TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/14 L510 2151866-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2020
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Entscheidungsdatum

14.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
FPG §56

Spruch


L510 2151866-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2017, Zl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX ab dem Tag der Zustellung dieses Erkenntnisses eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. bis V. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 24.01.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge ihrer Erstbefragung am 25.01.2015 gab die bP zum Fluchtgrund an, dass im Irak Elend herrsche und man nicht in Ruhe auf die Straße gehen könne. Es gäbe Explosionen, Autobomben, radikal bewaffnete Gruppen und viele Leute würden willkürlich ohne Grund getötet werden. Auch hätte der IS ganz Mosul eingenommen und man könne kein sicheres Leben dort führen.

2. Mit Bestätigung des Allgemeinmediziners vom 06.09.2016 wurde der bP eine art. HT, eine COPD bei chron. Nikotinabusus sowie Polyarthrosen attestiert.

3. Bei der niederschriftlichen Einvernahme beim BFA am 03.01.2017 gab die bP an, physisch und psychisch keine Probleme zu haben, sie habe jedoch eine ärztliche Bestätigung vorgelegt. In ihrem Heimatland sei sie nur wegen den Blutdruckproblemen behandelt worden. Sie sei in Bagdad geboren worden und habe von 1971-1978 die Schule besucht. Von 1980 bis 1983 habe sie als Verkäuferin in einem Buchhandel gearbeitet, danach sei sie Hausfrau geworden. Die Heirat mit ihrem Ex-Ehemann sei im Jahr 1987 gewesen und die Scheidung sei 2006 erfolgt. Gemeinsam hätten sie einen Sohn, der am 16.10.1988 geboren worden sei. Ihr Ex-Mann sei Schiite, während sie Sunnitin sei. An Verwandten würden sich noch ihr Ex-Mann, ihr Sohn und zwei Geschwister im Irak befinden, ein anderer Bruder lebe in der Türkei und ihr Neffe sei mit ihr nach Österreich gekommen. Nach der Scheidung habe sie bei ihrem Bruder XXXX gewohnt, die Familie ihres Ex-Mannes habe ihn jedoch nicht in Ruhe gelassen, weil sie mit einem Schiiten verheiratet gewesen sei. Auch mit ihrem Sohn habe sie nur heimlichen Kontakt, weil dieser mit der Cousine ihres Ex-Mannes verheiratet sei.

Nach ihrem Fluchtgrund befragt gab die bP an, dass sie sich einmal gemeinsam mit ihrem Bruder wegen ihrer Blutdruckprobleme auf dem Weg in eine Klinik befunden habe, als Milizen sie nicht durchgelassen und auf ihr Auto geschossen hätten, um ihren Bruder zum Umkehren zu zwingen. Außerdem habe sie nichts mehr im Irak. Sie könne auch nicht mehr heiraten, da Geschiedene als „Abgestoßene“ gelten würden. Die Familie ihres Ex-Mannes würde ihr den Kontakt zu ihrem Sohn verbieten und ihr Ex-Mann habe sie bedroht, wenn sie Kontakt zu ihrem Sohne aufnehmen wollte. Aus Angst habe sie diesen Vorfall nicht angezeigt, denn die Familie ihres Ex-Mannes sei eine große und mächtige schiitische Familie. Schlussendlich wolle sie hier ein besseres Leben und eine bessere medizinische Versorgung haben.

4. Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.).

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Gemäß § 56 Abs 1 und 2 FPG werde eine Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise aus Österreich für die mit diesem Bescheid festgelegte Frist angeordnet (Spruchpunkt V.).

Mit Verfahrensanordnung vom 02.03.2017 wurde der bP ein Rechtsberater von Amts wegen zur Seite gestellt.

Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

5. Gegen den am 03.03.2017 zugestellten Bescheid wurde am 28.03.2017 Beschwerde erhoben. Dargelegt wurde, dass die bP ihre Asylgründe ausführlich erzählt habe, jedoch den Dolmetscher aufgrund des Dialekts nicht einwandfrei verstehen konnte. Außerdem sei die bP in besonderer Form nervös gewesen und weder physisch noch psychisch in der Lage gewesen sei, die Einvernahme fortzuführen, was der Organwalterin aufgrund der Vielzahl an widersprüchlichen, unschlüssigen und nicht mit der Frage in Einklang zu bringenden Aussagen hätte auffallen müssen. Die bP leide an einer behandlungsbedürftigen art. Hypertonie und Polyarthralgien, weswegen sie Medikamente einnehmen müsse. Die Behörde habe es unterlassen, sich näher mit ihrem Gesundheitszustand und einer allfälligen psychischen Erkrankung auseinanderzusetzen. Des Weiteren habe es die Behörde unterlassen, sich mit der Situation von alleinstehenden Frauen im Falle einer Rückkehr zu befassen. Nach der Scheidung sei die bP am 20.09.2006 nach Syrien ausgereist und sei bis zum 31.07.2014 dort über den UNHCR in Syrien untergebracht gewesen. Hinsichtlich des wesentlichen Fluchtgrundes, von der schiitischen Familie des Ex-Mannes verfolgt und mehrmals bedroht worden zu sein, sei anzumerken, dass eine Vielzahl an Angehörigen der Familie leitende Positionen der schiitischen Miliz innehätten. Es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative. Es wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.04.2019 wurde die Beschwerde als fristgerecht bestätigt.

7. Mit Schreiben vom 08.06.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht Integrationsunterlagen der bP, Teilnahmebestätigungen an Workshops für das Österreichische Rote Kreuz und an einem Werte- und Orientierungskurs, ein Empfehlungsschreiben der Tiroler Sozialen Dienste GmbH, ein Befund des Facharztes für Orthopädie Dr. XXXX vom 30.07.2019, eine Bestätigung des Allgemeinmediziners Dr. XXXX vom 10.03.2017 sowie eine Einstellungszusage im Falle eines positiven Bescheides übermittelt.

8. Am 24.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters und eines Behördenvertreters eine Verhandlung durch.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine demonstrative Aufzählung von grundsätzlich als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden der beschwerdeführenden Partei ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht. Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme zu den Berichten wurde mit 23.06.2020 abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität der bP steht fest. Sie führt den im Spruch genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum.

Die bP ist Staatsangehörige des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitisch muslimischen Glaubens. Sie stammt aus Bagdad, besuchte dort von 1971 bis 1978 die Schule und arbeitete drei Jahre lang als Verkäuferin in einer Buchhandlung. Im Jahr 1987 heiratete sie einen schiitischen Mann und wohnte bis zu ihrer Scheidung 2006 mit ihrem Ex-Mann und ihrem 1988 geborenen Sohn in einem Einfamilienhaus, wobei der Ex-Gatte für den Unterhalt aufkam. Danach zog sie für mehrere Monate zu ihrem Bruder XXXX und dessen Familie in deren Haus mit Garten, bevor sie 2006 nach Syrien ging. Ihr Bruder XXXX lebt mit seiner Familie im Irak, genauso wie ihre Schwester, ihr Ex-Mann und ihr Sohn, der Politikwissenschaften studiert hat. Ihr älterer Bruder XXXX lebt in der Türkei. Die Eltern der bP sind bereits verstorben. Die bP hat von Österreich aus nur Kontakt mit ihrem Bruder XXXX , deren Frau und ihrem Sohn.

Ein familiäres Netz ist im Irak seit der Scheidung von ihrem Ex-Mann nicht vorhanden. Die Familie des Ex-Mannes der bP war stets gegen die bP, da sie Sunnitin ist. Seit der Scheidung hatte die bP auch keinen Rückhalt mehr von ihrem Ex-Gatten. Zudem ist diese Familie gegen einen Kontakt zum eigenen Sohn, weshalb auch zu diesem kein Kontakt möglich ist. Auch von ihrem Bruder mit dessen Familie konnte die bP keine längerdauernde Unterstützung erwarten.

Von 2006 bis 2014 hielt sich die bP in Syrien auf, wo sie von der Unterstützung der UNO in einem Vorort von Damaskus lebte. Sie war nach ihrem Aufenthalt in Syrien nur noch ganz kurz im Irak aufhältig, um ihren Neffen von dort abzuholen, welcher gemeinsam mit der bP nach Österreich reiste.

Sie verfügt über ein in Damaskus ausgestelltes Flüchtlings-Zertifikat des UNHCR aus 2013, welches zuletzt am 13.10.2014 erneuert wurde.

Sie ist zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich auf staatliche Zuwendungen angewiesen. Strafrechtliche Verurteilungen liegen in Österreich nicht vor.

In Österreich lebt der Neffe der bP, XXXX , sowie ein weitläufig Verwandter namens XXXX , dessen Asylverfahren noch anhängig ist und der mit der bP im selben Flüchtlingsheim wohnhaft ist. Es bestehen keine Abhängigkeiten zwischen diesen Personen.

Die bP kann sich nicht in der deutschen Sprache verständigen und hat in Österreich auch keinen Deutschkurs besucht. Am 16.11.2019 besuchte sie einen 3-stündigen Workshop zum Thema Eltern und Schule und am 18.01.2020 einen 3-stündigen Workshop zum Thema Arbeit. Am 22.01.2019 absolvierte sie einen Werte- und Orientierungskurs. Seit 2018 übernimmt die bP Reinigungs- und Hausmeistertätigkeiten in ihrem Flüchtlingsheim und erhält dafür 100 Euro monatlich. Sie bezieht seit ihrer Ankunft in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung. Sie verfügt über eine Einstellungszusage eines Gebäudereinigungsbetriebes im Falle eines positiven Bescheides.

Sie leidet unter einer Beinlängendifferenz, einer Skoliose mit Beckenschiefstand, Arthralgien beider Kniegelenke, Lateralisation der Patella beidseitig, Chondorpathia patellae beidseitig, beidseitigen Plattfuß und einer behandlungsbedürftigen Hypertonie.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Die von der bP vorgebrachten Fluchtgründe werden den Feststellungen nicht zugrunde gelegt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Bagdad, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Der IS führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus.

Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt.

Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser.

97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus.

Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer.

Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt.

Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist.

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt.

Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden.

Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018).

Im Irak ging die Zahl der Sicherheitsvorfälle (zB Schießereien, IED’s, Angriffe auf Checkpoints, Entführungen, Selbstmordattentate, Autobomben) von Jänner bis Dezember 2018 um etwa 60% zurück. Zu Beginn des Jahres waren es 224 Vorfälle. Im März gab es einen Anstieg der Vorfälle, die sich vor allem in Anbar, Diyala, Kirkuk und Salahaddin ereigneten. Im April sanken sie auf 139. Von Juni bis Oktober gab es Schwankungen, beginnend in Diyala und Kirkuk, danach in Ninewa und schließlich in Anbar, Bagdad, Kirkuk und Ninewa. Seit dem Rückzug des sog. Islamischen Staates gab es in den letzten beiden Monaten des Jahres die wenigsten Vorfälle, die jemals im Land verzeichnet wurden.

Auch Bagdad, das früher ein Hauptangriffsziel war, entwickelte sich zu einem Nebenschauplatz. Im Jänner gab es 71 Vorfälle. Diese Zahl sank kontinuierlich und lag bei 13 Vorfällen im Juni. Danach erfolgte wieder ein Anstieg und es gab im September 47 Vorfälle. Seither kam es wieder zu einem Rückgang und 13 Vorfällen im November 2018. Bei fast allen Angriffen handelte es sich um kleinere Vorfälle wie Schießereien und IED’s. Die meisten Vorfälle ereigneten sich auch in Städten im äußern Norden (Joel Wing, Musings on Iraq, 15.01.2019).

In der zweiten Juliwoche 2019 wurden 13 Vorfälle registriert. In Bagdad gab es vier Vorfälle, bei denen drei Personen getötet wurden (Musings on Iraq, 17.07.2019).

In der ersten Septemberwoche 2019 gab es 39 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dabei betrifft ein solcher Vorfall den Fund eines Massengrabs mit 13 Toten im Süden von Mossul. Die meisten Vorfälle, nämlich 14, ereigneten sich in Diyala. Neun Vorfälle ereigneten sich in Ninewa, sieben in Bagdad, fünf in Salah al-Din, zwei in Kirkuk und jeweils einer in Anbar und Babil (Musings on Iraq, 17.09.2019).

In der zweiten Septemberwoche 2019 ereigneten sich weniger Vorfälle als in der Vorwoche, nämlich insgesamt 30. Zwei dieser Vorfälle waren Leichenfunde. Diese Woche ereigneten sich die meisten Vorfälle, nämlich elf, in Kirkuk. In Diyala waren es neun Vorfälle. Ein Vorfall war in Anbar. Dabei handelt es sich um den Fund eines Massengrabs mit 15 Toten. Jeweils drei Vorfälle entfielen auf Bagdad, Ninewa und Salah al-Din. Einer der drei Vorfälle in Ninewa betraf den Fund von neun Leichen in der Altstadt von West-Mossul. Bei den anderen zwei Vorfällen handelte es sich um Sprengfallen im Gebiet Hamam al-Alil, 27 Kilometer südlich von Mossul. Von den drei Vorfälle in Salah al-Din war einer eine Schießerei, die zur Folge hatte, dass die Autobahn von Tuz Kurmatu nach Bagdad kurze Zeit gesperrt war. Während es in der ersten Septemberwoche in Bagdad eine Reihe von Sprengfallen gab, kehrte in der zweiten Septemberwoche wieder Normalität ein, mit nur drei Schießereien im Norden und Westen (Musings on Iraq, 23.09.2019).

Nach einem Anstieg der Angriffe Anfang September 2019 sind diese Mitte des Monats wieder auf einen Mittelwert zurückgegangen. Während es im August außerhalb von Diyala kaum Angriffe gab, fanden im September im gesamten Zentralirak welche statt. Es gab in der dritten Septemberwoche 2019 28 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Irak. Acht Vorfälle in Bagdad, fünf in Kirkuk, vier in Diyala. Zwei Vorfälle fanden in Ninewa statt und jeweils ein Vorfall in Anbar, Babil, Kerbala und Salah al-Din. Jener Vorfall in Kerbala war eine der selten vorkommenden Autobomben. Dabei gab es zwölf Tote und fünf Verletzte. Ninewa und Salah al-Din, die früher die Hauptfronten des IS waren, sind jetzt nur noch zweitrangig. Im Vergleich dazu sind die Vorfälle in Diyala und Kirkuk weiterhin hoch (Musings on Iraq, 01.10.2019).

In der ersten Oktoberwoche 2019 gab es nur drei Zwischenfälle in Anbar, Diyala und Ninewa. In der zweiten Oktoberwoche gab es 14 Vorfälle, davon fünf in Diyala, drei in Kikruk, jeweils zwei in Ninewa und Salah al-Din und jeweils einen in Anbar und Babil. Im Zentralirak ist der IS am aktivsten. Ninewa und Salah al-Din sind weniger wichtiger für den IS. In Kirkuk und Diyala findet die meiste Gewalt statt. In Bagdad gab es im September die meisten Angriffe. Anfang Oktober gab es wegen der in Bagdad stattgefundenen Proteste keine Angriffe (Musings on Iraq, 22.10.2019).

Es gibt kaum noch Autobomben im Irak. In Diyala gab es bis Mitte Oktober 2019 keine einzige Autobombe. In Kirkuk gab es im Jänner 2019 die einzige Autobombe des Jahres. In Ninewa gab es drei Autobomben und zwar im Februar, März und Mai. In Salah al-Din gab es vier Autobomben im Jänner, März, April und August. Früher wurden vom IS routinemäßig Autobomben in städtischen Gebieten eingesetzt. Jetzt kommen diese kaum noch vor und zeigen, dass der IS schwer angeschlagen ist.

Bis Mitte Oktober 2019 gab es in Ninewa zwei Attacken auf Checkpoints, die sich beide im Februar ereigneten. In Salah al-Din gab es vier Attacken auf Checkpoints und zwar im Jänner, Mai, Juli und September. In Kirkuk gab es zwölf Attacken (vier im Jänner, eine im März, drei im Mai, zwei im Juni und zwei im September). In Diyala gab es mit 46 die meisten Attacken und bis auf Oktober in jedem Monat (Musings on Iraq, 01.10.2019 und 22.10.2019).

Im Juni 2019 wurden die letzten Betonblöcke um die Grüne Zone in Bagdad, der Regierungsbezirk, abgebaut. Die Bevölkerung hat jetzt freien Zugang zu den gut zehn Quadratkilometern, die bis dahin No-Go-Zone war: Der "Hochsicherheitstrakt" im Zentrum von Bagdad ist Vergangenheit. Mit der Öffnung der Grünen Zone hat Iraks Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Versprechen eingelöst, das er bei seinem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres gegeben hat. Der Bezirk soll ein normales Stadtviertel von Bagdad werden. Seit November wurde Schritt für Schritt abgebaut: Checkpoints aufgelöst, Stacheldraht entfernt, Betonblöcke auf Tieflader geladen und abgefahren. Hundertausende sollen es gewesen sein. Allein in den letzten zwei Monaten hat Bagdads Stadtverwaltung 10.000 Mauerteile abfahren lassen, wie ein Angestellter berichtet. Die Betonblöcke wurden zum Militärflughafen Al-Muthana im Zentrum von Bagdad gefahren und dort abgekippt. Einige von ihnen finden Wiederverwertung in einem Ring, der derzeit um Bagdad gezogen wird, um Terroristen vor dem Eindringen zu hindern. Andere dienen dem Hochwasserschutz. Wieder andere werden als Baumaterial für Silos verwendet (Mauerfall in Bagdad: Das Ende der Grünen Zone, Wiener Zeitung, 05.06.2019).

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind.

Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife.

Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden.

Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops.

Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019).

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019).

In Bagdad wurde ein neues deutsch-irakisches Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019).

Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP’s) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 30.06.2019 wurden 1,6 Millionen IDPs (267.858 Familien), verteilt auf 18 Gouvernements und 106 Distrikte identifiziert. Die Zahl der IDPs sinkt kontinuierlich in einem stetig langsamen Tempo. Im Mai und Juni wurde ein Rückgang von 57.960 IDPs, mit den drei größten Gouvernements Ninewa (-22.674), Salah al-Din (-11.856) und Sulaymaniyah (-7.104), verzeichnet. Die Zahl der Rückkehrer liegt bei 4,3 Millionen (717.523 Familien) in 8 Gouvernements und 38 Distrikten. Im Mai und Juni 2019 kehrten die meisten nach Ninewa (17.502 Personen), Anbar (2.136) und Salah al-Din (14.778) zurück. Während der letzten sechs Monate wurde ein Rückgang an IDPs von 195.684 Personen verzeichnet. Die meisten davon in Ninewa (-97.392, -17%), Salah al-Din (-32.262, -23%) und Anbar (-11.598, -19%). Im selben Zeitraum wurde ein Anstieg von 139.818 Rückkehrern dokumentiert. Die größten Anstiege wurden in Ninewa (63.762, 4%), Salah al-Din (44.742, 8%) und Anbar (14.850, 1%) verzeichnet. Nahezu alle Familien (95%, 4.105.140 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Zwei Prozent (71.010) leben in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Drei Prozent der Rückkehrer (128.988) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). Von den zuletzt Genannten leben die meisten in den Distrikten Mossul (29.658), Tikrit (9.462) und Tal Afar (9.222). Seit Dezember 2018 wird ein Rückgang der in kritischen Unterkünften lebenden Rückkehrer (-3.786) in allen Gouvernements, außer Anbar und Kirkuk, verzeichnet (Displacement Tracking Matrix, Round 110, Juli 2019).

Anfang Oktober 2019 kam es in zahlreichen Städten und Provinzen im Irak zu Demonstrationen, die sich gegen Korruption und Misswirtschaft richten. Die Proteste gingen nicht von einer bestimmten politischen Gruppe aus. Die zumeist jungen Demonstranten wiesen jede politische Vereinnahmung von sich. Angesichts der gewaltsamen Proteste versucht die irakische Regierung, die Protestierenden mit einem sozialen Maßnahmenpaket zu beruhigen. Unter anderem sollen im ganzen Land 100.000 neue Wohnungen gebaut werden, wie Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi nach einer Sitzung des Kabinetts am 06.10.2019 sagte. Zudem sollen 150.000 arbeitslose Irakerinnen und Iraker in Weiterbildungsprogrammen gefördert werden (Über hundert Menschen sterben bei Protesten gegen die Regierung Zeit.de, 06.10.2019).

Ende Oktober 2019 kam es erneut zu Protesten, wobei acht Menschen in Bagdad starben, als Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen Demonstranten in der Nähe des Regierungsviertels vorgingen. In Bagdad hatten am 25.10.2019 Tausende Demonstranten versucht, in die besonders geschützte Grüne Zone zu gelangen. Dort liegen viele der Regierungsgebäude und Botschaften. Die Lage hatte sich am folgenden Tag zunächst beruhigt. Auf dem zentralen Tahrir-Platz errichteten jedoch Hunderte Demonstrierende Zelte, um weiter zu protestieren (42 Tote bei erneuten regierungskritischen Protesten, Zeit.de, 25.10.2019).

Frauen

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Region Kurdistan: 30 Prozent) verankert. Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, unter anderem beim Zugang zu Arbeit. Darüber hinaus brauchen Frauen die Erlaubnis ihres Mannes oder eines männlichen Verwandten, um am Wirtschaftsleben teilnehmen zu können. Häusliche Gewalt ist nicht ausdrücklich kriminalisiert. Vielmehr haben Ehemänner nach Artikel 41. Absatz 1 des Strafgesetzbuches das Recht, ihre Frauen „innerhalb gewisser Grenzen" zu bestrafen. Anklagen wegen sexueller Gewalt werden fallen gelassen, wenn der Angreifer das Opfer heiratet. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018).

Im Zeitraum von 2005 bis 2017 waren 17 % der Frauen im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig, während bei Frauen mit mittlerem oder niedrigem Bildungsabschluss die Quote bei unter 10 % lag. Im Jahr 2017 waren ca. 56 % der Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren arbeitslos (EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Zentrale sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019).

Die Situation der Frauen im Irak in den letzten Jahren im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise drastisch verschlechterte. Im Land werden unter anderem geschiedene Frauen mit großen sozialen Herausforderungen und diskriminierenden Traditionen konfrontiert; sie seien oft dem Risiko der sexuellen Ausbeutung, Prostitution, Mehrehen oder Ehen auf Zeit ausgesetzt.

Eine Scheidung geht mit Stigmatisierung, gewaltsamen Repressalien und finanzieller Isolierung einher. Irakische Frauen sind nach einer Scheidung oft von männlichen Verwandten abhängig. Weiters ist es für sie schwierig, Arbeit zu finden, da es an Erwerbsmöglichkeiten für Frauen fehle. Außerdem müssen sie oft damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen. Haushalte, die von Frauen geführt werden, leben aufgrund des tiefen Einkommens in sehr schlechten finanziellen Verhältnissen. Darüber hinaus werden Frauen wegen der Scheidung in eine wirtschaftlich vulnerable Lage versetzt. Sie sind während der Ehe finanziell auf ihre Ehemänner angewiesen. Nach der Scheidung fällt es ihnen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen für Frauen schwer, eine Beschäftigung zu finden. Aufgrund der negativen gesellschaftlichen Wahrnehmung von geschiedenen Frauen sind sie durch sexuellen Missbrauch gefährdet.

Die vorherrschenden sozialen Normen hindern Frauen daran, ohne einen Mann zu leben, sodass sie nach einer Scheidung von männlichen Verwandten abhängig sind. Geschiedene Frauen bilden eine verletzliche und marginalisierte Gruppe in der irakischen Gesellschaft, die Schwierigkeiten haben, ihr Recht einzufordern (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, 01.10.2018).

2. Beweiswürdigung

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der bP, der von ihr vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen aktuelle Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP, welche der Rechtsvertretung, der Behörde und der bP wie bereits ausgeführt übermittelt wurden.

2.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren in diesem Punkt einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben sowie ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen sowie der seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

2.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

Im Verfahren ergaben sich erhebliche Widersprüche im Kernvorbringend der bP, wie folgend zusammengefasst an Beispielen dargelegt wird.

Die bP führte bei ihrer Erstbefragung zum Fluchtgrund aus, dass man im Irak nicht in Ruhe auf die Straße gehen könne, weil es Explosionen, Autobomben und radikal bewaffnete Gruppen gäbe. Viele Menschen würden wirklich und ohne Grund getötet werden. Der IS habe Mosul eingenommen und es wäre nicht möglich, dort ein sicheres Leben zu führen.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA legte die bP in freier Erzählung dar, dass die Milizen einmal auf das Auto ihres Bruders geschossen hätten, als sie wegen den Blutdruckproblemen der bP auf dem Weg in die Klinik waren, um sie zum Umkehren zu bewegen. Außerdem habe sie nichts mehr im Irak, sie könne auch nicht mehr heiraten, da Geschiedene Ausgestoßene seien. Die Familie ihres Ex-Mannes verbiete ihr den Kontakt zu ihrem Sohn und ihr Ex-Mann habe sie bedroht, wenn sie Kontakt zu ihrem Sohn aufnehme. Außerdem wünsche sie sich in Österreich ein besseres Leben und werde besser medizinisch versorgt.

Auf konkrete Nachfrage gab die bP in der Folge zu Protokoll, dass sie Angst vor der Familie ihre Ex-Mannes habe, da diese eine große schiitische Familie und sehr mächtig sei.

Insgesamt ist somit festzustellen, dass die bP bis zu diesem Zeitpunkt ihr Fluchtvorbringen gänzlich änderte. War es anfangs noch die allgemeine Lage in ihrem Herkunftsland, so sei sie nunmehr von Milizen angeschossen, von ihrem Ex-Mann bedroht worden und hätte große Angst vor der Familie ihres Ex-Mannes, da diese eine mächtige schiitische Familie sei.

Im Zuge der Beschwerde wurde dann ausgeführt, dass die bP den Dolmetscher nicht deutlich verstanden habe und während der Einvernahme unter einer außergewöhnlich hohen Nervosität litt, aufgrund derer sie widersprüchliche und unklare Aussagen getätigt habe. Dadurch hätte der Beamtin auffallen müssen, dass sie physisch und psychisch nicht einnahmefähig gewesen war. Die Behörde habe unterlassen auf den Gesundheitszustand und die allgemeine Lage alleinstehender Frauen im Irak einzugehen. Erstmals wurde auch vorgebracht, dass die bP 2006 nach Syrien reiste und dort über den UNHCR untergebracht gewesen sei.

Im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG gab die bP nach ihrem Fluchtgrund befragt an, dass sie Sunnitin sei und ihr Ex-Mann Schiite. Aufgrund dessen seien ihre Schwiegereltern von Anfang an gegen die Heirat gewesen und hätten angefangen sie zu bedrohen. Sie hätten von ihrem Ex-Mann verlangt, dass er sich von ihr trenne, was er schließlich auch gemacht habe, um seiner Familie eine Freude zu bereiten, obwohl sie in ihrer Ehe keine Probleme gehabt hätten, und die bP hatte das Gefühl, dass sie in dieser Familie in Gefahr lebe.

Nach der Bedrohung durch die Familie befragt, führte die bP aus, dass der Bruder ihres Ex-Mannes gesagt habe, dass wenn sie Kontakt zu ihrem Sohn habe, er sie töten werde. Diese Drohung habe er per Telefon an sie gerichtet. Ihr Mann habe darauf nicht geantwortet. Dafür, dass es sich hierbei um den Ausreisekausalen Grund handeln sollte, war die Beschreibung des Ereignisses sehr kurz und ohne jegliche Details wie Zeit, Ort oder Kontext. An anderer Stelle schilderte die bP dann in der Einvernahme, dass sie von ihrem Ex-Mann bedroht worden sei. und tauschte sie somit die sie bedrohende Person aus.

Auf Nachfrage, wodurch sie von Seiten der Familie Gefahr gespürt habe, antwortete die bP, dass die Schwester ihres Ex-Mannes von ihr, weil sie Sunnitin war, kein Getränk annehmen wollte. Dieser Vorfall alleine erreicht jedoch keine an eine Verfolgung grenzende Intensität, wodurch die geschilderte Angst vor der Familie nicht begründet werden konnte.

Im Zuge der Verhandlung gab die bP auf Nachfrage an, dass sie nach Syrien gegangen sei, weil sie von ihren Schwiegereltern bedroht worden sei und diese auch ihren Bruder, bei dem sie nach der Scheidung lebte, bedroht hätten. Sie hätte dies vor dem BFA nicht sagen können, da die Beamtin ihr andauernd gesagt hätte, dass sie lüge, weswegen sie sehr angeschlagen gewesen wäre und sich nicht konzentrieren habe könne. Außerdem sei der Aufenthalt in Syrien vom BFA nicht protokolliert worden und die gesamte Einvernahme nicht rückübersetzt worden. Diesem Einwand wird kein Glaube geschenkt, insbesondere da die bP mit ihrer Unterschrift nach jeder Befragung bestätigt hat, dass alles korrekt protokolliert und auch rückübersetzt wurde. Der Behördenvertreter bestätigte zusätzlich, dass es in der Praxis mit Sicherheit nicht vorkomme, dass nach einer schriftlichen Einvernahme nicht rückübersetzt würde.

Zusätzliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der bP in Bezug auf ihre Fluchtgründe ergaben sich aus dem Umstand, dass der in der Einvernahme vor dem BFA geschilderte Vorfall mit den Milizen, die auf das Auto ihres Bruders, der sie in eine Klinik fahren wollte, geschossen hätten, in der Verhandlung von der bP nicht einmal erwähnt wurde, obwohl die bP mehrmals gefragt wurde, was im Irak noch passiert ist. Auch dieser Umstand legt den Schluss nahe, dass sich dieser Vorfall gar nicht ereignet hat, da er ansonsten der bP noch erinnerlich gewesen wäre.

Nicht plausibel ist auch der Umstand, dass die bP nicht direkt von Syrien aus in die Türkei reisen konnte, sondern zuerst in den Irak zurückkehrte, nur um ihren Neffen abzuholen und mit diesem dann per Flugzeug das Land zu verlassen. Hätte sie ihre beschriebene große Angst vor der Familie ihres Ex-Mannes gehabt oder sich aufgrund der allgemeinen Lage nicht in den Irak begeben wollen, hätte sie ihren Neffen auch in der Türkei treffen können. Ihre Rückkehr und auch, dass ihr Sohn sie ohne Probleme zum Flughafen brachte, legt nicht den Schluss einer drohenden und intensiven Verfolgung durch die Familie ihres Ex-Mannes nahe.

Seitens des BVwG ist dazu insgesamt festzustellen, dass die bP in Kernpunkten ihres Fluchtvorbringens völlig widersprüchliche Angaben tätigte, die sie bedrohenden Menschen austauschte und zudem im Zuge des Verfahrens ihr Vorbringen steigerte, weshalb sie persönlich als nicht glaubwürdig im Verfahren zu würdigen war. Das Fluchtvorbringen war somit unglaubhaft und nicht geeignet, der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt zu werden.

2.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die Länderfeststellungen basieren auf vielgestaltigen Quellen verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Das BVwG hat diesbezüglich das Parteiengehör gewahrt. Die bP und die Behörde sind diesen Quellen nicht konkret und substantiiert entgegengetreten. Die Lageeinschätzung des BVwG widerspricht im Wesentlichen auch nicht der Einschätzung des UNHCR in seinem Positionspapier vom Mai 2019, woraus sich insbesondere auch die Erforderlichkeit der Beurteilung des konkreten Einzelfalles ergibt.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Nichtzuerkennung des Status als Asylberechtigter

1. § 3 AsylG

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

Der Ausdruck "soziale Gruppe", der als Auffangtatbestand in die Genfer Flüchtlingskonvention eingefügt wurde, wurde in Lehre und Rechtsprechung durchaus unterschiedlich definiert. In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshof wurde einerseits auf die Definition des UNHCR abgestellt, derzufolge eine soziale Gruppe in der Regel Personen mit ähnlichem Hintergrund, ähnlichen Gewohnheiten oder ähnlichem sozialen Status umfasst (vgl. Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, S. 219, aber auch den Gemeinsamen Standpunktes des Rates der Europäischen Union vom 4.3.1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffes des "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge), wobei aber - unter Hinweis auf das genannte Handbuch des UNHCR - darauf hingewiesen wird, dass hinter der angesprochenen Regelung die Erwägung stehe, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe Anlass zu Verfolgung sein kann, wenn kein Vertrauen in die Loyalität der Gruppe der Regierung gegenüber bestehe oder wenn die politische Ausrichtung, das Vorleben oder die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der Gruppe oder auch schon allein die Existenz der Gruppe an sich als Hindernisse für die Politik der Regierung angesehen werden (vgl. VwGH 18.12.1996, Zl. 96/20/0793).

Andererseits wies der Verwaltungsgerichtshof auf die Definition des kanadischen Obersten Gerichtshofes (Supreme Court) hin, nach der eine soziale Gruppe iSd GFK folgende drei Personenkreise umfasse:

Personen, die ein gemeinsames angeborenes oder unabänderliches Merkmal wie Geschlecht, sprachliche Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung aufweisen; Personen, die freiwillig aus Gründen verbunden sind, die für ihre Menschenwürde derart fundamental sind, dass sie nicht gezwungen werden sollten, diese Verbindung aufzugeben und schließlich Personen, die durch einen früheren freiwilligen Zustand verbunden sind, der aufgrund seiner historischen Dauer nicht geändert werden kann (vgl. die in Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 1996, p. 359 f., wiedergegebenen Fälle, insbesondere den Fall Canada v. Ward).

Auf diese Definitionen nimmt - zumindest zum Teil - auch Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 ("Statusrichtlinie") - auf den im Übrigen § 2 Abs. 1 Z 12 Asylgesetz 2005 verweist - Bezug, wenn er in seiner lit. d eine bestimmte soziale Gruppe folgendermaßen umschreibt: "Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe wenn - die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Als sexuelle Ausrichtung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten; geschlechterbezogene Aspekte können berücksichtigt werden, rechtfertigen aber für sich allein genommen noch nicht die Annahme, dass dieser Artikel anwendbar ist."

Die Situation der Frauen im Irak ist in diesem Zusammenhang differenziert auf den Einzelfall zu betrachten und ist jeder Fall unterschiedlich zu beurteilen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern, ob eine vernunftbegabte Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen aus Konventionsgründen wohlbegründete Furcht erleiden würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380). Dies trifft auch nur dann zu, wenn die Verfolgung von der Staatsgewalt im gesamten Staatsgebiet ausgeht oder wenn die Verfolgung zwar nur von einem Teil der Bevölkerung ausgeübt, aber durch die Behörden und Regierung gebilligt wird, oder wenn die Behörde oder Regierung außerstande ist, die Verfolgten zu schützen (VwGH 4.11.1992, 92/01/0555 ua.).

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005 ist eine Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie. Demnach sind darunter jene Handlungen zu verstehen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Recht auf Leben, Verbot der Folter, Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft, Keine Strafe ohne Gesetz) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon – wie in ähnlicher beschriebenen Weise – betroffen ist.

Nach der auch hier anzuwendenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Verfolgung weiters ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Verfolgung kann nur von einem Verfolger ausgehen. Verfolger können gemäß Art 6 Statusrichtlinie der Staat, den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschende Parteien oder Organisationen oder andere Akteure sein, wenn der Staat oder die das Staatsgebiet beherrschenden Parteien oder Organisationen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor Verfolgung zu gewähren.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl zB vom 8. 11. 1989, 89/01/0287 bis 0291 und vom 19. 9 1990, 90/01/0113). Der Hinweis eines Asylwerbers auf einen allgemeinen Bericht genügt dafür ebenso wenig wie der Hinweis auf die allgemeine Lage, zB. einer Volksgruppe, in seinem Herkunftsstaat (vgl VwGH 29. 11. 1989, 89/01/0362; 5. 12. 1990, 90/01/0202; 5. 6. 1991, 90/01/0198; 19. 9 1990, 90/01/0113).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

2. Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Der Antrag war nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen.

Nach Ansicht des BVwG sind auch die dargestellten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status als Asylberechtigter, nämlich eine glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK angeführten Grund nicht gegeben.

Auch die allgemeine Lage ist im gesamten Herkunftsstaat nicht dergestalt, dass sich konkret für die beschwerdeführende Partei eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde.

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der bP eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden. Die bP hat demnach nicht bereits aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen ihr Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. VwGH 09.05.2016, Ra 2016/01/0068; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN).

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine generelle und systematische Verfolgung von alleinstehenden Frauen im Irak stattfindet. Zwar zeugen die Länderberichte von Diskriminierungen gerade gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe, Frauen kämpfen aber für ihre Rechte und mehr Mitsprache im Parlament, sodass von einer generellen Verfolgung jeder alleinstehenden Frau keine Rede sein kann. Vielmehr müssen die Faktoren in jedem Einzelfall gesondert beurteilt werden. Wie sich aus den Erwägungen ergibt, ist es der bP nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr aus ihrer dargelegten Fluchtgeschichte glaubhaft zu machen, weshalb diese vorgetragenen und als fluchtkausal bezeichneten Angaben bzw. die daraus resultierenden Rückkehrbefürchtungen gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung somit gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Die Summe der persönlichen Umstände zeigen, dass sie zwar als geschiedene und alleinstehende Frau im Irak Diskriminierungen ausgesetzt wäre, diese erreichen jedoch nicht die geforderte Intensität um Asylrelevanz zu entfalten.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die bP während ihres Aufenthalts in Syrien als Flüchtling von UNHCR registriert worden ist, was durch das seitens der bP in Kopie vorgelegte Schriftstück belegt wurde.

Durch dieses Schriftstück ist die bP aber nicht im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge als Flüchtling anerkannt worden. Mit dem in der Vorschrift genannten "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" ist das Abkommen der Vereinten Nationen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in Verbindung mit dem Protokoll vom 31. Januar 1967 gemeint (Genfer Konvention). Diesem Abkommen ist eine große Zahl von Staaten beigetreten. Es obliegt allerdings jeweils dem Vertragsstaat, über die Flüchtlingseigenschaft von Personen, die sich auf seinem Hoheitsgebiet befinden, zu entscheiden (vgl. hierzu UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf 1993, S. 1 f.). Syrien hat nach hg. Amtswissen das Abkommen nicht unterzeichnet. Die bP brachte auch keine Unterlagen in Vorlage, wonach staatliche syrische Stellen deutlich gemacht haben, dass sie aufgrund der Registrieru

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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