TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/9 W175 2233668-1

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W175 2233668-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2020, Zahl: 1261842804 - 200222154, zu Recht:

A)
Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger der Republik Bangladesch, stellte nach rechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 26.02.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (AsylG).

I.2. Am 26.02.2020 wurde der BF einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er angab, dass er am 29.11.2019 zu Fuß von Bangladesch nach Indien und von dort nach Pakistan und weiter in die Türkei gereist sei. Angekommen in der Türkei, sei er mit dem Flugzeug zunächst nach Polen und dann weiter nach Österreich gereist. Der Schlepper, welcher sich den Reisepass zurückbehalten habe, habe Österreich als sicheres Land bezeichnet. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF zu Protokoll, dass er Anhänger der „Jamaat-E-Islami“ sei. Am 27.11.2019 seien Anhänger der Regierungspartei „Awami League“ mit der Polizei und einer Spezialeinheit der Polizei zu ihm nach Hause gekommen, um ihn zu suchen. In seiner Abwesenheit sei eine Drohung gegen ihn ausgesprochen worden, bereits zuvor sei er bedroht und geschlagen worden, bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

Ein Eurodac-Abgleich der Fingerabdruckdaten des BF ergab keinen Treffer, eine Abfrage im VIS ergab, dass ihm von der polnischen Botschaft in Abu Dhabi am 22.02.2020 ein Schengenvisum der Kategorie C, gültig von 22.02.2020 bis 29.02.2020, erteilt worden war.

Dem BF wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unmittelbar nach der Erstbefragung eine Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ausgehändigt, mit der ihm zur Kenntnis gebracht wurde, dass aufgrund von Konsultationen mit Polen die in § 28 Abs. 2 AsylG definierte 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen nicht mehr gelte.

I.3. Aufgrund des VIS-Treffers und der Angaben des BF richtete das BFA an Polen am 05.03.2020 ein auf Art. 12 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), gestütztes Aufnahmeersuchen betreffend den BF.

Mit Schreiben vom 17.04.2020 stimmten die polnischen Behörden einer Übernahme gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zu.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da eine Zuständigkeit des Dublinstaates Polen angenommen werde.

I.4. Am 07.07.2020 fand eine Einvernahme des BF nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit einer Rechtsberaterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Bengali im Zulassungsverfahren vor dem BFA statt, in welcher der BF korrigierend zur Erstbefragung angab, bereits im Jahr 2008 nach Abu Dhabi gereist zu sein. Aufgrund der Schließung seiner Arbeitsstelle habe er sich mithilfe eines Schleppers ein polnisches Visum besorgt und sei mit diesem nach Polen und weiter nach Österreich gefahren. Im Übrigen gebe er seinen richtigen Namen zu Protokoll. In Österreich verfüge er über keine Familienangehörigen. Auf Vorhalt der Behörde, dass sein Antrag zurückzuweisen sei, da Polen zur Führung des Verfahrens zuständig sei und auch schon einer Übernahme des BF zugestimmt habe, gab der BF an, nicht nach Polen zurückkehren zu können, weil sich dort seine politischen Gegner befänden. Dies hätten ihm sowohl sein Vater als auch die Parteimitglieder erzählt.

Der anwesende Rechtsberater machte von der eingeräumten Möglichkeit, Fragen oder Anträge zu stellen keinen Gebrauch.

Der BF führte weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme gesundheitlichen Probleme an.

I.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid, zugestellt am 09.07.2020, den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass Polen für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung des BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG, angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung des BF nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Dem Bescheid sind aktuelle Feststellungen zu Polen zu entnehmen (gekürzt):

(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom 27.06.2019)

Allgemeines zum Asylverfahren

In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 11.3.2019; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)

Quellen:

- AIDA – Asylum Information Database (11.3.2019): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights / ECRE - European Council on Refugees and Exiles: Country Report Poland, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2018update.pdf, Zugriff 13.6.2019

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, müssen bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. So eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab dessen Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird ihr Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. Für das Jahr 2018 ist kein Fall eines Antrags auf Wiedereröffnung des Verfahrens innerhalb der Neun-Monatsfrist bekannt. Viele Rückkehrer zogen hingegen die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland einer Wiedereröffnung ihrer Verfahren vor. Dublin-Rückkehrer mit aufrechtem Asylverfahren (z.B. Antrag auf Wiedereröffnung) sind zu denselben Bedingungen zu Versorgung in Polen berechtigt wie alle anderen Antragsteller (AIDA 11.3.2019; vgl. EASO 24.10.2017).

Das medizinische Personal der Grenzwache beurteilt den Gesundheitszustand eines Rückkehrers nach seiner Überstellung nach Polen, auch im Hinblick auf seine speziellen Bedürfnisse. Außerdem werden im Einvernehmen mit dem Fremdenamt (UDSC) und dem medizinischen Personal die Möglichkeiten der Anpassung der Aufenthaltsverhältnisse in Polen an die gesundheitliche Situation des Antragstellers bzw. die eventuelle Notwendigkeit, ihn in einer fachlichen medizinischen Einrichtung unterzubringen, abgesprochen. Abhängig vom Zustand der motorischen Fähigkeit des Ausländers stellt die Grenzwache den Transport eines bedürftigen Rückkehrers zum Aufnahmezentrum, einer medizinischen Einrichtung (falls er einer sofortigen Hospitalisierung bedarf) oder einer fachlichen medizinischen Einrichtung sicher. Personen mit einer vorübergehenden oder dauerhaften motorischen Behinderung, die eines Rollstuhls bedürfen, werden in einem für die Bedürfnisse der motorisch Behinderten angepassten Zentrum untergebracht. Falls der Ausländer einer Rehabilitation bedarf, wird medizinische Ausrüstung sichergestellt. Das medizinische Personal des Flüchtlingszentrums bestimmt die Bedürfnisse des Rückkehrers im Bereich der Rehabilitation und der medizinischen Ausrüstung. Es besteht die Möglichkeit, eine vom Arzt verordnete Diät anzuwenden. Das Fremdenamt garantiert einen Transport zu fachärztlichen Untersuchungen oder Rehabilitation. Der Transport zu ärztlichen Terminen in medizinischen Einrichtungen wird garantiert. Antragsteller, die schwer behindert, pflegebedürftig oder bettlägerig sind, deren Pflege in einem Flüchtlingszentrum nicht gewährleistet werden kann, werden in speziellen Pflegeanstalten oder Hospizen untergebracht. Diese Einrichtungen garantieren medizinische Leistungen samt der notwendigen Rehabilitation für Behinderte rund um die Uhr und professionell ausgebildetes Personal (VB 7.7.2017).

Quellen:

- AIDA – Asylum Information Database (11.3.2019): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights / ECRE - European Council on Refugees and Exiles: Country Report Poland, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2018update.pdf, Zugriff 13.6.2019

- EASO – European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query. Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail

- VB des BM.I in Polen (7.7.2017): Bericht der polnischen Asylbehörde, per E-Mail

Versorgung

Asylwerber müssen sich binnen zwei Tagen ab Antragstellung in einem Erstaufnahmezentrum registrieren, ansonsten wird das Verfahren eingestellt. Ab Registrierung im Erstaufnahmezentrum sind sie während des gesamten Asylverfahrens zu materieller Versorgung berechtigt, auch im Zulassungs- und im Dublinverfahren, sowie während laufender erster Beschwerde. Wenn Antragsteller nach einer erfolglosen Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid den Beschwerdeweg weiter beschreiten (Beschwerde an den Voivodeship Administrative Court in Warschau; 2. Beschwerdeinstanz), haben sie kein Recht auf Versorgung. Wenn das Gericht die angefochtene Entscheidung suspendiert, wird dem Beschwerdeführer das Recht auf Versorgung für die Dauer des Verfahrens wieder zuerkannt. Jedoch hat der Voivodeship Administrative Court dies im Jahr 2018 nur in einem von 87 Fällen getan, was dazu führte, dass die betroffenen Beschwerdeführer ohne staatliche Versorgung blieben (AIDA 11.3.2019; vgl. UDSC o.D.b).

Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu zwei Monate nach der endgültigen Entscheidung im Asylverfahren (positiv wie negativ) gewährt. Wird das Verfahren allerdings eingestellt (z.B. in der Zulassungsphase), verkürzt sich dieser Zeitraum auf 14 Tage. Da Antragsteller mit einer abschließend negativen Entscheidung Polen binnen 30 Tagen zu verlassen haben und keine Versorgung mehr gewährt wird, wenn sie diese Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen lassen, werden sie in der Praxis nur für 30 Tage weiter versorgt. Einzelne Asylwerber berichten jedoch, dass ihnen sogar ein längerer Verbleib im Zentrum gestattet wurde als rechtlich vorgesehen. Versorgung wird in Polen auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des AW gewährt. Für AW, die außerhalb des Zentrums wohnen, gibt es eine Zulage. Antragsteller dürfen sechs Monate nach Antragstellung arbeiten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist wegen mangelnden Sprachkenntnissen usw. in der Praxis aber potentiell schwierig (AIDA 11.3.2019).

Asylwerber sehen sich Sprachbarrieren gegenüber und ihr Zugang zu höherer Bildung ist eingeschränkt (USDOS 13.11.3.2019).

Auf der Webseite der Behörde ist eine Liste mit 22 Organisationen verfügbar, welche Asylwerbern/Fremden verschiedenste Hilfestellung bieten (UDSC o.D.d).

Quellen:

- AIDA – Asylum Information Database (11.3.2019): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights / ECRE - European Council on Refugees and Exiles: Country Report Poland, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2018update.pdf, Zugriff 13.6.2019

- UDSC – Urz?d do Spraw Cudzoziemców (o.D.b): Who can obtain assistance and when, https://udsc.gov.pl/en/uchodzcy-2/pomoc-socjalna/system-pomocy-socjalnej/kto-i-kiedy-moze-uzyskac-pomoc/, Zugriff 26.6.2019

- UDSC – Urz?d do Spraw Cudzoziemców (o.D.d): Rights and obligations – applicant, https://udsc.gov.pl/en/uchodzcy-2/uchodzcy/prawa-i-obowiazki/prawa/, Zugriff 26.6.2019

- USDOS – US Department of State (13.11.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018, Poland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004296.html, Zugriff 26.6.2019

Unterbringung

Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, medizinische Versorgung, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag für Selbstverpflegung), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat) und eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140,-). Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit vier oder mehr Familienmitgliedern). Beide Gruppen erhalten einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. 2018 erhielten durchschnittlich 1.361 Asylwerber Versorgung innerhalb der Zentren und 1.730 außerhalb der Zentren. Die Höhe der Unterstützung für Asylwerber liegt unter dem sogenannten „sozialen Minimum” und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, sind damit schwer abzudecken. Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben wollen, wohnen daher oft zu mehreren in beengten Wohnungen oder unsicheren Verhältnissen. Selbst für Familien reicht die Unterstützung gerade einmal für die Miete (AIDA 11.3.2019; vgl. UDSC o.D.c).

In Polen gibt es elf Unterbringungszentren mit insgesamt 2.231 Plätzen. Zwei der Zentren dienen der Erstaufnahme. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Asylbehörde UDSC, sieben der Zentren werden von Vertragspartnern geführt. Die Unterbringungsbedingungen in den Zentren sind unterschiedlich. Gewisse Grundlagen müssen vertraglich erfüllt werden, der Rest ist abhängig vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten des Vertragspartners. Die Unterbringungsbedingungen werden generell eher niedrig bewertet, die meisten Beschwerden gibt es über andere Untergebrachte bzw. über das Essen. Alle diese Zentren sind offen, das bedeutet sie dürfen bis 23.00 Uhr frei verlassen und betreten werden (AIDA 11.3.2019).

Polen verfügt außerdem über sechs geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers) in Bia?a Podlaska, Bia?ystok, Lesznowola, K?trzyn, Krosno Odrza?skie, und Przemy?l mit zusammen 590 Plätzen, von denen Ende 2018 insgesamt 216 belegt waren (AIDA 11.3.2019).

Quellen:

- AIDA – Asylum Information Database (11.3.2019): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights / ECRE - European Council on Refugees and Exiles: Country Report Poland, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2018update.pdf, Zugriff 13.6.2019

- UDSC – Urz?d do Spraw Cudzoziemców (o.D.c): Types of assistance, https://udsc.gov.pl/en/uchodzcy-2/pomoc-socjalna/system-pomocy-socjalnej/rodzaje-przyznawanej-pomocy/, Zugriff 26.6.2019

Medizinische Versorgung

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Asylwerber in Polen mit laufendem Asylverfahren haben bezüglich medizinischer Versorgung, mit der Ausnahme von Kurbehandlungen, dieselben Rechte wie polnische Staatsbürger. Aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde ist die Firma Petra Medica für die medizinische Versorgung von Asylwerbern verantwortlich, genauer für medizinische Basisversorgung, Spezialbehandlung, Zahnbehandlung, Versorgung mit Medikamenten und psychologische Betreuung. Die psychologische Betreuung steht sowohl in den Asylzentren, wenn Asylwerber dort wohnhaft sind, aber auch in den Beratungsstellen der Asylbehörde in Warschau, für die diejenige, die außerhalb der Zentren wohnen, zur Verfügung. Die folgenden Leistungen werden im Rahmen der psychologischen Betreuung angeboten: psychologische Unterstützung, Bildungsaktivitäten, Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie und Krisenintervention. Die erwähnten Maßnahmen basieren auf Standards der polnischen Psychologischen Vereinigung. Wenn die Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung festgestellt wird, wird der Patient entsprechend seines Alters in eine Klinik für psychische Gesundheit für Kinder oder Erwachsene eingewiesen (UDSC 19.6.2017).

Asylwerber in Polen haben ab Antragstellung das Recht auf medizinische Versorgung, das auch dann weiterbesteht, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Gesetzlich garantiert ist medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Die medizinische Versorgung von AW wird öffentlich finanziert. Seit 1.7.2015 wird die medizinische Versorgung von Asylwerbern durch die Firma Petra Medica gewährleistet, mit der die Behörde einen Vertrag abgeschlossen hat, dessen Umsetzung auch überwacht wird. Dennoch gibt es Kritik an der Qualität der medizinischen Versorgung in den Zentren. Die medizinische Grundversorgung wird über die Krankenreviere der Unterbringungszentren gewährleistet, in denen 2018 der Arzt pro 120 Asylwerber zehn Ordinationsstunden und die Krankenschwester 20 Ordinationsstunden leisteten. Für je 50 Asylwerber mehr sind je 3 Stunden mehr für Arzt und Krankenschwester vorgesehen. Seit April 2017 gibt es an der Grenze zu Weißrussland eine Einrichtung, in der frisch angekommene Antragsteller einem epidemiologischen Filter unterzogen werden, um ansteckende Krankheiten frühzeitig zu diagnostizieren (AIDA 11.3.2019).

Die Versorgung umfasst in jedem Unterbringungszentrum auch psychologische Versorgung. Pro 120 AW sind vier Stunden grundlegende Behandlung (Unterstützung und Beratung, sowie Diagnose psychischer Störungen) durch einen Psychologen vorgesehen, sowie je eine Stunde mehr pro 50 zusätzliche Asylwerber. Asylwerber können auch an Psychiater oder psychiatrische Spitäler überwiesen werden. Viele NGOs und einige Experten sind der Meinung, dass eine spezialisierte Behandlung von traumatisierten Antragstellern oder Folteropfern in Polen in der Praxis nicht verfügbar sei. NGOs kritisieren vor allem den Mangel an angemessener Behandlung von PTBS. Die verfügbare Behandlung wird als Intervention betrachtet, nicht als reguläre Therapie. 2018 boten spezialisierte NGOs in drei Unterbringungszentren psychologische Beratung und Behandlung für Asylwerber an. Das größte Hindernis beim Zugang zu medizinischer Versorgung sind aber mangelnde interkulturelle Kompetenz und Fremdsprachenkenntnisse. Petra Medica ist verpflichtet entsprechende Übersetzung bei Bedarf zu gewährleisten, das ist Berichten zufolge aber manchmal nicht möglich. Ebenfalls ein Problem ist, dass einige der Spitäler, die mit Petra Medica in der Behandlung von Asylwerbern zusammenarbeiten, weit von den Unterbringungszentren entfernt liegen, während die nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen von Asylwerbern nur im Notfall frequentiert werden dürfen. Antragsteller, die außerhalb der Zentren und weit weg von diesen leben, erhalten Hilfe in den Woiwodschaftshauptstädten. Termine in Gesundheitseinrichtungen werden über die Hotline von Petra Medica fixiert (AIDA 11.3.2019).

Petra Medica ist gemäß Vertrag mit der Ausländerbehörde UDSC für die Organisation des medizinischen Versorgungssystems für Asylwerber in Polen zuständig. Für Ausländer, die einen Flüchtlingsstatus beantragen und sich beim Sozialamt gemeldet haben, ist die medizinische Versorgung kostenlos, unabhängig davon, ob sie in einem Zentrum für Ausländer oder außerhalb des Zentrums leben. Die von Petra Medica koordinierten Gesundheitsdienste umfassen medizinische Versorgung in Aufnahmezentren, einschließlich ein epidemiologischer Filter, der die Implementierung von Früherkennung für Tuberkulose-, Infektions-, Geschlechts- und Parasitenkrankheiten gewährleistet; medizinische Versorgung in Wohnheimen durch den Betrieb von medizinischen Zentren in deren Räumlichkeiten grundlegende Gesundheits- und psychologische Versorgungsleistungen erbracht werden; medizinische Versorgung von Asylwerbern, die außerhalb eines Zentrums leben, auf der Grundlage eigener Ressourcen und eines Netzwerks an Partnerinstitutionen. Die medizinische Versorgung umfasst medizinische Betreuung durch Ärzte und Krankenschwestern in den Zentren; gegebenenfalls Überweisung zu fachärztlichen Leistungen in den Petra Medica Medical Centers oder anderen medizinischen Vertragseinrichtungen; Zahngesundheit in Zahnarztpraxen, mit denen Petra Medica zusammenarbeitet; psychologische Betreuung in Unterbringungszentren oder in besonderen Fällen Überweisung an spezialisierte psychologische oder psychiatrische Kliniken; wenn nötig Überweisung zu stationärer Krankenhausbehandlung in öffentlichen oder Vertragsspitälern; Rehabilitation wird von der Behörde auf der Grundlage der Einschätzung des Facharztes finanziert. Bei gesundheitlichen Problemen meldet sich der Patient beim Krankenrevier des nächstgelegenen Unterbringungszentrums oder vereinbart einen Besuch in einer Vertragseinrichtung unter der Hotline von Petra Medica. Grundlage für die Erbringung einer Facharztleistung ist eine entsprechende Überweisung, die gegebenenfalls im Zentrum oder von der Hotline genehmigt werden muss. Die Krankenschwester oder der Hotline-Mitarbeiter bestimmt Ort und Datum der Dienstleistung, gibt Auskunft darüber, welche Einrichtung zu besuchen ist und wie sie sich auf den Besuch vorbereiten kann. Bei medizinischen Notfällen ist jede Notaufnahme ansprechbar (PM o.D.).

Quellen:

- AIDA – Asylum Information Database (11.3.2019): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights / ECRE - European Council on Refugees and Exiles: Country Report Poland, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_2018update.pdf, Zugriff 19.6.2019

- MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

- PM – Petra Medica (o.D.): Opieka medyczna dla Cudzoziemców, http://www.petramedica.pl/nasza-oferta/oferta-dla-pacjentow-indywidualnych/opieka-medyczna-dla-cudzoziemcow, Zugriff 26.6.2019

- UDSC – Urz?d do Spraw Cudzoziemców (19.6.2017)

Betreffend die aktuell vorliegende Pandemie aufgrund des Corona-Virus traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

„COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

In Österreich gibt es mit aktuellen Stand 07.07.2020, 08:00 Uhr: 18.365 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 706 Todesfälle; in Polen wurden zu jetzigen Zeitpunkt laut WHO und John-Hopkins-University (Online Dashboard) 36.155 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, sowie 1.521 Todesfälle.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht, dies bestätigt auch Chinas Gesundheitsbehörde und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Menschen mit milden Symptomen erholen sich der WHO zufolge in zwei Wochen, solche mit schweren Symptomen brauchen drei bis sieben Wochen.“

Begründend wurde festgehalten, dass sich aus den Angaben des BF keine stichhaltigen Gründe für die Annahme ergäben, dass er tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Polen habe sich ausdrücklich bereit erklärt, den BF im Rahmen der Verpflichtungen aus der Dublin III-VO zur Prüfung seines Asylantrages zu übernehmen und es könne daher nicht erkannt werden, dass ihm der Zugang zum Asylverfahren in Polen verweigert werde. Eine Schutzverweigerung in Polen könne daher auch nicht erwartet werden. Mangels schützenswertem Familienleben und mangels Anhaltspunkten für eine Integrationsverfestigung des BF in Österreich stelle die Außerlandesbringung keinen Eingriff in das in Art. 8 EMKR gewährleistete Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens dar.

Aus den Länderfeststellungen zu Polen ergebe sich, dass die allgemeine Lage für nach Polen überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßende Behandlung erkennen lasse. Die Grundversorgung beziehungsweise die medizinische Notversorgung für Asylwerber sei in Polen grundsätzlich gewährleistet.

In einer Gesamtbetrachtung habe sich daher kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Zudem hätten sich keine Hinweise ergeben, dass durch die Außerlandesbringung unzulässigerweise in das Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens eingegriffen werden würde. Es gebe auch keine Gründe, die Durchführung der Entscheidung gemäß § 61 Abs. 3 FPG aufzuschieben.

I.6. Mit 07.07.2020 stellte das BFA dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG einen Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) amtswegig zur Seite.

I.7. Mit 23.07.2020 brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wurde, unter einem wurde ein Antrag auf aufschiebende Wirkung eingebracht. Der BF sei in Polen in Gefahr, von seinen politischen Gegnern aus Bangladesch verfolgt zu werden. Darüber hinaus entspreche das Asylverfahren in Polen sowie die Behandlung von Asylwerbern nicht den Europäischen Menschenrechten. Im Speziellen sei die Einbringung eines Rechtsmittels gegen einen negativen Asylbescheid massiv eingeschränkt, weil Rechtsmittelwerbern kein Recht auf Versorgung zustehe. Im Hinblick auf die Covid-19 Pandemie sei eine Abschiebung des BF nach Polen völlig ausgeschlossen.

I.8. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA-VG erfolgte am 04.08.2020.

I.9. Am 01.09.2020 wurde - aufgrund unbekannten Aufenthaltes des flüchtigen BF - durch das BFA die Frist zur Überstellung nach Polen nach den Bestimmungen des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung mit Schreiben an den Mitgliedstaat verlängert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:

- den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschrift der Erstbefragung am 26.02.2020, das Protokoll der Niederschrift vom 07.07.2020 und die Beschwerde vom 23.07.2020.

- aktenkundliche Dokumentationsquellen betreffend Polen im angefochtenen Bescheid und in der Beschwerde.

II.2. Feststellungen:

II.2.1. Der BF gibt an, Staatsangehöriger von Bangladesch zu sein. Seine Identität steht nicht fest. Der BF war zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig.

II.2.2. Dem BF wurde am 22.02.2020 von der polnischen Botschaft in Abu Dhabi ein Schengenvisum der Kategorie C, gültig von 22.02.2020 bis 29.02.2020 erteilt, mit dem der BF über Polen in das Schengengebiet einreiste. Unmittelbar nach seiner Ankunft reiste der BF ohne die EU zu verlassen über Deutschland nach Österreich, wo er am 26.02.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte.

II.2.3. Das BFA richtete am 05.03.2020 aufgrund des VIS-Treffers und der Angaben des BF zu seinem Aufenthalt in Polen ein Aufnahmeersuchen an Polen, das mit Schreiben vom 17.04.2020 einer Übernahme gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zustimmte.

II.2.4. Der BF läuft im Falle einer Überstellung nach Polen nicht Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe beziehungsweise einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Im zuständigen Mitgliedstaat herrschen keine systemischen Mängel in Verfahren wegen internationalen Schutzes.

II.2.5. Der BF hat keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme oder Beeinträchtigungen geltend gemacht.

II.2.6. Der BF hat keine privaten, familiären oder beruflichen Bindungen zu Österreich.

II.2.7. Am 01.09.2020 setzte das BFA die polnische Dublin-Behörde in Kenntnis, dass die Überstellung des BF infolge dessen Untertauchens verschoben werden müsse und die Überstellungsfrist auf achtzehn Monate, sohin bis zum 17.10.2021, zu verlängern sei (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO).

II.2.8. Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des BF nach Polen.

Bei Covid-19 handelt es sich um eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stichtag 30.10.2020 hat es in Polen insgesamt 319.205 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 184.789 aktive Fälle, 129.267 genesene Fälle und 5.149 Todesfälle gegeben.

Der BF gehört aufgrund seines Alters und des Fehlens von Vorerkrankungen nicht zur Gruppe der Risikopatienten.

II.3. Beweiswürdigung:

II.3.1. Die Feststellungen betreffend den BF ergeben sich im Speziellen aus dem eigenen Vorbringen in Zusammenhang mit der vorliegenden Aktenlage.

Die Feststellungen zum Verfahrensstand in Polen ergeben sich aus der Zustimmung Polens. Gleichermaßen ergibt sich, dass der BF in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz einbringen kann. Ein gegenteiliges Vorbringen wurde vom BF nicht erstattet.

Hinsichtlich der Zuständigkeitsbegründung Polens gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO ergeben sich fallgegenständlich keine Bedenken

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen eigene Angaben und der damit im Einklang stehenden Aktenlage. Der BF brachte keine fallrelevanten Krankheitsaspekte vor. Der BF beantragte das Visum unter Umgehung der Einwanderungsbestimmungen. Darüber hinaus äußerte er keine zu Österreich bestehenden sozialen und familiären Beziehungen (nähere Ausführungen unter II.4.3.).

Es wurde vom BF kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren (siehe Punkt II.4.3.3.). Eine den BF konkret treffende Bedrohungssituation in Polen wurde nicht substantiiert vorgebracht (siehe dazu die weiteren Ausführungen in Punkt II.4.3.2.).

II.3.2. Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, die auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen. Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Polen auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin III-VO) samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen.

Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen in Zusammenschau mit laufender Medienbeobachtung sowie den in der Beschwerdeschrift angeführten Verschlechterung der Bedingungen aufgrund der Covid-19 Pandemie ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das polnische Asylwesen in Bezug auf den gegenständlichen Dublin-Fall grobe systemische Mängel aufweisen würde. Insofern war aus Sicht des BVwG insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die Sicherheitslage von Asylsuchenden in Polen den Feststellungen der verwaltungsbehördlichen Entscheidung zu folgen. Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen, welche den Länderfeststellungen klar und substantiell widersprechen würden, hat der BF nicht dargetan (vgl. näher unter Punkt II.4.3.2.).

II.3.3. Die skizzierten derzeit bestehenden Überstellungshindernisse sind aus jetziger Sicht - aller Wahrscheinlichkeit nach - zeitlich begrenzt. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass Polen eines der Länder Europas ist, das sehr stark von der Covid-19-Pandemie betroffen war und ist. Bei Beobachtung der aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, besteht derzeit kein Grund zu der Annahme, dass die angespannte Situation in ganz Europa durch die aktuell gesetzten Maßnahmen nicht allmählich bessern wird. Es ist davon auszugehen, dass Reisebewegungen jedenfalls in den Maximalfristen der Verordnung (vgl. die in Art. 29 Dublin III-VO geregelte Überstellungsfrist) wiederaufgenommen werden können.

Allfällige Unterbringungsmängel im Zielstaat sind mangels Vulnerabilität des BF nicht derart, dass sie eine Verletzung des Art. 3 EMRK mit hinreichender Sicherheit wahrscheinlich erscheinen ließen.

II.3.4. Das Untertauchen des BF am 31.08.2020 ergibt sich aus entsprechenden ZMR-Abfragen beziehungsweise den vom Bundesamt übermittelten Informationen der polnischen Behörden darüber vom 01.09.2020, welche sich im Akt befinden.

II.4. Rechtliche Beurteilung:

II.4.1. Die gegenständliche Beschwerde ist nach dem 02.02.2015 beim BVwG anhängig geworden, sodass insgesamt nach der Rechtslage ab diesem Tag vorzugehen ist.

Gemäß § 6 Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015 (VwGVG) entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016 (BFA-VG) bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das BFA an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idgF).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF lauten:

„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

…“

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG lautet:

„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war.

2: das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, indem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“

§ 61 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 (FPG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4 a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. …

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“

Artikel 49 der VO 604/2013 lautet auszugsweise:

„Artikel 49

Inkrafttreten und Anwendbarkeit

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Die Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt — ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung — für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der Verordnung (EG) Nr. 343/2003.

Vor dem Hintergrund, dass die Verordnung 604/2013 am 29.06.2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, der BF am 26.02.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, sowie das Aufnahmeersuchen an Polen nach dem 01.01.2014 gestellt wurde, ist gegenständlich primär die VO 604/2013 (Dublin III-VO) anwendbar.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

„KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Artikel 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Artikel 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Artikel 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a.       einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b.       einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c.       einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d.       einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.

In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Artikel 29

Modalitäten und Fristen

(1) ...

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedsstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."

II.4.2. Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens pflichtet das BVwG der Verwaltungsbehörde bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Polens ergibt.

Es war hierbei zudem eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.6.2012, U462/12); dies freilich, sofern maßgeblich, unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10.12.2013 in der Rechtssache C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande sowie vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-155/15, Karim.

Im Rahmen der Entscheidung C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande, wurde insbesondere ausgesprochen, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO dahingehend auszulegen ist, dass ein Antragsteller auf internationalen Schutz im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Zuständigkeitskriteriums sowie einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO geltend machen könne und sich die korrekte Anwendbarkeit der Kriterien der Dublin III-VO sohin als im Rechtsweg überprüfbar erweise (siehe auch VwGH 23.6.2016, Ra 2016

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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