TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/8 L504 2153976-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2020
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Entscheidungsdatum

08.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L504 2153976-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RAe Kocher & Bucher, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.04.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.09.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] reiste per Schengen-Visum im März 2016 in Österreich ein und stellte am 30.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger der Türkei mit alevitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und zuletzt in Istanbul lebte.

In der Erstbefragung gab sie zu ihrer Ausreisemotivation und Rückkehrgefährdung Folgendes an:

„[…]

Frage: Warum haben Sie Ihr Land verlassen (Fluchtgrund)?

Antwort: Im Jahre XXXX haben die Probleme begonnen. Mein Vater besaß

damals in unserer Gegend cirka 120 Bienenvölker. In dieser Gegend leben auch

Bären. Diese haben sich in einer Nacht an den Honig ranmachen wollen.

Unglücklicherweise gab es auch zu diesem Zeitpunkt eine Militäroperation, weil es zu

terroristischen Unruhen gekommen war. Mein Vater hielt Wache und dachte, die

Bären hätten die Bienenvölker bedroht und den Honig weggefressen. Mein Vater

eröffnete mit einem Schrotgewehr das Feuer und die besagten Soldaten wurden

dabei verletzt. Daraufhin erwiderten die Soldaten ebenfalls das Feuer, mein Vater

und ich wurden dann festgenommen und gefoltert cirka eine Woche lang. Ich kam

noch in der Nacht frei, mein Vater jedoch wurde die ganze Woche festgehalten. Er

wurde für drei Monate in XXXX ins Gefängnis gesteckt und verstarb nachdem er

freigelassen wurde. Dies war, ich glaube, im Jahre 2001. Ich wurde aber immer

wieder von den Behörden bedroht und ich habe beschlossen, das Land zu verlassen.

Frage: Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Antwort: Ich habe Angst um mein Leben.

Frage: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche

Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle

Ihrer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?

Wenn ja, welche?

Antwort: Nein.

[…]“

In den nachfolgenden 2 Einvernahmen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, die im angefochtenen Bescheid wiedergegeben werden, konkretisierte die bP ihre bei der Erstbefragung gemachten Angaben und legte zum Nachweis auch Gerichtsunterlagen betreffend des Verfahrens vom Vater zum Vorfall im Jahr XXXX vor.

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Behörde stellte das Ereignis betreffend des Vaters auf Grund der vorgelegten Bescheinigungsmittel außer Streit, erachtete es jedoch nicht als glaubhaft bzw plausibel, dass die bP anher noch bis zur Ausreise im Jahr 2016 seitens staatlicher Akteure wiederholt festgenommen und gefoltert worden sei. Der Vater sei bloß wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes bestraft worden und sei auch bemerkenswert, dass die übrige Familie bzw. die Geschwister der bP offensichtlich nach wie vor unbehelligt in der Türkei leben können. Die legale und ohne Probleme erfolgte Ausreise per Flugzeug und dabei erfolgende Sicherheitskontrolle durch staatliche Sicherheitskräfte spreche nicht für ein staatliches Verfolgungsinteresse an ihr. Auch spreche die erst ca. 10 Monate nach der Einreise in Österreich erfolgte Asylantragstellung nicht dafür, dass die bP deshalb nach Österreich kam, weil sie hier Schutz vor Verfolgung benötige. In den widersprüchlichen Angaben zum Verbleib des Reisepasses sehe die Behörde einen Versuch fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu erschweren und ging sie davon aus, dass die bP dies deshalb tat, weil sie selbst nicht von hinreichenden Gründen für die Zuerkennung von internationalen Schutz ausgehe und daher vorweg entsprechende Vorkehrungen traf um die Rückkehr zu erschweren. Abgesehen davon, sei aus den Berichten nicht ersichtlich, dass Kurden bzw. Aleviten in der Türkei wegen dieser Zugehörigkeit quasi einer Gruppenverfolgung ausgesetzt wären. Es ergebe sich somit auch aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Relevante Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist durch ihren Rechtsfreund Beschwerde erhoben. Zusammengefasst wird das Vorbringen wiederholt. Die Beschwerde wird im Wesentlichen damit begründet, dass die bP drohende Übergriffe von Seiten der Polizei in Istanbul und die prekäre Sicherheitslage in der Türkei „im Großen und Ganzen“ schlüssig geschildert worden sei. Durch Einschaltung eines Vertrauensanwaltes hätte die Behörde verifizieren können „ob“ die bP ein Anhänger der Gülen-Bewegung ist oder dessen verdächtigt werde. Die aktuellen Vorkommnisse in der Türkei würden das Vorbringen stützen. Den zentralen beweiswürdigenden Argumenten wird in der Beschwerde nicht konkret entgegen getreten und wird mit allgemeiner Berichtslage (ohne konkreten Bezug zu den behaupteten Erlebnissen), die auszugsweise zitiert wird, argumentiert, dass darauf basierend das Vorbringen glaubhaft und der beantragte Schutzstatus berechtigt sei.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 06.11.2018 wurde die bP aufgefordert hinsichtlich des von ihr im Verfahren vorgelegten Konvolutes in türkischer Sprache zu jedem einzelnen Bescheinigungsmittel konkret das Beweismittel und das Beweisthema zu benennen. Einem gestellten Fristerstreckungsantrag wurde bis 07.12.2018 entsprochen. Mit Schriftsatz vom 27.11.2018 wurden vom Rechtsfreund einzelne Dokumente in deutscher Übersetzung übermittelt.

Mit Schreiben vom 02.07.2020 wurde die bP aufgefordert insbes. Fragen zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich zu beantworten und ging eine Stellungnahme ein.

Mit am 21.07.2020 beim BVwG eingelangter verfahrensleitender Anordnung hat der VwGH einem Fristerstreckungsantrag der bP stattgegeben und damit aufgetragen, das BVwG möge binnen 3 Monaten die Entscheidung erlassen.

Am 21.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP eine Verhandlung durch. Das Bundesamt blieb entschuldigt fern. Die Ehegattin der bP – sie hatte während des Beschwerdeverfahrens in Österreich geheiratet - wurde als Zeugin einvernommen.

Am Ende der Verhandlung wurde die bP aufgefordert binnen einer Frist von 10 Tagen näher bezeichnete Bescheinigungsmittel über ihre Beschäftigung in Österreich sowie zur Identität des Vaters beizubringen. Weiters wurde innerhalb dieser Frist die Möglichkeit eingeräumt zu den übergebenen länderkundlichen Berichten schriftlich Stellung zu nehmen.

Am 01.10.2020 langte vom Rechtsfreund beim BVwG eine „Urkundenvorlage“ ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen fest. Die bP ist der Volksgruppe der Kurden und dem alevitischen Glauben zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist die Türkei.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise

Die bP ist in XXXX geboren und absolvierte dort über 8 Jahre die Grundschule und anschließend in XXXX 4 Jahre eine berufsbildende höhere Schule. Sie erlernte den Beruf eines EDV-Programmierers, die letzte ausgeübte Beschäftigung war als Börek-Verkäufer in Istanbul.

Ab ca. 2003 bis zur Ausreise am 25.03.2016 lebte sie in Istanbul. Sie bewohnte dort aus Kostengründen gemeinsam eine Wohnung mit ihrem Bruder XXXX und einem Onkel.

1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Der Vater ist 2001 verstorben.

Die Mutter lebt in XXXX , gemeinsam mit einer jüngeren Schwester. Geschwister und die bP finanzieren das Leben der Mutter.

Brüder:

XXXX lebt in XXXX . Er betreibt eine Landwirtschaft. Die Familie besitzt dort 3 Häuser. In einem lebt der Bruder, die anderen sind vermietet.

XXXX lebt in XXXX. Er hatte einen Arbeitsunfall am Bau. Momentan arbeitet seine Frau und kommt für die Familie auf. Sie leben in einer Mietwohnung.

XXXX lebt in XXXX. Er arbeitet in einer Obst- und Gemüsehalle und wohnt zur Miete.

XXXX lebt seit ca. 2 Jahren wieder in XXXX. Er kehrte auf Grund einer Erkrankung seines Sohnes und notwendiger Betreuung bzw. Arztbesuche zurück. Er arbeitete und lebte zuvor überwiegend in Istanbul.

XXXX lebt in XXXX . Er hat zwei Jahre in einem chinesischen Unternehmen gearbeitet, ist momentan jedoch im Krankenstand. Seine Ehegattin arbeitet in einer Supermarktkette.

XXXX lebt in XXXX, XXXX in XXXX .

Schwestern:

XXXX lebt in XXXX , XXXX in XXXX mit XXXX, XXXX und XXXX in XXXX, XXXX in XXXX, XXXX in XXXX.

Das Verhältnis der bP zu diesen Familienangehörigen in der Türkei ist sehr gut. Sie sind sehr eng miteinander verbunden.

1.4. Ausreisemodalitäten

Die bP beantragte vor der Ausreise aus der Türkei bei der Paßbehörde die Ausstellung eines Reisepasses und wurde ihr ein solcher mit Gültigkeit vom XXXX bis XXXX ausgestellt.

Am 01.03.2016 beantragte sie beim Griechischen Konsulat in Istanbul unter der falschen Angabe für touristische Zwecke nach Griechenland reisen zu wollen ein Schengen-Touristenvisum (C). Ein solches wurde für die Dauer von XXXX bis XXXX ausgestellt.

Anlässlich der Beantragung legte sie auch einen gefälschten Führerschein vor und behauptete sie sei Lkw-Fahrer.

Am XXXX flog sie unter Verwendung ihres eigenen Reisepasses von Istanbul nach Athen und von dort weiter nach Wien/Schwechat. Anlässlich der Sicherheits- u. Ausreisekontrolle am Flughafen Istanbul hatte sie keine Probleme angegeben.

Am 26.03.2016 reiste sie ohne Probleme am Flughafen in Wien/Schwechat ein. Fortan lebte sie rd. 10 Monate in Österreich nicht rechtmäßig bei Familienangehörigen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25.01.2017 stellte die bP beim Bundesamt einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 30.01.2017 wurde sie erstbefragt.

Die bP machte zur Existenz ihres türkischen Reisepasses im Verfahren unterschiedliche Angaben. Lt. Erstbefragung hat sie diesen nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug „verloren“. Lt. Angaben beim Bundesamt hat sie den Reisepass auf Empfehlung des Schleppers „zerrissen“. Das BVwG geht davon aus, dass sie nach wie vor im Besitz des Reisepasses war und diesen unter Verletzung ihrer Mitwirkungsverpflichtung aus asyltaktischen Gründen beim Bundesamt nicht vorlegte.

1.5. Aktueller Gesundheitszustand

Die bP ist aktuell wegen keiner gesundheitlichen Beeinträchtigung in medizinischer Behandlung. Es kam nicht hervor, dass sie einer Covid-19 Risikogruppe angehört.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes

Da sich die bP das Schengenvisum-C unter Falschangaben erschlichen hat, ist sie am 26.03.2016 nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Ab der Einreise(26.03.2016) bis zur Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz am 30.01.2017 war sie nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Mit der am 30.01.2017 erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.

Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich der weitere Aufenthalt als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1a iVm. Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:

Die bP hat während des Beschwerdeverfahrens am XXXX 2020 eine in der Türkei geborene österreichische Staatsangehörige geheiratet. Seit 14.05.2020 lebt er mit dieser im gemeinsamen Haushalt. Kennengelernt haben sie sich wenige Monate nach der Asylantragstellung im Juni 2017. Die Ehegattin hat in Österreich die Schule absolviert und hat aus einer der 3 vorangegangenen Ehen ein Kind im Alter von 8 Jahren. Die Ehegattin hat die Obsorge für das Kind. Sie hat keinen Kontakt zum Vater des Kindes. Die Ehegattin und ihre Tochter sprechen auch Türkisch. Die bP hat zur Tochter der Ehegattin ein gutes Verhältnis. Die Ehegattin hat in der Türkei keine Probleme. Sie absolviert derzeit eine Ausbildung zur XXXX. Zuletzt war sie anlässlich eines Urlaubes bzw. des Todes der Großmutter für 3 Wochen in der Türkei aufhältig. Familienangehörige bzw. Verwandte von ihr leben nach wie vor auch in der Türkei. Die Ehegattin wusste beim Eingehen der Beziehung bzw. Heirat, dass die bP nur über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt und dass deren Aufenthalt in Österreich nicht gesichert ist. Es käme für sie auch in Frage mit der bP außerhalb von Österreich, zB auch in der Türkei, ein Familienleben zu führen. Diesbezügliche Hindernisse brachte sie nicht vor.

Abgesehen davon verfügt die bP noch über andere Familienangehörige bzw. Verwandte in Österreich.

Grad der Integration

Die bP hat A1 Deutschkurse besucht jedoch keine erfolgreiche Prüfung zur Erlangung eines A1 Deutschzertifikates abgelegt. Ehrenamtliches Engagement liegt nicht vor. Die Freizeit verbringt sie überwiegend mit ihrer neuen Familie.

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschftigtwerden) oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen:

Im Zeitraum vom 31.01.2017 bis 31.05.2017 bezog sie als Asylwerber Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Die bP hat wenige Monate nach Asylantragstellung gemeinsam mit zwei weiteren Personen am 07.08.2017 die XXXX als offene Gesellschaft mit dem freien Gewerbe XXXX am Standort Wien angemeldet. Der Gesellschaftsvertrag wurde am 07.06.2017 errichtet. Die bP ist einer von 2 unbeschränkt haftenden Gesellschaftern. Gewerberechtlicher Geschäftsführer ist XXXX. Sie ist dort seither im Bereich XXXX selbständig erwerbstätig. Seit 31.05.2017 ist sie bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen sozialversichert.

Ein Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2019 wurde vorgelegt. Demnach betrug das Einkommen der bP aus Gewerbebetrieb im Jahr 2019 5432,08 Euro und wurde keine Einkommenssteuer vorgeschrieben.

Aus einer am 22.09.2020 ausgestellten Bestätigung ergibt sich, dass die bP bei der XXXX in Wien unter der Voraussetzung der Erlangung eines die Beschäftigung zulassenden Aufenthaltstitels eine Arbeitsplatzzusage hätte.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienleben; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren:

Die bP hat diese privaten und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war.

Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens. Nach wie vor leben die überwiegenden Geschwister und die Mutter in der Türkei und hat sie zu diesen ein sehr gutes Verhältnis.

Sie absolvierte den Militärdienst und kam nicht hervor, dass sie dort Verfolgungshandlungen erlitten hat.

Die bP hat kurz vor der Ausreise in der Türkei einen Reisepass beantragt und diesen für die Dauer von 10 Jahren erhalten. Während des Beschwerdeverfahrens hat die bP beim türkischen Konsulat in XXXX ein Ehefähigkeitszeugnis beantragt und wurde dies am XXXX ausgestellt.

Die bP hat während des Beschwerdeverfahrens beim türkischen Konsulat in XXXX weiters die Ausstellung eines neuen türkischen Reisepasses beantragt und wurde ihr ein solcher mit Gültigkeit vom XXXX ausgestellt.

Die bP legte beim BVwG eine am XXXX vom Generalkonsulat der Republik Türkei ausgestellte Bestätigung „an alle zuständigen Behörden“ vor, wonach ihr bestätigt wird, dass der Vater der bP am XXXX gestorben ist.

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG von der Polizei bzw. der Verwaltungsstrafbehörden nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Die bP ist auf Grund der Erschleichung eines Schengenvisums nicht rechtmäßig am 26.03.2016 in das Bundesgebiet eingereist und war bis zur Asylantragstellung am 30.01.2017 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Durch nicht wahrheitsgemäße Begründung des Antrages verletzte sie die gesetzliche Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht.

Verfahrensdauer:

Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde nach rd. 10-monatigem nicht rechtmäßigen Aufenthalt am 30.01.2017 gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 04.04.2017. Nach eingebrachter Beschwerde erging nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens einschließlich einer Verhandlung und anher eingeräumter Stellungnahmefrist mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet

a)       Betreffend ihrer aktuellen persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:

Der Vater der bP hat XXXX in der Nacht Sicherheitskräfte, welche zur Terrorbekämpfung in diesem Gebiet unterwegs waren, mit einem Bär der die Bienenstöcke bedrohte verwechselt und hat einen Schuss abgegeben. Dadurch wurden mehrere Soldaten fahrlässig verletzt. Für eine vorsätzliche Tat gab es keine Hinweise und erkannte das Gericht, dass dies auf reiner Unvorsichtigkeit des Schützen beruhte. Der Vater wurde zu einer Haftstrafe von 9 Monaten und einer Geldstrafe in der Höhe von 300 TL verurteilt. Die bisherige Haft von ca. 3-4 Monaten wurde angerechnet und da der Vater über keine Vorstrafen verfügte und eine Wiederholung derselben Tat nicht anzunehmen war, wurde der Umwandlung der Haftstrafe in eine Geldstrafe auf Bewährung verfügt. Das Ereignis im Jahr XXXX, bei dem der Vater vom Strafgericht in XXXX mit Urteil vom XXXX 2003 verurteilt wurde, steht unstreitig fest.

Weshalb dieses Urteil dergestalt mit einer Verurteilung und auch Kostenersatz des Vaters am 16.01.2003 erging, obwohl der Vater nach Angaben und Bescheinigung der bP bzw des türkischen Konsulates bereits am XXXX (in Freiheit) verstorben ist, konnte die bP nicht aufklären.

Aus den vorgelegten Gerichtsunterlagen lässt sich nicht erkennen, dass auch die bP damals als Vierzehnjähriger in den Blickpunkt des Geschehens bzw. des Verfahrens geraten wäre. Es ergibt sich daraus nicht, dass die bP oder andere Familienangehörige an der Tat beteiligt waren.

Zahlreiche Geschwister – der Vater hatte 2 Frauen – leben nach wie vor an verschiedenen Orten in der Türkei und sind in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben integriert. Es wurde nicht vorgebracht, dass diese wegen der damaligen Fahrlässigkeitstat des Vaters bis zum Ausreisezeitpunkt der bP oder aktuell Sicherheitsprobleme hätten.

Die bP ist in der Türkei strafrechtlich unbescholten. Sie hat sich kurze Zeit vor der Ausreise auch noch an die türkischen Behörden zwecks Ausstellung eines neuen Reisepasses gewandt und wurde ein solcher ausgestellt. Auch in Österreich hat sich die bP wiederholt an das türkische Konsulat zwecks Unterstützung bei der Ausstellung von Dokumenten und Bescheinigungsmittel für verschiedene Zwecke gewandt und wurden ihre diese auch ausgestellt.

Die bP war und ist politisch nicht aktiv.

Es ist nicht glaubhaft, dass die bP vor der Ausreise aus der Türkei wegen der Fahrlässigkeitstat des Vaters im Jahr XXXX seither landesweit im Blickpunkt staatlicher Sicherheitskräfte stand oder vor der Ausreise nach ihr gefahndet wurde oder aktuell gefahndet wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP vor der Ausreise verfolgt wurde, weil sie Kurde und dem alevitischen Glauben zugehörig ist. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dies im Falle der Rückkehr aktuell dergestalt wäre.

Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat der bP, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde.

b)       Betreffend der aktuellen, persönlichen Versorgungssituation mit Lebensnotwendigem (insb. Lebensmittel, Unterkunft) im Herkunftsstaat:

Die bP hat hinsichtlich ihrer persönlichen Versorgungssituation im Falle der Rückkehr zuletzt in der Verhandlung persönlich keine Probleme vorgebracht (VHS S 8).

c)       Betreffend ihrer aktuellen Versorgungssituation im Hinblick der notwendigen Erlangung medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat:

Die bP hat zuletzt in der Verhandlung keine behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt. Sie hat auch nicht vorgebracht, dass sie einer Covid-19 Risikogruppe angehören würde.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Aus nachfolgend genannten Quellen ergeben sich folgende Feststellungen bzw. Einschätzungen/Schlussfolgerungen über die relevante Lage, wobei zur Beurteilung der aktuellen und entscheidungsrelevanten Rückkehrsituation jeweils die jüngsten Erkenntnisquellen herangezogen werden und ältere im Wesentlichen der Übersicht über die Lageentwicklung dienen.

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Türkei, 29.11.2019, Letzte Information eingefügt am 08.04.2020

?        Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, v. 19.02.2017 u. 24.08.2020

In der Türkei fand in der Nacht vom 15. auf den 16.07.2016 ein Putschversuch statt. Eine Reihe von Putschisten aus dem Militär hatte v. a. in Ankara und Istanbul mit Hilfe von Kampfflugzeugen, Helikoptern und Panzern versucht, die staatliche Kontrolle zu übernehmen sowie StP Erdo?an zu stürzen. Der Putschversuch konnte rasch niedergeschlagen werden und war am 16.07.2016 beendet. Die AKP-Regierung hatte viele Bürger der Türkei in der Putschnacht mit Hilfe von Aufrufen der Imame über die Lautsprecher der Moscheen mobilisieren können, sich den Putschisten auf den Straßen entgegen zu stellen. Während des Putschversuchs kamen nach offiziellen Angaben 282 Personen ums Leben.

Die türkische Regierung hat die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation eingestuft, die sie „FETÖ“ oder auch „FETÖ/PDY“ nennt („Fethullahistische Terrororganisation / Parallele Staatliche Struktur“).

Türkische Staatsbürger nichttürkischer Volkszugehörigkeit sind aufgrund ihrer Abstammung grds. keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Die Ausweispapiere enthalten keine Aussage zur ethnischen Zugehörigkeit.

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten

(Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, Mersin, Gaziantep). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte.

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es u.a. folgende ethnische Gruppen, wobei die Angaben zu Zahlenstärken recht unzuverlässig sind: Kurden (13 bis 15 Mio.), Roma (zwischen 2 und 5 Mio.), Tscherkessen (geschätzt rd. 2 Mio.), Bosniaken (bis zu

2 Mio.), Krimtataren (geschätzt rd. 1 Mio.), Araber (vor dem Syrienkrieg 800 000 bis 1 Mio.),

Lasen (zw. 50 000 und 500 000), Georgier (rd. 100 000), Uighuren (rd. 50 000), Armenier (mind. 40 000), Syriaken (zw. 20 000 und 30 000) und andere Gruppen in kleiner und schwer zu bestimmender Anzahl (div. zentralasiatische und kaukasische Volksgruppen, Turkomanen, Pomaken, Albaner und andere).

Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist in Wort und Schrift seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt.

Unterricht in kurdischer Sprache ist an öffentlichen Schulen seit 2012 und an privaten seit 2014 möglich (Wahlpflichtfach „Lebendige Sprachen und Mundarten“). Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten.

Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten. Seit einigen Jahren existiert im Südosten eine lebendige kurdischsprachige

Medienlandschaft (TV, Funk, Print, Online). Viele – regierungskritische – Medien wurden jedoch seit 2015 von der Regierung verboten.

Für eine Rückkehr zum politischen Verhandlungsprozess zwischen der Regierung und der

PKK gibt es aktuell keine Anzeichen.

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich

unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der „türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen“ (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur „Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung“ zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 2.000), die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) und die jüdische Gemeinschaft (ca. 20.000 Mitglieder). Nicht umfasst sind Gläubige diverser Ostkirchen, Katholiken, Protestanten und weitere nicht-sunnitische Religionsgruppen – einschließlich Aleviten (bis zu 25% der Bevölkerung) und Schiiten.

Mit schätzungsweise 15 - 20 Millionen bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Seit dem Beschluss der CHP im Februar 2015, alevitische Gebetsstätten „Cem-Haus“ (Cem Evi) mit

Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise der Moscheen gleichzustellen, wurde der Beschluss in den CHP-Stadtverwaltungen umgesetzt. 2015 entschied der Kassationsgerichtshof (Az: 2015/9711 K.), dass Cem-Häuser wie Gebetshäuser zu behandeln sind. Der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofes bestätigte 2017 ein Urteil, dass die Stromkosten einer alevitischen Stiftung in Istanbul von der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde Diyanet getragen werden müssen. Die anderen Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang jedoch nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v. a.: Gleichstellung von Cem-Häusern mit Moscheen, inkl. staatliche Unterstützung analog zu Sunniten, Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen „Religions- und Gewissenskunde“-Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde ausgeweitet. Das Erziehungsministerium hat mit Ratsbeschluss die Freistellung von christlichen und jüdischen Schülern offiziell eingeräumt, wenn die Religionszugehörigkeit nachgewiesen wird. Darüber hinaus soll diese Option in der Praxis grundsätzlich auch für alevitische Schüler gelten.

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Wenngleich es Mängel im Sicherheits-und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre.

Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist

grundsätzlich gewährleistet. Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung gilt bei nachgewiesener Mittellosigkeit und ist an die Antragstellung gebunden. Ausgenommen von der Antragstellung sind Minderjährige, Taubstumme und Behinderte.

Dem Auswärtigen Amt sind in den letzten Jahren keine Gerichtsurteile auf Grundlage von –

durch die Strafprozessordnung verbotenen – erpressten Geständnissen bekannt geworden.

Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet

werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin.

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren.

Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere

persönlichen Daten, beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten.

Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren

zivilem Arm KCK werden häufig als geheim eingestuft mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis

zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden zurückgewiesen. Insgesamt kann – jedenfalls in den Gülenisten -Prozessen – nicht von einem unvoreingenommenen Gericht und einem fairen Prozess ausgegangen werden.

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass – anders als bei Fällen von allgemeiner

Kriminalität –bei Verfahren mit politischen Tatvorwürfen, insbesondere wenn diese wegen

der Mitgliedschaft in PKK, DHKP-C oder der Gülen-Bewegung bzw. Propaganda für diese

geführt werden, politische Einflussnahme auf die Verfahren nicht ausgeschlossen ist.

Für andere Straftaten gilt:

Nach spätestens 24 Stunden zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem

zuständigen Haftrichter vorgeführt werden (Art. 91 Abs. 1 tStPO). Beim Ergreifen auf „frischer Tat“ beispielsweise während einer gewalttätigen Demonstration kann die Frist auf bis zu 48 Stunden ausgeweitet werden (Art. 91 Abs. 4 tStPO).

In Fällen von Kollektivvergehen, Schwierigkeiten der Beweissicherung oder einer großen

Anzahl von Beschuldigten kann der polizeiliche Gewahrsam bis zu drei Tage (jeweils um

einen Tag) verlängert werden (Art. 91 Abs. 3 tStPO). In der Vergangenheit gab es Anzeichen

dafür, dass diese Fristen in der Praxis in Einzelfällen überschritten wurden.

Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der strafrechtlichen Verfolgung

von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert.

In der Türkei kommt es immer noch zu so genannten „Ehrenmorden“, d. h. insbesondere zu

der Ermordung von Frauen oder Mädchen, die eines sog. „schamlosen Verhaltens“ aufgrund

einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines „Verbrechens in der Ehe“ verdächtigt werden. Dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein. Auch Männer werden – vor

allem im Rahmen von Familienfehden (Blutrache) – Opfer von sog. „Ehrenmorden“, z. T.

weil sie „schamlose Beziehungen“ zu Frauen eingehen bzw. sich weigern, die Ehre der Familie wiederherzustellen. In Einzelfällen kommt es auch zu „Ehrenmorden“ im Zusammenhang mit Homosexualität. Seit 2008, als das Amt für Menschenrechte für das Jahr 2007 183 „Ehrenmorde“ an Frauen registrierte, wird die Statistik nicht weitergeführt; staatliche Stellen begründen dies mit der Unvollständigkeit des Zahlenmaterials. Die generell bei Gewalt gegen Frauen steigenden Zahlen der letzten Jahre können ein Hinweis sein, dass mehr Straftaten bekannt und verfolgt werden bzw. Frauen eher bereit sind, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.

Regierung und Nichtregierungsorganisationen bestätigen, dass sich die Polizeiarbeit beim

Umgang mit Gewaltopfern verbessert hat.

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige zwischen dem 19.

und dem 41. Lebensjahr (). Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit. Auslandstürken können sich gegen Entgelt von der Wehrpflicht freikaufen. Mit Änderung im Wehrgesetz vom 26.07.2018 (Art. 1 ÄG Nr. 7146) wurde das Entgelt von 1.000 Euro auf 2.000 Euro erhöht. 2018 wurde erstmals eine zeitlich befristete Freikaufoption für im Inland lebende Wehrpflichtige geschaffen, die vor dem 01.01.1994 geboren wurden. Die Befreiung erfolgte durch die Bezahlung eines Pauschalbetrags i.H.v. 15.000 TL (umgerechnet derzeit etwa 2.680 EUR) und Ableistung des Grundwehrdienstes von 21 Tagen.

Das Verteidigungsministerium plant laut Ankündigung des Staatspräsidenten vom März 2019 neben der Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate die Einführung einer (auf 145 000 pro Jahr kontingentierten) Freikaufoption für alle im Inland lebenden Wehrpflichtigen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land eine besonders

wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch idR am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern.

Des Weiteren ist die Türkei den wichtigsten Übereinkommen der Vereinten Nationen beigetreten.

Es ergibt sich auf Grund der Berichtslage und dem aktuellen Amtswissen (www.ecoi.net) nicht, dass in der Türkei aktuell eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Die bisherigen Beschränkungen der Ein- und Ausreise über den Land-, Luft- und Seeweg wegen Covid-19 wurden aufgehoben (Ausnahme: Landesgrenze zum Iran).

Ebenso wurden die allgemeinen Ein- und Ausreisesperren zwischen den Städten bzw. Provinzen sowie die Wochenende-Ausgangssperren aufgehoben.

Personen über 65 Jahre benötigen für provinzüberschreitende Inlandsreisen eine Reisegenehmigung. Die landesweite Ausgangssperre für Bürger dieser Altersgruppe wurde aufgehoben. Es obliegt nun den einzelnen Gouverneuren, für die einzelnen Provinzen spezifische Regelungen für über 65-Jährige und chronisch Kranke zu treffen. Dies gilt nicht für Touristen.

Museen, Parks, Strände, Wälder und Raststätten auf Autobahnen sind geöffnet. Cafés, Restaurants, Teegärten dürfen uneingeschränkt geöffnet bleiben. In Geschäften, Einkaufszentren und Friseursalons sind strenge Abstandsregeln einzuhalten, weshalb es zu Beschränkungen der Kundenanzahl kommen kann.

Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes an allen öffentlichen Orten ist landesweit obligatorisch.

Seit 04.09. sind Verlobungsfeiern, Henna-Nächte, Beschneidungsfeiern u.a. landesweit verboten. Hochzeitsfeiern werden auf eine Stunde begrenzt. Es dürfen keine Speisen und Getränke (außer abgepacktes Wasser) serviert werden. Die Einhaltung der Corona-Maßnahmen wird vor Ort von mindestens einem Ordnungsorgan überwacht. Bürger/innen über 65 und unter 15 Jahren dürfen nur an Hochzeiten teilnehmen, wenn sie in einem Verwandtschaftsverhältnis ersten oder zweiten Grades zur/m Braut/Bräutigam stehen.

Weiters gilt seit 08.09.2020 ein Verbot von Musik (live sowie vom Band) in Restaurants, Cafés, Hotels etc. ab Mitternacht. Ebenso wurden landesweit die Stehplätze in Mini- und Midibussen (Dolmu?) gestrichen. In anderen öffentlichen Verkehrsmitteln bestehen eingeschränkte Kapazitäten (Regelung provinzabhängig).

Der Eintritt in alle öffentlichen Einrichtungen (Ministerien, Stadtverwaltungen, Personenstandsdirektionen, Gerichtsgebäude, Haftanstalten etc.) ist seit 23.09.2020 landesweit nur noch mit einem HES-Code möglich (sh unten).

Die Behörden kündigten strengere Inspektionen zur Einhaltung der Covid-Maßnahmen ab 10.09. an (v.a. in öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants, Einkaufszentren, Hochzeitseinrichtungen, Parks, Vergnügungseinrichtungen, Friseursalons, Schönheitssalons etc.).

Einreisende Personen werden einer Gesundheitsuntersuchung unterzogen. Bei Verdacht auf COVID-19 erfolgt eine kostenlose PCR-Testung. Ist das Testergebnis positiv, wird die betroffene Person je nach Schwere der Symptome in ein speziell vorgesehenes Krankenhaus oder in ein von ihr gebuchtes Hotel gebracht und dort behandelt bzw. isoliert. Eine umgehende Rückreise wird nicht gestattet.

(https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/; Abfrage 06.10.2020).

2. Beweiswürdigung

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können.

Die bP machte beim Bundesamt bzw. auch beim BVwG Mängel in der Niederschrift der Erstbefragung geltend. Der bP wurde im Verfahren vorgehalten, dass sie hinsichtlich dem Verbleib ihres türkischen Reisepasses widersprüchliche Angaben gemacht habe. In der Niederschrift der Erstbefragung steht, dass sie diesen nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug verloren habe, in der folgenden Einvernahme gab sie der Niederschrift nach zur Frage, wo sich ihr Reisepass befinde an, dass sie ihn auf Empfehlung des Schleppers zerrissen habe.

Die bP gab zum Widerspruch befragt an, dass sie das in der Erstbefragung so nicht gesagt habe, sie wisse nicht warum das dort so stehe. Es könne sein, dass der Dolmetscher falsch übersetzt hat oder der Beamte dies falsch niedergeschrieben habe. Die Erstbefragung sei ihr auch nicht rückübersetzt worden.

Die bP wurde bei der ersten Einvernahme beim Bundesamt zu Beginn und vor Vorhalt bezüglich des Widerspruches gefragt, ob die bisherigen Angaben im Asylverfahren richtig seien. Die bP gab dazu an:

„Ja, dieses türkische Schriftstück wurde übersetzt und ich habe es zum Anwalt gebracht, es ist alles ok. Alles wurde mir rückübersetzt, alles war richtig. Die Polizei hat geschrieben was ich gesagt habe, aber es wurde nicht rückübersetzt.“

Die bP macht hier bei der Beantwortung widersprüchliche Angaben zur Frage ob rückübersetzt wurde. Selbst wenn man der Version folgen würde, dass nicht rückübersetzt wurde, so kann aber davon ausgegangen werden, dass sie sich spätestens im Nachhinein – etwa mit Unterstützung ihrer schon lange in Österreich lebenden Verwandten oder ihrem „Anwalt“ – vom Inhalt der Niederschrift der Erstbefragung überzeugt hat und folglich, wie oben ersichtlich, jedenfalls bestätigt, dass die Polizei „das geschrieben hat, was er gesagt habe“. Daraus ergibt sich auch, dass sie demnach dort angegeben hat, dass sie den Reisepass zerrissen hat.

Betrachtet man die Niederschrift der Erstbefragung so ist ersichtlich, dass die Übersetzung durch einen gerichtlich beeideten Dolmetscher in der Sprache Türkisch erfolgte. Es gab keine Verständigungsschwierigkeiten. Die bP beanstandete nicht, dass es in irgendeinem anderen Bereich der Niederschrift eine unkorrekte Protokollierung bzw Übersetzung gegeben hätte. Am Ende der Niederschrift steht, dass die aufgenommene Niederschrift in einer für die bP verständlichen Sprache rückübersetzt wurde. Die bP verneinte anher die Frage, ob sie Ergänzungen oder Korrekturen zu machen hätte und bestätigte, dass sie alles verstanden habe.

Die Niederschrift wurde durch das befragende Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem Dolmetscher, der bP sowie einer der Unterschrift nach nicht identifizierbaren „sonstigen anwesenden Person“ unterfertigt.

Das BVwG sieht bei Betrachtung des diesbezüglichen Verfahrensverlaufes keinen hinreichenden Grund um am vollen Beweis der aufgenommenen Niederschriften iSd § 15 AVG zu zweifeln. Das Polizeiorgan würde sich sowohl eines strafrechtlichen als auch disziplinären Deliktes strafbar machen, wenn sie, wie vorgeworfen, eine nicht den Tatsachen entsprechende Protokollierung vornehmen würde. Ein Motiv dafür ausgerechnet in diesem Punkt etwas zu übersetzen oder zu Protokollieren was nicht den Angaben der bP entspricht, ist nicht hervorgekommen. Auf Grund des diesbezüglichen Aussageverhaltens der bP geht das BVwG vielmehr davon aus, dass es sich um eine reine Schutzbehauptung der bP handelt und dies nur dazu dient Widersprüche plausibel zu machen, auch wenn es auf Kosten der Wahrheit geht.

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesen Punkten gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Gegenteilige Anhaltspunkte ergaben sich für das BVwG nicht.

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnissen vor der Ausreise:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesem Punkten lebensnahen, im Wesentlichen gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Gegenteilige Anhaltspunkte ergaben sich für das BVwG nicht.

Ad 1.1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesem Punkten lebensnahen, gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen. Der aktuelle Status ergibt sich aus den Angaben der bP in der Verhandlung. Hinsichtlich des Geburtsdatums und des Todeszeitpunktes des Vaters ergaben sich im Zuge des Verfahren im Hinblick auf Angaben der bP und vorgelegter Bescheinigungsmittel, zB einem Foto des Grabsteines, Widersprüche. Das BVwG folgt hier der aktuell vorgelegten unbedenklichen Bescheinigung des türkischen Konsulates in XXXX und des daraus ersichtlichen Geburts- und Todeszeitpunkt.

Ad 1.1.4. Ausreisemodalitäten:

Die näheren Daten des Visums und des daraus ersichtlichen, kurz vor der Ausreise ausgestellten türkischen Reisepasses ergeben sich unstreitig aus dem Auszug der Visa-Datenbank.

Das Faktum, dass sich die bP in Österreich vom türkischen Konsulat das Ehefähigkeitszeugnis ausstellen hat lassen, ergibt sich unstreitig aus dem amtswegig angeforderten Akteninhalt des Standesamtes Wien.

Das Faktum, dass ihr während des Asylverfahrens vom türksichen Konsulat in XXXX ein neuer türkischer Reisepass ausgestellt wurde, ergibt sich unstreitig aus dem amtswegig eingesehen ZMR-Auszug betr. der bP.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den grds. plausiblen Angaben der bP.

Ad 1.1.5. Aktueller Gesundheitszustand:

Dies ergibt sich plausibel aus ihren persönlichen Angaben in der Verhandlung.

Ad 1.1.6. Aktuelles Privatleben / Familienleben in Österreich

Dies ergibt sich plausibel aus ihren persönlichen Angaben, den von ihr vorgelegten Bescheinigungsmitteln sowie den zitierten amtswegigen Ermittlungsergebnissen des Bundesamtes und des Bundesverwaltungsgerichtes. Die Angaben der in der Verhandlung einvernommen Zeugin sind glaubhaft und im Wesentlichen auch stimmig zu den diesbezüglichen Angaben der bP.

Ad 1.1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet

Einleitend ist anzuführen, dass gerade beim Antrag auf internationalen Schutz der persönlichen Aussage zur eigenen Gefährdungssituation im Herkunftsstaat als Beweismittel und zentralem Punkt in diesem Verfahren besondere Bedeutung zukommt, handelt es sich doch behauptetermaßen um persönliche Erlebnisse bzw. eigene sinnliche Wahrnehmungen des Antragstellers / der Antragstellerin über die berichtet wird. Diese entziehen sich zumeist – insbesondere auf Grund der faktischen und rechtlichen Ermittlungsschranken der Asylinstanzen – weitgehend einer Überprüfbarkeit und liegen diese idR alleine in der persönlichen Sphäre der bP.

Im Wesentlichen geht es für die Entscheider idR darum zu beurteilen, ob es im konkreten Fall glaubhaft ist, dass die diesbezüglichen Aussagen des Antragstellers / der Antragstellerin auf einem tatsächlichen persönlichen Erleben beruhen oder ob sich die Partei dabei der Lüge bedient bzw. die Aussagen nicht erlebnisbegründet sind bzw. ob die von ihr vorgebrachte persönliche Rückkehrproblematik glaubhaft und gegebenenfalls von rechtlicher Entscheidungsrelevanz ist.

Im Allgemeinen erfolgt eine (vorsätzliche) Falschaussage nicht ohne Motiv (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage, Rz 246ff). Im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz kann eine derartige Motivationslage, die den Wahrheitswillen eines Antragstellers/einer Antragstellerin zu beeinflussen geeignet ist, darin liegen, dass sie ihrer Überzeugung nach – uU auch durch Suggestion Dritter (vgl. zB „Die 12 ‚Verbote‘ in der Vernehmung“, https://www.sgipt.org/forpsy/aussage0.htm#Die 12 'Verbote', mwN) beeinflusst - dadurch gesteigerte Erfolgsaussichten erwarten, um den beantragten Status als Asylberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter und damit einen Aufenthaltstitel samt Zugang zum Arbeitsmarkt und/oder staatlicher Versorgung zu erlangen (sog. „Folgenberücksichtigung“, siehe oben zitierte Quelle; vgl auch UNHCR Handbuch, Dez. 2011, B/2/f Auswanderer aus wirtschaftlichen Motiven im Unterschied zu Flüchtlingen)

Als Beurteilungskriterien für die Glaubhaftmachung nennt der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise:

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist - abgesehen vom Fall einer Wahrunterstellung (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0032, Rn. 13) - die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers zu prüfen (vgl. zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ausdrücklich § 18 Abs. 3 AsylG 2005). Diese Prüfung erfolgt unter Berücksichtigung der vom EuGH judizierten unionsrechtlichen Anforderungen (vgl. EuGH 25.1.2018, C-473/16 und EuGH 4.10.2018, C-56/17, Fathi). Erst danach erfolgt die Prognoseentscheidung gemäß § 3 AsylG 2005, ob mit dem als glaubwürdig erachteten Vorbringen eine wohl begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht wird (vgl. zur Prognoseentscheidung VwGH 8.9.2016, Ra 2015/20/0217, mwN; vgl. zu der dabei vorzunehmenden einzelfallbezogenen Beurteilung VwGH 2.9.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007).

Es ist Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen.

Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Schon aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylwerbers zentrale Bedeutung zukommt.

Hinsichtlich der Mitwirkungs- und Darlegungsverpflichtung der Partei ergibt sich aus der Judikatur insbes. Folgendes:

Dem Vorbringen des Asylwerbers kommt zentrale Bedeutung zu. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das BFA und das BVwG in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (Hinweis E vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/18/0100 und 0101). Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Dies entspricht auch der sich insbes. aus § 15 AsylG ergebenden Mitwirkungsverpflichtung sowie aus der Verfahrensförderungspflicht des § 39 Abs 2a AVG, wonach jede Partei ihr Vorbringen so rechtzeitig und vollständig zu erstatten hat, dass das Verfahren möglichst rasch durchgeführt werden kann.

Die allgemeine Behauptung von Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung v

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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