TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W240 2130373-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

AsylG 2005 §4a
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W240 2130373-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2020, Zl. 1107564708/200500332, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF), ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 05.03.2016 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Zu seiner Person liegen ein EURODAC Treffer der Kategorie zwei vom 18.02.2016 zu Italien und zwei EURODAC-Treffermeldungen jeweils der Kategorie 1 (Asylantragstellung) zu Italien vom 08.11.2016 und vom 10.01.2017 vor.

2.       Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.03.2016 gab der Beschwerdeführer eingangs an, Somalisch als Muttersprache zu haben und acht Jahre in Äthiopien die Schule besucht zu haben. Dann führte er im Wesentlichen aus, er habe seinen Wohnort im April 2015 verlassen und sei Mitte Feber 2016 nach Italien gelangt. Er sei nicht solange in Italien aufhältig gewesen, deshalb könne er nichts dazu angeben. Wissentlich habe er in keinem anderen Land um Asyl angesucht, ihm seien aber die Fingerabdrücke in Italien abgenommen worden. Er habe wegen des Krieges Somalia verlassen müssen und sei nach Äthiopien geflüchtet. Auch dort hätte es Probleme gegeben, weil sie keinen legalen Aufenthalt gehabt hätten, deshalb sei er nach Europa geflüchtet. Sonstige Fluchtgründe habe er keine.

Beim Beschwerdeführer wurde sodann am 16.03.2016 eine Bestimmung des Knochenalters mit dem Ergebnis „Finalstadium Schmeling 3, GP 30“ durchgeführt.

3.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 01.04.2016 ein auf Art°13°Abs. 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.

Mit Schreiben vom 25.05.2016 stimmte Italien der Aufnahme gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin°III-°VO ausdrücklich zu.

Aus dem medizinischen Sachverständigengutachten vom XXXX .2016 ergibt sich ein festgestelltes Mindestalter des Beschwerdeführers zum Asylantragsdatum von 18,9 Jahren und der XXXX als spätmöglichstes fiktives Geburtsdatum. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) stellte in der Folge mit Verfahrensanordnung vom XXXX die Volljährigkeit des Beschwerdeführers fest.

4.       Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 07.07.2016, an der auch ein Rechtsberater teilnahm, gab der Beschwerdeführer an, er habe sein richtiges Alter bereits bei der Erstbefragung angegeben und erkenne sein festgestelltes Geburtsdatum nicht an. Sein richtiges Alter wisse er von seiner Mutter. Familienmitglieder oder sonstige Verwandte habe er in Österreich nicht, nach Italien wolle er nicht zurück. Er habe in Österreich um Asyl angesucht und er wolle hierbleiben.

5.       Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 05.03.2016 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gem. Art.°13°Abs. 1 Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gem. § 61 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass gem. § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass Italien jenes Land der Europäischen Union sei, über welches die illegale Einreise des Beschwerdeführers in die Europäische Union erfolgt sei. Zudem habe Italien der Aufnahme ausdrücklich zugestimmt. Eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich würden ebenso wenig bestehen wie besonders gewichtige Interessen an einem Verbleib in Österreich vorliegen würden.

Mit Schreiben vom 12.07.2016 teilte die österreichische Dublinbehörde Italien mit, dass der Beschwerdeführer bei Asylantragstellung in Österreich bereits volljährig gewesen sei und schickte das diesbezügliche medizinische Gutachten.

6.       Gegen den Bescheid richtete sich die fristgerecht am 13.07.2016 durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eingebrachte Beschwerde, worin im Wesentlichen geltend gemacht wurde, dass bekanntlich gegenüber Flüchtlingen von den italienischen Behörden eine grundsätzliche Gleichgültigkeit an den Tag gelegt werde. Es komme zu einer systematischen, notorischen Verletzung fundamentaler Menschenrechte. In Italien bestehe ein aggressives, feindliches Klima gegenüber Fremden. Die aktuellen politischen Geschehnisse und die Kapazitätsprobleme hätten die Situation in Italien massiv verschärft. Mangelnde Versorgung und die Verweigerung von Unterkunftsmöglichkeiten seien Realität. Die belangte Behörde, habe sich mit der geschildeten Gefahr nicht ausreichend auseinandergesetzt und beabsichtige die Abschiebung zuzulassen, obwohl der Beschwerdeführer ernstlich Gefahr laufe, dadurch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworden zu werden.

7.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.10.2016, wurde die Beschwerde gem. § 5 AsylG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen und ausgeführt, dass keine konkreten Gründe vorliegen, die die Zuständigkeit Italiens verneinen würden.

8.       Nunmehr stellte der Beschwerdeführer am 17.06.2020 einen weiteren (den gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde am 17.06.2020 im Rahmen der Erstbefragung aufgrund des neuerlichen Antrages in Österreich von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zu Protokoll, eine Ehefrau und eine achtmonatige Tochter in Österreich zu haben. Er habe in Italien einen Negativbescheid erhalten und sei von Österreich nach Italien zurückgewiesen worden. In Italien sei es nicht gut für ihn, da er hier mit seiner Familie leben wolle.

9.       Das BFA richtete am 22.06.2020 ein auf Art.°18°Abs.°1°lit.°d Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien.

Mit Schreiben vom 26.06.2020 teilte Italien mit, dass Italien gem. Dublin III-VO nicht zuständig sei, da dem Beschwerdeführer in Italien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei.

10.      Nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit eines Rechtsberaters erfolgte am 23.07.2020 die niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA. Hierbei gab der Beschwerdeführer an, derzeit keine identitätsbezeugenden Dokumente zu haben. Er habe von Italien ein Dokument bekommen, ein Permesso di Soggiorno, das laufe aber alle sechs Monate ab. Er habe sein aktuelles Permesso aber verloren und habe daher derzeit gar nichts. In Österreich sei seine Frau aufhältig. Mit seiner Frau sei er nur traditionell verheiratet. Er habe sie in Libyen kennen gelernt im Dezember 2015. Nach dem Kennenlernen seien sie von Libyen nach Italien gereist, hätten dann allerdings den Kontakt verloren. Er sei allein untergebracht worden und sei dann im März 2016 alleine nach Österreich gekommen und habe hier einen Asylantrag gestellt. Sieben Monate später sei er nach Italien abgeschoben worden. Seine Frau sei im April 2016 nach Österreich gekommen und sie hätten sich hier wieder getroffen. Nach seiner Abschiebung nach Italien hätten sie telefonischen Kontakt gehabt. Im Jänner 2019 sei er nochmals nach Österreich gekommen, sie hätten wie Mann und Frau zusammengelebt und eine Beziehung gehabt. Er sei drei Tage hier gewesen und dann wieder nach Italien gegangen. In diesen drei Tagen sei seine Frau schwanger geworden. Vor seiner abermaligen Einreise nach Österreich am 17.06.2020 habe er seine Frau zuletzt gesehen, als er am XXXX .2019 wieder nach Wien gereist sei. Er sei etwa fünf Tage hiergeblieben und dann wieder nach Italien zurückgereist. Befragt, wann er das erste Mal seine Tochter gesehen habe, gab der Beschwerdeführer den XXXX .2019 an. Darauf hingewiesen, dass eine Tochter im XXXX 2019 zur Welt gekommen sei, erklärte der Beschwerdeführer er habe mit seiner Frau damals telefoniert, aber er habe nicht kommen können. Es sei ihnen gesagt worden, dass er hier sein müsse, deshalb habe seine Tochter den Namen seiner Frau bekommen, als er nach Österreich gekommen sei, habe er das geändert. Obsorgeberechtigt seien sowohl er als auch seine Frau. Nachgefragt, inwieweit er zum Unterhalt seiner Tochter beitrage, erklärte der Beschwerdeführer, der Staat besorge das momentan, er habe nicht einmal für sich selbst eine Grundversorgung derzeit. Sie seien eine ganz normale Familie und würden zusammen in einem Haus wohnen, derzeit würden sie alle drei vom Staat leben, seine Frau besuche derzeit die Hauptschule. Befragt, inwieweit er zur Pflege und Betreuung seiner Tochter beitrage, erklärte der Beschwerdeführer er habe keine Dokumente und keine Arbeitserlaubnis in Österreich, er wolle arbeiten und für seine Familie sorgen können, das sei sein Ziel. Die deutsche Sprache könne er ein bisschen verstehen, aber nicht viel. Er sei kein Mitglied eines Vereines oder einer sonstigen Organisation. Bindungen in Österreich habe er nur zu seiner Familie. Sodann wurde dem Beschwerdeführer erklärt, dass beabsichtigt werde, seinen gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG zurückzuweisen und ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien auszuweisen. Dazu gab der Beschwerdeführer an, er habe in Österreich eine Familie. Er sei im Jahr 2016 nach Österreich gekommen und sei nach sieben Monaten nach Italien abgeschoben worden. Nachdem er in Italien angekommen sei, habe er zwei Monate auf der Straße gelebt und sei danach wieder in eine Unterkunft gebracht worden. Dann sei ihm ein Permesso di Soggiorno für sechs Monate gegeben worden. Er müsse in Italien unbedingt eine Wohnung und eine Adresse haben, sonst könne er nicht arbeiten. Das sei gerade das Problem in Italien. Er wolle mit seiner Familie in Österreich leben. Insgesamt habe er sich drei Jahre in Italien aufgehalten. Nachgefragt, ob es konkret ihn betreffende Vorfälle in Italien gegeben habe, erklärte der Beschwerdeführer sein größtes Problem sei, dass er dort keine Unterkunft habe. Er müsse immer auf der Straße leben oder bei Freunden schlafen. Ohne Wohnung und Adresse sei es schwer dort zu leben, weil man ohne Adresse keine Arbeit und auch sonst nichts bekomme. Er habe deshalb mehrere Probleme gehabt, deshalb wolle er hier in Österreich bleiben.

11.      Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 27.07.2020 wurde der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Österreich gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Italien zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt sowie die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Italien traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Keine aktuellen Kurzinformationen vorhanden.

Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Im Oktober 2018 gab es mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 (auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) einige legislative Änderungen (siehe dazu insbesondere Abschnitte 6. und 7. in diesem LIB, Anm.):

(…)

Mit Stand 27. September 2019 waren in Italien 49.014 Personen in einem Asylerfahren, davon haben 26.240 Personen ihren Asylantrag im Jahr 2019 gestellt (MdI 27.9.2019).

Im Jahre 2019 haben die italienischen Asylbehörden bis zum 7. Juni 42.916 Asylentscheidungen getroffen, davon erhielten 4.605 Personen Flüchtlingsstatus, 2.790 subsidiären Schutz, 672 humanitären Schutz, 2.340 waren unauffindbar und 32.304 wurden negativ entschieden (MdI 7.6.2019). Mit Anfang Oktober 2019 waren in Italien 50.298 Asylanträge anhängig (SN 2.10.2019).

Die Asylverfahren nehmen, inklusive Beschwerdephase, bis zu zwei Jahre in Anspruch (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

- MdI – Ministero dell‘Interno (27.9.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

- MdI – Ministero dell‘Interno (7.6.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, https://www.camera.it/application/xmanager/projects/leg18/attachments/upload_file_doc_acquisiti/pdfs/000/001/795/REPORT_FINO_AL_07.06.2019_.pdf, Zugriff 24.9.2019

- SN – Salzburger Nachrichten (2.10.2019): Zahl der Migrantenankünfte in Italien 2019 stark rückläufig, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/zahl-der-migrantenankuenfte-in-italien-2019-stark-ruecklaeufig-77097958, Zugriff: 9.10.2019

- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

Dublin-Rückkehrer

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Mit dieser ist dann ein Termin zu vereinbaren. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 4.2019).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch. Der Rückkehrer könnte aber auch als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert werden. Derartige Fälle wurden 2018 vom Flughafen Mailand Malpensa berichtet (AIDA 4.2019).
2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann der Rückkehrer binnen 12 Monaten ab Suspendierung einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann nur ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 4.2019).

3. Wurde das Verfahren des Antragstellers in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 4.2019). (Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.2. „Dublin-Rückkehrer“, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019). (für nähere Informationen zu diesem Thema siehe Abschnitt 7. “Schutzberechtigte”, Anm.) Wenn Dublin-Rückkehrer im Besitz eines humanitären Aufenthaltes waren, der nicht fristgerecht in einen der neuen Aufenthaltstitel umgewandelt wurde, sind sie zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt und damit von der Versorgung ausgeschlossen (SFH 8.5.2019).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

-VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

-VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Unbegleitete minderjährige Asylwerber / Vulnerable

In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifikationsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Es gibt lediglich Leitfäden des Gesundheitsministeriums zu ihrer Unterstützung und sie werden im Verfahren prioritär behandelt. Die Identifizierung von Gewaltopfern ist in jeder Phase des Verfahrens durch Beamte, Betreuer oder NGOs möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einem Folteropfer zu tun zu haben, kann er die betreffende Person speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung sicherzustellen. Die NGOs Ärzte ohne Grenzen und Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) betreiben gemeinsam in Rom ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern, welche ohne Unterstützung Schwierigkeiten hätten, als Vulnerable behandelt zu werden (AIDA 4.2019).

Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Gemäß Gesetz 47/2017 kann in Ermangelung von Ausweispapieren und bei Zweifeln am Alter des Antragstellers die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine soziale/medizinische Untersuchung zur Altersfeststellung anordnen. Die Untersuchung ist im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchzuführen, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist der Antragsteller als Minderjähriger zu behandeln und im Zweifel ist die Minderjährigkeit anzunehmen. NGOs zufolge wird Gesetz 47/2017 aber nicht effektiv umgesetzt und das Alter lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt (AIDA 4.2019).

Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am zuständigen Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit dieses einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens zuständig ist (bei negativem Ausgang auch darüber hinaus). Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden. Bis zur Bestellung des Vormunds kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Ein Vormund kann maximal drei Minderjährige gleichzeitig betreuen. Derzeit ist die gebräuchlichste Vorgehensweise, dass der Bürgermeister der Gemeinde, in der der UM untergebracht ist, als Vormund eingesetzt wird und er diese Aufgabe an Personen innerhalb der Gemeinde delegiert, die mit sozialen Aufgaben betraut sind. Letztere betreuen häufig viele andere Personen in der Gemeinde und können aufgrund von Überlastung ihr Mandat nicht ordentlich wahrnehmen (AIDA 4.2019).

Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Ein Gesundheitscheck bei der Erstaufnahme ist vorgesehen, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können (AIDA 4.2019).

Durch die Änderungen mit Gesetz 132/2018 werden vulnerable Asylwerber, mit Ausnahme von UMA, seit Oktober 2018 in den Unterbringungszentren der ersten Stufe (Erstaufnahme) untergebracht. Durch die Gesetzesänderungen wurde die Finanzierung für die Erstaufnahme reduziert, wodurch NGOs die Identifizierung und Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse gefährdet sehen. Familien können nur dann aus der Erstaufnahme in das SIPROIMI-System transferiert werden, wenn zumindest ein Familienmitglied einen entsprechenden Schutztitel erhalten hat. Der Transfer hängt aber von mehreren Faktoren ab, wie Familienzusammensetzung, Vulnerabilität, gesundheitlichen Problemen und dem Platzangebot im SIPROIMI. Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für die Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Eingespart wird unter anderem psychologische Betreuung, welche nurmehr in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist, Rechtsberatung und kulturelle Mediation. Leistungen für Vulnerable werden auf rein freiwillige Angebote reduziert (AIDA 4.2019). Dass in der neuen Ausschreibung keine Mittel vorgesehen sind, die zur Bewältigung spezifischer psychischer und gesundheitlicher Probleme erforderlich sind, ist Gegenstand der Kritik. Der Mangel an medizinischem und psychologischem (Fach-)Personal in diesen Zentren erlaubt laut NGO-Einschätzung weder die Identifizierung vulnerabler Personen noch deren angemessene Betreuung und Behandlung, weswegen angezweifelt wird, dass der Zugang zu adäquater medizinischer und psychologischer Versorgung in Italien sichergestellt ist (SFH 8.5.2019; für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3. „Medizinische Versorgung“, Anm.).

Bei UMA ist bei der Unterbringung das beste Interesse des Kindes durch Gespräche zu evaluieren und zu berücksichtigen. Alle UM, auch asylwerbende, haben Zugang zu SIPROIMI. Minderjährige, die in SIPROIMI das Erwachsenenalter erreichen, können dort bis zur finalen Entscheidung in ihrem Asylverfahren bleiben. UM, die internationalen Schutz erhalten, können noch für weitere sechs Monate im SIPROIMI bleiben (AIDA 4.2019).

Ende 2018 waren in Italien 1.374 Einrichtungen nur für UM reserviert. In ihnen waren 10.787 UM untergebracht; ca. 68% davon in Einrichtungen der 2. Linie (darunter SIPROIMI) und rund 28% in Erstaufnahmezentren (AIDA 4.2019).

Für Jänner 2019 werden 3.730 Plätze für UM in 155 SIPROIMI-Einrichtungen berichtet. NGOs kritisieren dies als zu wenig angesichts des Bedarfs (AIDA 4.2019).

Wenn es im SIPROIMI zu wenig Plätze gibt, können UM für max. 30 Tage in eigenen Erstaufnahmezentren für UM untergebracht werden. Dieses Zeitlimit wird Berichten zufolge immer wieder überschritten. UM dürfen nicht in Unterbringungszentren für Erwachsene oder Schubhaftzentren untergebracht werden. Dennoch ist es 2017 und 2018 vorgekommen, dass UM in Zentren für Erwachsene oder gar nicht untergebracht wurden (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über Probleme bei der Überweisung Vulnerabler und unbegleiteter Minderjähriger an geeignete Einrichtungen (USDOS 13.3.2019).

In Italien herrscht Schulpflicht für Minderjährige bis zum Alter von 16 Jahren, unabhängig vom rechtlichen Status. Sie haben Zugang zu öffentlichen Schulen wie italienische Minderjährige. Der Einstieg ist zu jeder Zeit des Schuljahres möglich. Über 16-jährige können die Schule besuchen, wenn sie entsprechende eigenständige Vorbereitung auf den zu bewältigenden Stoff zeigen. Es gibt keine eigenen Klassen für Ausländer und der Ausländeranteil in den Klassen ist auf 30% begrenzt. Unterstützung beim Erwerb der Landessprache ist für die Schulen nicht verpflichtend, aber möglich (AIDA 4.2019).

Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2019 bis 7. Juni 312 unbegleitete minderjährige Asylwerber im Land registriert. Mit selbem Datum waren 1.241 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige), 308 Personen erhielten Flüchtlingsstatus, 104 erhielten subsidiären Schutz, 128 erhielten humanitären Schutz. 42 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 7.6.2019).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

- MdI – Ministero dell‘Interno (7.6.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, https://www.camera.it/application/xmanager/projects/leg18/attachments/upload_file_doc_acquisiti/pdfs/000/001/795/REPORT_FINO_AL_07.06.2019_.pdf, Zugriff 22.7.2019

- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

Non-Refoulement

Medienberichten zufolge wurden 2018 über 100 auf See aufgelesene Migranten nach Libyen zurückgebracht. Italienische Gerichte haben Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen Asylverfahren der besagten Afghanen bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan annulliert (AIDA 4.2019).

Mit Gesetz 132/2018 wurde auch das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten in Italien eingeführt. Da aber bislang keine entsprechende Liste sicherer Herkunftsstaaten beschlossen wurde, wird das Konzept in der Praxis derzeit nicht angewendet (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über ignorierte Versuche Asyl zu beantragen und kollektive Kettenabschiebung nach Slowenien und weiter bis nach Bosnien-Herzegowina (AI 1.3.2019).

Quellen:

- AI – Amnesty International (1.3.2019): Italy: Refugees and migrants' rights under attack: Amnesty International submission for the UN Universal Periodic Review, 34th Session of the UPR Working Group, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007541/EUR3002372019ENGLISH.pdf, Zugriff 30.9.2019

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

Versorgung

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gibt es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wird völlig neu organisiert und nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019) und Vulnerable (mit Ausnahme von UMA) (SFH 8.5.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt ist. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

- Unterbringung, Verpflegung

- Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

- notwendige Transporte

- medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

- Hygieneprodukte

- Wäschedienst oder Waschprodukte

- Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

- Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

- Schulbedarf

- usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).

Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für die Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten). Ebenso eingespart wird psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist. Rechtsberatung und kulturelle Mediation werden reduziert (AIDA 4.2019; vgl. SFH 8.5.2019).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 4.2019). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr in Abschnitt 7. „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Nur diejenigen asylsuchenden Personen und Inhaber eines humanitären Status, denen vor dem 4. Oktober 2018 ein Platz in einem SPRAR-Zentrum zugesagt wurde, werden noch in einem SPRAR-Zentrum untergebracht (SFH 8.5.2019). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019). Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von € 35/Person/Tag auf € 21/Person/Tag senken sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019). Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, scheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019). Kritiker meinen hingegen, die neuen Vorgaben würden zu einem Abbau von Personal in den Unterbringungseinrichtungen und zur Reduzierung der gebotenen Leistungen führen. Kleinere Zentren würden unwirtschaftlich und zur Schließung gezwungen, stattdessen würden größere, kostensenkende Kollektivzentren geschaffen (SFH 8.5.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

- VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Unterbringung

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. Gemäß der Praxis in den Vorjahren erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 4.2019).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als “Hotspots” (gemäß dem sogenannten “Hotspot-approach” der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2018 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina), die zusammen 453 Migranten beherbergten. Zu Identifikationszwecken werden Migranten in den Hotspots oft wochenlang festgehalten, was Kritiker als ungesetzlich bezeichnen (AIDA 4.2019).

Erstaufnahme

Diese soll in den bereits existierenden Zentren (Centri d’accoglienza richiedenti asilo, CARA und Centri di accoglienza, CDA) und in neu festzulegenden Einrichtungen umgesetzt werden. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil erheblich. Derzeit gibt es 14 Erstaufnahmezentren, aber Anfang 2019 hat das Innenministerium verlautbart, die großen Zentren schließen und durch kleinere ersetzen zu wollen, weil diese leichter zu kontrollieren seien. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 9.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. Auch in den CAS ist der Unterbringungsstandard stark von der betreibenden Präfektur abhängig. In der Vergangenheit wurden einige CAS stark für die dortigen Zustände kritisiert. In Zukunft sollen die Ende 2018 veröffentlichten amtlichen Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen (AIDA 4.2019).

Die Erstaufnahmezentren müssen seit Oktober 2018 alle Asylsuchenden, einschliesslich Vulnerabler, mit Ausnahme von UMA, aufnehmen. Die Aufnahmezentren der ersten Stufe haben infolge der neuen Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen mit erheblichen Budgetkürzungen zu kämpfen. Diese Kürzungen führen zu einer Verringerung des Personalbestands und somit einer Verschlechterung der Betreuung der Asylsuchenden (SFH 8.5.2019).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in ein SIPROIMI. Die Erstaufnahmeeinrichtungen bieten keine Integrationsprojekte, wie Berufsorientierung, etc. (AIDA 4.2019).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Abschnitt 7. “Schutzberechtigte”, Anm.)

Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von karitativen Organisationen bzw. Kirchen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel. Im April 2017 beherbergten außerdem über 500 Familien in Italien einen Fremden. In einer Initiative der Caritas waren im Mai 2017 rund 500 weitere Migranten privat untergebracht (AIDA 4.2019).

Im Feber 2018 waren in ganz Italien geschätzt mindestens 10.000 Personen von der Unterbringung faktisch ausgeschlossen, darunter Asylwerber und Schutzberechtigte. Sie leben nicht selten in besetzen Gebäuden, von denen mittlerweile durch Involvierung von Regionen oder Gemeinden aber auch viele legalisiert wurden (MSF 8.2.2018). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 4.2019). Auch Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichteten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 13.3.2019).

Mit Stand 30.9.2019 befanden sich in Italien 99.599 Migranten in staatlicher Unterbringung (VB 30.9.2019).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über sieben Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 751 Plätzen. Unbegleitete Minderjährige und Vulnerable dürfen nicht in CPR untergebracht werden, Familien hingegen schon. In der Praxis werden aber nur sehr selten Kinder in CPR untergebracht. Wenn Migranten in den Hotspots die Abgabe von Fingerabdrücken verweigern, können sie zu Identifikationszwecken für max. 180 Tage in CPR inhaftiert werden (AIDA 4.2019).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

- MSF – Médecins Sans Frontières (8.2.2018): “Out of sight” – Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 8.10.2019

- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

- VB des BM.I Italien (30.9.2019): Bericht des VB, per E-Mail

- VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Dublin-Rückkehrer

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“), welche CAS und CARA ersetzen sollen, ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber kein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) vorgesehen ist (AIDA 4.2019).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Genauer sollen Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung überstellt werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. (AIDA 4.2019).

Bezüglich des Verlustes des Rechtes auf Unterbringung gelten noch immer die Regeln aus dem Dekret 142/2015: Verlässt eine Person unerlaubt eine staatliche Unterbringung, so wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen und sie verliert das Recht auf Unterbringung. Dies gilt auch nach einer Dublin-Rückkehr (SFH 8.5.2019). Die Präfektur kann eine neuerliche Unterbringung verweigern (AIDA 4.2019). Solche Personen sind gegebenenfalls auf private oder karitative Unterbringungsmöglichkeiten bzw. Obdachlosenunterkünfte angewiesen. Hat der Rückkehrer vor der Weiterreise kein Asylgesuch in Italien gestellt und tut dies erst nach der Rückkehr, besteht das Recht auf Unterbringung ohne Einschränkung. Da sich die formelle Einbringung des Antrags aber oftmals über Wochen verzögern kann, kann bis zur Unterbringung eine entsprechende Lücke entstehen (SFH 8.5.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

- MdI – Ministero dell‘Interno (8.1.2019): Circular Letter, per E-Mail

- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

- VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Medizinische Versorgung

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden („residenza“) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann (AIDA 4.2019), weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda sanitaria locale, ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 4.2019).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den ASL als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch durch die neue Rechtslage mit Gesetz 132/2018 kommen Asylwerber mit niedrigem Einkommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 4.2019).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 4.2019).

Bei den Gesundheitsdienstleistungen in den Zentren sehen die neuen Ausschreibungskriterien in Aufnahmezentren mit bis zu 50 Plätzen durchschnittlich nur noch vier Stunden ärztliche Betreuung pro Person und Jahr vor, Pflegepersonal ist in diesen Zentren keines mehr vorgesehen. In großen Zentren (bis zu 300 Plätzen) muss ein Arzt nur noch 24 Stunden pro Woche statt wie bisher rund um die Uhr anwesend sein. Für die Zentren ist keine Unterstützung durch interne Psychologen/Psychiater mehr vorgesehen. Die soziale Unterstützung für Zentren mit bis zu 50 Plätzen wurde auf sechs Stunden pro Woche reduziert, jene für Zentren mit bis zu 300 Plätzen auf 24 Stunden pro Woche (SFH 8.5.2019).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

- CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 26.2.2018

- MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

- VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Schutzberechtigte

Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre. Um die Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, brauchen die Schutzberechtigten eine Meldeadresse, was manchmal ein Problem sein kann. Manche, aber nicht alle Questuras akzeptieren bei wohnungslosen Schutzberechtigten die Adresse einer Hilfsorganisation als Meldeadresse. Verlängerungen des Aufenthalts müssen postalisch beantragt werden. Dies kann mehrere Monate in Anspruch nehmen (AIDA 4.2019).

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt), wurde der humanitäre Schutz weitgehen umgestaltet. Letzterer wurde zuvor für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn „besondere Gründe“, insbesondere „humanitären Charakters“, vorlagen. Zwischen 2014 und 2018 war der humanitäre Schutz die häufigste in Italien zuerkannte Schutzform. Nach der neuen Rechtslage ist der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen an eine restriktive und vor allem taxative Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis (unterschiedlicher Dauer) erteilt werden kann:
1. für medizinische Behandlung („cure mediche“) (1 Jahr gültig; verlängerbar);
2. Spezialfälle („casi speciali“ ):
a) für Opfer von Gewalt oder schwerer Ausbeutung
b) Für Opfer häuslicher Gewalt (1 Jahr gültig);
c) bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland (6 Monate gültig; verlängerbar);
d) in Fällen besonderer Ausbeutung eines ausländischen Arbeitnehmers, der eine Beschwerde eingereicht hat und an einem Strafverfahren gegen den Arbeitgeber mitwirkt;
e) bei Handlungen von besonderem zivilem Wert (zu genehmigen vom Innenminister auf Vorschlag des zuständigen Präfekten) (2 Jahre gültig; verlängerbar);
f) wenn zwar kein Schutz gewährt wurde, der Antragsteller aber faktisch nicht außer Landes gebracht werden kann („protezione speciale“ = non-refoulement).

Die Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig. Wenn kein Asylstatus oder subsidiärer Schutz zuerkannt wird, prüfen sie nur noch, ob Gründe gegen eine Ausweisung vorliegen. Ist das der Fall, leiten sie dies an die Quästuren weiter, welche für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig sind. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass ein zu weiter Ermessensspielraum in der Vergangenheit zu einem Ausufern der humanitären Aufenthaltstitel geführt hat (rund 40.000 in den letzten drei Jahren), jedoch zumeist ohne dass eine soziale und berufliche Eingliederung der Betroffenen stattgefunden hätte (VB 22.2.2019).

Es kommt jedoch zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel. Diejenigen, die bereits einen (alten) Titel aus humanitären Gründen zuerkannt bekommen haben, können weiterhin alle damit verbundenen Ansprüche geltend machen. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden jedoch nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch durch rechtzeitigen Antrag nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen, in einen anderen Titel umgewandelt werden, etwa Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage (VB 25.2.2019; vgl. AIDA 4.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019).

Nach frühestens fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts besteht für Asylberechtigte und subsidi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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