TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 L527 2126572-3

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L527 2126572-3/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Pakistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2020, Zahl XXXX , zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG in Verbindung mit § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Angehöriger der Islamischen Republik Pakistan, stellte am 24.06.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz, welchen das Bundesverwaltungsgericht im Rechtsmittelweg mit Erkenntnis vom 24.05.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status sowohl eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten abwies. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte weitgehend auch im Übrigen den in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid (kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005; Rückkehrentscheidung; Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan; 14 Tage Frist für die freiwillige Ausreise). Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23.09.2019 ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Beim Verwaltungsgerichtshof ist keine Revision gegen das Erkenntnis vom 24.05.2019 anhängig.

Der Beschwerdeführer hielt und hält sich weiterhin im Bundesgebiet auf.

Am 20.12.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005, welchen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: [belangte] Behörde) gemäß § 58 Abs 10 AsylG 2005 zurückwies. Dagegen erhob der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel.

Mit Bescheid vom 29.06.2020 verhängte die belangte Behörde über den Beschwerdeführer die Schubhaft.

Am 02.07.2020 – während der Schubhaft – stellte der Beschwerdeführer einen weiteren – den gegenständlichen – Antrag auf internationalen Schutz. Einen Tag darauf fand die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt, am 17.07.2020 eine Einvernahme durch die Behörde. Das Verfahren wurde nicht zugelassen.

Nach erfolgter Rechtsberatung und im Beisein eines Rechtsberaters vernahm die Behörde den Beschwerdeführer am 10.08.2020 ein weiteres Mal ein. Im Anschluss hob sie mit mündlich verkündetem Bescheid vom 10.08.2020 den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 auf.

Mit Beschluss vom 12.08.2020 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig sei, und hob den entsprechenden Bescheid auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.08.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 02.07.2020 (offenbar auf einem Versehen beruhend im Spruch des Bescheids: 03.07.2020) auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I und II). Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV) und sprach aus, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V). Unter Spruchpunkt VI sprach die Behörde aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und unter Spruchpunkt VII erließ sie gestützt auf § 53 Abs 1 in Verbindung mit Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

Mit Schriftsatz vom 03.09.2020 erhob der Beschwerdeführer dagegen die vorliegende Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die Beschwerde langte am 08.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (Wien) und samt Akt am 09.09.2020 in der Außenstelle Linz, Gerichtsabteilung L527, ein. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Behörde zur Vorlage weiterer Akten(bestandteile) aufgefordert hatte, lagen am 14.09.2020 schließlich alle relevanten Akten(bestandteile) der Gerichtsabteilung L527, Außenstelle Linz, vor, wovon die Behörde am darauffolgenden Tag verständigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Bei der Bezeichnung von Aktenbestandteilen verwendet das Bundesverwaltungsgericht in der Folge Abkürzungen: AS: Aktenseite(n); S: Seite(n); OZ: Ordnungszahl(en); VA: (von der belangten Behörde mit der Beschwerde vorgelegter) Verwaltungsverfahrensakt; f: folgende [Aktenseite/Seite]; ff: folgende [Aktenseiten/Seiten].

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Kopf der Entscheidung genannten Namen und wurde zum dort angegebenen Datum geboren; seine Identität steht fest. Er ist ein erwachsener männlicher Drittstaatsangehöriger, konkret: Staatsangehöriger der Islamischen Republik Pakistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen, dem Stamm der Turi sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus der Kurram Agency, Provinz Khyber Pakhtukhwa (bis 2018 Gebiet der Federally Administered Tribal Areas [kurz: FATA], also der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung). (Verwaltungsverfahrensakt zum ersten Antrag auf internationalen Schutz [VA 1] AS 459, 620 f; Verwaltungsverfahrensakt zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz [VA 2] AS 43, 276; OZ 3)

1.2. Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer stellte am 24.06.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz (VA 1 AS 593 ff).

In der Erstbefragung zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er geflüchtet sei, weil sein Heimatort von den Taliban angegriffen worden sei. Daraufhin seien sie zu einigen Flüchtlingszelten geflohen. Auch dort seien sie von den Taliban angegriffen worden. Daraufhin habe sein Vater beschlossen, dass er, der Beschwerdeführer, das Land verlassen solle. Für den Beschwerdeführer und seine Familie herrsche eine große Gefahr, da sie schiitische Moslems seien und die Taliban die Schiiten angreifen. (VA 1 AS 601) Bei einer Rückkehr in seine Heimat könne sich der Beschwerdeführer nicht frei bewegen. Wenn ihn die Taliban aufgreifen würden, würden sie ihm entweder seine Hände oder seinen Kopf abschneiden, weil er schiitischer Moslem sei (VA 1 AS 603).

In der behördlichen Einvernahme am 23.02.2016 ergänzte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen bzw. schilderte es detaillierter: 2007 habe es einen großen Angriff der Taliban auf sein Heimatdorf gegeben. Von 2007 - 2010 seien alle Wege für Schiiten gesperrt gewesen. Auf dem Weg aus dem Dorf seien viele Schiiten getötet worden. Am 01.05.2009 sei der Beschwerdeführer nach XXXX gereist und sei dann dort 5 Jahre lang geblieben. Er sei nach XXXX gereist, da die Taliban in dieser Zeit viele Leute rekrutiert oder getötet haben. Am 06.05.2014 sei er nach Pakistan zurückgekehrt. Sie seien fünf Personen gewesen. Am 08.05.2014 habe ihre Reise von XXXX über Afghanistan begonnen. Auf dem Weg seien sie von den Taliban in XXXX am 09.05.2014 angegriffen worden. Sie seien mit dem Auto sofort umgekehrt, da der Fahrer die Taliban erkannt habe. Die Taliban haben auf das Auto geschossen. Dabei seien zwei Personen ums Leben gekommen; der Beschwerdeführer sei schwer verletzt worden. Die Taliban haben ihn und weitere Personen in einen zwei Kilometer entfernten Wald gebracht. Als die Taliban erkannt haben, dass der Beschwerdeführer und die weiteren Personen noch am Leben waren, haben sie mit Messern auf sie eingestochen. Der Beschwerdeführer sei danach bewusstlos gewesen. Er sei erst im Krankenhaus aufgewacht. Während seines Aufenthaltes im Krankenhaus seien Medien gekommen, um den Beschwerdeführer zu interviewen. Nach diesem Interview haben die Taliban erfahren, dass der Beschwerdeführer noch am Leben sei. Am 19.05.2014 haben die Taliban das Haus der Familie des Beschwerdeführers angegriffen bzw. überfallen. Dabei seien der Vater und die Schwester des Beschwerdeführers verletzt worden. Die Taliban haben nach dem Beschwerdeführer gefragt und das Haus der Familie des Beschwerdeführers angezündet. Nachdem der Beschwerdeführer vier Monate lang im Krankenhaus gewesen sei, sei die Familie des Beschwerdeführers gemeinsam mit ihm zu seinen Schwiegereltern gezogen. Nachdem er sechs Monate lang dort aufhältig gewesen sei, habe der Beschwerdeführer Pakistan verlassen. (VA 1 AS 624 f)

1.2.2. Mit Bescheid vom 13.04.2016, Zahl XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 24.06.2015 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, sprach die Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan aus und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III) (VA 1 AS 663).

1.2.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E, mit der Maßgabe, dass der erste Satz von Spruchpunkt III des Bescheids „Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.“ zu lauten habe, rechtskräftig als unbegründet ab (vgl. VA 1 AS 455 ff, 557 ff und 577 ff [Zustellnachweise]; 2126572-1/36 [Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 23.09.2017, E 2540/2019-7]; OZ 4).

1.2.3.1. Das Bundesverwaltungsgericht hatte ein ärztliches Sachverständigengutachten zu Verletzungen des Beschwerdeführers und deren Ursache eingeholt. Der Sachverständige gelangte zu dem Schluss, dass sich im Körper des Beschwerdeführers metallische Fremdkörper befinden, die von einer Bombenexplosion herrühren. Ferner weise der Beschwerdeführer zahlreiche Narben als Folgen vielfacher Schnittverletzungen auf, die zum Gutteil nicht der behaupteten Attacke durch die Taliban zuzuschreiben seien, sondern einer frühkindlichen rituellen religiösen Handlung. Letztlich obliege es der Beweiswürdigung, ob man die metallischen Fremdkörpereinsprengungen und einen Teil der vielfachen Schnittnarben den behaupteten Angriffen durch die Taliban zuschreibe oder ob man eine andere Verletzungsursache vermute. Grundsätzlich seien die Darstellungen des Beschwerdeführers aus forensisch medizinischer Sicht nicht eindeutig widerlegbar. (2126572-1/14, 2126572-1/16).

Der Beschwerdeführer hatte im Beschwerdeverfahren, namentlich im Rahmen der medizinischen Untersuchung und in der mündlichen Verhandlung, dem Grunde nach das vor der belangten Behörde erstattete Vorbringen wiederholt bzw. aufrechterhalten, in verschiedenen Punkten jedoch einen abweichenden Geschehnisverlauf geschildert (2126572-1/16, 2126572-1/25).

Das Bundesverwaltungsgericht war folglich zu dem Schluss gekommen, dass der geschilderte Angriff durch die Taliban wegen widersprüchlicher und unschlüssiger Aussagen des Beschwerdeführers nicht den Tatsachen entspreche (VA 1 AS 508, 523 ff). Es hatte ferner entschieden, dass es in Pakistan keine Gruppenverfolgung von Schiiten gebe (VA 1 AS 508, 519) und dass auch kein Sachverhalt im Sinne der Art 2 und 3 EMRK vorliege (VA 1 AS 508, 511 ff).

1.2.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Erkrankung leide (VA 1 AS 460). Dazu bzw. zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers enthält das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E, folgende Erwägungen (Beweiswürdigung):

„Bezüglich des Gesundheitszustandes des BF ist anzumerken, dass sich aus den diesbezüglichen Angaben des BF, keinerlei lebensbedrohlichen bzw. dauerhaft behandlungsbedürftigen Krankheiten ergeben. Der BF brachte zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vor, er sei geistig und körperlich in der Lage der mündlichen Verhandlung zu folgen und Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Er habe Metallteile in seinem Körper, die Schmerzen verursachen würden. Deshalb nehme er Schmerztabletten ein und verwende eine Salbe zum Auftragen. Weiters nehme er Schlaftabletten. Er sei aufgrund dieser gesundheitlichen Probleme in Pakistan in ärztlicher Behandlung gewesen. Er sei operiert worden und sei 4 Monate lang in ärztlicher Behandlung gestanden. Der BF legte auch diesbezüglich medizinische Unterlagen aus Österreich vor.

Anhand eines Gutachtens eines Gerichtsmediziners vom 11.05.2017, welches vom erkennenden Gericht in Auftrag gegeben wurde, ergibt sich, dass ein akut therapiewürdiges Beschwerdebild als Folge der Verletzungen nicht begründet werden kann. Aus kurativ ärztlicher Sicht konnte bisher keine Notwendigkeit gesehen werden weitere Fremdkörper zu entfernen. Eine klare medizinische Indikation fehle. Die multiplen Schnitt- und Stichverletzungen sind zudem nicht geeignet, ein nachhaltiges Beschwerdebild zu begründen. Auch diesbezüglich könne aktuell eine besondere Therapienotwendigkeit nicht rekonstruiert werden.“ (VA 1 AS 510)

Hinweise auf eine allfällige Posttraumatische Belastungsstörung und/oder Suizidgedanken oder –versuche des Beschwerdeführers sind dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E, nicht zu entnehmen.

1.3. Zum gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

1.3.1. Der Beschwerdeführer hielt und hält sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 24.06.2015 weiterhin im österreichischen Bundesgebiet auf (VA 2, AS 11, 80). Am 02.07.2020 stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (VA 2, AS 9). Das Verfahren wurde nicht zugelassen (VA 2 AS 67 f).

1.3.1.1. In der Erstbefragung am 03.07.2020 darauf angesprochen, dass sein Verfahren bereits rechtskräftig entschieden worden sei, und – unter Hinweis, sich umfassend und detailliert zu äußern sowie alle zur Verfügung stehenden neuen Bescheinigungsmittel vorzulegen – danach befragt, warum er einen jetzt einen (neuerlichen) Asylantrag stelle sowie was sich seit der Rechtskraft gegenüber dem bereits entschiedenen Verfahren in persönlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Gefährdungslage im Herkunftsstaat verändert habe, gab der Beschwerdeführer an, dass sich die Verhältnisse in Pakistan verschlechtert haben; die Taliban seien jetzt noch präsenter aus zuvor (VA 2 AS 11). Eine Woche davor habe in seinem Dorf der Krieg wieder begonnen; die Taliban töten alle Schiiten (VA 2 AS 13). Weiters führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Feinde, die Taliban, in seiner Heimat das Gerücht verbreiten, dass er in Europa zum Christentum konvertiert sei. Deshalb wollen ihn jetzt sowohl die Taliban und die Sunniten, welche zusammengehören, als auch die Schiiten umbringen. Tatsächlich sei er nach wie vor Moslem. (VA 2 AS 11 ff)

In der behördlichen Einvernahme am 17.07.2020 bestätigte der Beschwerdeführer das in der Erstbefragung erstattete Vorbringen und führte dazu näher aus: Es gebe seit längerem bzw. seit drei Monaten und einer Woche eine Propaganda gegen ihn; man sage, er sei jetzt Christ. Die Leute, die ihn bedroht haben, haben herumerzählt, auch in Moscheen, dass er Christ geworden sei. Sunniten, Taliban und Schiiten wissen Bescheid; alle haben gesagt, sie würden ihn nicht am Leben lassen. Im Falle der Rückkehr würde auch die Polizei nach ihm suchen. Ein Freund in Österreich habe dessen Familie in der Heimat angerufen und gehört, dass der Beschwerdeführer nun Christ sein soll, und habe das auch dem Beschwerdeführer erzählt. Der Beschwerdeführer sei auch von seiner eigenen Familie danach gefragt worden und ihm sei gesagt worden, dass alle darüber sprechen. (VA 2 AS 78, 81 f) Ferner sagte der Beschwerdeführer aus, dass während eines Telefonats mit seinem Vater eine Woche vor der Einvernahme im Hintergrund Schüsse zu hören gewesen seien und dass ungefähr drei Monate zuvor der Cousin seines Vaters erschossen worden sei (VA 2, AS 78). Von 2007 bis 2013 habe es Kämpfe gegeben; die Wege seien gesperrt gewesen. Jetzt gebe es wieder diesen Kampf; die Wege werden gesperrt und wenn man woanders hinwolle, werde man erschossen. (VA 2 AS 80)

In der behördlichen Einvernahme am 10.08.2020 erklärte der Beschwerdeführer, dass er in der Einvernahme am 17.07.2020 die Wahrheit gesagt habe (VA 2 AS 138). Der Beschwerdeführer ergänzte sein Vorbringen: Vor ein paar Tagen habe er mit seinem Vater gesprochen. Die Polizei habe seinen Vater festgenommen und dieser sei zwei Tage im Gefängnis gewesen. Die Polizei habe den Vater genötigt, etwas zu unterschreiben, und ihn gefragt, ob der Beschwerdeführer wirklich die Religion gewechselt habe (VA 2 AS 141).

1.3.1.2. Beim Beschwerdeführer wurden im Rahmen der medizinischen Betreuung während der Schubhaft unter anderem eine Posttraumatische Belastungsstörung und der „Status post 4 Suizidversuche 2020“ diagnostiziert (VA 2 AS 199, siehe auch VA 2 AS 203 bis 205). Die aktuelle Medikation besteht in den Medikamenten Zyprexa (Neuroleptikum), Lyrica (Mittel gegen Angststörung), Mirtabene (Antidepressivum) und Temesta (Angstlöser) (VA 2 AS 201, siehe auch VA 2 AS 203 bis 205). In der Einvernahme am 10.08.2020 gab der Beschwerdeführer an, seit ungefähr sechs Monaten sehr starke psychische Probleme zu haben. Er habe Albträume und denke immer an Selbstmord. (VA 2 AS 139)

1.3.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.08.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 02.07.2020 (offenbar auf einem Versehen beruhend im Spruch des Bescheids: 03.07.2020) auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I und II). Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV) und sprach aus, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V). Unter Spruchpunkt VI sprach die Behörde aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und unter Spruchpunkt VII erließ sie gestützt auf § 53 Abs 1 in Verbindung mit Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

1.3.2.1. Die Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer an keinen schweren, lebensbedrohenden Erkrankungen leide und nicht immungeschwächt sei (VA 2 AS 276).

Das Erstverfahren des Beschwerdeführers sei mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E rechtskräftig abgeschlossen worden (VA 2 AS 276).

Zu den Gründen für den neuen Antrag auf internationalen Schutz stellte die Behörde fest, dass sich im Zuge des Folgeantrags kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe (VA 2 AS 276).

Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers fügte die Behörde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Pakistan, Gesamtaktualisierung am 16.05.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.08.2019, auszugsweise in den angefochtenen Bescheid ein (VA 2 AS 277 bis 304).

1.3.2.2. Zu den Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde in der Beweiswürdigung aus:

„Dass Sie an schweren, lebensbedrohenden Krankheiten leiden würden, haben Sie weder behauptet noch ist dies aus der Aktenlage ersichtlich. Bezüglich Ihrer Angaben, welche Sie im Zuge Ihrer Einvernahme vom 17.07.2020 betreffend etwaiger medizinischer Beschwerden machten (Magenprobleme, Jucken auf der Haut, Schlafprobleme), wird seitens des Bundesamtes darauf verwiesen, dass es sich bei diesen um keinerlei überstellungsverhindernde oder gar lebensbedrohliche Beschwerden handelt. Dieser Schluss wird erlangt, da weder weitere Behandlungstermine betreffend dieser Beschwerden vereinbart wurden, noch Sie stationär zu Behandlung in ein Krankenhaus aufgenommen wurden.

Hinsichtlich der am 07.08.2020 angeforderten medizinischen Unterlagen sowie Ihrer Schilderungen in der Einvernahme vom 10.08.2020 wird angeführt, dass aus diesen hervorgeht, Sie würden an psychischen Problemen (Posttraumatische Belastungsstörung) leiden. Dass es sich dabei um eine überstellungsverhindernde oder gar lebensbedrohliche Beschwerde handelt wird von amtswegen nicht angenommen. Dieser Schluss ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass Sie zu keinem Zeitpunkt in eine psychiatrische Einrichtung zur stationären Behandlung eingewiesen wurden, zusätzlich aber auch weil dies weder in den Unterlagen aus dem XXXX erwähnt bzw. angeführt wird. Auch ist anzuführen, dass Sie zu keinem Zeitpunkt externe Behandlungstermine bei Spezialisten vereinbart wurden. Es wurden lediglich wöchentliche Kontrolltermine im XXXX vereinbart. An dieser Stelle wird vom BFA auf die Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 26.06.2018 und 11.12.2018 verwiesen, aus denen eindeutig hervorgeht, dass die Versorgung mit den von Ihnen benötigten Medikamenten/Wirkstoffen in Pakistan gewährleistet ist.

Aufgrund der oa. Erwägungen wird angeführt, dass nicht ersichtlich ist, dass Sie an einer Erkrankung jener besonderen Schwere leiden würden (wie etwa AIDS im letzten Stadium), die erforderlich ist, um die Außerlandesschaffung eines Fremden nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) als in Widerspruch zu Art 3. EMRK stehend erscheinen zu lassen (vgl. dazu etwa die Entscheidung NDANGOYA v. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03).

Darüber hinaus trifft der Österreichische Staat umfassende Maßnahmen um im Falle Ihrer Überstellung eine Verschlechterungen Ihres Gesundheitszustandes zu verhindern (siehe Erlass GZ.: BMI-EE2300/0054-II/2/b/2007).

Da die medizinische Grundversorgung in Pakistan – wie in der Länderfeststellung bereits ausführlich erörtert– ausreichend gegeben ist, kann im gegenständlichen Fall von krankheitsbedingten Abschiebehindernissen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK nicht gesprochen werden.

Des Weiteren sei erwähnt, dass der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise “erhebliche Kosten“ verursachen, ist nicht ausschlaggebend, soweit die medizinische Versorgung und die notwendigen Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind (vgl. UBAS-Bescheid vom 26.02.2008, Zl. 317.726-1/3E-XVII/55/08 bezüglich Haltung des EGMR, HUKIC gg. Schweden 27.09.2005, Rs 17416/05, wo die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und ausgeführt wurde. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms, diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei).

Abschließend wird auf das VfGH-Erkenntnis vom 06.03.2008, ZI. B 2400/07-9, verwiesen, wo festgestellt wurde, dass

‚im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).‘

Diesbezüglich konnten bei Ihnen keine außergewöhnlichen Umstände erkannt werden.“ (VA 2 AS 305 ff; Orthografie und Grammatik im Original)

Die Feststellungen zum Vorverfahren des Beschwerdeführers begründete die Behörde in der Beweiswürdigung wie folgt:

„Die Feststellungen betreffend den Ausgang Ihres Vorverfahrens sowie der damals maßgeblichen Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz bzw. der Rückkehrentscheidung gründen sich auf die Akteninhalte zu den oa. Zahlen (IFA: XXXX ).“ (VA 2 AS 307; Orthografie und Grammatik im Original)

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für den neuen Antrag auf internationalen Schutz erwog die Behörde in der Beweiswürdigung:

„Der festgestellte Sachverhalt hinsichtlich des chronologischen Verfahrensherganges steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest.

In Ihren vorangegangenen Verfahren gaben Sie zusammenfassend an, Pakistan aufgrund von Problemen mit den Taliban verlassen zu haben. Die Taliban hätten Ihr Dorf angegriffen, weshalb Sie in zu einigen Flüchtlingszelten geflohen wären. Auch dort wären Sie von den Taliban bedroht worden, weswegen Ihr Vater beschlossen hätte, dass Sie Ihr Heimatland verlassen sollten.

Im Zuge dieses Verfahrens gaben Sie zusammengefasst an, einen neuen Asylantrag zu stellen, da die Taliban, mit welchen Sie bereits im Zuge Ihres ersten Verfahrens Probleme gehabt hätten, in Pakistan behaupten würden, dass Sie aufgrund Ihrer Flucht zum Christentum konvertiert wären. Sie wären sich sicher, dass Sie on Pakistan von den feindlichen Gruppierungen getötet werden würden. Davon erfahren hätten Sie vor drei Monaten, als Sie von einem Bekannten gefragt worden wären, ob Sie tatsächlich zum Christentum übergetreten wären. Daraufhin hätten Sie Ihre Familie angerufen, welche Ihnen bestätigt hätte, dass derartige ‚Gerüchte‘ im Umlauf seien.

Nach gesamtheitlicher Abwägung ist anzuführen, dass sich Ihr Parteibegehren im zweiten – gegenständlichen – Antrag mit dem im ersten deckt. So baut das Vorbringen, die Taliban würden verbreiten, dass Sie zum Christentum konvertiert wären, auf den bereits in Ihrem Vorverfahren (VZ: XXXX ) behandelten und gewürdigten Sachverhalt auf.

Da Sie Ihr Vorbringen im gegenständlichen Asylverfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen, kann kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubwürdige bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaut, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten ist und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existiert.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass Sie diesen gegenständlichen Antrag auf int. Schutz aus den Gründen stellen, welche auf die bereits im Zuge des ersten Verfahrens genannten Gründe aufbauen. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass es sich bei Ihrem aktuellen Fluchtvorbringen um ein rein gedankliches Konstrukt handelt, um einer vermeintlichen Abschiebung entgegen zu wirken. Auch ist Ihrem Vorbringen per se ein der ‚glaubhafte Kern‘ abzusprechen, zumal Sie sich dahingehend lediglich auf Hörensagen von gerüchten berufen und keinerlei nachvollziehabre Angaben machen konnten.

Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass es Ihnen auch im Folgeverfahren nicht gelungen ist, glaubhaft machen zu können, dass Ihnen in Ihrem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe.

Ein neuer objektiver asylrelevanter Sachverhalt liegt daher nicht vor.“ (VA 2 AS 307 f; Hervorhebung, Orthografie und Grammatik im Original)

1.3.2.3. In der rechtlichen Beurteilung führte die Behörde zu den Spruchpunkten I und II des angefochtenen Bescheids unter anderem aus:

„Soweit Sie nunmehr vorbrachten, dass Sie die Fluchtgründe aus Ihrem ersten Verfahren noch aufrecht halten würden, wird diesbezüglich nochmals festgehalten, dass diese von Ihnen nunmehr neuerlich gemachten Angaben sich erneut auf den bereits geprüften Sachverhalt im Erstverfahren beziehen.

[…]

Allgemein bekannte Sachverhaltsänderungen seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens, die vor dem Hintergrund Ihrer individuellen Situation die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ermöglichen oder gebieten würden und die das Bundesasylamt von Amts wegen zu berücksichtigen hätte (vgl. dazu etwa VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321), sind nicht ersichtlich.

Die von Amts wegen berücksichtigte Ländersituation brachte ebenfalls keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervor, weshalb auch diesbezüglich von entschiedener Sache auszugehen ist. Im Übrigen wird auf die oa. Beweiswürdigung verwiesen.

Aus den Feststellungen und der Beweiswürdigung ergibt sich, dass Sie im Zuge des Verfahrens keinen neuen Sachverhalt glaubwürdig vorbrachten. Es konnte daher kein im Vergleich zu den Feststellungen des Erstverfahrens neuer Sachverhalt festgestellt werden.

Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in Ihrer Sphäre gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, steht die Rechtskraft des ergangenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgericht L512 2126572-1/32E vom 24.05.2019, Ihrem neuerlichen Antrag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten iSd § 3 AsylG, als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 AsylG entgegen, weswegen das Bundesamt zu seiner Zurückweisung verpflichtet ist.“ (VA 2, AS 312 f; Orthografie und Grammatik im Original)

Auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers geht die Behörde in der rechtlichen Beurteilung zu den Spruchpunkten I und II des angefochtenen Bescheids nicht ein.

1.3.3. Nach den von der belangten Behörde in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Pakistan, Gesamtaktualisierung am 16.05.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.08.2019; im Folgenden: LIB; VA 2 AS 73) hat in Pakistan grundsätzlich jede Person die Freiheit, ihre Religion selbst zu bestimmen. Artikel 20 der Verfassung von 1973 garantiert die freie Religionsausübung. Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Im Gegensatz zu anderen islamischen Ländern, in denen Apostasie – der Abfall vom Islam – in Anlehnung an den Koran mit dem Tode bestraft wird, gibt es in Pakistan keine entsprechende strafrechtliche Bestimmung. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie aber in keiner Weise. (LIB, S 74 f)

Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben entsteht nur dann, wenn sich der Betroffene besonders exponiert. Konvertiten, die als Apostaten wahrgenommen werden, können nach den Blasphemiegesetzen beschuldigt werden. Aus Sicht des UNHCR gibt es kein spezifisches Risikenprofil für Atheisten und Agnostiker, da diese ähnlichen Risiken wie Mitglieder religiöser Minderheiten ausgesetzt sind. Es gibt Berichte, dass atheistische Netzaktivisten von der Regierung verschleppt wurden, da Kritik an der Religion oft Hand in Hand geht mit Kritik am Staat. (LIB, S 75)

Die Situation ist um einiges schwieriger für eine Person, von der bekannt ist, dass sie vom Islam zum Christentum konvertiert ist, als für eine Person, die als Christ geboren wurde. Es wäre schwer für Personen, von denen bekannt ist, dass sie christliche Konvertiten sind, offen und frei in Pakistan zu leben. Bekannte Konvertiten sind von Gewalt, Einschüchterung und ernsthafter Diskriminierung durch nicht-staatliche Akteure betroffen. Gewalttaten können auch Jahrzehnte nach der Konvertierung vorkommen. Personen, die sich vom Islam abwenden, sind vulnerabel gegenüber der Anwendung der Blasphemiegesetze. (LIB, S 75)

Es bestehen scharfe Gesetze gegen Blasphemie (§§ 295 a-c des pakistanischen Strafgesetzbuches). Seit 1990 verbieten § 295a das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b die Entweihung des Koran, und § 295c die Beleidigung des Propheten Mohammed. Auch bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung ist die Todesstrafe vorgesehen. In den meisten Fällen wird auf Druck von Extremisten im erstinstanzlichen Urteil die Todesstrafe verhängt; Berufungsgerichte heben solche Urteile aber oft wieder auf. So wurde bislang kein Todesurteil in einem Blasphemiefall vollstreckt. (LIB, S 72)

Gerichte wenden die Blasphemiegesetze gegen Mitglieder der Schiiten, Christen, Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten an. Ahmadis bleiben das Hauptziel der Verfolgung nach den Blasphemiegesetzen, die zusätzlich zu den Anti-Ahmadi-Gesetzen zur Anwendung kommen. Ungerechtfertigte Anzeigen wegen Blasphemie werden manchmal eingebracht, um persönliche Streitigkeiten um Landrechte zu lösen. Die Strafgesetz-Änderung von Ende 2004, nach der nur noch höhere Polizeibeamte Ermittlungen führen dürfen, hat die Lage nicht wie erhofft verbessert. (LIB, S 72)

Gerichte der ersten Instanz verlangten oft keine angemessenen Beweise in Blasphemiefällen. Falschaussagen kommen wegen der vagen Formulierung der Blasphemiegesetze und der minimalen Beweisanforderungen – nur die Aussage eines Zeugen ist notwendig – regelmäßig vor. Einige beschuldigte Personen verbrachten Jahre im Gefängnis, bevor Gerichte höherer Instanzen die Urteile aufhoben und die Freilassung anordneten. Berichten zufolge verweigern die Behörden in Blasphemiefällen manchmal eine Entlassung auf Kaution aufgrund des Risikos, die Angeklagten könnten fliehen oder Opfer von öffentlicher Gewalt werden. NGOs berichten, dass viele Personen, die wegen Vergehens gegen das Blasphemiegesetz in Haft sind, längere Zeiträume in Einzelhaft verbringen. Die Regierung erklärt, dass dies zum Schutz dieser Häftlinge ist. (LIB, S 72)

Blasphemie-Vorwürfe werden immer wieder zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt oder Mordanschläge genommen. Auch ein richterlicher Freispruch kann Mob-Gewalt auslösen, insbesondere wenn es sich beim Beschuldigten um einen Angehörigen einer religiösen Minderheit handelt. Jemand, der einmal wegen Blasphemie verurteilt wurde, wird auch nach Freispruch durch ein Berufungsgericht vielfach von extremistischen Organisationen verfolgt. Insbesondere bei Angehörigen religiöser Minderheiten geraten Familienangehörige von Angeklagten häufig ebenfalls ins Visier von Extremisten und erhalten z.B. anonyme Drohungen. Gelegentlich werden Beschuldigte, deren Verteidiger oder Richter ermordet. (LIB, S 72 f)

Häufig werden Anklagen wegen Blasphemie von der Bewegung Khatm-e-Nabuwwat in Gang gebracht. Die Gruppe geht bei Verdacht auf einen Blasphemiefall aktiv auf Personen zu um diese zu überzeugen, eine Anzeige wegen Blasphemie einzubringen und stellt den Klägern eine kostenfreie Rechtsvertretung zur Verfügung. Die Gruppe nutzt Einschüchterungstaktiken in den Gerichten, um Verurteilungen wegen Blasphemie durchzusetzen. (LIB, S 73)

2017 wurden laut der NGO „Human Rights Commission of Pakistan“ über 170 „Blasphemiefälle“ behördlich registriert. Etwa drei Viertel aller Blasphemiefälle landesweit werden im Punjab bzw. 11 % in Lahore angezeigt. Während in der Mehrheit der Fälle Muslime betroffen sind, sind religiöse Minderheiten im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überproportional betroffen. Unter den Fällen gegen Muslime steigt der Anteil der schiitischen Minderheit. Mindestens 17 Personen befanden sich 2018 aufgrund von Blasphemie-Verurteilungen imTodestrakt. (LIB, S 73)

Die Blasphemiegesetze schränken die Meinungsfreiheit in Bezug auf religiöse Themen ein. Seit 2017 führt die Regierung eine Aktion Scharf gegen blasphemische Inhalte in sozialen Medien durch. Der überwiegende Teil der pakistanischen Gesellschaft unterstützt die Blasphemie-Gesetzgebung. Im Wahlkampf zur Nationalversammlung 2018 versprach der später siegreiche Kandidat Imran Khan, die strengen Blasphemiegesetze zu verteidigen. (LIB, S 73)

Es gibt Berichte, dass die Polizei in einigen Fällen Mob-Gewalt in Folge von Blasphemie-Vorwürfen verhindern konnte. In einzelnen Fällen wurden Personen wegen Straftaten, die sie im Zuge von Selbstjustiz in Folge von Blasphemievorwürfen begingen, verhaftet. Rechtsvertreter berichten, dass die Regierung kleine Schritte in Richtung Schutz vor unbegründeten Blasphemieanklagen unternimmt, jedoch entgegen einer Anordnung vom Islamabad High Court im August 2017 hat das Parlament bisher noch kein Gesetz beschlossen, dass falsche Anschuldigungen der Blasphemie dem gleichen Strafmaß wie die Blasphemie selbst unterliegen. (LIB, S 73)

Im Oktober 2018 wurde die Christin Asia Bibi, die 2010 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt wurde, vom Obersten Gericht freigesprochen. Nach landesweiten, gewaltsamen Protesten von Anhängern der Tehreek-e-Labaik Pakistan (TLP) und Todesdrohungen gegen die Richter wurde das Urteil des Höchstgerichtes erneut geprüft und im Jänner 2019 wurde der Freispruch bestätigt. Bis zur Revisionsentscheidung wurde Asia Bibi die Ausreise aus Pakistan untersagt. Sie wurde gemeinsam mit ihrem Mann unter Behördenschutz an einem geheimen Ort in Pakistan untergebracht und konnte schließlich im Mai 2019 nach Kanada ausreisen. Auch Bibis Anwalt erhielt Todesdrohungen. (LIB, S 73 f)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen waren auf Grundlage der von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten zum ersten und zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Österreich, sowie der Akten des Bundesverwaltungsgerichts zum gegenständlichen Verfahren und zum Verfahren mit der Zahl L512 2126572-1 zu treffen. Die jeweiligen Aktenbestandteile sind bei den Feststellungen, soweit möglich, unter Nennung der Schriftstücke, Geschäftszahlen, Aktenseiten (AS) oder Ordnungszahlen (OZ) angegeben.

Der Sachverhalt ist somit aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Zu den Spruchpunkten I und II des angefochtenen Bescheids:

3.1.1. Das gegenständlich zu beurteilende Verfahren ist als Verfahren über einen Folgeantrag zu qualifizieren, da ihm ein Antrag zugrunde liegt, der nach einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag gestellt worden ist (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005).

3.1.2. Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Die Rechtskraft einer früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gemäß § 68 Abs 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die „entschiedene Sache“, d. h. durch die Identität der Sache, über die formell rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuerlichen Abspruch erfassten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für die Vorentscheidung maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung der in der Vorentscheidung als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, vgl. z. B. VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0294.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt; vgl. z. B. VwGH 30.07.2020, Ra 2019/20/0301, und VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0187, jeweils mwN.

Dementsprechend hat die Behörde im Folgeantragsverfahren zu prüfen, ob behauptete Geschehnisse, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, einen glaubhaften Kern aufweisen oder nicht. Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der der rechtskräftigen Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubhaftigkeit. Vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025.

Zur Beurteilung, ob entschiedene Sache vorliegt, ist als Vergleichsmaßstab jene Entscheidung heranzuziehen, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde; vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783.

Freilich können im Folgeantragsverfahren – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben. Dementsprechend entschied der Verwaltungsgerichtshof am 08.09.2015, Ra 2014/18/0089, dass schon nach dem Vorbringen der Revisionswerberin keine entscheidungsrelevant maßgebliche Sachverhaltsänderung vorlag, sodass im Ergebnis der (zweite) Asylantrag der Revisionswerberin zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen worden sei. Die Revisionswerberin hatte nämlich ihren (zweiten) Asylantrag auf behauptete Tatsachen – die Verfolgung aufgrund ihrer Verwandtschaftsverhältnisse – gestützt, die (ihrem Vorbringen zufolge) bereits zur Zeit des (ersten) Asylverfahrens bestanden haben, die sie jedoch aus den von ihr angeführten Gründen nicht bereits im (ersten) Asylverfahren vorgebracht hatte.

Da sich ein Antrag auf internationalen Schutz nicht nur auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geltend zu machen. Im Falle eines Folgeantrags ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch dafür zuständig, Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen. Vgl. z. B. (teils implizit) VwGH 30.07.2020, Ra 2019/20/0301, VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, VwGH 08.07.2009, 2007/21/0313, VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0146, mwN) hat die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags aufgrund geänderten Sachverhalts – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Rechtsmittelverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Im Rechtsmittelverfahren ist ausschließlich zu prüfen, ob die Behörde aufgrund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gekommen ist, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist. Allein das ist Sache des Beschwerdeverfahrens. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es nicht gestattet, über den Antrag selbst abzusprechen; vgl. z. B. VwGH 30.07.2020, Ra 2019/20/0301, VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307. Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der Sache des Beschwerdeverfahrens nicht umfasst und daher unbeachtlich; vgl. VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122.

3.1.3. Gegenständlich kommt es also darauf an, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausging, dass der Beschwerdeführer – im Vergleich zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz (das ist das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E) – im nunmehrigen Verfahren tatsächlich keinen neuen Sachverhalt vorgebracht hatte bzw. eine behauptete Sachverhaltsänderung keinen „glaubhaften Kern“ aufweist und ob keine Lageänderung im Herkunftsstaat eingetreten ist.

3.1.3.1. Wie unter 1.3. festgestellt, begründete der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag zusammengefasst unter anderem damit, dass man in seiner Heimat glaube, er sei zum Christentum konvertiert, da dies von den Taliban verbreitet worden sei. Sein Vater sei deshalb von der Polizei zwei Tage festgehalten und zum Beschwerdeführer befragt worden. Weil man glaube, er sei zum Christentum konvertiert, wollen ihn jetzt die Taliban, die Sunniten und die Schiiten umbringen; ferner würde im Falle der Rückkehr die Polizei nach ihm suchen. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe sich diese (behauptete) Sachverhaltsänderung nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zum ersten Antrag auf internationalen Schutz ereignet (vgl. 1.3.1.1. und VA 2 AS 82: seit drei Monaten und einer Woche gebe es das Gerücht, dass er Christ sei). Im mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2019, L512 2126572-1/32E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren hatte der Beschwerdeführer dergleichen nicht behauptet.

Soweit die belangte Behörde ihre Entscheidung damit begründet, dass kein neuer Sachverhalt vorliegen könne, weil jeder Sachverhalt, welcher auf das unglaubwürdige (gemeint wohl: unglaubhafte) Vorbringen bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aus dem Erstverfahren aufbaue, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig (gemeint wohl: unglaubhaft) zu werten sei und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existiere, lässt die Behörde die unter 3.1.2. zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs außer Acht: Die von einem Asylweber behaupteten Geschehnisse, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, sind daraufhin zu überprüfen, ob sie einen „glaubhaften Kern“ aufweisen oder nicht. Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Behörde bereits im Bescheid vom 10.08.2020, Zahl XXXX , mit dem sie den faktischen Abschiebeschutz betreffend den Beschwerdeführer aufhob, die(se) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs außer Acht gelassen hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Bescheid vom 10.08.2020 folglich mit Beschluss vom 12.08.2020, L516 2126572-2/4E, aufgehoben und die Behörde darin eingehend auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung hingewiesen. Vor diesem Hintergrund ist besonders bemerkenswert, dass die Behörde auch im nunmehr gegenständlichen Bescheid die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und die daraus resultierenden Anforderungen an die Begründung einer Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs 1 AVG nicht hinreichend berücksichtigte.

Für den Standpunkt der Behörde, der sich ebenfalls bereits im Bescheid vom 10.08.2020, Zahl XXXX , findet, es ergebe sich der Eindruck, dass es sich beim aktuellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers um ein rein gedankliches Konstrukt handle, mit dem er einer vermeintlichen Abschiebung entgegenzuwirken beabsichtige, fehlt jegliche Begründung. Namentlich verabsäumte es die Behörde, ihren Standpunkt anhand konkreter Beispiele nachvollziehbar zu begründen; vgl. zum Erfordernis einer derartigen Begründung VfGH 11.06.2018, E836/2018. Somit handelt es sich bei der betreffenden Passage um eine Floskel, der tatsächlich kein Begründungswert zukommt.

Soweit die Behörde schließlich, über die Erwägungen im Bescheid vom 10.08.2020, Zahl XXXX , hinaus, vermeint, dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei per se der glaubhafte Kern abzusprechen, mangelt es jedenfalls an einer schlüssigen Begründung. Die Behörde zieht sich allein darauf zurück, dass sich der Beschwerdeführer lediglich auf Gerüchte vom Hörensagen berufen habe und keinerlei nachvollziehbare Angaben habe machen können. Der Beschwerdeführer hielt und hält sich tatsächlich auch nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens weiterhin im österreichischen Bundesgebiet auf (vgl. in diesem Sinne auch die Behörde im zwischenzeitlich aufgehobenen Bescheid vom 10.08.2020, VA 2 AS 192). Es erscheint daher durchaus nicht abwegig, dass der Beschwerdeführer nicht unmittelbar selbst wahrgenommen haben kann, dass im Jahr 2020 – in seiner Heimat in Pakistan – behauptet werde, er sei Christ geworden. Da sich der Beschwerdeführer jedenfalls seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens nicht in Pakistan aufhielt, ist vielmehr naheliegend und einleuchtend, dass er sich hinsichtlich dessen, was über ihn in Pakistan im Jahr 2020 verbreitet werde, in seinem Vorbringen auf die Angaben von dort aufhältigen Personen, etwa die Angaben seines Vaters, stützte. Angesichts dessen kann der behaupteten Sachverhaltsänderung nicht mit dem Argument, der Beschwerdeführer berufe sich auf das Hörensagen, der glaubhafte Kern abgesprochen werden. Ferner enthält der angefochtene Bescheid keine konkreten Erwägungen zur angeblich fehlenden Nachvollziehbarkeit der Angaben.

Damit erweisen sich die Erwägungen der Behörde als nicht (ausreichend) tragfähig für den Standpunkt, dass kein geänderter Sachverhalt vorliege bzw. eine behauptete Sachverhaltsänderung keinen glaubhaften Kern habe.

3.1.3.2. Der Beschwerdeführer brachte zum Antrag auf internationalen Schutz vom 02.07.2020 – zusammengefasst (vgl. näher 1.3.) – ferner vor, dass sich die Verhältnisse in seiner Heimat inzwischen verschlechtert haben, die Taliban nun noch präsenter als zuvor seien und der Krieg in seinem Dorf wieder begonnen habe, die Taliban alle Schiiten töten würden, dass während eines Telefonats mit seinem Vater eine Woche vor der Einvernahme am 17.07.2020 im Hintergrund Schüsse zu hören gewesen seien und ungefähr drei Monate zuvor der Cousin seines Vaters erschossen worden sei.

Die Behörde hatte es im Bescheid vom 10.08.2020, Zahl XXXX mit dem sie den faktischen Abschiebeschutz betreffend den Beschwerdeführer aufhob, unterlassen, sich mit diesem Vorbringen und der Lage im Herkunftsstaat bzw. der Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005 auseinanderzusetzen. Unter anderem aus diesem Grund hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid vom 10.08.2020 mit Beschluss vom 12.08.2020, L516 2126572-2/4E, auf. Dabei wies das Bundesverwaltungsgericht die Behörde dezidiert darauf hin, dass die jüngsten im mündlich verkündeten Bescheid angeführten Länderfeststellungen zur Lage in Pakistan vom 09.08.2019 stammen und somit keinen Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte aktuelle Lage nehmen. So sei es beispielsweise, wie das Bundesverwaltungsgericht unter Bedachtnahme auf Medienberichte ausführte (https://www.dawn.com/news/1554708/at-least-1-injured-in-explosion-at-imambargah-in-lower-kurram; https://www.thenews.com.pk/print/676666-cop-among-two-injured-in-parachinar-blast; Dawn 29.06.2020, Kurram tribesmen clash over land ownership [https://www.dawn.com/news/1565825]), im Mai 2020, Juni 2020 und Juli 2020 zu Anschlägen und Auseinandersetzungen in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers gekommen.

Trotz dieser unmissverständlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 12.08.2020, L516 2126572-2/4E, unterließ es die belangte Behörde auch im nunmehr angefochtenen Bescheid, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers (in der gebotenen Weise) auseinanderzusetzen. Dabei ist zu bedenken, dass gemäß § 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005 lediglich eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags zu treffen ist; vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010. Da die Vorgehensweise der Behörde nicht einmal den Anforderungen an eine prognoseartige Grobprüfung genügte, wird die Behörde, indem sie es nunmehr abermals verabsäumt, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, den gesetzlichen Vorgaben an die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Vorliegens von entschiedener Sache mitnichten gerecht.

Folglich erweisen sich auch die diesbezüglichen Erwägungen der Behörde als in einem Maße mangelhaft, dass sie die Rechtsansicht, es liege entschiedene Sache vor, nicht tragen können.

3.1.3.3. Die Behörde ging zwar im angefochtenen Bescheid auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ein, dies allerdings, soweit ersichtlich, nicht unter dem Gesichtspunkt, ob insofern ein neuer Sachverhalt im Lichte des § 8 Abs 1 AsylG 2005 vorliege; vgl. zur Bedeutung dieses Umstands VwGH 30.07.2020, Ra 2019/20/0301. Dem angefochtenen Bescheid ist keine (eindeutige) Aussage zu entnehmen, ob mit dem nunmehrigen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ein bzw. kein für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz vom 02.07.2020 relevanter neuer Sachverhalt vorgebracht worden sei.

Der Vollständigkeit halber ist ferner anzumerken, dass die Argumentation der Behörde, dass die Versorgung mit den benötigten Medikamenten/Wirkstoffen in Pakistan gewährleistet sei, nicht durchgängig nachvollziehbar ist. Die Behörde verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation, welche im verwaltungsbehördlichen Akt enthalten sind (VA 2 AS 357 ff). Eine der beiden Anfragebeantwortungen, die die Behandlungsmöglichkeit unter anderem von Posttraumatischen Belastungsstörungen betrifft, bezieht sich allerdings nicht auf Pakistan schlechthin, sondern auf Lahore (in der Provinz Punjab) und die pakistanische Provinz Punjab. Der Beschwerdeführer stammt hingegen aus der Kurram Agency, Provinz Khyber Pakhtukhwa.

Trotz des Hinweises auf die Relevanz des Gesundheitszustands und der Frage der Verfügbarkeit der vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente/Wirkstoffe schon für die Grobprüfung im Sinne des § 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005 bereits im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.08.2020, L516 2126572-2/4E, sind die diesbezüglichen Erwägungen auch im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend.

3.1.4. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist eine Änderung nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist; vgl. mwN VwGH 25.10.2018, Ra 2018/07/0353.

Wie ausgeführt, sind die Erwägungen der Behörde – auf Grundlage des von ihr geführten Ermittlungsverfahrens – nicht ausreichend tragfähig für den Standpunkt, dass kein geänderter Sachverhalt vorliege bzw. eine behauptete Sachverhaltsänderung keinen glaubhaften Kern habe und keine Lageänderung im Herkunftsstaat eingetreten sei.

Wenngleich, worauf der Beschwerdeführer hinweist (VA 2 AS 371), die Behörde nicht näher ermittelte, wie sich in Pakistan die Lage für Personen, denen eine Konversion zum Christentum bzw. ein Abfall vom Islam unterstellt werde, darstelle, kann schon nach dem Inhalt des Länderinformationsblatts (vgl. oben unter 1.3.3.) keineswegs kategorisch ausgeschlossen werden, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers (für den Fall der Glaubhaftigkeit), nach Abschluss des ersten Verfahrens haben die Taliban verbreitet, dass er zum Christentum konvertiert sei, was man in seiner Heimat nun auch glaube, weshalb er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat getötet werden würde, Entscheidungsrelevanz zukommen kann. Ein derartiges Vorbringen wäre im Lichte von § 3 AsylG 2005 (wohlbegründete Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden), zu prüfen.

Ebenso wenig kann einer – allfälligen – Verschlechterung der Verhältnisse im Herkunftsstaat (etwa betreffend die Sicherheitslage) von vornherein jegliche Entscheidungsrelevanz abgesprochen werden. Unter weiteren Voraussetzungen, deren Vorliegen an dieser Stelle nicht zu prüfen ist (siehe insbesondere 3.1.2.), kann sich ein reales Risiko der Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK etwa aus der Kombination einer besonders prekären allgemeinen Sicherheitslage mit - im Vergleich zur Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen - besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person ergeben; vgl. z. B. VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307.

Schließlich kann ein Anspruch auf Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 bestehen, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt; vgl. mwN VwGH 30.07.2020, Ra 2019/20/0301. Somit kann auch behaupteten bzw. diagnostizierten Veränderungen des Gesundheitszustands nicht von vornherein jegliche Relevanz für die Frage, ob nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens ein neuer entscheidungserheblicher Sachverhalt entstanden sei, abgesprochen werden.

Damit ist freilich keineswegs gesagt, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zu zuerkennen (gewesen) wäre oder dass die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat unzulässig wäre. Es kann aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein inhaltlich anderslautender Bescheid zumindest möglich ist.

Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag hätte demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten; vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids waren ersatzlos zu beheben. Für das von der belangten Behörde in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheids in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der Behörde – nach allfälligen ergänzenden Ermittlungen – unter Beachtung der höchstgerichtlichen Judikatur neuerlich, nämlich meritorisch in der Sache, abzusprechen ist; vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314. Eine zurückweisende Entscheidung wegen entschiedener Sache kommt im vorliegenden Fall nicht mehr in Betracht.

3.2. Zu den Spruchpunkten III bis VII des angefochtenen Bescheids:

Infolge der ersatzlosen Behebung der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung der übrigen Spruchpunkte (auch) nicht vor, sodass auch diese ersatzlos zu beheben waren (vgl. insbesondere § 10 Abs 1 AsylG 2005, § 52, § 53, § 55 FPG).

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verw

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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