und zeigen, dass der IS schwer angeschlagen ist.
Bis Mitte Oktober 2019 gab es in Ninewa zwei Attacken auf Checkpoints, die sich beide im Februar ereigneten. In Salah al-Din gab es vier Attacken auf Checkpoints und zwar im Jänner, Mai, Juli und September. In Kirkuk gab es zwölf Attacken (vier im Jänner, eine im März, drei im Mai, zwei im Juni und zwei im September). In Diyala gab es mit 46 die meisten Attacken und bis auf Oktober in jedem Monat. (Musings on Iraq, 01.10.2019 und 22.10.2019)
Im Zuge der nationalen Proteste in Bagdad und allen südlichen Provinzen kam es zu Eskalationen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften. Am 25.10.2019 starben 42 Personen, davon 12 in Diwaniya, 9 in Maysan, 9 in Dhi Qar, 8 in Bagdad, 3 in Basra und eine Person in Muthanna. Insgesamt wurden weitere 2312 Personen verwundet. Während der ersten Runde von Protesten von 1.10. bis 9.10.2019 wurden 149 Zivilisten getötet. (Musings on Iraq, 26.10.2019)
Seit 01.10.2019 kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah al-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung, aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak. Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt. Die irakischen Sicherheitskräfte gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. (Kurzinformation der Staatendokumentation, 30.10.2019, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse)
Im Juni 2019 wurden die letzten Betonblöcke um die Grüne Zone in Bagdad, der Regierungsbezirk, abgebaut. Die Bevölkerung hat jetzt freien Zugang zu den gut zehn Quadratkilometern, die bis dahin No-Go-Zone war: Der "Hochsicherheitstrakt" im Zentrum von Bagdad ist Vergangenheit. Mit der Öffnung der Grünen Zone hat Iraks Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Versprechen eingelöst, das er bei seinem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres gegeben hat. Der Bezirk soll ein normales Stadtviertel von Bagdad werden. Seit November wurde Schritt für Schritt abgebaut: Checkpoints aufgelöst, Stacheldraht entfernt, Betonblöcke auf Tieflader geladen und abgefahren. Hundertausende sollen es gewesen sein. Allein in den letzten zwei Monaten hat Bagdads Stadtverwaltung 10.000 Mauerteile abfahren lassen, wie ein Angestellter berichtet. Die Betonblöcke wurden zum Militärflughafen Al-Muthana im Zentrum von Bagdad gefahren und dort abgekippt. Einige von ihnen finden Wiederverwertung in einem Ring, der derzeit um Bagdad gezogen wird, um Terroristen vor dem Eindringen zu hindern. Andere dienen dem Hochwasserschutz. Wieder andere werden als Baumaterial für Silos verwendet. (Mauerfall in Bagdad: Das Ende der Grünen Zone, Wiener Zeitung, 05.06.2019)
Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind. Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden. Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife. Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden. Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops. Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden. (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019)
Im Juni 2019 wurde das neue deutsch-irakische Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration in Bagdad eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit des Beratungszentrums steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern. (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019)
Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten. (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019)
Im Jänner 2020 hat der Iran, als Vergeltung für die Tötung seines Top-Generals Qassem Soleimani, zwei US-Militärstützpunkte im Irak angegriffen. Betroffen waren der Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad im Zentrum des Iraks und eine Basis in Erbil. (welt.de, Iran feuert Raketen auf US-Stützpunkte – Trump meldet sich zu Wort, 08.01.2020,)
Bei einem Angriff im Jänner 2020 auf eine vom amerikanischen Militär genutzten Luftwaffenbasis im Irak hat es einen Raketenbeschuss gegeben. Dabei sind vier irakische Soldaten verletzt worden. In den vergangenen Wochen waren mehrfach Raketen in der Nähe von Stützpunkten eingeschlagen, an denen Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika stationiert sind. Auch im Stadtzentrum von Bagdad schlugen zuletzt mehrfach Raketen ein. Einige davon landeten in oder in der Nähe des Regierungsviertels, in dem unter anderem die Botschaft Amerikas liegt. Berichte über Verletzte gab es dabei nicht. (faz.net, Raketenangriff auf Luftwaffenstützpunkte nahe Bagdad, 12.01.2020)
Im Oktober 2019 begann eine Protestbewegung in Bagdad und in den südlichen irakischen Provinzen und setzt sich aus Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts zusammen. Die DemonstrantInnen drücken auf der Straße ihre Frustration über hohe Jugendarbeitslosigkeit, mangelhafte öffentliche Dienste und chronische Korruption im Land aus. Insbesondere Studenten entwickelten sich laut Al Jazeera zum Rückgrat der Protestbewegung. Die Demonstrationen breiteten sich in Provinzen im Süd- und Zentralirak aus, darunter Babil, Dhi-Qar, Diyala, Karbala, Maysan, Muthana, Nadschaf, Qadisiya und Wasit. Die kurdischen Regionen im Norden, sowie die sunnitischen Mehrheitsgebiete im Westen blieben größtenteils ruhig. Die erste Phase der Protestbewegung dauerte vom 1. bis zum 9. Oktober an. Laut eines Sprechers des Innenministeriums hatten DemonstrantInnen 51 öffentliche Gebäude und acht Parteizentralen während dieser ersten Protestphase in Brand gesetzt. Eine zweite Protestwelle brach am 24. Oktober in Bagdad und Provinzen Süd- und Zentraliraks aus. Die Demonstrationen dauerten im Dezember weiter an, mit tausenden Protestierenden im Südirak, die nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Adel Abdel Mahdi einen unabhängigen Kandidaten forderten. Die Protestbewegung, die eine Revision des politischen Systems im Irak forderte, setzte sich im Jänner fort. Zeitgleich führten US-Angriffe gegen die vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF), sowie der tödliche Angriff auf den iranischen General Qasem Soleimani nahe des Flughafens Bagdad am 3. Jänner 2020 zu separaten Demonstrationen, die von pro-iranischen Gruppierungen angeführt wurden und die sich gegen amerikanischen Einfluss im Land richteten. Premieminister Adel Abdel Mahdi zeigte sich öffentlich von Beginn der Proteste um eine Lösung bemüht. Am 8.Oktober 2019 stimmte das Parlament über ein Maßnahmenpaket ab, das unter anderem Ausbildungsprogramme für junge Arbeitslose und die Bereitstellung einer monatlichen Unterstützungsleistung für Familien unter der Armutsgrenze ermöglichen sollte. Der Ministerrat legte daraufhin ein zweites 13-Punkte-Paket vor, das sich unter anderem mit Subventionen und der Bereitstellung von Wohnraum für Arme befasste. Am 16. Oktober kündigte der Oberste Justizrat die Einrichtung eines zentralen Strafgerichtshofs zur Korruptionsbekämpfung an. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat seitdem damit begonnen, gewissen benachteiligten Familien monatliche Auszahlungen zukommen zu lassen. Am 29. November 2019 beugte sich Adel Abdel Mahdi dem innenpolitischen Druck sowie dem Wunsch der DemonstrantInnen und kündigte seinen Rücktritt als Ministerpräsident an. Am 24. Dezember 2019 verabschiedete das irakische Parlament ein neues Wahlgesetz, doch ein neuer Premierminister war noch nicht gefunden worden. Am 1. Februar 2020 wurde Mohammed Tawfiq Allawi, ein ehemaliger Kommunikationsminister, zum Premierminister ernannt. Die genaue Zahl der bei Protesten Getöteten und Verletzten ist unklar. Human Rights Watch berichtet, dass laut irakischem Gesundheitsministerium die Zahl der Todesopfer Mitte Dezember 2019 511 Menschen erreicht habe. Laut der irakischen Menschenrechtskommission wurden bis Ende Dezember mindestens 490 DemonstrantInnen getötet. Amnesty International geht mit 23. Jänner 2020 von mehr als 600 Menschen aus, die seit Oktober 2019 im Zusammenhang mit den Protesten ihr Leben verloren haben. (ACCORD, Aktuelle politische Entwicklungen – Protestlage, 04.03.2020)
Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP’s) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 31.12.2019 wurden 1,4 Millionen IDPs (235.772 Haushalte), verteilt auf 18 Gouvernements und 104 Distrikte identifiziert. Im Vergleich zum letzten Bericht ging die Zahl der IDPs um 29.868 zurück. Die höchsten Rückgänge wurde in Ninewa (-18.552), Salah al-Din (-5.604) und in Erbil (-5.388) verzeichnet. Die Zahl der Rückkehrer liegt bei 4,6 Millionen (766.075 Haushalte) in 8 Gouvernements und 38 Distrikten. Damit stieg die Zahl der Rückkehrer, verglichen mit dem letzten Bericht, um 135.642 Personen. Verglichen mit dem vorherigen Beobachtungszeitraum (110.658) ist dies Zahl nur leicht gestiegen, sie ist aber doppelt so hoch wie die drei davor liegenden Beobachtungszeiträume (45.012, 38.256 und 54.900). Die meisten Personen kehrten nach Anbar (94.350), Ninewa (27.858) und Salah al-Din (11.352) zurück. Nahezu alle Haushalte (95%, 4.368.594 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Zwei Prozent (76.086) leben in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Drei Prozent der Rückkehrer (151.770) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). Im gesamten Jahr 2019 sank die Zahl der IDPs um 388.200 Personen, jene der Rückkehrer nahm um 431.130 Personen zu. (Displacement Tracking Matrix, Master List Report 113, November – December 2019)
Im Irak gibt es 6.439 bestätigte Covid-19-Fälle, 3.078 aktive Fälle, 205 Todesfälle, 3.156 genesene Personen. Insgesamt wurden beinahe 228.000 Tests durchgeführt. Elf Prozent der Fälle ereigneten sich in der Autonomen Region Kurdistan. Während des Ramadan und der Feiern zum Eid al-Fitr wurden die strengen Ausgangsbeschränkungen gelockert und danach wieder verschärft. Der Irak gehört zu jenen Ländern, auf die sich der Global Humanitarian Response Plan (GHRP) für Covid-19 bezieht. Bis zum 01.06.2020 hat er Irak 16,9 Millionen US-Dollar für die Bekämpfung von Covid-19 erhalten. (UNOCHA, Iraq: Covid-19, Situation Report No. 14, 01.06.2020)
Mit der Ankunft von tätowierten amerikanischen und westlichen Soldaten im Irak nach Saddam Hussein hätten Tätowierungen im Irak eine neue Popularität erreicht, so Larsson weiters. Jedoch sei es auch zur Provozierung von Feindseligkeiten gekommen. Ein amerikanischer Soldat, James Stevens, habe sich das Wort „Ungläubiger” in arabischer Sprache auf seinen Körper tätowieren lassen. Darauf hätten verschiedene muslimische Theologen Rechtsauskünfte [Fatwas] veröffentlicht, die Tätowierungen verbieten würden und diese Praxis als unislamisch einstufen würden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt im März 2012, dass im Februar 2012 in Bagdad Schilder und Flugblätter aufgetaucht seien, die Personen namentlich mit „dem Zorn Gottes“ bedroht hätten, wenn sie nicht unter anderem ihre Tätowierungen verstecken würden. Die britische Tageszeitung The Guardian schreibt in einem Artikel vom 22. März 2013, dass unter anderem „Hautkunst“ für junge und modische BewohnerInnen Bagdads in vermehrtem Ausmaß eine Frage des Lebensstils sei. Der Artikel erwähnt zudem ein Tattoo-Studio namens al-Mansour, das von Salmed al-Zubaidi und drei Freunden betrieben werde. Der Betreiber habe angegeben, dass einige Personen Tätowierungen als verboten einstufen würden und es nicht als Teil der eigenen Kultur sehen würden. Im Irak unter Saddam Hussein hätten Tätowierungen in einem rechtlichen Graugebiet existiert und Tattoo-Studios seien verboten gewesen. Einige Personen mit Tätowierungen seien schikaniert und geschlagen worden. Der Betreiber von al-Mansour habe angegeben, er verfüge über eine Erlaubnis des Gesundheitsministeriums und des Bürgermeisters von Bagdad. Junge Männer mit Körperkunst würden bei der Arbeitssuche als öffentliche Bedienstete, Polizisten oder Soldaten diskriminiert werden. Ein Lehrer habe angegeben, dass vor der Invasion Tattoos nicht alltäglich gewesen seien. Innerhalb der drei oder vier Jahre nach der Invasion seien sie populär geworden. Terroristen hätten laut Angaben des Lehrers Menschen getötet, die Tätowierungen getragen hätten. In Bagdad, wo in den vergangenen Jahren eine kleine Tattoo-Szene entstanden ist, arbeitet Ibrahim gemeinsam mit einem Partner. Er ist Schiit, sein Partner Christ, ihre Farben, Nadeln und Geräte lassen sie aus den USA einfliegen. ‘Gott gab uns einen Körper, mit dem wir machen können, was wir wollen’, sagt Ibrahim. Junge Schiiten verweisen gerne auch auf ihren wichtigsten Geistlichen im Irak, Ayatollah Ali al-Sistani. Ihm zufolge gibt es im Islam kein allgemeingültiges Tattooverbot. Im Irak liefert derzeit der Krieg die Motive für Tattoos. ‘Wir stechen viele Porträts’, sagt Ibrahim. ‘Gesichter getöteter Soldaten, die deren Angehörige unter ihrer Haut tragen wollen – oft auch mit Namen und Todesdaten.’ Bei Männern seien Tätowierungen in Schwarz und Grau beliebt. Frauen ließen sich häufig die Augenbrauen tätowieren und Bilder von Vögeln oder Schmetterlingen. Neukunden fangen meist ganz klein an, mit einem Motiv, das weltweit gerne genommen wird: ‘Mutter’ in arabischer oder in englischer Schrift. (ACCORD – Anfragebeantwortung: Religiös begründete Regelungen bezüglich Tätowierungen; Gesellschaftliche Einstellung; Lage von Tätowieren, 29.11.2018)
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit, zu seiner Schulbildung, zu seiner Berufstätigkeit als Kellner und der Arbeit bei seinem Onkel, zu seiner illegalen Einreise sowie zu seiner Antragstellung zur Erlangung internationalen Schutzes ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren und den Verwaltungsakten. Der Beschwerdeführer gab zwar vor dem BFA an, Sunnit zu sein, erklärte aber in der mündlichen Verhandlung, dass seine Mutter Sunnitin und sein Vater Schiit sei. Da sich die Religionszugehörigkeit nach jener des Vaters richtet, erfolgte die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Schiit ist.
Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und strafrechtlich unbescholten ist, ergeben sich aus einem Strafregisterauszug und einem GVS-Auszug.
Die Feststellungen zur unselbständigen Erwerbstätigkeit, zur Gewerbeberechtigung, zu den in diesem Rahmen erbrachten Dienstleistungen, zu den Empfehlungsschreiben, zu dem arbeitsrechtlichen Vorvertrag, zu dem ÖSD-Zertifikat A1, zu dem Werte- und Orientierungskurs und zu der nicht bestandenen ÖIF Integrationsprüfung B1 ergeben sich aus den diesbezüglichen Bestätigungen und Auszügen. Der Beschwerdeführer hat die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht nachgewiesen. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung zwar Rechnungen vor, die er im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit legt, er hat aber nicht nachgewiesen, dass er im Entscheidungszeitpunkt ein Einkommen bezieht, das die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht. Dass der Beschwerdeführer eine Freundin hat, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Freundin.
Der Beschwerdeführer machte zum Verbleib seines Reisepasses unterschiedliche Angaben, weshalb er persönlich unglaubwürdig ist. So gab er vor dem BFA an, dass er die Tasche mit seinem Reisepass und seinem Personalausweis an der Küste in der Türkei verloren habe (AS 51). Demgegenüber behauptete er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass der Schlepper auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland verlangt habe, die Rucksäcke und Taschen in das Meer zu werfen, um zu vermeiden, dass das Boot sinke. Deshalb habe er seinen Rucksack weggeworfen, aber darauf vergessen, dass sich seine Dokumente im Rucksack befinden (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Wenn der Beschwerdeführer schon zum Verbleib seines Reisepasses keine gleichbleibenden Angaben macht, so entstehen dadurch erhebliche Zweifel zur Richtigkeit der Angaben zu seinem Fluchtgrund.
Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass er wegen seiner beruflichen Tätigkeit bedroht worden sei, ist aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:
Der Beschwerdeführer legte einen Dienstausweis vor, aus dem hervorgeht, dass er beim XXXX gearbeitet hat (AS 31). Aus der Übersetzung des Dienstausweises ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als XXXX beschäftigt war. Für seine weiteren Behauptungen, dass er auch als Ersatzschauspieler und Kameramann gearbeitet habe, konnte er keine Belege vorlegen. Der Beschwerdeführer verwies auch auf eine XXXX des XXXX , die auf YouTube abrufbar ist [laut Anfragebeantwortung vom 10.03.2020 lassen sich auf der Webseite des XXXX selbst nur XXXX von Juli 2017 bis Ende Februar 2020 abrufen]. Diese XXXX wurde in der mündlichen Verhandlung angesehen und das XXXX weist einen XXXX unter dem Titel „ XXXX “ aus. Der Beschwerdeführer wird dort nicht als XXXX angeführt. Der Beschwerdeführer wird auch in keiner anderen Funktion genannt (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 23.06.2020). Es konnte daher auch nur festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer als XXXX gearbeitet hat. Sofern der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung eine Bestätigung seines ehemaligen Arbeitgebers vorgelegt wurde, aus der hervorgeht, dass er als XXXX und XXXX gearbeitet habe, ist dazu festzuhalten, dass diese Bestätigung am 19.05.2020 auf Wunsch des Beschwerdeführers ausgestellt wurde und mit dem vorgelegten Dienstausweis und der eingesehenen XXXX nicht vereinbar ist. Dieses Schreiben ist daher nicht geeignet, die behauptete Tätigkeit als Kameramann zu belegen. Die Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Beweis der Tätigkeit des Beschwerdeführers als XXXX konnte unterbleiben, da die XXXX , in welche Einsicht genommen wurde, den Beschwerdeführer am Ende als XXXX ausweist und ihn bei den XXXX nicht anführt und laut bereits eigeholter Anfragebeantwortung vom 10.03.2020, auf der Webseite des XXXX nur XXXX ab Juli 2017 und damit solche nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak, abrufbar sind.
Aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 10.03.2020 geht hervor, dass ein XXXX beim XXXX XXXX moderiert hat und er am XXXX erschossen in seinem Haus in XXXX aufgefunden wurde. Es ist daher glaubhaft, dass der Beschwerdeführer und XXXX beim selben XXXX gearbeitet haben und XXXX erschossen wurde. Es ist jedoch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer deswegen zu befürchten hätte, ebenso getötet zu werden. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer dieses Ereignis zum Anlass genommen hat, um darauf aufbauend eine Fluchtgeschichte zu konstruieren, da er sich zu seinem Fluchtvorbringen im gesamten Verfahren widersprüchlich geäußert hat.
Der Beschwerdeführer gab an, dass er mit seinem ermordeten Kollegen an den XXXX „ XXXX “ und „ XXXX “ gearbeitet habe (AS 52). Laut Anfragebeantwortung gibt es bei dem XXXX die XXXX „ XXXX “ und „ XXXX “, nicht jedoch die vom Beschwerdeführer genannte XXXX „ XXXX “. Dass die deutschen Übersetzungen von „ XXXX “ und „ XXXX “ möglicherweise das gleiche bedeuten, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer die arabischen Namen der beiden XXXX , an denen er mitgearbeitet haben will, nicht nennen konnte. Dass der Beschwerdeführer die arabischen Namen der XXXX , an denen er mitgearbeitet haben will, nicht korrekt angeben kann, spricht nicht dafür, dass der Beschwerdeführer an beiden XXXX beteiligt war und auch nicht, dass er am Inhalt der XXXX beteiligt war.
Der Beschwerdeführer gab an, dass sich der XXXX , bei dem er gearbeitet habe, in der Grünen Zone in Bagdad befinde. Auf der Homepage des XXXX findet sich die Adresse des XXXX , diese liegt aber nicht in der Grünen Zone. Auch ein Auszug aus Google Maps zeigt, dass sich der Fernsehsender nicht in der Grünen Zone befindet (siehe Anfragebeantwortung vom 10.03.2020). Der Beschwerdeführer legte eine Karte vor, bei der es sich um die Zutrittskarte für die Grüne Zone handeln soll (AS 29 und 31). Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 10.03.2020 werden die Zutrittsausweise vom Außenministerium/Verteidigungsministerium (Department of State/Department of Defense), den Büros für Sicherheitskooperation (Office of Security Cooperation) und der irakischen Regierung ausgegeben (Government of Iraq). Der Ausweis des Beschwerdeführers weist keine dieser Stellen auf, sondern nennt ein „Baghdad Green Zone Badging Office“. Die Zutrittsausweise enthalten auch eine Farbcodierung, an der die unterschiedlichen Zutrittsberechtigungen erkennbar sind. Laut Anfragebeantwortung vom 02.03.2013 gibt es eine rote, orange, gelbe, blaue und grüne Kodierung und nach einer anderen Quelle eine gelbe, orange, violette, grüne und blaue Kodierung. Je nach Farbe durfte man sich alleine in der Grünen Zone bewegen oder durfte andere Personen mitbringen. Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er für den Zutritt zur Grünen Zone die Zutrittskarte und seinen Dienstausweis vorzeigen musste. Die Zutrittskarte des Beschwerdeführers weist keine der soeben genannten Farben auf, sie ist vielmehr grau (AS 29). Der Ausweis des Beschwerdeführers ist damit mit den Ergebnissen der Anfragebeantwortungen nicht in Einklang zu bringen. Ebenso auf Grund des Ergebnisses der Anfragebeantwortung steht fest, dass sich der Fernsehsender, bei dem der Beschwerdeführer gearbeitet hat, nicht in der Grünen Zone befindet. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in der Grünen Zone gearbeitet hat. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Name des Beschwerdeführers auf den beiden vorgelegten Ausweisen unterschiedlich angegeben wird. Während auf dem Dienstausweis XXXX als Name angeführt wird, wird auf der Zutrittskarte XXXX angegeben. Auch die Schreibweise des Arbeitgebers ist unterschiedlich. Auf dem Dienstausweis wird dieser mit XXXX Channel angegeben und auf der Zutrittskarte zur Grünen Zone mit XXXX (AS 29 und 31). Aus diesen Gründen ist es nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in der Grünen Zone gearbeitet hat.
Der Beschwerdeführer spricht im gesamten Verfahren mehrfach davon, dass sein Kollege am XXXX ermordet worden sei. Wie sich aus der Anfragebeantwortung aber ergibt, wurde sein Kollege jedoch am XXXX erschossen in seinem Haus aufgefunden. Dies erweckt nun Zweifel, dass die Ermordung des Kollegen tatsächlich der fluchtauslösende Grund des Beschwerdeführers gewesen sein soll.
Der Beschwerdeführer gab vor dem BFA an, dass sein Kollege am XXXX getötet worden sei und der Beschwerdeführer am XXXX aus dem Irak ausgereist sei (AS 50). In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er an, dass er nach der Ermordung „ganze fünf Tage“ zu Hause gewesen sei (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020) und nach der Ermordung des Kollegen nicht mehr gearbeitet habe (Seite 5 des Verhandlungsprotokolls vom 23.06.2020). Als der Beschwerdeführer jedoch zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 28.05.2020 gefragt wurde, wann sein letzter Arbeitstag gewesen sei, behauptete er, dass dies der XXXX gewesen sei und damit zwei Tage nach der behaupteten Ermordung am XXXX (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Diese widersprüchlichen Angaben sprechen nun nicht dafür, dass die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers den Tatsachen entspricht.
In der Einvernahme vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass er mehrere telefonische Bedrohungen bekommen habe und sie zu ihm gesagt hätten, dass sie ihn wegen seines Fernsehberichts, weil er ein Spion der Amerikaner sei und in der Grünen Zone in Bagdad arbeite, umbringen würden (AS 51 und 52). Dies hätten schiitische Milizen am Telefon zu ihm gesagt (AS 52). Auch in der Beschwerde war noch die Rede von diesen telefonischen Bedrohungen, die er dort auf drei Telefonanrufe eingrenzte (AS 181). In der mündlichen Verhandlung steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen und behauptete, auch SMS erhalten zu haben (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Dieses gesteigerte Vorbringen lässt das Vorbringen hinsichtlich der erfolgten Bedrohung nicht glaubhaft erscheinen.
Während der Beschwerdeführer vor dem BFA ausdrücklich angab, dass er von schiitischen Milizen am Telefon bedroht worden sei [Wer hat Ihnen gedroht? Es waren schiitische Milizen, das haben sie am Telefon gesagt] (AS 52), behauptete er dies in der Beschwerde nicht mehr, sondern meinte nur, dass es Schiiten gewesen seien, die aus einem konkreten Stadtviertel aus Bagdad stammen würden, was er an deren „eigenen Slang“ erkannt hätte (AS 181). In der mündlichen Verhandlung gab er dann an, dass er die Telefondrohungen von anonymen Personen erhalten habe und nicht wirklich sagen könne, ob das Milizen, Terroristen, Verbrecher oder „was auch immer“ gewesen seien (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer nach den Anrufern befragt. Hier gab er, völlig konträr zu seinen Angaben vor dem BFA an, dass sich die Anrufer ihm nicht vorgestellt hätten. Auf Grund ihres irakischen Akzents habe er vermutet, dass es Milizen seien (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Diese eklatant widersprüchlichen Angaben, insbesondere zwischen Einvernahme vor dem BFA und mündlicher Verhandlung, sprechen nicht dafür, dass der Beschwerdeführer tatsächlich bedroht worden sein soll.
In seiner Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass er drei Drohanrufe bekommen habe (AS 181). In der mündlichen Verhandlung sprach er davon, dass er fünf Drohanrufe bekommen habe und drei bis vier SMS (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Schon diese widersprüchlichen Angaben sprechen gegen eine Glaubhaftmachung. Auch zum Inhalt der Drohanrufe machte der Beschwerdeführer unterschiedliche Angaben, die gegen eine Glaubhaftigkeit seines Vorbringens sprechen. Vor dem BFA gab er noch an, er sei mit dem Umbringen bedroht worden und zwar wegen eines Fernsehberichts, weil er ein Spion der Amerikaner sei und in der Grünen Zone arbeite (AS 52). In der mündlichen Verhandlung behauptete er, er sei beschuldigt worden, ein Dolmetscher für die Amerikaner zu sein, ein Spion und ein Verräter. Zuletzt sei ihm vorgeworfen, ohne Glauben zu sein (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Etwas später behauptete er in der mündlichen Verhandlung, dass sie ihm gesagt hätten, sie würden ihn töten und sie seien sicher, dass er mit den Amerikanern zusammenarbeite und täglich in die grüne Zone gehe (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020).
Zu den Anrufern gab der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an, dass er zweimal von Männern und einmal von einer Frau angerufen worden sei. Der dritte Drohanruf sei von der Frau gewesen (AS 181). Demgegenüber erklärte in der mündlichen Verhandlung, dass er dreimal eine junge, männliche Stimme erkannt habe und der letzte Anruf von einer Frau gewesen sei. Damit schilderte der Beschwerdeführer aber nur vier Anrufe, obwohl er zuvor behauptete, fünf Anrufe erhalten zu haben, weshalb auch nachgefragt werden musste. Nunmehr gab er an, dreimal von derselben männlichen, jungen Person angerufen worden zu sein, einmal sei es wieder eine junge, männliche Stimme gewesen und der letzte Anruf sei von der Frau erfolgt (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Damit machte der Beschwerdeführer nicht nur unterschiedliche Angaben im Vergleich zwischen Beschwerde und mündlicher Verhandlung, er konnte in der mündlichen Verhandlung selbst von sich aus auch nicht sofort alle fünf Anrufer richtig angeben, sondern erwähnte zunächst nur vier und erst auf Nachfrage fünf Anrufer. Dieses Aussageverhalten des Beschwerdeführers spricht nun nicht dafür, dass er von wahren Begebenheiten berichtet. In der weiteren Verhandlung behauptete der Beschwerdeführer, dass er dreimal von der Frau angerufen worden sei (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 23.06.2020), was sowohl seinen Angaben in der ersten Verhandlung als auch jenen in der Beschwerde widerspricht. Der Beschwerdeführer behauptete sowohl in der Beschwerde als auch in der Verhandlung, dass sich die Frau mit ihm habe treffen wollen, was er abgelehnt habe. Hinsichtlich der Reaktion der Frau machte er in der Beschwerde andere Angaben als in der Verhandlung. In der Beschwerde behauptete er, dass sie begonnen habe, ihn zu beschimpfen und zu bedrohen (AS 182). In der mündlichen Verhandlung behauptete er das Gegenteil, nämlich dass sie ganz normal gewesen sei und sie ihm gegenüber nicht wütend oder aggressiv geworden sei (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 23.06.2020). Auch diese unterschiedlichen Darstellungen sprechen gegen einen Wahrheitsgehalt des vom Beschwerdeführer Behaupteten.
Auch zum Zeitpunkt des Erhalts der telefonischen Drohungen machte der Beschwerdeführer völlig widersprüchliche Angaben. In seiner Beschwerde gab er an, dass er ca. ein bis zwei Wochen vor der Ermordung des Arbeitskollegen die Drohungen erhalten habe, was somit Ende April/Anfang Mai 2015 gewesen sei (AS 181). Hingegen gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass die telefonischen Bedrohungen Ende 2014/Anfang 2015 begonnen hätten (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Dass der Beschwerdeführer den Beginn der Bedrohungen zeitlich nicht einmal annähernd übereinstimmend angeben kann, lässt sein Vorbringen nicht glaubhaft erscheinen.
In der mündlichen Verhandlung behauptete der Beschwerdeführer, dass ihm seine Arbeitskollegen geraten hätten, wegen der Bedrohungen seine Handynummer zu wechseln. Dies habe er auch getan, aber er sei neuerlich am Telefon kontaktiert worden (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Derartiges behauptete der Beschwerdeführer weder in der Einvernahme vor dem BFA noch in seiner Beschwerde. Auch auf Grund dieses gesteigerten Vorbringens erscheint das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft.
Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass sein Freund und Arbeitskollege getötet worden sei und dass er davor bedroht worden sei. Auch der Beschwerdeführer habe mehrere telefonischen Bedrohungen erhalten. Nach dem Tod seines Freundes habe er deshalb den Irak verlassen (AS 51 und 52). Weitere Vorfälle schilderte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA nicht, obwohl er mehrfach gefragt wurde, ob er noch etwas sagen wolle oder alle Gründe genannt habe (AS 53). Auch am Ende der Einvernahme wurde er noch einmal befragt, ob er weitere Angaben machen wolle, was er aber verneinte (AS 55). Das in der Beschwerde gesteigerte Vorbringen, dass er etwa zwei Monate vor der Ermordung seines Arbeitskollegen von einem Auto verfolgt worden sei, die Autoinsassen ihn zum Stehenbleiben aufgefordert hätten und er ihnen entkommen habe können (AS 180 und 181), ist in Anbetracht seiner Angaben vor dem BFA, dass er alle Gründe genannt habe, einerseits nicht glaubhaft und erweckt andererseits Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines vor dem BFA geschilderten Fluchtgrundes. Die unterschiedliche und insbesondere steigernde Darstellung asylantragsbegründender Tatsachen spricht nicht für die Glaubwürdigkeit eines Antragstellers, da es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass ein Asylwerber wohl keine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen ließe. Das in diesem Sinne gesteigerte Vorbringen erscheint daher schon unter diesem Aspekt als nicht glaubwürdig.
Betrachtet man die Schilderungen des Beschwerdeführers zu der Verfolgung mit dem Auto, so fällt auf, dass er in der Beschwerde andere Angaben machte als in der mündlichen Verhandlung, was wiederum gegen eine Glaubhaftmachung spricht. In der Beschwerde sprach er noch konkret davon, dass sich dieser Vorfall ca. zwei Monate vor der Ermordung des Arbeitskollegen eignet hätte, was somit etwa im März 2015 gewesen sei (AS 180). Deutlich unkonkreter waren seine Angaben in der mündlichen Verhandlung. Hier sprach er nur davon, dass es Anfang 2015 gewesen sei und konnte dies zeitlich nicht näher eingrenzen. Er meinte, dass er sich nicht mehr erinnern könne (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Wenn man bedenkt, dass der Beschwerdeführer behauptet, von einem Auto verfolgt und zum Anhalten gezwungen worden zu sein, die Fahrzeuginsassen maskiert gewesen und eine Waffe auf ihn gerichtet hätten und er dem entkommen habe können, ist es angesichts eines derart dramatischen Ereignisses nicht im Geringsten nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht einmal den Monat nennen kann, wann sich dieses einschneidende Erlebnis ereignet haben will. Dass er dazu nicht imstande ist, spricht nun dafür, dass sich der Vorfall gar nicht ereignet hat.
Das konkrete Geschehen schilderte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auch anders als in seiner Beschwerde. Er gab in der Beschwerde an, dass er von einem Auto ohne Kennzeichen überholt worden sei, in dem sich zwei Männer befunden haben. An ihrer grünen Kleidung und am fehlenden Kennzeichen habe erkannt, dass es sich um Milizionäre handle. Sie hätten verfolgt, überholt und zum Stehenbleiben aufgefordert und sie hätten auch Signalleuchten eingeschaltet. Der Beschwerdeführer habe beschleunigt. Die Milizen hätten auch noch ein zweites Fahrzeug gehabt. Sie hätten ihn überholt und mit dem Fahrzeug die Straße blockiert. Durch die Straßenblockade sei es zu einem Stau der vielbefahrenen Straße gekommen und dem Beschwerdeführer sei es gelungen, an der Blockade vorbeizufahren. Die Milizangehörigen hätten die Übersicht verloren und nicht bemerkt, dass er an ihnen vorbeigefahren sei (AS 180 und 181). In der Verhandlung war nur mehr die Rede von einem Auto und dass sich in diesem drei Personen befunden hätten, die maskiert und bewaffnet gewesen seien. Von einer Blockierung der Straße war hier nicht mehr die Rede, sondern vielmehr nur von einem Stau auf einer Brücke. Der Beschwerdeführer sei dann durch die Gassen entkommen (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Wegen dieser deutlich von einander abweichenden Schilderungen konnte der Beschwerdeführer diesen behaupteten Vorfall nicht glaubhaft machen. Sofern in der Beschwerde vorgebracht wird, dass das Gespräch des Beschwerdeführers mit seinem gewillkürten Vertreter anlässlich der Beschwerdeerhebung auf Englisch erfolgt sei und es daher hinsichtlich der geschilderten Drohanrufe und der Verfolgung mit dem Auto zu Missverständnissen gekommen sein könnte, ist dazu festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht gezwungen war, in der Beschwerde detaillierte Angaben zu den Drohanrufen – die er schon vor dem BFA schilderte – zu tätigen. Sofern der Beschwerdeführer den Vorfall hinsichtlich der Verfolgung in der Beschwerde schilderte, war dies ohnehin schon eine Steigerung im Vergleich zu den Angaben vor dem BFA. Außerdem beschreibt der Beschwerdeführer seine Englischkenntnisse selbst als mittel (Seite 18 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020), weshalb davon ausgegangen werden kann, dass er einen einfachen Sachverhalt aus seinem Leben zu schildern in der Lage ist. Es handelt sich bei dem vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfall nicht um einen komplexen Sachverhalt, der die Kenntnis von Fachbegriffen erfordern würde. In dem Vorbringen in der Beschwerde, dass das Gespräch auf Englisch geführt worden sei und es daher zu Missverständnissen gekommen sein könnte ist daher als untauglicher Versuch zu werten, Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers zu erklären. Zudem ist zu beachten, dass die aufgezeigten Widersprüche nicht bloß unwesentliche Nebensächlichkeiten betreffen, sondern gestalteten sich die Ausführungen des Beschwerdeführers eklatant widersprüchlich in zentralen Punkten seines Vorbringens.
Der Beschwerdeführer gab vor dem BFA auch an, dass er bei den XXXX aus Kostengründen an manchen Stellen auch als Ersatzschauspieler eingesetzt worden sei (AS 53). Dieses Vorbringen änderte er in der mündlichen Verhandlung ab und meinte nun, dass er im Ramadan 2014 eine kleine Nebenrolle als Komiker in einer Fernsehsendung gehabt hätte. Der Beschwerdeführer war aber nicht in der Lage, den Namen dieser Sendung anzugeben (Seiten 20 und 21 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Auf Grund dieser widersprüchlichen Angaben und der Unmöglichkeit des Beschwerdeführers, die angebliche Sendung zu benennen, in der er mitgewirkt habe, ist es nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer jemals als Schauspieler gearbeitet hat.
Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020 brachte der Vertreter des Beschwerdeführers vor, dass der Beschwerdeführer eine Tätowierung und einen Ohrstecker habe und deshalb als antiislamisch angesehen würde und einer Bedrohung durch extreme, bewaffnete Gruppen ausgesetzt wäre (Seite 21 des Verhandlungsprotokolls vom 28.05.2020). Der Beschwerdeführer selbst gab dazu in der nachfolgenden Verhandlung vom 23.06.2020 an, dass er deswegen nicht wirklich Angst habe, es aber Menschen gebe, die zurückgeblieben seien und denken würde, man sei dann ungläubig. Wegen seines Ohrrings könnte man denken, dass er schwul sei (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 23.06.2020).
Auf Grund des geschilderten Aussageverhaltens des Beschwerdeführers, der vagen und unplausiblen Angaben, des widersprüchlichen und des gesteigerten Vorbringens, ergibt eine Gesamtschau der getätigten Ausführungen zweifelsfrei, dass durch die Schilderungen des Beschwerdeführers eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden konnte.
Die Feststellungen zur Lage im Irak stützen sich auf die oben angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Der Beschwerdeführer trat diesen Feststellungen nicht entgegen.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
1. Zur „Besorgnis der Befangenheit“:
Der Vertreter bringt vor, dass die verfahrensführende Richterin in zwei anderen Verfahren von irakischen Beschwerdeführern, die denselben Vertreter hatten, negativ entschieden habe und schließt daraus, die Richterin „Asylwerber aus aus dem Irak auch nach teilweise fünfjährigem Aufenthalt nicht als Menschen mit entsprechenden Rechten, Interessen und Bedürfnissen, sondern als reine Verfahrensparteien“ behandelt. „Die Entscheidungen lassen keinerlei Mitgefühl, Empathie oder wenigstens intellektuelles Verständnis für die vielfältigen Schwierigkeiten und Probleme erkennen, mit denen ein irakischer Asylwerber, der sich in Österreich gut integriert hat und hier über einen fünfjährigen oder nahezu fünfjährigen Aufenthaltszeitraum zurückblicken kann, konfrontiert wird, wenn dieser in den Irak zurückkehren muss.“
Dass der Vertreter Entscheidungen der Richterin in materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Hinsicht für unrichtig hält, bildet keine hinreichende Grundlage für die Annahme einer Befangenheit der am Zustandekommen dieser Entscheidung mitwirkenden Richter im Fall der Behandlung seiner Eingabe (vgl. VwGH 17.02.2016, 2016/04/0001; 16.12.2015, 2015/03/0005).
Der Vertreter des Beschwerdeführers äußert in seiner „Besorgnis der Befangenheit“ selbst nur unsachliche Kritik an der verfahrensführenden Richterin. Der Vertreter ist der Ansicht, dass Mitgefühl und Empathie für die Entscheidung ausschlaggebend sein sollen – und damit unsachliche Gründe – und sieht dagegen in der Behandlung einer Partei als Verfahrenspartei eine Unsachlichkeit. Dem Vertreter ist die verfahrensführende Richterin offenkundig nicht genehm. Dazu wird d