TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/23 W159 2215152-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W159 2215152-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2019, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2020 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.

II.      Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

III.    In Stattgabe der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. des angefochtenen Bescheides wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auf Dauer unzulässig ist.

IV.      Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 58 Abs. 2 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung Plus“ erteilt.

V.       In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem, gelangte illegal ins österreichische Bundesgebiet und stellte am 03.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag wurde er dazu vom Stadtpolizeikommando XXXX einer niederschriftlichen Erstbefragung zugeführt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Mutter und seine Schwester von den Taliban ermordet worden seien, der Vater sei verhaftet worden. Der Vater hätte nach seiner Haftentlassung seinen Laden verkauft, um den Beschwerdeführer nach Europa schicken zu können, denn die Taliban hätten den Beschwerdeführer rekrutieren wollen.

Am 22.02.2017 brachte der Beschwerdeführer bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Salzburg, ein ÖSD Zertifiktat A1, eine Schulbesuchsbestätigung, Schulnachrichten 2015/16, 2016/2017, eine Stellungnahme zum Fluchtgrund sowie diverse Empfehlungsschreiben in Vorlage.

Der Beschwerdeführer gab an, er sei in der Provinz Kunduz, XXXX , geboren und aufgewachsen. Zu seinem Fluchtgrund befragt erzählte er an, dass die Taliban in Kunduz einen Krieg begonnen hätten. Im Haus der Familie sei eine Rakete explodiert, welche die anwesende Mutter und Schwester getötet hätte. Der Beschwerdeführer, sein Bruder und sein Vater seien im Geschäft gewesen. Ein Besucher hätte dem Vater mitgeteilt, dass für diesen Anschlag die Regierung verantwortlich sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei aufgefordert worden, seine zwei Söhne für den Kampf gegen die Regierung zu den Taliban zu schicken. Dieser hätte jedoch abgelehnt. Eines Tages sei der Bruder des Beschwerdeführers auf dem Schulweg von den Taliban entführt und auf Intervention der Dorfältesten nach sieben Tagen freigelassen worden. Die Taliban hätten ihren Fehler erkannt und versucht die Brüder wieder aufzufinden.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 10.07.2017 wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 03.10.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde unter Spruchteil II. der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.07.2018 erteilt. Begründend zu Spruchteil I. führte die Behörde aus, dass sie aus den Schilderungen des Beschwerdeführers nicht entnehmen habe können, dass der Herkunftsstaat grundsätzlich nicht in der Lage oder gewillt wäre dem Beschwerdeführer Schutz zu gewähren. Hinsichtlich Spruchteil II. wurde dargelegt, dass der Beschwerdeführer minderjährig sei und die Sicherheitslage in der Heimatprovinz zurzeit keine Rückführung zulasse, deswegen werde subsidiärer Schutz gewährt.

Die gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018 als unbegründet abgewiesen. Es hätte nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt gewesen sei, ihm eine solche drohe oder unmittelbar gedroht habe.

Am 27.12.2018 erfolgte eine Niederschrift im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwecks Aberkennung des subsidiären Schutzes. Der Beschwerdeführer gab an, dass er vor drei Monaten Kontakt zu seinem Vater und seinem Bruder via WhatsAPP gehabt hätte. Sein Bruder würde sich in der Türkei aufhalten. Er habe zu seinem Vater keinen regelmäßigen Kontakt, weil in Kunduz Krieg herrsche. Er habe auch keinen Kontakt zu Verwandten, da es Probleme zwischen diesen und seinem Vater gegeben hätte. Obwohl der Vater das Haus und das Grundstück verkauft hätte, könne er für sich selbst sorgen.

Bezüglich seiner Integration gab der Beschwerdeführer an, er habe eine Schule besucht, unbezahlte Praktika absolviert, das A2 Deutschdiplom erhalten, die B Deutschprüfung geplant und lerne auch in seiner Freizeit Deutsch. Er spreche in der Arbeit als Kellner diese Sprache oft und er sei freundlich zu den Gästen. Im flüssigem Deutsch erzählte er seinen Tagesablauf. Die anwesende Vertrauensperson beschrieb den Beschwerdeführer als zuverlässig, anständig und er sei um seine Integration bemüht.

In einer Stellungnahme vom 05.12.2018 wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in Österreich sehr gut integriert sei, seine sozialen Kontakte kämen einem Familienleben gleich. Trotz seiner Volljährigkeit brauche er die ihm vertrauten Menschen, um in seinem Alltag zurecht zu kommen. In einer weiteren Stellungnahme bezog sich der Beschwerdeführer auf die Länderberichte und die nach wie vor schlechte Lage in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer brachte ein ÖSD Zertifikat A2, eine Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs, das Jahreszeugnis der neunten Schulstufe, diverse Arbeitszeugnisse und Beurteilungsbögen, einen Ausbildungsvertrag für die Dauer von sechs Monaten für die Erlangung einer Lehrstelle sowie einen Zusatzvertrag in Vorlage.

In der Folge wurde dem Beschwerdeführer mit gegenständlichem Bescheid vom 24.01.2019 der mit Bescheid des BFA vom 10.07.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 07.07.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid unter Darlegung näherer Erwägungen zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vorliegend seien und im gegenständlichen Fall gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG abzuerkennen sei. Die Sicherheitslage in Kunduz sei derzeit objektiv unzumutbar, dem Beschwerdeführer sei jedoch eine Rückkehr nach Herat oder Mazar-e-Sharif zumutbar. Der Beschwerdeführer besitze eine mehrjährige Schulbildung, und habe praktische Berufserfahrung gesammelt. Dies würde ihm den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt Afghanistans erleichtern. Er sei mittlerweile selbsterhaltungsfähig und volljährig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Würdigung der Behörde, dass der Beschwerdeführer nunmehr volljährig sei und seinen Lebensunterhalt sowohl in Herat als auch in Mazar-e Sharif bestreiten könne, sei nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer sei seit etwa drei Monaten volljährig und man könne nicht erwarten, dass mit der Volljährigkeit automatisch ein Grad der Reife erreicht werde.

Der Beschwerdeführer beantragte unter anderem eine mündliche öffentliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, welche am 17.09.2020 stattfand und an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung, ein Zeuge und eine Dolmetscherin teilnahmen. Die belangte Behörde war entschuldigt nicht erschienen.

Es wurde eine Schulbesuchsbestätigung der Landesberufsschule XXXX sowie eine Arbeits- und Behaltebestätigung des Hotels XXXX in Vorlage gebracht.

Der Beschwerdeführer hielt seine Beschwerde und das bisherige Vorbringen aufrecht.

Der Beschwerdeführer gab an er sei sunnitischer Moslem und übe seine Religion in Österreich aus. Nachgefragt gab er an, er sei acht Jahre in Afghanistan in die Schule gegangen. Er gab an, er habe im Geschäft, ein kleines Gemischtwarengeschäft seines Vaters mitgeholfen, jedoch nicht gearbeitet. Er erzählte, dass er ab seinem zwölften Lebensjahr mitgeholfen hätte. Als der Beschwerdeführer noch klein gewesen sei, hätte der Vater ihn auch mitgenommen. Er hätte jedoch im Geschäft des Vaters nur gespielt und nicht gearbeitet.

Auf die Frage des Richters, wer von seinen Familienangehörigen noch in Afghanistan leben würde, antwortete der Beschwerdeführer: „Mein Vater. Ich weiß aber nicht, ob mein Vater überhaupt noch am Leben ist. … In Kunduz. Im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX Der Beschwerdeführer gab an, er stehe mit niemanden mehr in Kontakt in Afghanistan. Früher hätter er Kontakt zu den Nachbarn gehabt. Über die Nachbarn hätte er seinen Vater kontaktieren können. Der Kontakt sei im April 2019 abgerissen, weil die Familie in die Türkei gezogen sei.

Befragt gab der Beschwerdeführer an, er wisse nicht ob der Vater ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützen könne, denn er wisse überhaupt nicht, ob sein Vater noch am Leben sei. Er wisse auch nicht, ob er wegen Corona verstorben sei.

Der Beschwerdeführer antwortete auf die Frage ob er gesundheitliche oder psychische Probleme habe: „Als ich die negative Entscheidung bekommen habe und auch der Kontakt zu meiner Familie abgerissen ist, habe ich unter großem Stress gelitten. Ich habe Akne bekommen und deswegen nehme ich jetzt Medikamente. …“

Der Beschwerdeführer erzählte über sein Leben in Österreich auf Deutsch: „Ich besuche die Berufsschule und mache eine Lehre als Restaurantfachmann seit 2017. Ich habe zuerst bei XXXX gearbeitet. Ich war dort neun Monate dort. Ich habe mich dann verletzt, die Hand gebrochen. Nach 20 Tagen habe ich dann einen anderen Betrieb gefunden, das Hotel XXXX , wo ich nach wie vor beschäftigt bin. Ich war immer pünktlich in der Arbeit, nicht krank. … [Die Lehre ist im April 2021 zu Ende.] Aber ich würde das länger machen, weil ich noch in die Schule gehen muss, anschließend, um die Berufsschule abschließen zu können.“

Um die Berufsschule abschließen zu können bekomme er in den Sprachen Deutsch und Englisch Nachhilfe.

„RI: Will Sie Ihr Lehrherr auch nach Ende der Lehrzeit im Betrieb beschäftigen?

BF (auf Deutsch): Ja, weil der Betrieb ist wie meine Familie. Der Chef ist wie ein Vater zu mir.

RI: Was für Ausbildungen haben Sie in Österreich gemacht?

BF (auf Deutsch): Vorher habe ich schon viele Praktika gemacht. Ich bin zwei Jahre lang in die Schule gegangen. Ich bin in den polytechnischen Lehrgang gegangen.

RI: Haben Sie auch Deutschdiplome?

BF (auf Deutsch): Ja, A1 und A2 habe ich schon und ich möchte auch B1 machen. Ich möchte auch gern den Führerschein machen.

RI: Was für Praktika und Schnupperlehren haben Sie gemacht?

BF (auf Deutsch): Als Koch, Tischler, Verkäufer und als Automechaniker. Das Gastgewerbe ist mir am liebsten. Ich möchte gerne mit Leuten sprechen. Service mache ich gerne.“

Der Beschwerdeführer gab an, er betreibe Sport, vor oder nach der Arbeit würde er ins Fitnesscenter gehen. In seiner Freizeit, würde er des öfteren mit dem Sohn des Chefs etwas unternehmen. Er würde in seiner Freizeit auch lernen oder seine Freunde in Salzburg besuchen. Er habe österreichische Freunde, von der Schule aus hätten sie eine WhatsApp-Gruppe gegründet. Wegen seiner Arbeit hätte er noch keine Freundin. Er hätte schon eine Beziehung gehabt, hätte sich aber das Wochenende oft nicht freinehmen können.

Auf die Frage des Richters, welche Pläne er habe, wenn er in Österreich bleiben dürfe, antwortete der Beschwerdeführer auf Deutsch: „Ich würde hier zuerst meine Arbeit fertigmachen. Ich möchte gerne einmal heiraten. Ich habe in Afghanistan alles verloren. Ich möchte mir hier ein Leben aufbauen.“

Befragung des Zeugen XXXX

Der Zeuge gab an, er kenne den Beschwerdeführer, er sei Lehrling im Hotel seines Vaters. Er sei dort Küchenchef gewesen. Er gab an, der Beschwerdeführer, sei ein sehr braver Arbeiter, er mache alles, was man ihm sage. Der Beschwerdeführer sei überpünktlich und er sei als Freund sehr hilfsbereit.

Der Beschwerdeführer integriere sich sehr gut. Auch unter den Freunden des Zeugen, sei der Beschwerdeführer sehr beliebt.

Er sei hier um eine Zeugenaussage zu machen, weil ihm der Beschwerdeführer am Herzen liege. Sie hätten einen freundschaftlichen Kontakt aufgebaut. Der Zeuge sei nicht mehr im elterlichen Betrieb angestellt, er würde in Wien leben, um ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Er würde sich jedoch etwa alle zwei bis drei Wochen in seinem Heimatort aufhalten. Nach den Erfahrungswerten des Zeugen, fände man selten einen jungen, österreichischen Arbeiter, der so viel Motivation habe wie der Beschwerdeführer. Es sei schwierig jemanden zu finden, auf den man sich so verlassen könne, wie auf den Beschwerdeführer, deshalb könne er nach dem Ende er Lehre gerne im elterlichen Betrieb bleiben.

Der Zeuge erzählte weiter, der Beschwerdeführer finde leicht Kontakt, er sei sehr nett und sehr offen. Wenn man etwas von ihm brauchen würde, sei er immer da und hilfsbereit. Der Beschwerdeführer sei sehr sensibel. Wenn man sehe, wie er sich verhalte und was ihn berühre, wisse man, dass er das Herz am rechten Fleck habe.

Auf die Frage des Richters, ob der Beschwerdeführer auch am Leben und der Kultur in Österreich interessiert sei antwortete der Zeuge: „Ja, sehr. Wenn ich ein klassisches Gericht koche, erkläre ich ihm das immer. Ich habe ihm auch z.B. die Herstellung von Kärntner Kasnudln erklärt.“

Die Rechtsvertretung merkte an, dass der BF den Vater des Zeugen auch als „Vater“ bezeichnet hätte. Der Zeuge erklärte: „Er wurde bei uns wie in die Familie aufgenommen. Er sitzt bei uns. Während des Lockdowns war er bei uns bei der Familie bei den Mahlzeiten dabei. Wir sind ein familiärer Betrieb. Er darf im Hotel alles benutzen.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischen moslemischen Glaubens und am 03.10.2015 illegal in das Bundesgebiet eingereist.

Mit Bescheid des BFA vom 10.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.07.2018 erteilt. Die Beschwerde hinsichtlich des Antrages auf Asyl wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 09.08.2018 als unbegründet abgewiesen.

Die gegenständliche Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt wurde auf die zwischenzeitlich mögliche Rückkehr nach Mazar-e-Sharif und Herat aufgrund der Volljährigkeit, Berufserfahrung und Ausbildung in Österreich gestützt.

Der Beschwerdeführer wurde am 11.10.2018 volljährig.

In Österreich ist der Beschwerdeführer in einem Lehrverhältnis als Restaurantfachman, in einem Hotelleriebetrieb, in XXXX . Er wird die Lehre am 12.09.2021 beenden und kann Beendigung der Lehre im Betrieb verbleiben.

Er nahm am Werte- und Orientierungskurs (25.07.2018) teil, absolvierte die Deutschprüfungen ÖSD auf A2 Niveau. Er hat auch einen Teil der Befragung während der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.09.2020 in deutscher Sprache beantwortet.

Der Beschwerdeführer hat sich in die Familie seines Lehrherrn integriert und wird als Familienmitglied angesehen. Unter anderem bezeichnet er seinen Arbeitgeber als Vater. Der Beschwerdeführer wird aufgrund seiner Ehrlichkeit, Zuvorkommenheit und Verlässlichkeit sowie seines Engagements geschätzt.

Er hat sich einen Freundeskreis aus Österreichern aufgebaut. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu eventuellen afghanischen Verwandten in seinem Herkunftsland. Der Kontakt zu seinem Vater ist abgebrochen und sein Bruder hält sich in der Türkei auf.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende – in Afghanistan derzeit aber noch ohne Meldung großer Fallzahlen aufgetretene – COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört im Hinblick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan und der Situation des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt (Ausschnitte aus den LIB):

1. Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

?        AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

?        AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

?        AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

?        GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

?        HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

?        JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

?        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

?        TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

?        TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

?        UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

?        WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

?        WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020

?        XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Quellen:

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?        WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

?        WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.4

2. Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Quellen:

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?        TN - Tolonews (12.12.2018): IEC Resumes Recounting Of Kabul Votes Under New Method, https://www.tolonews.com/index.php/elections-2018/iec-resumes-recounting-kabul-votes-under-new-method, Zugriff 7.6.2019

?        USDOS – United States Department of State (29.2.2020): Agreement for Bringing Peace to Afghanistan between the Islamic Emirate of Afghanistan which is not recognized by the United States as a state and is known as the Taliban and the United States of America, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/Agreement-For-Bri

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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