TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/14 W189 2184078-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

14.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W189 2184076-1/12E

W189 2184078-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dublinverfahren

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1), eine Staatsangehörige der Ukraine, stellte nach Einreise mithilfe eines tschechischen Visums gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann und volljährigen Sohn am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde XXXX durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu ihrem Ausreisegrund befragt, brachte die BF1 im Wesentlichen vor, dass die Gründe der Flucht ausschließlich bei ihrem mitgereisten Mann und Sohn liegen würden. In der Ukraine herrsche Bürgerkrieg. Die Separatisten würden gegen Ukrainer kämpfen. Wenn ihr Mann und ihr Sohn in der Ukraine bleiben würden, würden sie entweder als Separatisten gegen die Ukrainer oder umgekehrt kämpfen müssen. Beides würden sie nicht wollen. Die BF1 selbst habe keine eigenen Fluchtgründe. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie, dass ihr Sohn und ihr Mann gegen ihr eigenes Volk kämpfen müssten.

1.2. Mit Schreiben vom XXXX gaben die tschechischen Behörden dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) im Rahmen eines Konsultationsverfahrens bekannt, dass sie die Aufnahme der Familie gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO aufgrund des ausgestellten Visums akzeptieren.

1.3. Die BF1 wurde am XXXX durch das BFA zu diesem Sachverhalt niederschriftlich einvernommen.

1.4. Im Rahmen einer vom BFA beauftragen „Gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren“ vom XXXX wurde der BF1 eine Anpassungsstörung und eine Panikstörung sowie eine extrovertierte Persönlichkeitsakzentuierung diagnostiziert.

1.5. Vom XXXX bis XXXX war die BF1 aufgrund eines Selbstmordversuches durch Medikamentenintoxikation im Landesklinikum XXXX stationär aufhältig. Diagnostiziert wurden eine akute Belastungsreaktion und eine posttraumatische Belastungsstörung.

1.6. Im Rahmen einer neuerlich vom BFA beauftragten „Gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren“ vom XXXX wurde der BF1 eine Anpassungsstörung, Zustand nach akuter Belastungsreaktion sowie eine derzeit im Hintergrund befindliche Panikstörung diagnostiziert.

1.7. Mit Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge der BF1 sowie ihres damaligen Ehemannes und des Sohnes auf internationalen Schutz gem. § 5 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Außerlandesbringung nach XXXX angeordnet.

1.8. Die BF1 brachte dagegen fristgerecht Beschwerde ein.

1.9. Am XXXX wurde der volljährige Sohn der BF1 nach XXXX außer Landes gebracht. Eine Außerlandesbringung der BF1 konnte nicht durchgeführt werden, da sie Selbstmordabsichten äußerte und ins Universitätsklinikum XXXX eingeliefert wurde. Eine Übernahme des damaligen Ehemannes der BF1 wurde von den diensthabenden Organen der zuständigen tschechischen Behörde an der Grenze abgelehnt.

1.10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge: BVwG) vom XXXX , Zlen. XXXX und XXXX , wurde der Beschwerde der BF1 und ihres damaligen Ehemannes gegen den unter Punkt 1.8. genannten Bescheid aufgrund Ablaufs der Überstellungsfrist stattgegeben, das Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz zugelassen und die bekämpften Bescheide behoben.

1.11. Mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX , Zl. XXXX , wurde die Beschwerde des Sohnes der BF1 gegen den unter Punkt 1.8. genannten Bescheid als unbegründet abgewiesen.

2. Gegenständliches (zugelassenes) Verfahren

2.1. Die BF1 stellte als gesetzliche Vertreterin am XXXX gem. § 17 Abs. 3 AsylG 2005 idF des BGBl. I Nr. 24/2016 einen Antrag auf internationalen Schutz für den am XXXX in XXXX als gemeinsamen Sohn der BF1 und eines in Österreich aufenthaltsberechtigten XXXX Staatsangehörigen geborenen Zweitbeschwerdeführer (in der Folge: BF2).

2.2. Am XXXX wurde die BF1 durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme gab die BF1 im Wesentlichen an, dass sie von ihrem früheren Mann geschieden sei und einen neuen, in Österreich aufenthaltsberechtigten Lebensgefährten und ein gemeinsames Kind mit diesem habe, welches an einer Herzkrankheit leide. Zu ihrem Ausreisegrund brachte die BF1 vor, dass in der Ukraine Krieg herrsche und ihr Sohn in den Krieg ziehen hätte sollen. Deshalb seien sie geflohen. Ihr damaliger Ehemann habe dies entschieden.

Im Rahmen der Einvernahme legte die BF1 ein Konvolut an medizinischen Unterlagen, sowie einen Beschluss über die einvernehmliche Scheidung und eine Vergleichsausfertigung vor.

2.3. Am XXXX legte die BF1 weitere medizinische Unterlagen vor.

2.4. Am XXXX legte die BF1 medizinische Unterlagen für den BF2 vor.

2.5. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.) und eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

2.6. Mit Schriftsatz vom XXXX erhoben die BF durch ihren rechtlichen Vertreter binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass die BF1 aufgrund des Krieges ihr Heimatland verlassen habe. Es gebe kein funktionierendes Sozialhilfesystem und die BF könnten auf sich allein gestellt in der Ukraine nicht überleben. Sie würden in der Westukraine als Verräter oder Separatisten beschimpft werden. Der BF2 könnte in der Ukraine nicht behandelt werden und die BF1 würde sich in der Ukraine das Leben nehmen. Zudem sei das in Österreich geführte Familienleben der BF1 mit ihrem neuen Lebensgefährten und dem BF2 als gemeinsamen Sohn schützenswert.

2.7. Das BVwG führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher die BF, ihre Rechtsvertretung und der Lebensgefährte der BF1 als Zeuge teilnahmen. Die BF1 wurde ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu ihren Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihnen mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der Zeuge wurde zum Familienleben mit den BF befragt. Die BF1 legte einen Befund der Kinderkardiologie (Beilage ./1) sowie zwei Empfehlungsschreiben und dazugehörige Fotos vor (Beilage ./2).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF

1.1.1. Die Identität der BF steht fest.

1.1.2. Die BF1 ist ukrainische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Ukrainer an und ist christlich-orthodoxen Glaubens. Die BF1 ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Sie spricht Russisch und Ukrainisch. Sie hat XXXX Jahre die Grundschule besucht und eine XXXX Berufsausbildung als XXXX Sie hat zuletzt eine XXXX betrieben.

Die BF1 ist in XXXX , Donezk Oblast, geboren und aufgewachsen. Zuletzt hat sie in XXXX gelebt und im Zuge der Ausreise rund zwei Wochen in XXXX verbracht.

Ihre Eltern sind verstorben. Ein Sohn aus erster Ehe ist in der Ukraine verschollen. Der zweite Sohn aus erster Ehe lebt in XXXX . Ihre Großmutter lebt in einem Altersheim in XXXX . Die BF1 hat entfernte Verwandtschaft, zu der kein Kontakt besteht.

Die BF1 hat sich am XXXX in Österreich von ihrem ukrainischen Ehemann scheiden lassen. Sie lebt nun in einer Lebensgemeinschaft mit einem aufgrund einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ in Österreich aufenthaltsberechtigten XXXX Staatsangehörigen.

Die BF1 leidet an keiner lebensbedrohlichen oder in der Ukraine nicht behandelbaren Erkrankung.

Sie ist strafrechtlich unbescholten.

1.1.3. Der BF2 ist der in Österreich geborene minderjährige Sohn der BF1 und ihres Lebensgefährten und ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er wurde mit einer schweren valvulären Aortenstenose geboren und am XXXX mittels Valvuloplastie operiert. Es besteht eine mäßige Reststenose und es ist mindestens bis zum Schuleintritt eine regelmäßige ärztliche Kontrolle nötig.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

Die BF1 hat ihr Heimatland aufgrund des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine verlassen, da ihr nunmehriger Ex-Mann und ihr nunmehr in XXXX aufhältiger Sohn eine Einberufung fürchteten.

Die BF1 wurde nie persönlich bedroht. Der BF2 hat keine eigenen Fluchtgründe.

Es droht den BF in der Ukraine keine Gefahr aus Konventionsgründen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

1.3.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine

1.3.2. Ostukraine

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. IDPs sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer geflohen (AA 29.2.2020). An der Dynamik des Konfliktes hat sich wenig verändert, obwohl 2019 einige Durchbrüche gelangen, wie der mehrmalige Austausch von Gefangenen, die Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, und eine relativ erfolgreiche Waffenruhe im August 2019 (KAS 4.2020). Auch im April 2020 kam es wieder zu einem Gefangenenaustausch (RFE/RL 16.4.2020).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es besonders 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 29.2.2020).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. 2018 wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen, wenn eine Person an Verbrechen gegen die Sicherheit von DPR oder LPR beteiligt gewesen sein soll. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter und wird als hart und teils lebensbedrohlich bezeichnet. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie körperliche Misshandlung, Folter, Hunger, sexuelle Gewalt, öffentliche Demütigung, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020).

Im Donbas unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. In der LPR sollen die Websites von mehr als 50 ukrainischen Nachrichtenagenturen blockiert worden sein. Journalisten werden in der DNR genau überwacht, müssen die „Behörden“ der Separatisten z.B. über ihre Aktivitäten informieren oder werden von Mitgliedern bewaffneter Gruppen begleitet, wenn sie sich in der Nähe der Kontaktlinie bewegen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden; oft mit erzwungener Teilnahme. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 11.3.2020).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019). Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019). 2019 soll sich laut Berichten das soziale Stigma und die Intoleranz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verschärft haben; v.a. aufgrund der Anwendung von Gesetzen, welche die "Propaganda gleichgeschlechtlicher Beziehungen" kriminalisieren (USDOS 11.3.2020). Obwohl DNR und LNR in ihren Verfassungen Religionsfreiheit garantieren, sind Anhänger von Glaubensrichtungen, die nicht der russisch-orthodoxen Kirche angehören, Verfolgung ausgesetzt. Am schlimmsten betroffen sind die Zeugen Jehovas, die 2018 als extremistische Organisation vollständig verboten wurden und deren Eigentum beschlagnahmt wurde (FH 2020).

Die separatistischen Kräfte im Gebiet Donezk verboten die humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung und schränken die Hilfe internationaler humanitärer Organisationen ein. Infolgedessen sind Berichten zufolge die Preise für Grundnahrungsmittel für viele Personen, die auf dem von Russland kontrollierten Gebiet verblieben, zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 11.3.2020). Die laufende Handelsblockade zwischen den besetzten Gebieten in der Ostukraine und dem Rest der Ukraine dämpfte, kombiniert mit Korruption und anhaltenden Kampfhandlungen, die Bemühungen zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft. Viele Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (FH 2020).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019). Die Bewegungsfreiheit nach Russland ist weniger eingeschränkt (FH 2020).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon „Ajdar“ wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 29.2.2020).

Es gibt Berichte über Entführungen auf beiden Seiten der Kontaktlinie. Am häufigsten wurden Zivilisten von den von Russland geführten Streitkräften an Ein-/Ausreisekontrollpunkten entlang der Kontaktlinie festgenommen. Beide Konfliktparteien setzen Landminen ohne Umzäunung, Beschilderung oder andere Maßnahmen ein, wodurch Opfer unter der Zivilbevölkerung verhindert werden könnten. Besonders akut sind die Risiken für Personen, die in Städten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie leben, sowie für Personen, welche die Kontaktlinie täglich überqueren müssen (USDOS 11.3.2020). Von Jänner bis November 2019 dokumentierte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte 162 konfliktbezogene zivile Unfallopfer; davon kamen 26 zu Tode, 136 wurden verletzt. Dabei wurden 101 der Unfälle durch Handfeuerwaffen und 58 durch Minen und Sprengstoffe verursacht. Insgesamt war im Jahr 2019 gegenüber 2018 ein Rückgang konfliktbedingter Unfälle um fast 40% zu verzeichnen (AA 29.2.2020). Zu den fünf Gruppen, die am stärksten vom Konflikt betroffen sind, gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, IDPs, Kinder und Familien von Alleinerzieherinnen (UN 1.2020).

Im Juni 2019 begann die Russische Föderation damit, in einem erleichterten Verfahren russische Pässe für ukrainische Staatsbürger, die in den besetzten Gebieten leben, auszustellen (FH 2020). Acht Monate nach der Vereinfachung des Verfahrens zum Erwerb eines russischen Passes für die Donbas-Bewohner gab Russland bekannt, dass es bereits über 196.000 Ukrainern die Staatsbürgerschaft verliehen hatte (TMT 3.1.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World Index 2020, Eastern Donbas

-        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Ukraine

-        KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        PCU – Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine

-        RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (16.4.2020): Ukraine, Russia-Backed Separatists Hold Another Prisoner Swap

-        TMT – The Moscow Times (3.1.2020): Kyiv Post: Moscow Says it Issued Nearly 200,000 Russian Passports in Ukraine’s Donbass

-        UN – United Nations (1.2020): UKRAINE, At a glance: 2020 Humanitarian Needs Overview

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

-        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine

1.3.3. Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.4. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Der dem Innenministerium unterstellte Staatliche Migrationsdienst setzt die staatliche Politik in Bezug auf Grenzsicherheit, Migration, Staatsbürgerschaft und Registrierung von Flüchtlingen und anderen Migranten um (USDOS 11.3.2020).

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest. Zuweilen wenden die Sicherheitskräfte selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen (USDOS 11.3.2020), oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen. Dies betrifft vor allem Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten, insbesondere Roma, LGBT-Personen, Feministinnen oder Personen, die von ihren Angreifern als „anti-ukrainisch“ wahrgenommen werden. Auch die Misshandlung von Festgenommenen durch die Polizei ist weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

Quellen:

-        AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Ukraine [EUR 01/1355/2020]

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 3.2020a). Jedoch bestehen in der Ukraine gegenwärtig noch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und Gewährung der Menschenrechte, was insbesondere die Bereiche Folter, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Behandlung von Geflüchteten und sozialen (LGBTQ) bzw. ethnischen Minderheiten (Roma) betrifft. 2019 stufte Freedom House die Ukraine auf „partly free“ ab (GIZ 3.2020a). Zu den Menschenrechtsproblemen gehören darüber hinaus u.a. rechtswidrige oder willkürliche Tötungen; Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen durch Vollzugspersonal; schlechte Bedingungen in Gefängnissen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Internetfreiheit und Korruption. Die Regierung hat es im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Fehlverhalten von Beamten strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest (USDOS 11.3.2020).

Die Möglichkeit von NGOs, sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, IDPs, Roma, Menschen mit Behinderungen, und von Russland inhaftierte politische Gefangene. Sie ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 11.3.2020).

Von einigen Ausnahmen abgesehen, können Einzelpersonen im Allgemeinen öffentlich und privat Kritik an der Regierung üben und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, ohne offizielle Repressalien befürchten zu müssen. Das Gesetz verbietet jedoch Aussagen, die die territoriale Integrität bzw. nationale Sicherheit des Landes bedrohen, den Krieg fördern, einen Rassen- oder Religionskonflikt befeuern oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen nach diesen Gesetzen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.6. Russen / Russischsprachige

Die heutige Ukraine ist ein mehrsprachiges Land mit einer dominierenden ukrainisch-russischen Zweisprachigkeit und gemischten Sprachvarietäten (AAU 28.11.2019). Offizielle Staatssprache der Ukraine ist zwar Ukrainisch, Russisch ist als Verkehrssprache weit verbreitet bzw. wird im Süden und Osten überwiegend gesprochen (WKO 2020; vgl. AA 19.12.2019). Eine Quelle gibt an, dass Ukrainisch die Muttersprache von etwa 67% der Bevölkerung ist, Russisch die Muttersprache von fast 30% (RFE/RL 7.12.2019). Russisch ist in der Ukraine keineswegs die Sprache einer kleinen Minderheit und wird nicht bloß regional begrenzt gesprochen. Russisch wird im Durchschnitt des Landes von ca. der Hälfte der Bevölkerung aktiv verwendet und damit nur etwas weniger häufig als Ukrainisch (DS 19.10.2017).

Vor dem Hintergrund der Aggression Russlands gegen die Ukraine seit dem Jahr 2014 haben sich die meisten Russischsprachigen in der Ukraine, selbst in den vermeintlich prorussischen Regionen im Osten und Süden, eher mit ihren Mitbürgern als mit ihren sprachlichen „Brüdern“ auf der anderen Seite der Grenze verbündet. Trotzdem brachte das einen großen Teil der Bevölkerung der Ukraine nicht dazu, den Sprachgebrauch radikal zu verändern. Obwohl viele Menschen, die zuvor fast ausschließlich Russisch gesprochen haben, nun stärker bereit zu sein scheinen, in bestimmten Bereichen etwas Ukrainisch zu verwenden, handelt es sich dabei keineswegs um einen umfassenden Wechsel von einer Sprache zur anderen. Die meisten Menschen in der heutigen Ukraine nutzen sowohl Ukrainisch als auch Russisch in ihrem Alltag, wenn auch zu einem sehr unterschiedlichen Anteil. 21% (2017) kombinieren die beiden Sprachen in mehr oder weniger gleich großen Teilen. Die Förderung des Ukrainischen führte nicht zu einer systematischen Diskriminierung der Russischsprachigen (UA 22.2.2018).

Es gibt in der Ukraine generell keine Diskriminierung der russischen Sprache (UA 29.11.2017). In der Praxis funktioniert die allgegenwärtige ukrainisch-russische Zweisprachigkeit im Alltag in aller Regel erstaunlich reibungslos (UA 29.11.2017). Fälle von Einschüchterung oder Angriffen gegen ethnische Russen oder Vertreter der russischsprachigen Gemeinschaft in der Ukraine sind sporadische Einzelfälle (Cedoca 10.1.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.12.2019): Ukraine: Politisches Portrait

-        AAU – Alpen-Adria Universität Klagenfurt (28.11.2019): Was machen soziale und politische Geschichte mit Sprache? Ukrainisch-russische und russisch-ukrainische Sprachvarietäten

-        Cedoca - Documentation and Research Department of the CGRS (Commissariaat-generaal voor de Vluchtelingen en de Staatlozen) (10.1.2018): OEKRAÏNE. Actuele situatie voor etnische Russen en/of Russischsprekenden op het gebied van taal en veiligheid, per E-Mail

-        DS – Der Standard (19.10.2017): Russisch als Minderheitensprache in der Ukraine?

-        RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (7.12.2019): Council Of Europe's Experts Criticize Ukrainian Language Laws

-        UA – Ukraine Analysen (29.11.2017): Sprachenpolitik in der Ukraine

-        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2020): Ukraine: Neues Sprachengesetz tritt in Kraft

1.3.7. Bewegungsfreiheit

In Gebieten unter Regierungskontrolle ist die Bewegungsfreiheit im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Das komplizierte ukrainische System, das von Einzelpersonen verlangt, dass sie sich rechtmäßig an einer Adresse registrieren lassen müssen, um wählen und bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, stellt jedoch ein Hindernis für die volle Bewegungsfreiheit dar, insbesondere für Vertriebene und Personen ohne offizielle Adresse, wo sie für offizielle Zwecke registriert werden könnten (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine

1.3.8. Binnenflüchtlinge

Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDPs) lag am 2. Dezember 2019 bei 1.427.211 Personen; die tatsächliche Zahl der dauerhaft vertriebenen IDPs dürfte nach UN-Schätzungen bei ca. 800.000 liegen. Diese Personen erhalten bisher nur durch die Registrierung als IDPs Zugang zu Sozial- und Rentenleistungen. (AA 29.2.2020).

Binnenvertreibung ist nach wie vor ein Problem. Auf der einen Seite gab es 2018 aufgrund von Kampfhandlungen, oder weil das Militär Häuser beschlagnahmte, ca. 12.000 zusätzliche IDPs. Auf der anderen Seite mussten zahlreiche ältere bzw. ärmere Personen in gefährdete Gebiete zurückkehren. 2018 konnten rund 12.000 IDPs ihre Situation in irgend einer Weise zumindest partiell verbessern, etwa durch Heimkehr oder lokale Integration (IDMC 5.2019). Stand 31. Dezember 2019 gab es insgesamt 730.000 IDPs in der Ukraine. Im Jahr 2019 wurden 60 neue Vertreibungen verzeichnet (IDMC 2020).

Die Regierung arbeitet mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Nur registrierte IDPs bekommen Unterstützungsleistungen vom Staat. Die meisten IDPs leben in Gebieten, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk, sowie in den Gebieten Charkiw, Dnipropetrovsk und im Oblast Zaporizhzhya (USDOS 11.3.2020). Die meisten Binnenflüchtlinge leben nahe der Kontaktlinie in gemieteten Unterkünften. Fast die Hälfte der IDP-Bevölkerung sind Familien mit Kindern. Um sich in der Ukraine als IDP registrieren zu lassen, muss man sich im regierungskonrollierten Gebiet befinden. Um IDP-Unterstützung und die weitere Auszahlung von Renten zu beantragen, muss man einen Nachweis über die Registrierung als IDP vorlegen. Umfragen zeigen, dass IDPs anfälliger für Arbeitslosigkeit sind. Der Zugang älterer Menschen zu ihrer Rente stellt eine Herausforderung dar. IDPs werden im Allgemeinen wenig diskriminiert (Landinfo 16.4.2020).

Personen, die als Binnenflüchtlinge registriert sind, können staatliche Beihilfen für IDPs erhalten. Für diese Zahlungen ist das Ministerium für Sozialschutz verantwortlich. Für Menschen, die nicht arbeiten können, also Rentner, Kinder und Studenten, die noch von ihren Eltern abhängig sind (bis 23 Jahre), beträgt die Unterstützung 1.000 UAH pro Person und Monat. Für Arbeitslose beträgt die Unterstützung 442 UAH pro Person und Monat. Familien können nicht mehr als 3.000 UAH (1.130 USD) pro Monat erhalten, es sei denn, sie haben mehr als drei Kinder. Für diese Familien beträgt die Unterstützung 5.000 UAH pro Monat. Die Unterstützung hat sich seit ihrer Einführung nicht wesentlich geändert. Oft reicht die Unterstützung nicht aus, um damit das Leben zu finanzieren, das gilt besonders für Städte, in denen das Kostenniveau höher ist (Landinfo 16.4.2020).

Laut Gesetz sollte die Regierung den Vertriebenen auch eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird. Wohnen, Beschäftigung und Empfang von Sozialleistungen und Renten sind weiterhin die größten Sorgen der IDPs. Für die Integration der IDPs fehlt eine Regierungsstrategie, was die Bereitstellung von Finanzmitteln behindert. Dadurch werden IDPs wirtschaftlich und gesellschaftlich marginalisiert. Ein Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und die allgemein schwache Wirtschaft wirken sich besonders auf IDPs aus und zwingen viele von ihnen, in unzulänglichen Unterkünften wie Sammelunterkünften und provisorischen Unterkünften zu leben. UN-Agenturen berichten, der Zustrom von IDPs habe im Rest des Landes zu Spannungen im Wettbewerb um die knappen Ressourcen (Wohnungen, Arbeitsplätze, Bildung) geführt. Insbesondere in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk haben IDPs oft ungenügenden Zugang zu sanitären Einrichtungen, Unterkünften und Trinkwasser. NGOs berichten von Diskriminierung von IDPs bei der Arbeitssuche. IDPs haben nach wie vor Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Dokumenten. Medienberichten zufolge haben IDPs von der Krim eingeschränkten Zugang zu Bankdienstleistungen, obwohl ein Gerichtsurteil den Banken diese Praxis verbietet (USDOS 11.3.2020).

Das Durchschnittseinkommen pro IDP-Haushaltsmitglied ist zuletzt zwar leicht gestiegen ist - auf 3.631 UAH (ca. 150 USD) pro Monat - liegt aber immer noch ein Drittel unter dem Durchschnitt der Ukraine (IOM 21.2.2020).

Die größte Herausforderung für IDPs stellt die Wohnsituation dar. In der Ukraine gibt es ein öffentliches Wohnungsbauprogramm. Dies gilt für die gesamte Bevölkerung, einschließlich der IDPs. Das Programm basiert darauf, dass der Antragsteller einen Teil der Wohnkosten und der Staat den anderen Anteil tragen muss. Normale Bürger müssen 70% der Kosten und der Staat 30% tragen. Für Binnenflüchtlinge beträgt die Verteilung zwischen dem Antragsteller und dem Staat 50/50. Das Programm umfasst IDPs mit einem monatlichen Einkommen, das unter der Summe von drei durchschnittlichen monatlichen Einkommen liegt. Im Jahr 2018 würde dies theoretisch über 90% aller registrierten IDPs umfassen. 70% der Teilnehmer an diesem Programm im Jahr 2018 (insgesamt 130 Personen) waren IDPs. IDPs haben einen großen Bedarf an psychosozialer Unterstützung, viele haben Traumata aus dem Konflikt, und viele leben mit Unsicherheit über die Zukunft. In einer IOM-Umfrage von Juli bis September 2019 gaben 54% der Befragten an, in die lokale Gemeinschaft integriert worden zu sein, während 34% angaben, teilweise integriert zu sein. 7% fühlten sich nicht integriert. Kiew war der Ort, an dem sich die IDPs am stärksten integriert fühlten. Der Hauptgrund, warum sich IDPs integriert fühlten, war Wohnen, dann festes Einkommen und Arbeit (Landinfo 16.4.2020).

Quellen:

-        IDMC – Internal Displacement Monitoring Centre (ehemals: Global IDP Project) (5.2019): Ukraine Figure Analysis - Displacement related to conflict and violence

-        IDMC – Internal Displacement Monitoring Center (2020): Ukraine, Displacement associated with Conflict and Violence

-        IOM – UN Organization for Migration (21.2.2020): “Struggling to get through each day.” New IOM IDP Survey from Ukraine

-        Landinfo (16.4.2020): Temanotat, Ukraina, Internflyktninger

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.9. Grundversorgung

Die makroökonomische Lage hat sich nach schweren Krisenjahren stabilisiert. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen Umstände wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von 3,3% erzielt, das 2019 auf geschätzte 3,6% angestiegen ist. Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren stark angestiegen und belief sich 2018 auf ca. 62,7% des BIP (2013 noch ca. ein Drittel). Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 29.2.2020).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 12.2018). Die Situation, gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern, bleibt daher karg. Die Ukraine gehört trotzt zuletzt deutlich steigender Reallöhne zu den ärmsten Ländern Europas. Das offizielle BIP pro Kopf gehört zu den niedrigsten im Regionalvergleich und beträgt lediglich ca. 3.221 USD p.a. Ein hoher Anteil von nicht erfasster Schattenwirtschaft muss in Rechnung gestellt werden (AA 29.2.2020). Die Mietpreise für Wohnungen haben sich in den letzten Jahren in den ukrainischen Großstädten deutlich erhöht. Wohnraum von guter Qualität ist knapp (GIZ 12.2018). Insbesondere alte bzw. schlecht qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Menschen leben zum Teil weit unter der Armutsgrenze (GIZ 3.2020b). Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger, Schattenwirtschaft) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (Mindestrente zum 1. Dezember 2019: 1.638 UAH (ca. 63 EUR) (AA 29.2.2020). Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP im Jahr 2013 auf 18,5% im Jahr 2015 und danach weiter auf 17,8%. Dies ist vor allem auf Reduktion von Sozialleistungen, besonders der Pensionen, zurückzuführen. Das Wirtschaftsministerium schätzte den Schattensektor der ukrainischen Wirtschaft 2017 auf 35%, andere Schätzungen gehen eher von 50% aus. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde für Jänner 2019 mit 1.853 UAH beziffert (ca. 58 EUR), ab 1. Juli 2019 mit 1.936 UAH (ca. 62 EUR) und ab 1. Dezember 2019 mit 2.027 (ca. 64,5 EUR) festgelegt. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Diese wird für Kinder unter 18 Jahren (bzw. StudentInnen unter 23 Jahren) ausbezahlt. Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Diese Form von Unterstützung ist mit einer maximalen Höhe von 1.626 UAH (ca. 50,8 EUR) für Kinder im Alter bis zu 6 Jahren, 2.027 UAH (ca. 63,3 EUR) für Kinder im Alter von 6 bis 18 Jahren bzw. 1.921 UAH (ca. 60 EUR) für Kinder im Alter von 18 bis 23 Jahren pro Monat gedeckelt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70% (ÖB 2.2019; vgl. UA 27.4.2018).

Seit dem russisch-ukrainischen Krieg in der Ostukraine verschärfte sich die Lage der Bevölkerung in den Gebieten Donezk und Luhansk beträchtlich. Circa 3,5 Millionen Menschen sind auf die humanitäre Hilfe angewiesen. Die Infrastruktur in der Region ist zerstört, die Wirtschaft ist paralysiert, lediglich kleine und mittlere Unternehmen können überleben (GIZ 3.2020b). In den von Separatisten besetzten Gebieten in Donezk und Luhansk müssen die Bewohner die Kontaktlinie überqueren, um ihre Ansprüche bei den ukrainischen Behörden geltend zu machen (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Länderinformationsportal, Ukraine, Wirtschaft & Entwicklung

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2018): Länderinformationsportal, Ukraine, Alltag

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        UA – Ukraine Analysen (27.4.2018): Rentenreform

1.3.10. Medizinische Versorgung

Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, existieren sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal (AA 29.2.2020). Die medizinische Versorgung entspricht jedoch nicht immer westeuropäischem Standard. Außerhalb der großen Städte, insbesondere in den Konfliktregionen im Osten, ist sie häufig unzureichend (AA 25.5.2020). Die medizinische Versorgung ist nur beschränkt gewährleistet. Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor sie Patienten behandeln (Kreditkarte oder Vorschusszahlung). Die Verfassung der Ukraine sichert zwar jedem Bürger eine kostenlose gesundheitliche Versorgung zu (GIZ 12.2019; vgl. AA 29.2.2020), doch sieht die Realität anders aus. Fast alle Dienstleistungen der medizinischen Versorgung müssen privat bezahlt werden (GIZ 12.2019). Patienten müssen in der Praxis also die meisten medizinischen Leistungen und Medikamente informell aus eigener Tasche bezahlen (BDA 21.3.2018); die Kosten für Medikamente müssen also auch in staatlichen Krankenhäusern vom Patienten selbst getragen werden (EDA 25.5.2020). Ein System der Krankenversicherungen existiert nur auf lokaler Ebene als Pilotprojekte. Durch die politische und wirtschaftliche Instabilität ist das Gesundheitswesen in der Ukraine chronisch unterfinanziert. Auch wenn die elementare Versorgung für Patienten gewährleistet werden kann, fehlt es vielen Krankenhäusern und Polikliniken an modernen technischen Geräten und speziellen Medikamenten. Die Löhne im Gesundheitsbereich sind besonders niedrig und die Korruption ist in diesem Sektor daher hoch (GIZ 12.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (25.5.2020): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung)

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        BDA - Belgian Immigration Office via MedCOI (21.3.2018): Question & Answer, BDA-6768

-        EDA – Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (25.5.2020): Reisehinweise Ukraine

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2019): Länderinformationsportal, Ukraine, Gesellschaft

1.4. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr

Den BF ist die Rückkehr in den Oblast Donezk nicht möglich. Eine Niederlassung in XXXX ist ihnen jedoch zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Es bestehen keine außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen.

1.5. Zur Situation der BF in Österreich

Die BF1 befindet sich seit XXXX in Österreich.

Die BF1 spricht ausreichend gut und flüssig Deutsch, um alle Situationen des täglichen Lebens mit ihren vorhandenen Deutschsprachkenntnissen zu meistern. Sie hat keinen Deutschkurs besucht und keine Deutschprüfung bestanden.

Die BF1 ging im Bundesgebiet bislang keinem Erwerb nach. Sie bezieht seit XXXX keine Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF1 ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und besucht auch keine sonstigen Kurse oder Ausbildungen. Der BF pflegt freundschaftliche und bekanntschaftliche Kontakte im Bundesgebiet.

Die BF1 hat ihren nunmehrigen Lebensgefährten im XXXX kennen gelernt und lebt spätestens seit XXXX mit ihm im gemeinsamen Haushalt. Der gemeinsame Sohn, BF2, wurde im XXXX geboren. Die BF1 und ihr Lebensgefährte planen zu heiraten. Der Lebensgefährte der BF1 lebt seit zumindest XXXX in Österreich und sorgt durch sein Einkommen und seine Unterkunft für die BF.

Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privat- und Familienlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF

2.1.1. Die Identität der BF steht aufgrund des vorgelegten, authentischen Inlandsreisepasses der BF1 und der österreichischen Geburtsurkunde des BF2 fest.

2.1.2. Die Feststellung zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der BF1 sowie zu ihrer ukrainischen Herkunft gründen sich auf ihre insoweit glaubhaften Angaben in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der Einvernahme durch das BFA sowie der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bzw. ihren Kenntnissen der russischen und ukrainischen Sprachen.

Die Feststellungen über den Schulbesuch, die Berufsausbildung sowie die Berufstätigkeit der BF1 sind ebenso Folge ihrer glaubhaften Angaben (Aktenteil I AS 3, 5; Aktenteil II AS 55; Verhandlungsprotokoll S. 7).

Die Feststellungen zum Geburts- und Wohnort der BF1 (Aktenteil I AS 3, 5; Aktenteil II AS 53, 57), zum Aufenthalt in XXXX (Aktenteil II AS 55; Verhandlungsprotokoll S. 7), zum Ableben ihrer Eltern (Aktenteil II AS 53), zur Verschollenheit ihres Sohnes in der Ukraine (Aktenteil II AS 53; Verhandlungsprotokoll S. 6), zum Aufenthalt ihres zweiten Sohnes aus erster Ehe in XXXX (Aktenteil II AS 53; Verhandlungsprotokoll S. 14), zum Aufenthalt ihrer Großmutter (Verhandlungsprotokoll S. 6) sowie dazu, dass die BF1 noch entfernte Verwandte hat, zu denen kein Kontakt besteht (Verhandlungsprotokoll S. 6) folgen ebenso den glaubhaften Angaben der BF1 sowie in Bezug auf ihren verschollenen Sohn auch aus der aus dem Akt ersichtlichen schweren psychischen Reaktion auf jene Nachricht.

Die Feststellung zur Scheidung der BF1 von ihrem ersten Ehemann folgt aus dem vorgelegten gerichtlichen Scheidungsbeschluss (Aktenteil II AS 107f). Dass die BF1 nun in einer Lebensgemeinschaft mit einem aufenthaltsberechtigten XXXX Staatsangehörigen lebt, folgt aus dem glaubhaften Vorbringen der BF1 (Aktenteil II AS 59 f; Verhandlungsprotokoll S. 5, 10 ff) sowie ihres Lebensgefährten (Verhandlungsprotokoll S. 13 ff), einer Melderegisterabfrage sowie einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.

Der BF1 wurden zwar im Zuge des vorangegangenen Dublinverfahrens psychische Erkrankungen diagnostiziert, jedoch gab sie zuletzt in der mündlichen Verhandlung an, dass es ihr nun gut gehe (Verhandlungsprotokoll S. 3). Im weiteren Verlauf der Verhandlung brachte sie zwar noch vage vor, dass sie einen „psychischen Zustand“ habe (Verhandlungsprotokoll S. 8), jedoch kann darin in jedem Fall keine lebensbedrohliche oder in der Ukraine nicht behandelbare Erkrankung erblickt werden, zumal die BF1 auch keine aktuellen Befunde vorlegte.

Die Feststellung, dass die BF1 strafgerichtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.1.3. Die Feststellungen über den minderjährigen BF2 ergeben sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde vom XXXX sowie den vorgelegten medizinischen Unterlagen. Entgegen dem Vorbringen der BF1 in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsprotokoll S. 4) ist diesen Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen, dass der BF2 in zehn Jahren eine weitere Operation benötige, sondern wird sowohl im Befund vom XXXX als auch vom XXXX lediglich ausgeführt, dass nach der im XXXX erfolgten Operation des BF2 mindestens bis zum Schuleintritt ständige kinderkardiologische Nachkontrollen nötig sein werden.

2.2. Zum Fluchtvorbringen

Die BF1 hat sowohl in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts (Aktenteil I AS 11), in der Einvernahme durch das BFA (Aktenteil II AS 49 ff), als auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG gleichbleibend vorgebracht, dass sie mit ihrem damaligen Ehemann und ihrem nun in XXXX aufhältigen Sohn ihre Heimat im Donbass aufgrund des dort im Jahr 2014 ausgebrochenen bewaffneten Konflikts verlassen habe, da ihr Ex-Mann sowie ihr Sohn gefürchtet hätten, aufseiten der Separatisten oder der ukrainischen Streitkräfte an diesem Konflikt teilnehmen zu müssen. Die BF1 selbst habe keine eigenen Fluchtgründe (Aktenteil I AS 11; Verhandlungsprotokoll S. 8). Es habe nie physische Übergriffe auf sie gegeben (Verhandlungsprotokoll S. 9). Der BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe (Aktenteil II AS 53). Dieses Vorbringen wird dem Verfahren als Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die BF1 konnte allerdings nicht glaubhaft machen, dass sie und der BF2 nicht in der Westukraine, insbesondere in XXXX , Sicherheit finden könnten. So ist das Vorbringen der BF1, aufgrund ihrer Herkunft in der Westukraine als Terroristin eingestuft zu werden, und dass niemand garantieren könne, dass der Krieg sich nicht nach XXXX ausweite (Verhandlungsprotokoll S. 8), reine Spekulation, die nicht mit der aus den zitierten Länderberichten ersichtlichen Realität in Einklang zu bringen ist, zumal in der rund 700 Kilometer von XXXX entfernten Front seit Mitte 2015 keine größeren Verschiebungen mehr zu beobachten waren.

Gesamt betrachtet geht aus dem Vorbringen der BF1 somit keine asylrelevante Bedrohungslage für die BF in ihrem Herkunftsstaat hervor.

2.3. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine vom 06.07.2020 wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt 1.3. zitiert. Ein Vergleich mit den vom BFA in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten und auch noch in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Länderberichten vom 29.05.2019 ergab keine maßgeblichen Neuerungen, weshalb keine Notwendigkeit der Vorlage zum Parteiengehör bestand.

2.4. Zur Rückkehrsituation der BF

Aufgrund der aus den zitierten Länderberichten ersichtlichen allgemeinen Lage im vom Separatisten verwalteten Donezk Oblast ist den BF eine Rückkehr unmittelbar in dieses Gebiet nicht möglich.

Die BF können sich jedoch etwa in XXXX ansiedeln. Die BF1 hat den Großteil ihres Lebens in der Ukraine verbracht, beherrscht mit Russisch und Ukrainisch die beiden Verkehrs- und Landessprachen und ist somit mit den örtlichen und kulturellen Gepflogenheiten ihres Heimatlandes vertraut.

Aus den zitierten Länderberichten ergibt sich, dass auch Binnenvertriebene nach Registrierung in einer Datenbank Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Die Zivilgesellschaft und humanitäre Organisationen leisten ebenfalls Hilfe für Binnenvertriebene. Probleme bestehen vor allem in den direkt an die Konfliktgebiete angrenzenden Regionen von Donezk und Luhansk. Die Regierung soll Vertriebenen eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird. Mehr als zwei Drittel der Binnenvertriebenen sind mit dem Zugang zu medizinischer Versorgung zufrieden. Sozialleistungen und Renten werden regelmäßig gezahlt.

Die BF1 ist eine volljährige Frau im erwerbsfähigen Alter. Sie verfügt über schulische Bildung, eine Berufsausbildung und Arbeitserfahrung und konnte schon vor ihrer Ausreise zum Lebensunterhalt der (damaligen) Familie beitragen.

Obgleich die BF1 in der Ukraine keine ihr bekannte Verwandtschaft mehr hat, ist doch davon auszugehen, dass sie vor dem Hintergrund ihres schulischen und beruflichen Werdegangs, ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Vertrautheit mit den dortigen Gepflogenheiten im Falle einer Rückkehr nach XXXX in der Lage sein wird, dort für den Lebensunterhalt der BF zu sorgen. Diesen Lebensunterhalt kann sie aus eigener Anstrengung, staatlichen Sozialleistungen, Unterstützung durch NGOs, sowie nicht zuletzt finanzielle Unterstützung durch ihren in Österreich aufhältigen Lebensgefährten erstreiten. Da ihr Lebensgefährte in der Lage ist, durch seine eigene Arbeitsleistung im Bundesgebiet für den Unterhalt der BF zu sorgen, muss davon ausgegangen werden, dass er etwa durch Geldüberweisungen auch in der Ukraine, wo die Lebenserhaltungskosten ungleich niedriger sind, die Existenz der BF sichern können wird.

Die BF leiden im Übrigen – zumal nach der Operation des BF2 – an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Die medizinische Versorgung in den Ballungsräumen ist gemäß den zitierten Länderberichten befriedigend, sodass etwa auch die kardiologische Kontrolle des BF2 gewährleistet ist. Das in der Beschwerde pauschal aufgeworfene gegenteilige Vorbringen wurde nicht weiter substantiiert und konnte daher die zitierten Länderberichte nicht entkräften.

Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat die BF in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären, ist anhand der Länderberichte nicht objektivierbar.

Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, haben die BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorkommen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Berichte betreffend die Ausbreitung des COVID-19-Erregers, zumal die BF weder aufgrund ihres Alters noch ihres Gesundheitszustandes in die Risikogruppe fallen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten