TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W272 2228615-1

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Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch

W272 2228615-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland vom 09.01.2020, Zahl XXXX , zu Recht

beschlossen:

A)

Das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des gegenständlichen Bescheides wird wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.

erkannt:

B)

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des gegenständlichen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass er zu lauten hat:

„Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig. Gemäß § 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

C)

Die Revision gegen A) und B) ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 03.01.2005 einen Asylantrag.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.04.2005 wurde seinem Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I 1997/76, stattgegeben und dem Beschwerdeführer in Österreich Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Dabei führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Mutter des Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, weshalb dem Beschwerdeführer, als Familienangehöriger im Sinn des § 1 Z 6 AsylG 1997, ebenfalls der Asylstatus zuerkannt werde.

3. Infolge der Straffälligkeit des Beschwerdeführers (vgl. dazu die Feststellungen) leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.01.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein, in welchem am 22.02.2019 eine niederschriftliche Einvernahme des mittlerweile volljährigen Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs stattgefunden hat. Der Beschwerdeführer gab zu Protokoll, er spreche Tschetschenisch, Russisch, Deutsch und Englisch, sei gesund und benötige keine Medikamente. Er lebe gemeinsam mit einem Bekannten, in einer Gemeindewohnung. In Österreich wären seine Mutter und seine beiden Geschwister sowie seine Großmutter, einen Onkel und zwei Tanten väterlicherseits aufhältig. In Tschetschenien würden sich seine Großmutter mütterlicherseits, ein Onkel mütterlicherseits und eine Tante väterlicherseits befinden, wobei der letzte Kontakt vor ca. einem Jahr stattgefunden habe. Der Beschwerdeführer habe die Russische Föderation gemeinsam mit seiner Mutter im Jahr 2004 verlassen und habe in Österreich die Volksschule sowie die Hauptschule besucht. Seit 2004 sei er nicht mehr in seinem Herkunftsstaat gewesen. In Österreich lebe er von der Mindestsicherung, vom AMS oder der MA40. Vor etwa eineinhalb Jahren habe er einen Monat über eine Firma als Hilfsarbeiter gearbeitet. Vor zweieinhalb, drei Jahren sei er zwei bis drei Monate als Lagerarbeiter tätig gewesen. Davor habe er diverse Kurse beim AMS besucht, unter anderem eine Intensivausbildung „schnelle Lehre“, wobei er die Prüfung nicht bestanden habe. Zu seinen Verurteilungen aus den Jahren 2011 und 2013, weshalb das Aberkennungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet worden sei, befragt, gab er an, dass er sich nicht erinnern könne. Dabei wurde der Beschwerdeführer informiert, dass aufgrund dieser Straffälligkeit ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei und in diesem Zusammenhang auch Endigungsgründe geprüft würden. Weiters werde auch ein Passentziehungsverfahren bezüglich des Konventionspasses eingeleitet. Nachdem der Beschwerdeführer über den Aberkennungstatbestand belehrt wurde, gab er hinsichtlich der Situation in Tschetschenien, die sich laut Bundesamt seit der Ausreise des Beschwerdeführers nachhaltig verbessert habe, an, dass es in Tschetschenien zwar nicht mehr Krieg gebe, jedoch herrsche dort Chaos. Dort seien die Kadyrov-Leute, die ihre eigenen Leute schlagen würden. Seinen Cousin hätten sie vor kurzem, vor ein bis zwei Jahre, mitgenommen und geschlagen, weil er den gleichen Familiennamen, wie der Beschwerdeführer trage. Im Falle einer Rückkehr fürchte er vielleicht auch geschlagen oder Elektroschocks wegen seines Vater zu bekommen. Väterlicherseits sei niemand mehr in Tschetschenien. Ferner gab der Beschwerdeführer über Hinweis, dass es ihm auch freistünde, nicht mehr in die Kaukasusgebiete zurückzukehren und anderswo in Russland Aufenthalt zu nehmen, an, dass dort auch die Kadyrov-Leute seien und könnten ihn diese auch mitnehmen. Befragt, warum er im Jahre 2004 sein Heimatland verlassen habe, gab er an, dass deren Leben aufgrund des Krieges bedroht gewesen sei. Sein Vater und seine Brüder hätten im Krieg gegen die Russen gekämpft.

5. Mit Eingabe vom 04.06.2019 wurde eine Stellungnahme durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers übermittelt.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2020 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetz nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde ihm der Status des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFAV-VG auf Dauer unzulässig erklärt. Gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm. § 55 AsylG wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG erteilt (Spruchpunkt IV.).

Begründet wurde die Entscheidung zusammenfassend damit, dass aufgrund der Tatsache, dass die Voraussetzungen, die zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Die Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers hätten sich seit seiner Asylzuerkennung nachhaltig geändert und sei auch bei seine Mutter ein Asylaberkennungsverfahren anhängig bzw. wurde dieser bereits der Flüchtlingsstatus aberkannt. Dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich, den Schutz des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitze. Beweiswürdigend führte die Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer nur im Rahmen des Familienverfahrens der Asylstatus gewährt worden sei, wobei auch bei seiner Mutter ein Asylaberkennungsverfahren anhängig sei. Nicht nachvollziehbar sei, warum der Beschwerdeführer einer Verfolgung ausgesetzt sein solle, zumal er als Kind sein Heimatland verlassen habe, während seine Großmutter väterlicherseits im Juni 2019 freiwillig zurückgekehrt sei, was gegen die Glaubhaftigkeit einer Verfolgung wegen seines Vaters spreche, zumal seine Großmutter auch den gleichen Familiennamen wie der Beschwerdeführer trage. Des Weiteren würden sich weitere Familienangehörige in seinem Heimatland aufhalten, unter anderem seine Großmutter mütterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits sowie eine Tante väterlicherseits. Es sei nicht ersichtlich, warum sich nicht auch der Beschwerdeführer dort aufhalten können sollte und habe er selbst angegeben, dass der Krieg bereits zu Ende sei. Ergänzend werde noch angeführt, dass sich aus den Angaben seiner Mutter ergeben habe, dass der Beschwerdeführer noch eine weitere Tante väterlicherseits und mütterlicherseits in seinem Heimatland habe. Dass eine Tante väterlicherseits nach Österreich gekommen wäre, weil vor kurzem deren Sohn von den Kadyrow geschlagen worden wäre, sei nicht glaubhaft, zumal diese bereits vor etwa zwei Jahren nach Österreich und nicht vor kurzem gekommen seien. Eine begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Falle seiner Rückkehr könne zum Entscheidungszeitpunkt somit nicht festgestellt werden, weshalb dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft wieder abzuerkennen sei. Neue Gründe für eine Zuerkennung habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft vorgebracht und seien im Aberkennungsverfahren auch nicht hervorgekommen. Die von seiner bevollmächtigten Vertretung eingebrachte schriftliche Stellungnahme sei auch nicht geeignet, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen. Das Bundesamt verkenne nicht, dass es in Tschetschenien zu Menschenrechtsverletzungen komme oder kommen könne, jedoch sei trotzdem eine wesentliche Verbesserung der Sicherheitslage in Tschetschenien seit der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten erkennbar. Die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen sei über die Jahre hinweg deutlich gesunken. Der allgemeine Umfang und die Intensität des Konfliktes seien rückläufig, weshalb es zu einem Rückzug russischer Truppen aus Tschetschenien gekommen sei. Wie aus den Feststellungen ersichtlich, gebe es derzeit keine Hinweise, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Auch würden sich mehrere Familienangehörige des Beschwerdeführers in Tschetschenien aufhalten und könnten diese dort leben und sei nicht ersichtlich, warum der Beschwerdeführer nicht auch dort leben könne. Im Ergebnis liege daher kein Grund vor, dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten weiter zu gewähren, weil ihm im Fall seiner Rückkehr weder eine Gefahr aufgrund der allgemeinen Lage noch eine sonstige Gefahr seiner körperlichen Integrität betreffend drohe. Hinweise auf das sonstige Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, sonstige Elementarereignisse) würden nicht vorliegen, zumal der Beschwerdeführer ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann sei, weshalb davon auszugehen sei, dass er für seinen Lebensunterhalt sorgen könne. Auch habe er familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat von denen er im Bedarfsfall Unterstützung erwarten könne. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens folgerte die Behörde, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahre 2005 in Österreich auffällig sei. Während seines etwa fünfzehnjährigen Aufenthalts habe er die Volksschule bzw. Hauptschule sowie mehrere Kurse besucht. Derzeit beziehe er Arbeitslosengeld. Der Beschwerdeführer sei während seines Aufenthalts in Österreich straffällig und im Februar 2011 und im Juni 2013 als Jugendlicher vom Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilt worden.

Im gegenständlichen Fall überwiege jedoch, aufgrund der festgestellten Umstände in einer Gesamtabwägung aller Umstände, insbesondere im Hinblick die lange, etwa 15-jährige Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich, dennoch die privaten/familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Es könne zwar mit Blick auf die lange Dauer seines Aufenthalts nicht von einem erreichten hohen Maß der Integration, vor allem in der Beschäftigung, ausgegangen werden, jedoch könne angesichts der vorhandenen Deutschkenntnisse, der im Bundesgebiet absolvierten Schulbildung, und der verschiedenen Teilnahmen an Kursen, auch nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hätte, um sich zu integrieren bzw. weiterzubilden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in Österreich seine engsten verwandtschaftlichen Bezugspersonen habe, zumal sich seine Mutter und seine beiden Schwestern in Österreich befinden würden. Der Beschwerdeführer sei zwar im Februar 2011 (versuchter Raub, Körperverletzung) und im Juni 2013 (Diebstahl, versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt) vom Landesgericht zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bzw. sechs Monaten, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden, jedoch sei es in den folgenden sieben Jahre zu keiner Verurteilung mehr gekommen. Angesichts seines langjährigen Aufenthalts, etwa fünfzehn Jahre, den Schulbesuchen im Bundesgebiet, der vorhandenen Deutschkenntnisse, seiner verwandtschaftlichen Beziehungen und vor allem, weil es die letzten sieben Jahre zu keiner gerichtlichen Verurteilung mehr gekommen sei, falle das, wenn auch hinsichtlich seines Unrechtsgehalts nicht zu verharmlosende, strafrechtswidrige Fehlverhalten nicht entscheidungsmaßgeblich ins Gewicht. In diesem Zusammenhang sei noch festzuhalten, dass das Strafgericht offensichtlich die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe gegen seine Person aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht als erforderlich angesehen habe. Wenn auch das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit nicht verkannt werde, so sei zu berücksichtigen, dass es während seines rund fünfzehnjährigen Aufenthaltes bislang nur zu den beiden Verurteilungen im Februar 2011 bzw. Juni 2013 gekommen sei, welche zur Verhängung einer lediglich bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafgeführt habe. Es sei demnach zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens als schützenswert anzusehen und überwiege derzeit im konkreten Einzelfall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen. Daher würden die Voraussetzungen für eine Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 fallgegenständlich vorliegen. Der Beschwerdeführer habe weder einen Deutsch-Integrationskurs besucht, noch habe er einen Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse vorgelegt. Ebensowenig verfüge er über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspreche. Der Beschwerdeführer gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, mit deren Einkommen er die monatliche Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG, dh. 425,70 € im Monat, erreichen würde. Dem Beschwerdeführer sei daher die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG zu erteilen.

7. Mit Schriftsatz vom 04.02.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, in vollen Umfang. Dabei wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in Österreich sozialisiert sei und mit seiner Kernfamilie, seiner Schwester und seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt lebe. Am 23.06.2014 habe er die Pflichtschule positiv abgeschlossen, weshalb der Beschwerdeführer das in § 10 Abs. 2 Z 5 IntG genannte Modul 2 der Integrationsvereinbarung, einen mindesten fünfjähriger Besuch einer Pflichtschule in Österreich und die positive Absolvierung des Unterrichtsfachs „Deutsch“, erfüllt habe, weshalb ihm gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG die „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen gewesen wäre. Der Beschwerde beigelegt wurde die Kopie eines positiv bestandenes Externistenprüfungszeugnisses über die 4. Klasse (8. Schulstufe) vom 23.06.2014.

8. Am 25.09.2020 wurde eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines Dolmetsch vor dem BVwG durchgeführt. Der BF zog seine Beschwerde zu Spruchpunkt II. des gegenständlichen Bescheides zurück und bracht ergänzend vor, dass er über fünf Jahre eine Pflichtschule besucht habe und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv absolviert habe. Er beantrage daher weiterhin einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gem. § 55 AsylG. Der Richter gewährte eine Frist zur Vorlage der Zeugnisse.

9. Mit Schreiben vom 25.09.2020 wurden Schulzeugnisse beginnend vom Schuljahr 2004/2005 bis 2010/2011 vorgelegt.

10. Am 20.10.2020 erfolgte eine weitere mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines Dolmetsch vor dem BVwG. Der BF zog in Rahmen der Verhandlung seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des gegenständlichen Bescheides zurück. Bekräftigte, dass keine Beschwerde gegen Spruchpunkt III. erhoben wurde. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. richtet sich nicht gegen die Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, sondern gegen die Nichtgewährung des Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“. Nur in diesem Spruchteil bleibe die Beschwerde aufrecht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste im Jahr 2005 gemeinsam mit seiner Mutter illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.01.2005 durch seine damalige gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf Asylerstreckung, dem mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.04.2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer im Rahmen des Familienverfahren (bezogen auf das Verfahren seiner Mutter) durch Erstreckung Asyl in Österreich gewährt wurde.

Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 02.02.2011, rechtskräftig per 02.02.2011, Zahl: 142 HV 162/2010z, wegen §§ 15, 142 Abs. 1, 83 Abs. 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre;

Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12.06.2013, Zahl: 152 HV 79/2013x, rechtskräftig per 12.06.2013, wegen §§ 127, 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt. Beide Verurteilungen auf Bewährung.

Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer lebte in Österreich in einer Gemeindewohnung. In Österreich sind die Mutter und die beiden Geschwister des Beschwerdeführers aufhältig. Darüber hinaus halten sich die Großmutter väterlicherseits, ein Onkel väterlicherseits und zwei Tanten väterlicherseits sowie deren Kinder, in Österreich auf. Der Beschwerdeführer hat sich während seines langjährigen Aufenthaltes Deutschkenntnisse angeeignet. Der BF besuchte zweimal die 3. Klasse Volksschule. Die vierte Klasse Volksschule besuchte der BF in Wien, der Pflichtgegenstand Deutsch, Lesen, Schreiben wurde mit 3 benotet. Der BF besuchte weiters die erste bis vierte Klasse einer Hauptschule/Kooperativen Mittelschule in Wien. Der BF schloss die Klassen im Pflichtgegenstand Deutsch, jeweils positiv ab, in anderen Gegenständen war er negativ. Der BF legte auch eine Externistenprüfung über die 4. Klasse der Hauptschule in allen Gegenständen positiv ab.

Der BF absolviert zurzeit eine Schnelllehre beim BFI als Bauspengler. Er erhält dafür ca. € 850,- im Monat. Der 24jährige Beschwerdeführer arbeitete einen Monat lang als Hilfsarbeiter und ca. zwei bis drei Monate als Lagerarbeiter.

Der Beschwerdeführer hat Freunde im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.

Der BF hat Verwandte in seinem Herkunftsstaat.

Der BF ist gesund.

2. Beweiswürdigung:

Die Beweiswürdigung ergibt sich aus dem Akteninhalt, der niederschriftlichen Einvernahme vom 03.04.2019, der Stellungnahme des BF vom 04.06.2019 und der mündlichen Verhandlung am 25.09.2020 und 20.10.2020 vor dem BVwG.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Aufgrund seiner vorgelegten Urkunden (Konventionsreisepass) und stringenten Angaben vor dem BFA und dem Gericht, stehen die im Spruch angeführten Personalien fest.

Die Feststellungen zu seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, seinem Familienstand, seiner Ausbildung sowie seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den glaubhaften und gleichbleibenden Angaben im Zuge des gesamten Verfahrens. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Deutsch spricht, ergibt sich aus der Tatsache, dass der BF die Einvernahmen vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht in deutscher Sprache durchgeführt hat. Der BF hat in allen vorgelegten Pflichtschul-Zeugnissen, seit Beurteilung, den Pflichtgegenstand Deutsch positiv absolviert und auch im Externistenzeugnis den Pflichtgegenstand Deutsch positiv absolviert. Sodass das Gericht davon ausgehen kann, dass der BF zumindest fünf Jahre die Pflichtschule besucht hat und den Pflichtgegenstand „Deutsch“ positiv absolviert hat. Der BF besuchte die Pflichtschule vom Schuljahr 2004/2005 durchgehend bis zum Schuljahr 2010/2011 (vorgelegte Zeugnisse und Erörterung in der Verhandlung). Der Pflichtgegenstand Deutsch wurde seit dem Schuljahr 2006/2007 positiv beurteilt.

Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers, sowie seiner Familienangehörigen in Österreich und in Tschetschenien (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls v. 25.09.2020) gründen sich auf den gleichbleibenden und damit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus seinen diesbezüglich Aussagen in den niederschriftlichen Einvernahmen und seinen Aussagen vor dem BVwG.

Die Feststellungen der Einreise, der Antragsstellung sowie der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Verwaltungsakt, seinem Zuerkennungsbescheid vom 03.01.2005, Aktenzahl 05 00.058-BAE und den amtswegigen Ermittlungsverfahren dazu.

2.2 Die Feststellungen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie den im Akt einliegenden Urteilsausfertigungen.

2.3. Seine sozialen Kontakte, ergeben sich aus der Aussage des BF, indem er zwar angab, viele Österreicher zu kennen und deswegen so gut Deutsch sprechen zu können. Die Kontakte mit seiner Familie ergeben sich aus den Einvernahmen vor dem BFA und dem Gericht (Seite 6 und 7 des Verhandlungsprotokolls)

3. Rechtliche Beurteilung:

I. Einstellung des Verfahrens zu Spruchpunkt I. – II.

3.2. Zurückziehung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. – II.

Gemäß § 7 Abs 2 VwGVG ist eine Beschwerde nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat. Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6). Dasselbe erfolgt sinngemäß aus § 17 VwGVG iVm § 13 Abs 7 AVG.

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Berufung zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl zB VwGH 22.11.2005, 2005/05/0320, zur insofern auf die Rechtslage nach dem VwGVG übertragbaren Judikatur zum AVG).

In welchen Fällen "das Verfahren einzustellen" ist (§ 28 Abs 1 VwGVG), regelt das VwGVG nicht ausdrücklich. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 [2018] § 28 VwGVG, Anm 5).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im Regime des VwGVG die Zurückziehung einer Beschwerde zulässig (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047) und wird diese mit dem Zeitpunkt ihres Einlangens beim Verwaltungsgericht wirksam. Ab diesem Zeitpunkt ist - mangels einer aufrechten Beschwerde - die Pflicht des Verwaltungsgerichts zur inhaltlichen Entscheidung weggefallen (siehe Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 7 K 6). Allerdings ist das Verfahren diesfalls gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss einzustellen, dieser Beschluss ist allen Verfahrensparteien zur Kenntnis zu bringen (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Auf Grund der Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchpunkt I. – II des gegenständlichen Bescheides, also ausdrücklich zu den Punkten der Aberkennung des Status als Asylberechtigter und keine Zuerkennung eines Status als subsidiär Schutzberechtigten, im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 20.10.2020, ist das Beschwerdeverfahren betreffend die Spruchpunkte I., und II., des gegenständlichen Bescheides vom 09.01.2020 mit Beschluss einzustellen.

Gegen Spruchpunkt III wurde keine Beschwerde erhoben.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:

B) I. Zur Frage der Rückkehrentscheidung:

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist weder ein begünstigter Drittstaatsangehöriger noch kommt ihm ein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Im Hinblick auf § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG ist festzuhalten, dass bei jeder Rückkehrentscheidung auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Asylwerbers nach Art. 8 Abs. 1 EMRK Bedacht zu nehmen ist, wobei in diesem Zusammenhang Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs erfordert und somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen verlangt (vgl. VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, S. 282ff).

Im vorliegenden Fall wurde mit gegenständlichen Bescheid festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Der BF ist nunmehr seit über 10 Jahren in Österreich. Er absolvierte die Volksschule und die vier Klassen der Hauptschule/kooperative Mittelschule und schloss die Pflichtschule mit der Externistenprüfung positiv in allen Gegenständen ab. Er ging einer Beschäftigung nach und absolviert zurzeit eine Schnelllehre. Seine Kernfamilie befindet sich ebenfalls in Österreich. Sodass ein Überwiegen seines Interesses am Verbleib in Österreich durch die Behörde richtig festgestellt wurde. Seine zweimaligen strafrechtlichen Verurteilungen mindern zwar das Interesse, aufgrund seines Wohlverhaltens seit über sieben Jahren, mag sein Interesse nur gering beeinträchtigt werden bzw. das öffentliche Interesse an Beendigung seines Aufenthaltes nur gering erhöhen, wenngleich das Fehlverhalten nicht zu verharmlosen ist.

Sodass insgesamt die Behörde zu Recht ein Überwiegen seines Interesses am Verbleib in Österreich gegenüber dem öffentlichen Interesse einer Beendigung seines Aufenthaltes in Österreich festgestellt hat. Es ist daher die Rückkehrentscheidung aufgrund des Interesse nach Art 8 EMRK auf Dauer unzulässig.
Im Rahmen der eingebrachten Beschwerde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 20.10.2020 wurde die Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. dahingehend eingeschränkt, dass er sich gegen die Nichterteilung einer Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 richtet.

Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg. cit. eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

Modul 2 der Integrationsvereinbarung:

§ 10 Abs. 1 und 2 des IntG lautet:

§ 10. (1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) müssen mit der Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 45 NAG das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben.

(2) Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 12 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 18, BGBl. I Nr. 41/2019)

3. minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (§ 3 Abs. 3 Schulorganisationsgesetz (SchOG), BGBl. Nr. 242/1962) besucht oder im vorangegangenen Semester besucht hat,

4. minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Sekundarschule (§ 3 Abs. 4 SchOG) besucht und die positive Beurteilung im Unterrichtsgegenstand „Deutsch“ durch das zuletzt ausgestellte Jahreszeugnis oder die zuletzt ausgestellte Schulnachricht nachweist,

5. einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule in Österreich nachweist und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat oder das Unterrichtsfach „Deutsch“ auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat oder eine positive Beurteilung im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung gemäß Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2012 nachweist,

6. einen positiven Abschluss im Unterrichtsfach „Deutsch“ nach zumindest vierjährigem Unterricht in der deutschen Sprache an einer ausländischen Sekundarschule nachweist,

7. über eine Lehrabschlussprüfung gemäß dem Berufsausbildungsgesetz, BGBl. Nr. 142/1969, oder eine Facharbeiterprüfung gemäß den Land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsgesetzen der Länder verfügt oder

8. mindestens zwei Jahre an einer postsekundären Bildungseinrichtung inskribiert war, ein Studienfach mit Unterrichtssprache Deutsch belegt hat und in diesem einen entsprechenden Studienerfolg im Umfang von mindestens 32 ECTS-Anrechnungspunkten (16 Semesterstunden) nachweist bzw. über einen entsprechenden postsekundären Studienabschluss verfügt.

Der Beschwerdeführer besuchte vom Schuljahr 2004/2005 bis zum Schuljahr 2010/2011 die Pflichtschule in Österreich. Er wurde im ersten Schuljahr 2004/2005 nicht beurteilt. Im Schuljahr 2005/2006 teilweise beurteilt. Ab dem Schuljahr 2006/2007 in allen Gegenständen beurteilt (Jahreszeugnis 2006/2007). Er besuchte somit 7 Jahre die Pflichtschule und wurde alle Jahre durchgehend positiv in Deutsch beurteilt. Die 8. Schulstufe hat er durch das Externistenprüfungszeugnis vom 23.06.2014 in allen Fächern positiv absolviert.

Sodass der BF einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule nachwies und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 im Falle des Beschwerdeführers in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer diesen betreffenden Rückkehrentscheidung gegeben ist, war dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu gewähren und spruchgemäß zu entscheiden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu C) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen in Hinblick auf die Aberkennung des Status als Asylberechtigter auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Verfahrenseinstellung Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W272.2228615.1.00

Im RIS seit

09.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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