Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Jänner 1997, Zl. SD 11/97, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. Jänner 1997 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer, der sich seit August 1990 im Bundesgebiet aufhalte, sei am 9. November 1995 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 12 Abs. 1, 2 und 3 Z. 3 sowie des Vergehens nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Damit sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt. Der Verurteilung sei zugrunde gelegen, daß der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem Mittäter im Zeitraum von Juni bis August 1995 "gewerbsmäßig Suchtgift in einer Menge, die als so groß anzusehen ist, daß ihre Weitergabe geeignet gewesen war, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen und dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der im § 12 Abs. 1 SGG angeführten Menge ausmacht, in Verkehr gesetzt bzw. in Verkehr zu setzen versucht hatte". Dieses Fehlverhalten beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maß, sodaß vorliegend (auch) die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.
Aufgrund des relativ langen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers sowie im Hinblick auf seine Bindung zu seinem Vater und dessen Gattin sei ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers i.S. des § 19 FrG anzunehmen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes aufgrund des Dringend-geboten-seins dieser Maßnahme zu bejahen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Fällen zum Ausdruck gebracht habe, sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen Interessen (konkret: mit Rücksicht auf die Verhinderung von strafbaren Handlungen und den Schutz der Gesundheit) notwendig und demnach im Grunde des § 19 FrG zulässig.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG sei zunächst der mehr als sechsjährige inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers zu berücksichtigen gewesen. Der daraus abzuleitenden Integration komme jedoch kein entscheidendes Gewicht zu, weil die dafür wesentliche soziale Komponente durch die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten erheblich beeinträchtigt werde. Auch das Gewicht der Beziehung zu seinem Vater und dessen Gattin werde schon im Hinblick darauf, daß er erwachsen sei, relativiert. Zudem dürfe nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer - wie sich aus dem obzitierten Urteil ergebe - sowohl die Lehre als Gebäudereiniger als auch jene als Kellner abgebrochen habe und seit Mitte Juli 1995 keiner Beschäftigung nachgehe. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer die Straftaten gewerbsmäßig begangen habe, beeinträchtige die hier maßgeblichen öffentlichen Interessen zusätzlich. Auch die Behauptung des Beschwerdeführers, sich nunmehr einer Drogentherapie zu unterziehen, sei nicht geeignet, die von ihm ausgehende Gefahr für die genannten öffentlichen Interessen auszuschließen oder als nur gering einzuschätzen. Im übrigen sei auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Fall von Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig sei.
Die belangte Behörde sei daher zu der Auffassung gelangt, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Sohin erweise sich das Aufenthaltsverbot auch im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG als zulässig.
Diese Maßnahme sei von der Erstbehörde zutreffend auf unbestimmte Zeit (unbefristet) erlassen worden. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers, vor allem aber aufgrund seiner eigenen Drogenabhängigkeit und des Umstandes, daß er die strafbaren Handlungen gewerbsmäßig begangen habe, könne derzeit nicht vorhergesehen werden, wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesem Grund aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die maßgebliche Sachverhaltsfeststellung der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 18 Monaten wegen Verbrechens und Vergehens nach dem Suchtgiftgesetz unbestritten. Der daraus gezogene Schluß auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 (erster Fall) FrG ist unbedenklich. Der Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde habe diese Subsumtion vorgenommen, "ohne diesen Umstand detailliert zu untermauern und eine Begründung hiefür aufzustellen", ist nicht verständlich, lassen doch der klare Gesetzeswortlaut und der unbestrittene Sachverhalt gar keinen Raum für eine weitere Begründung der in Rede stehenden Subsumtion. Gleichfalls auf keinen Einwand stößt die Ansicht der belangten Behörde, daß das der Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme in Ansehung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit rechtfertige (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Jänner 1997, Zl. 97/18/0024, und vom 4. April 1997, Zl. 97/18/0121).
2. Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der zuungunsten des Beschwerdeführers ausgegangenen Interessenabwägung nach § 19 und § 20 Abs. 1 FrG. Es wird dazu auf den mehr als sechsjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sowie darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer nunmehr in eine intakte Familie "eingebettet" sei und von allen Familienangehörigen "vollständig akzeptiert" werde. Bedeutsam sei weiters, daß die besagte Verurteilung die erste gewesen sei, daß der Beschwerdeführer die ihm zur Last liegenden Straftaten vor Eintritt der Volljährigkeit begangen habe, daß er sich seither wohlverhalten habe, derzeit in einem Beschäftigungsverhältnis stehe und sich gemäß § 23 a Suchtgiftgesetz einer Therapie unterziehe, und schließlich, daß er von seiner Wahlmutter am 21. November 1996 an Kindes statt angenommen worden sei. Der Beschwerdeführer sei also vollständig sozial integriert (daß der von der belangten Behörde festgestellte mehrmalige Berufswechsel seine soziale Integration beeinträchtige, sei unzutreffend).
3.1. Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer gemäß § 19 FrG hat die belangte Behörde auf seinen mehr als sechsjährigen Aufenthalt in Österreich und auf seine familiäre Bindung (Vater und dessen Gattin) Bedacht genommen und aufgrund dessen - zutreffend - einen mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben i.S. der genannten Bestimmung angenommen. Sie ist dennoch - unter Berücksichtigung der privaten und familiären Situation des Beschwerdeführers - zu der Auffassung gelangt, daß das Aufenthaltsverbot im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit (Art. 8 Abs. 2 MRK) dringend geboten und demnach im Grunde des § 19 FrG zulässig sei. Diese Beurteilung ist nicht als rechtsirrig zu erkennen; sie hat die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich (vgl. etwa das vorzitierte Erkenntnis Zl. 97/18/0024, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Notwendigkeit des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der genannten im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen Ziele wird vorliegend durch den Umstand unterstrichen, daß dem Beschwerdeführer gewerbsmäßige Tatbegehung zur Last liegt, er also in der Absicht gehandelt hat, sich durch wiederkehrende Begehung der strafbaren Handlung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB). Gleichfalls diese Notwendigkeit unterstreichend wirkt der Verstoß des Beschwerdeführers gegen § 12 Abs. 3 Z. 3 Suchtgiftgesetz (Handel mit Suchtgift in einer Menge, die zumindest das Fünfundzwanzigfache der im Abs. 1 umschriebenen großen Menge ausmacht). Der Umstand indes, daß den der Verurteilung vom 9. November 1995 zugrunde liegenden Straftaten keine strafbaren Handlungen vorangegangen und auch nicht nachgefolgt sind, bewirkt keine wesentliche Schmälerung des dargestellten öffentlichen Interesses an einer Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis Zl. 97/18/0024). Nichts anderes gilt für die Bewilligung eines Aufschubes des Vollzuges der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 23 a Suchtgiftgesetz und die während der Zeit des Aufschubes erfolgende Behandlung des (drogenabhängigen) Beschwerdeführers (vgl. dazu das hg. Erkenntnis 97/18/0121). Auf der anderen Seite würde der Beschwerdehinweis - sofern er nicht als unzulässige Neuerung außer Betracht zu bleiben hätte (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) - auf die Annahme des Beschwerdeführers an Kindes statt durch seine "Wahlmutter" keine entscheidende Stärkung seiner familiären Interessenlage zur Folge haben, zumal die belangte Behörde die Eingriffsrelevanz des Aufenthaltsverbotes i. S. des § 19 FrG ohnehin schon (auch) mit der Bindung des Beschwerdeführers zu seinem Vater und dessen Gattin begründet hat.
3.2. Im Lichte der vorstehenden Erwägungen begegnet auch das Ergebnis der nach § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Abwägung keinen Bedenken. Abgesehen davon, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst eine ansonsten völlige soziale Integration des Fremden bei Suchtgiftdelikten im Hinblick auf deren große Sozialschädlichkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aus der Sicht des § 20 Abs. 1 FrG nicht entgegensteht (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 97/18/0121, mwN), kann, anders als die Beschwerde meint, keineswegs davon gesprochen werden, daß der Beschwerdeführer "vollständig sozial integriert" sei. Einer solchen Einschätzung steht nicht nur der dem Beschwerdeführer zur Last liegende, sich über einen mehrmonatigen Zeitraum erstreckende Handel mit (einer sogen. Übermenge) Suchtgift, sondern auch der unwidersprochen gebliebene Umstand entgegen, daß der Beschwerdeführer, nachdem er zwei Lehren abgebrochen hatte (einen "mehrmaligen Berufswechsel" hat die belangte Behörde entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht festgestellt), seit Juli 1995 keiner Beschäftigung mehr nachgegangen ist. Daß sich der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, "derzeit", also im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung, in einem Beschäftigungsverhältnis befindet, ist für die auf den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung abzustellende Beurteilung ohne Relevanz.
4. Entgegen dem Beschwerdevorwurf erachtet der Gerichtshof die von der belangten Behörde für die unbefristete Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer gegebene Begründung (siehe oben I. 1.) aus dem Blickwinkel des die Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes regelnden § 21 FrG für ausreichend und unbedenklich, zumal es die Beschwerde verabsäumt darzutun, aus welchen Gründen die belangte Behörde zu der Auffassung hätte kommen müssen, daß die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände vorhersehbarerweise nach Verstreichen eines bestimmtes Zeitraumes wegfallen würden.
5. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Beschwerdeinhalt erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997180211.X00Im RIS seit
20.11.2000