TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/2 W246 2234716-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.12.2020
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Entscheidungsdatum

02.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W246 2234716-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2020, Zl. 1072061303-200207125, betreffend eine Asylangelegenheit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 02.12.2021 erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der – zu diesem Zeitpunkt bereits volljährige – Beschwerdeführer stellte am 03.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Nach am 18.11.2016 erfolgter Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2016 gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gleichzeitig festgestellt, dass ihm gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit. kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2. Mit „Kontrollmitteilung“ des „Dokumentenberaters“ der Österreichischen Botschaft in Beirut vom 17.02.2020 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Kenntnis gebracht, dass sich der Beschwerdeführer laut den Stempeln in seinem syrischen Reisepass vom 14.01.2020 bis 15.02.2020 in Syrien aufgehalten habe. Diesen syrischen Reisepass habe sich der Beschwerdeführer am 13.09.2019 von der syrischen Botschaft in Wien ausstellen lassen.

3. Nach Einleitung eines Aberkennungsverfahrens fand am 17.06.2020 eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.

Dabei gab der Beschwerdeführer u.a. an, dass er im Herbst 2019 persönlich zur syrischen Botschaft in Wien gegangen sei, um seinem in Syrien aufhältigen Vater eine Vollmacht hinsichtlich eines vom Beschwerdeführer in Syrien geerbten Grundstückes ausstellen und schicken zu lassen. Im Zuge dessen habe er seinen alten syrischen Reisepass vorgelegt, welcher damals bereits abgelaufen gewesen sei. Dabei sei er gefragt worden, ob er sich einen neuen Reisepass ausstellen lassen wolle, was der Beschwerdeführer bejaht habe. In der Folge sei der Beschwerdeführer nach Syrien gereist, weil sein Vater aufgrund eines Schlaganfalls im Krankenhaus „zwischen Leben und Tod“ gewesen sei und der Beschwerdeführer ihn sehen habe wolle. Insgesamt sei der Beschwerdeführer ca. einen Monat lang in Syrien aufhältig gewesen, wobei er seinen Vater besucht und in diesem Zeitraum zudem Erbschaftsangelegenheiten geregelt habe.

4. Mit Schreiben vom 01.07.2020 nahm der Beschwerdeführer im Wege seiner damaligen Rechtsvertreterin zu dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeleiteten Aberkennungsverfahren Stellung und beantragte, dieses Verfahren einzustellen.

5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 27.07.2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den zuvor zuerkannten Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 69/2020, (in der Folge: AsylG 2005) ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 leg.cit. fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 leg.cit. nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. (Spruchpunkt III.), erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG,
BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 29/2020, (in der Folge BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 27/2020, (in der Folge: FPG) (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Syrien gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. iVm § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid vom 27.07.2020 im Wege seines Rechtsvertreters fristgerecht Beschwerde.

7. Mit Schreiben vom 01.09.2020 legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht die erhobene Beschwerde vor und nahm dabei zu dieser Stellung.

8. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 04.09.2020 die im Beschwerdevorlage-Schreiben vom 01.09.2020 getätigten Ausführungen und gab ihm Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen.

9. Am 20.11.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht u.a. im Beisein eines Behördenvertreters und des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch, in der er zu seiner Integration in Österreich, seinen persönlichen Umständen in Syrien und v.a. zur Reisepassbeantragung sowie -ausstellung und seiner Reise nach Syrien im Jahr 2020 befragt wurde. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung mehrere Unterlagen seine Integration bzw. sein Leben in Österreich betreffend vor, die dem Verhandlungsprotokoll als Beilagen angeschlossen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Syrien und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Syrien geboren, wo er in der Folge auch aufwuchs, sechs Jahre lang die Schule besuchte und verschiedene berufliche Tätigkeiten (v.a. Automechaniker und landwirtschaftlicher Arbeiter) ausübte.

Er reiste im Jahr 2014 aus Syrien aus und gelangte in der Folge nach Österreich, wo er am 03.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, aufgrund von Wehrdienstverweigerung der Status des Asylberechtigten zuerkannt; dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer ging am 13.09.2019 zur syrischen Botschaft in Wien, um sich eine Vollmacht für seinen in Syrien aufhältigen Vater ausstellen zu lassen, der dort damit verschiedene Angelegenheiten für den Beschwerdeführer erledigen sollte. Im Zuge dessen legte der Beschwerdeführer seinen abgelaufenen syrischen Reisepass vor und wurde von den Beamten der syrischen Botschaft gefragt, ob er sich einen neuen syrischen Reisepass ausstellen lassen wolle, was der Beschwerdeführer bejahte. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer von der syrischen Botschaft in Wien am 13.09.2019 ein syrischer Reisepass ausgestellt.

In der Folge reiste der Beschwerdeführer im Jänner 2020 nach Syrien und hielt sich dort für ca. einen Monat auf (Stempel im – am 13.09.2019 ausgestellten – syrischen Reisepass: Einreise nach Syrien über Damaskus am 14.01.2020 und Ausreise aus Syrien über Damaskus am 15.02.2020). Der Beschwerdeführer war während seines Aufenthalts in Syrien bei seiner Kernfamilie (Mutter, Bruder und Schwester) in der Nähe der Stadt Damaskus aufhältig. Während seines Aufenthalts in Syrien besuchte er mehrmals seinen aufgrund eines Schlaganfalls im Krankenhaus aufhältigen Vater und regelte zudem Erbschaftsangelegenheiten mit seinen Familienangehörigen. Er wurde während seines Aufenthalts in Syrien ein- bis zweimal von Behörden angehalten. Danach kehrte der Beschwerdeführer nach Österreich zurück.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte dem Beschwerdeführer mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 27.07.2020 den zuvor zuerkannten Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 leg.cit. nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Syrien gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. iVm § 46 leg.cit. zulässig sei; weiters sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Begründend hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen fest, dass sich der Beschwerdeführer freiwillig und ohne Zwang einen syrischen Reisepass an der syrischen Botschaft in Wien ausstellen habe lassen, womit nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Unterschutzstellung unter den Schutz des Herkunftsstaates Syrien vorliege; zudem würden auch die Ein- und Ausreise samt Grenzkontrollen sowie der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien, der eindeutig nicht nur dem Zweck eines Familienbesuches sondern auch der Regelung von Erbschaftsangelegenheiten diente, eindeutig dafür sprechen, dass der Beschwerdeführer dort keiner asylrelevanten Verfolgung mehr ausgesetzt sei.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien nach wie vor die Einziehung in den Wehrdienst der syrischen Armee.

1.2. Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet an keinen Erkrankungen.

1.3. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.05.2019 mit Aktualisierungen bis 17.10.2019 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Sicherheitslage

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der „wichtigsten“ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016).

Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers (UNHRC 31.1.2019).

Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours (AA 13.11.2018).

Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas (DIS/DRC 2.2019).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghuz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen „Syrian Democratic Forces“ erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019). Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019).

US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen (Qantara 28.2.2019). Nachdem Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens (CNN 11.10.2019). Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wird ein Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019, DS 17.10.2019).

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von „Massakern“, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind (SNHR 1.1.2019).

Versöhnungsabkommen

Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen (BFA 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „Reconciliation Agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 7.2019). Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen (BFA 8.2017). Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden (FIS 14.12.2018). Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten (AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen (BFA 8.2017).

Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung, gegenüber Individuen oder Gemeinschaften, werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara‘a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Nordwestsyrien

Die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz.

Anfang Januar 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS) die protürkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZO 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019).

Im Mai 2017 wurde durch eine Vereinbarung zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, eine Deeskalationszone eingerichtet, die ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch, und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte dieser Deeskalationszone zurück (CRS 2.1.2019). Anfang September 2018 erfolgte eine neue Welle von Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Russland und Iran bekräftigten ihre Absicht, gemeinsam mit der syrischen Regierung in Idlib anzugreifen. Die Türkei stellte sich dagegen (Presse 9.9.2018). Mitte September einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Es wurde verhandelt, dass diese 15 bis 20 Kilometer breit sein soll, schwere Waffen abgezogen werden und Kämpfer der radikal-islamistischen HTS die Zone verlassen sollen. Die Schaffung der Zone sollte bis Mitte Oktober abgeschlossen sein (ORF 18.9.2018). Die Türkei war mit der Sicherstellung des Abzugs der Rebellen und schwerer Waffen betraut (DW 9.10.2018; vgl. HRW 9.10.2018). So konnte die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei die befürchtete Regimeoffensive auf Idlib vorerst abwenden (IFK 10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Trotz anfänglicher Zurückhaltung konnte die Türkei bis Oktober 2018 den schrittweisen Abzug schwerer Waffen in die Wege leiten und erklärte die entmilitarisierte Zone für errichtet. Im November flammten jedoch die Konflikte zwischen regierungstreuen Einheiten und HTS wieder auf (UNHRC 31.1.2019).

Im Februar 2019 kam es zu erneuten Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 erstmals seit September 2018 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz Idlib (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Seit Beginn der Kämpfe bis Juni 2019 wurden laut Vereinten Nationen geschätzte 330.000 Personen vertrieben und etwa 2.000 Personen, darunter 532 Zivilisten, wurden auf beiden Seiten des Konfliktes getötet. Mehrere Gesundheitseinrichtungen wurden zum Ziel von Angriffen (TNYT 28.6.2019).

Aufgrund der erwähnten militärischen Auseinandersetzungen in und um Idlib ist die Sicherheitssituation im Nordwesten laut Auskunft der ÖB Damaskus sehr schwierig. In der Stadt Aleppo selbst hat sich die Sicherheitslage aufgrund des Spillover des Konfliktes in Idlib wieder verschlechtert; es kommt vermehrt zu Artilleriebeschuss, der den westlichen Teil der Stadt tangiert. Neben politisch motivierten Verhaftungen durch die HTS kommt es in den Regionen Idlib und Aleppo auch zu Entführungen mit Lösegeldforderungen durch bewaffnete Gruppen. Auch in der türkisch kontrollierten Grenzregion kommt es zu Anschlägen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf türkische Streitkräfte bzw. mit ihnen alliierte Milizen (ÖB 7.2019).

Türkische Militäroperationen in Nordsyrien

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation „Euphrates Shield“ in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).

Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin (DS 20.1.2018; vgl. DZO 23.1.2018, HRW 17.1.2019). Die Operation „Olivenzweig“ begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Von der Unabhängigen Untersuchungskommission für Syrien des UN-Menschenrechtsrates wird die Sicherheitslage in der Gegend von Afrin als prekär bezeichnet (UNHRC 31.1.2019).

Nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits will die Türkei mit Hilfe der Offensive die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits ist das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund 2 der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Nach etwa einer Woche waren die US-Streitkräfte aus Nordsyrien abgezogen (DS 17.10.2019). Den Vereinten Nationen zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen Todesfällen (UN News 14.10.2019). Aufgrund der Offensive gibt es Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager Ain Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZO 10.10.2019).

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14. Oktober in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019).

Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten (DIS/DRC 2.2019).

Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen „Spillover“ von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt (ÖB 7.2019).

Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019).

In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (Presse 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (DSO 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten (DIS/DRC 2.2019; vgl. TN 20.1.2019). Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist (DIS/DRC 2.2019).

Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen (CRS 2.1.2019), bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen (AJ 5.2.2019). Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen (Jane‘s 14.1.2019). Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien (DS 21.1.2019). Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen (TNYT 11.1.2019). Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt (DS 1.7.2019).

Südsyrien

Mit 19. Juni 2018 startete die syrische Regierung eine Offensive zur Rückeroberung der Provinzen Quneitra und Dara‘a im Süden Syriens. In der Provinzhauptstadt Dara‘a waren 2011 die ersten Proteste gegen das Assad-Regime ausgebrochen. Im Juli 2017 wurde dort eine sogenannte Deeskalationszone eingerichtet (DS 5.7.2018). Die beiden Provinzen wurden durch die Regierung zurückerobert und Ende Juli 2018 wurden auch die letzten Dörfer, die sich noch unter Kontrolle einer mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehenden Gruppierung befanden, erobert. Die meisten dieser Städte und Dörfer kapitulierten unter sogenannten Versöhnungsabkommen, wobei Kämpfern und Zivilisten die Möglichkeit gegeben wurde, in von oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete im Norden Syriens zu ziehen (TG 31.7.2018). In al-Suweida im Süden Syriens wurde im Juli 2018 ein Terroranschlag durch den IS verübt, bei dem fast 250 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Drusen (ORF 31.7.2018). Daraufhin starteten regierungstreue Milizen eine erneute Offensive, um den IS aus der Gegend zu vertreiben. Durch Siege und Evakuierungen konnten die regierungstreuen Einheiten ihre Kontrolle festigen (UNHRC 31.1.2019). Insbesondere in der Region Dara‘a kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und Angehörigen von Rebellengruppen, mit denen „Versöhnungsabkommen“ geschlossen wurden. Auch der IS ist in der Region aktiv; Ende Juli kam es zu einem Selbstmordanschlag auf eine Einheit der syrischen Armee, der mehrere Tote forderte (ÖB 7.2019).

In Dara‘a kam es außerdem einer internationalen Sicherheitsorganisation zufolge zu zahlreichen zivilen Opfern durch Blindgänger, daher führen dort Einheiten der syrischen Regierung Entminungen durch (DIS/DRC 2.2019).

Mit der Rückeroberung der Gebiete in Südsyrien erlangte die syrische Regierung außerdem die Kontrolle über die syrisch-jordanische Grenze zurück (ISW 15.7.2018).

Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet

Zuletzt hielt der sogenannte Islamische Staat (IS) eine letzte Enklave entlang des Euphrat nahe der syrisch-irakischen Grenze (ISW 12.10.2018). Die Kämpfer haben sich in die Wüstengebiete im südlichen (Provinz Suweida) und östlichen Syrien zurückgezogen (RFE/RL 28.10.2018). Es operieren weiterhin Schläferzellen auf syrischem Staatsgebiet (VOA 25.10.2018). Ende September wurde z.B. in Raqqa eine dieser Zellen entdeckt, die eine Reihe von größeren Anschlägen in der Stadt plante (Reuters 30.9.2018).

Im September starteten die Syrian Democratic Forces (SDF) in der nahe an der syrisch-irakischen Grenze gelegenen Ortschaft Hajin eine Offensive gegen den IS (DS 31.10.2018, vgl. IFK 10.2018). Mitte Oktober 2018 nutzte der IS schlechte Witterungsverhältnisse für einen Gegenangriff (France24 10.10.2018). Er konnte dabei größere Gebiete im Osten Syriens zwischenzeitlich wieder zurückerobern. Dies galt als schwerster Angriff der Islamisten seit Monaten (DS 28.10.2018). Auch Ende November 2018 führte der IS im Osten Syriens größere Angriffe durch (TDSL 26.11.2018). Einheiten der SDF unter kurdischer Führung begannen Anfang März des Jahres 2019 erneut den Angriff auf den Ort Baghuz, die letzte Bastion des IS. Sie hatten zuletzt die Angriffe auf den Ort eingestellt, damit Zivilisten diesen verlassen konnten (FAZ 10.3.2019).

Nach wochenlangen Kämpfen erklärten die SDF die Stadt Baghuz als vom IS befreit. Mit Baghuz ist die letzte Bastion der Terrormiliz gefallen (DZO 24.3.2019). In den Wochen davor hatten bereits Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten (DZO 24.3.2019).

Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019) und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht (FAZ 22.3.2019).

Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen

Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defense Forces (NDF) (USDOS 13.3.2019). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von Verwandten oder engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 13.11.2018). Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten, einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung und Korruption bekannt. Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 13.3.2019).

Russland, Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).

Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade) wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde (Kozak 28.12.2017).

Streitkräfte

Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe und den Geheimdiensten (CIA 15.1.2019). Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von geschätzt 295.000 Personen gehabt haben (UK HO 8.2016). Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sogenannten Quta‘a-System [arab. Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (quta‘a) zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere überlaufen. Gleichzeitig gab die Armee dem Divisionskommandeur für den Fall eines Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle, freie Hand über dieses Gebiet. Gleichzeitig kann dadurch der Präsident den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt (CMEC 14.3.2016). Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf verbessern zu können (ISW 8.3.2017).

Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen der Polizei: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei („riot police“) (USDOS 13.3.2019).

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 13.3.2019; vgl. EIP 6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 13.11.2018). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzte Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; vgl. USDOS 13.3.2019).

Der Sicherheitssektor stellt die allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) wieder her. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).

Volkskomitees, National Defence Forces, Viertes Korps, Fünftes Korps

Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet (FIS 14.12.2018). Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten (ISW 8.3.2017; vgl. JTF 24.3.2017). Die NDF sind nicht Teil der syrischen Armee, aber offiziell als „Verbündete“, als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten (FIS 14.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019).

Die regierungstreuen Milizen stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar, z.B. im Zusammenhang mit Rekrutierung, da die Milizen teilweise über bessere Finanzierung verfügen und somit höheren Sold bezahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen. Laut Expertenmeinungen wird die syrische Regierung diese Konkurrenz um Rekruten und Ressourcen nach Ende der Kampfhandlungen nicht mehr tolerieren (FIS 14.12.2018).

Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming Corps/Fifth Assault Corps) gegründet (Kozak 3.2018). Ähnlich wie die NDF sollten auch diese beiden Einheiten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert und so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden können (CEIP 12.12.2018). Zudem sollte das Fünfte Korps um freiwillige Rekruten werben. Rekruten können, ähnlich wie bei den NDF, ihren Wehrdienst anstatt in der regulären syrischen Armee, auch im Fünften Korps, ableisten (FIS 14.12.2018).

Ausländische Kämpfer, bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte, auf Seiten des Regimes

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezialeinheiten und aus der Luft, sowie die ausgeweitete Bodenintervention des Iran konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten aus dem Islamic Revolutionary Guard Corps und Mitgliedern der regulären iranischen Streitkräfte – sogenannte „Artesh“-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern (ISW 8.3.2017), darunter Pakistanis und Afghanen (KAS 4.12.2018a). Zudem unterstützt der Iran auch lokale paramilitärische Gruppen. Diese Koalition stellt einen überproportionalen Anteil der Infanterie, die in größeren Operationen auf Seiten der Regierung eingesetzt wird (ISW 8.3.2017).

Die iranischen Offiziere unterstützen Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die Hizbollah und irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert (KAS 4.12.2018a). Die Truppenstärke der afghanischen Fatemiyoun-Brigade, die seit Ende 2013 in Syrien eingesetzt wird, beläuft sich je nach Quelle auf 2.000-4.000 (ISW 8.3.2017) bzw. 6.000-10.000 Kämpfer (KAS 4.12.2018a). Die aus pakistanischen Kämpfern zusammengesetzte Einheit der Zainabiyoun-Brigade, die seit 2015 in Syrien eingesetzt wird, besitzt eine wahrscheinliche Truppenstärke von durchschnittlich unter 1.000 Kämpfern (KAS 4.12.2018a).

Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen Militärkooperation führte (KAS 4.12.2018a). Im Zuge dessen kam es auch zu „Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen“ von niederrangigen oder auch höherrangigen syrischen Offizieren, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten (ISW 8.3.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).

Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).

Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).

Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 unter-18-jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).

Religionsfreiheit

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, und dass die islamische Rechtsprechung eine Hauptquelle des Gesetzes darstellt. In Angelegenheiten des Personenstandsrechtes fallen alle Bürger unter die Gesetzgebung ihrer jeweiligen religiösen Gruppe (Christentum, Islam oder Judentum). Zur Klärung von Fragen des Familienstandes verlangt die Regierung daher von ihren Bürgern, ihre Glaubenszugehörigkeit zu einer dieser drei Religionen registrieren zu lassen. Die Religionszugehörigkeit, abgesehen von der jüdischen Religionszugehörigkeit, wird nicht im Pass und auf der Identitätskarte vermerkt, sondern auf der Geburtsurkunde und auf Dokumenten, die zur Eheschließung und für Pilgerreisen notwendig sind (USDOS 21.6.2019). Es ist nicht möglich, „keine Religion“ zu registrieren (Eijk 2013). Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet „das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften“ (USDOS 21.6.2019).

Ein neues Gesetz vom Oktober 2018 verleiht dem syrischen Ministerium für Religiöse Stiftungen („Ministry of Awqaf“) zusätzliche Befugnisse. So beinhaltet das Gesetz die Einrichtung eines „Rechtswissenschaftlichen und Gelehrten Rates“ mit der Entscheidungshoheit über die Definition, welche Inhalte im religiösen Diskurs angemessen sind. Der Minister wird mit der Kompetenz ausgestattet religiöse Persönlichkeiten zu bestrafen, wenn diese „extremistische“ oder auch „abweichende“ religiöse Lehre verbreiten, indem ihnen ihre Lizenz entzogen oder gegen sie ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird (CEIP 14.11.2018).

Der Rat soll außerdem jede Fatwa, die in Syrien veröffentlicht wird, überwachen, um die Verbreitung wahhabitischen oder mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Gedankenguts zu verhindern. Das Gesetz beinhaltet außerdem die Einrichtung eines Zentralrats mit der Befugnis in allen Gemeinde- und Verwaltungszentren des Landes Außenstellen zu eröffnen, um religiöse Rituale und Feiern zu beaufsichtigen und die Umsetzung der Pläne des Ministeriums zu beurteilen (CEIP 14.11.2018). Einem syrischen Anwalt zufolge kann der Minister durch diese Gesetzesänderung auch in Bereichen, die nicht direkt mit der Verwaltung dieses Ministeriums in Zusammenhang stehen, Einfluss ausüben, so z.B. auf religiöse Literatur (France24 14.10.2018).

Das syrische Eherecht kennt das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann nichtig (MPG 2018). Sie wäre laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn sie bereits vollzogen wurde (Eijk 2013). Nach dem Konsens der islamischen Juristen ist eine Ehe zwischen einem Muslim und einer nichtmuslimischen Frau wirksam, sofern diese einer der zwei anderen Buchreligionen - also Christentum und Judentum - angehört (MPG o.D.a; vgl. MPG 2018). Eine christliche Ehefrau eines muslimischen Mannes kann jedoch nichts von ihrem Mann erben außer sie konvertiert zum Islam (USDOS 21.6.2019). Ihre Kinder werden automatisch Muslime (Eijk 2013). Gemischtreligiöse Ehen sind in Syrien selten, existieren aber. Sie werden aber häufig geheim geschlossen oder nicht offiziell registriert, weil sie von der Gesellschaft verurteilt werden (Eijk 2013; vgl. USDOS 15.8.2017).

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Die Regierung, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 13.3.2019).

Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018), etwa durch Belagerungen, die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung, Hunger und Todesfällen führten (USDOS 13.3.2019).

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Laut USDOS sind mittlerweile sogar alle Belagerungen aufgehoben worden (USDOS 13.3.2019).

Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung, konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig, und an den Straßen befinden sich nach wie vor zahlreiche Checkpoints, an denen Soldaten regelmäßig Bestechungsgelder verlangen sollen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit anderen Phasen des Krieges, in denen viele Gebiete unerreichbar waren. Es ist jedoch noch immer schwierig von Rebellen gehaltene Gebiete, zum Beispiel in Idlib oder Nordaleppo, zu erreichen (Reuters 27.9.2018).

Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch die Regierung verbessert, da z.B. seither weniger Checkpoints in der Stadt betrieben werden. Die Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann recht willkürlich sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018).

Laut Human Rights Watch wird Personen, die aus vom IS gehaltenen Gebieten flüchten, der Zutritt in kurdisch kontrollierte Gebiete verweigert, wenn diese keinen kurdischen Fürsprecher (Sponsor) vorweisen können (HRW 1.8.2018).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten Syriens erheblich ein. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen allgemein nicht erlaubt, ohne einen nahen männlichen Verwandten zu reisen (USDOS 13.3.2019).

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen. Die R

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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