Entscheidungsdatum
04.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W279 2191598-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX .1999, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.03.2018, Zahl 1112230208/160569771, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.
2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des BF führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass er wegen den Taliban geflohen sei, da diese ihn verschleppt hätten und er von diesen auch verprügelt worden sei. Wenig später hätten sie ihm vorgeschlagen, ihn freizulassen, falls er mit ihnen zusammenarbeite. Da er den Hazara angehöre, würden die Taliban ihn und andere junge Burschen für ihre Zwecke missbrauchen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm die Ermordung durch die Taliban. Zu seinen persönlichen Umständen befragt, erklärte der BF, dass er der Religionszugehörigkeit der Schiiten und der Volksgruppe der Hazara angehöre. Er habe fünf Jahre die Grundschule besucht und sei zuletzt Schüler gewesen.
3. Am 25.01.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und nicht in ärztlicher Behandlung sei. Zur Frage, ob er in Afghanistan bereits gearbeitet habe, entgegnete der BF, dass er seinem Vater in der Landwirtschaft gewohnt habe. Auf Aufforderung, einen kurzen Lebenslauf bezüglich seiner Person zu schildern, gab der BF zu Protokoll, dass er in der Provinz Maidan Wardak geboren und aufgewachsen sei. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara und der Religionszugehörigkeit der Schiiten an. Das Grundstück und das Haus, in dem der BF mit seiner Familie gewohnt habe, hätten dem Vater des BF gehört. Seine Eltern, drei Schwestern und ein Bruder hätten im Zeitpunkt der Ausreise nach wie vor in diesem Haus gewohnt. Die Geschwister seiner Eltern seien teilweise verstorben und seien teilweise auch im Iran wohnhaft. Auf Nachfrage, wovon seine Familie lebe, erwiderte der BF, dass sein Vater auf Grundstücken anderer Familien tätig sei. Der BF stehe nach wie vor in Kontakt mit seinen Angehörigen und er habe zuletzt vor drei Tagen mit seiner Mutter gesprochen. Seine Familie habe Angst, da der BF im gesamten Dorf gesucht werde. Sein Vater sei bedrängt worden, dass er die Taliban zum BF führe, was sein Vater jedoch abgelehnt habe. Nachgefragt, wann beschlossen worden sei, dass der BF Afghanistan verlassen müsse, entgegnete der BF, dass der Entschluss in der Nacht gefasst worden sei und ihn ein Freund seines Vaters abgeholt habe. Zuerst sei er nach Maidan Wardak gebracht worden und in weiterer Folge sei er über Ghazni nach Nimroz und anschließend in Pakistan eingereist. Von dort sei er vom Iran aus nach Europa gereist. Die Frage, ob er im Heimatland inhaftiert worden sei, gegen ihn staatliche Fahndungsmaßnahmen bestehen würden oder politisch tätig gewesen sei, wurden vom BF verneint. Der BF habe als Schiite Probleme gehabt und mit Privatpersonen keine Probleme gehabt, aber die Dorfbewohner würden ihn suchen. Er habe an keinen bewaffneten Auseinandersetzungen im Herkunftsstaat teilgenommen.
Zum Fluchtgrund befragt, brachte der BF vor, dass er Schiite und Hazara sei und sein Leben in Afghanistan in Gefahr gewesen sei, da er bei einem weiteren Verbleib getötet worden wäre oder mit den Taliban zusammenarbeiten hätten müssen. Auf Aufforderung, konkret anzugeben, worin die Probleme bestanden hätten, führte der BF an, dass er von den Taliban entführt worden sei und diese ihn dazu zwingen hätten wollen, religiös unterrichtet zu werden und den Jihad zu praktizieren, aber sein Vater sei gegen diese Maßnahmen gewesen. Die Dorfälteste hätten bei den Taliban interveniert, den BF freizulassen. In weiterer Folge hätten sie den BF ein paar Tage freigelassen. Da die Taliban jedoch seinen Vater misshandelt hätten, habe der BF mit den Taliban kollaborieren wollen, um die Diskriminierungen und Belästigungen gegen seine Familie endgültig zu beenden, seine Familie habe jedoch seine Ausreise beschlossen. Zur Frage, ob es noch andere Probleme gebe, aufgrund derer er das Land verlassen habe, replizierte der BF, dass er kein Problem gehabt hätte, wenn er in größeren Städten wie Kabul, Mazar e-Sharif oder Herat gelebt hätte, aber die Dorfbewohner eine starke Präsenz in seiner unmittelbaren Umgebung gehabt hätten und seine Familie daher vorgegeben habe, dass der BF auf dem Weg in den Iran getötet worden sei. Schiiten und Hazara würden auch ganz allgemein Probleme haben, er selbst sei jedoch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Religionszugehörigkeit keiner Verfolgung unterlegen, die Dorfbewohner hätten ihn als Hazara nicht als Einwohner Afghanistans akzeptiert. Alle Hazara seien in seinem Dorf diesem Problem ausgesetzt gewesen, einige seien geköpft worden. Bei einer Rückkehr würde der BF nach kurzer Zeit ermordet werden, da die Taliban in ganz Afghanistan verstreut seien.
Die Frage, ob er in Österreich Verwandte oder sonstige Angehörige habe, wurde vom BF verneint. Der BF habe einen Deutschkurs absolviert, mache Fitness und sei nebenbei als Zusteller tätig.
Auf Aufforderung, die Bedrohung durch die Taliban möglichst lebensnah zu schildern und befragt, gab der BF zu Protokoll, dass im Zuge der ersten Bedrohung vier oder fünf Personen das Grundstück seines Vaters belagert hätten. Den genauen Zeitpunkt wisse der BF jedoch nicht mehr. Das zweite Mal hätten sie ihn mitgenommen, da er aufgrund seines Alters als Kämpfer geeignet gewesen sei, was sein Vater jedoch abgelehnt habe. Zur Frage, wann der Vorfall stattgefunden habe, bei dem er bedroht worden sei, erklärte der BF, dass sie ihn drei Monate hindurch bedroht hätten und beim zweiten Vorfall mitgenommen hätten. Anschließend sei er gequält und geschlagen sowie zu einer religiösen Bildung in Pakistan genötigt worden, was sein Vater jedoch nicht gewollt habe. Befragt, wann er von der Bedrohung seines Vaters am Feld erfahren habe, erklärte der BF, dass er erst nach ein paar Tagen davon erfahren habe. Nachgefragt, was er genau erfahren habe, erwiderte der BF, dass Frauen an seine Mutter herangetreten seien und gefragt hätten, was die Taliban von deren Mann gewollt hätten. Auf Nachfrage, wieso er wisse, dass es sich um vier oder fünf Personen gehandelt habe, replizierte der BF, dass sein Vater es seiner Mutter und diese in weiterer Folge den Frauen darüber berichtet habe. Auf Vorhalt, dass er vorher erklärt habe, dass die Frauen bereits gewusst hätten, dass die Taliban mit seinem Vater gesprochen hätten, sodass nicht nachvollziehbar sei, weshalb seine Mutter den Vorfall explizit geschildert haben sollte, entgegnete der BF, dass seine Mutter immer alles erzählt habe und er es nur erfahren habe, da sie den Frauen darüber berichtet habe. Er wisse jedoch nicht, ob es sich um Männer aus der unmittelbaren Nachbarschaft gehandelt habe. Befragt, wann sich der zweite Vorfall ereignet habe und was genau passiert sei, brachte der BF vor, dass dieser ungefähr zwei Monate später stattgefunden habe und die Taliban ihn im Zuge dessen zur Teilnahme am Kampf aufgefordert hätten. Da er diesen Vorschlag jedoch abgelehnt habe, hätten sie seinem Vater erklärt, dass der BF ungläubig sei. Auf erneute Aufforderung, zu schildern, was konkret passiert sei, führte der BF an, dass sie mit ihm gesprochen hätten und danach seinen Vater verprügelt hätten. Wie er bereits erzählt habe, sei er in weiterer Folge vier Tage bei den Taliban geblieben. Auf die Frage, wie es zu seiner Befreiung gekommen sei, erwiderte der BF, dass die Dorfältesten durch die Übergabe von 3000,- Afghani und einem Schaf erfolgreich intervenieren hätten können, er zu den Taliban nach einigen Tagen jedoch zurückkehren habe müssen. Nachgefragt, wieso die Dorfältesten für ihn so eine hohe Summe investiert hätten, erklärte der BF, dass sein Vater ein hohes Ansehen habe und sie diesen wertgeschätzt hätten. Befragt, wann er erstmals wegen seiner religiösen Zugehörigkeit beschimpft worden sei, replizierte der BF, dass dies zuletzt vor vier oder fünf Jahren gewesen sei, da es wenig später unter der Herrschaft der Taliban keine Meinungsfreiheit mehr gegeben habe. Zur Frage, wieso er nach wie vor von Dorfbewohnern gesucht werde, erklärte der BF, dass sie seinem Vater nach wie vor Vorhaltungen machen würden, da er seinen Sohn nicht den Taliban ausgeliefert habe.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine Teilnahmebestätigung der Volkshilfe vom 15.01.2018 über die Verrichtung verschiedener Hilfstätigkeiten, eine Bestätigung des Berufsförderungsinstituts vom 24.01.2018 über die Teilnahme am Lehrgang „Bildung für Flüchtlinge“, eine Anmeldebestätigung einer Volkshochschule vom 12.01.2018 für einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 Teil 2 vom 13.12.2017 bis zum 02.03.2018, eine Kursbestätigung der Caritas vom 02.02.2017 über den Besuch eines Alphabetisierungskurs vom 19.09.2016-19.12.2016, eine Teilnahmebestätigung der Volkshilfe vom 28.06.2017 über die Absolvierung eines Deutschkurses auf dem Niveau A1 Teil 1, eine Teilnahmebestätigung der Volkshilfe vom 14.03.2017 über die Absolvierung des Kurses „Basis Bildung Los!“ vom 16.01.2017-08.03.2017 und eine Teilnahmebestätigung der Volkshilfe vom 10.11.2016 über die Absolvierung des Kurses „Basis Bildung Los!“ vom 03.10.2016-10.11.2016 in Vorlage gebracht.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die Angaben des BF hinsichtlich seines Fluchtgrundes widersprüchlich, oberflächlich und keineswegs plausibel gewesen seien. So habe der BF hinsichtlich der Bedrohungen durch die Taliban nur sehr oberflächliche, detailarme Angaben gemacht. Auch die Angaben des BF hinsichtlich seiner Entführung seien keinesfalls glaubhaft gewesen, da er auf die Frage, wohin er gefahren sei, angegeben habe, dass er nicht gewusst habe, wohin er fahre, weil seine Augen verbunden gewesen seien, bei seiner Befreiung seien diese Sicherheitsvorkehrungen jedoch nicht mehr getroffen worden, da man ansonsten nicht gewusst hätte, wo sich der BF genau befinde. Überdies habe er in der Erstbefragung bezüglich seiner Fluchtgründe angegeben, dass er von den Taliban verschleppt und von diesen geschlagen worden, in der Einvernahme vor dem BFA habe er jedoch erklärt, dass nur sein Vater und nicht er selbst geschlagen worden sei. Soweit der BF angebe, dass er aufgrund seiner ethischen und religiösen Zugehörigkeit Probleme in Afghanistan gehabt habe, sei festzuhalten, dass der BF lediglich oberflächliche Angaben gemacht habe und keine Bedrohung behauptet habe. Eine, auf asylrelevante Gründe gestützte Gefährdung, die über gleichermaßen die anderen Staaten des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgehe, habe der BF nicht geltend machen können.
6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die erkennende Behörde dem BF in vollkommener Verkennung der Rechtslage vorhalte, die von ihm geschilderte Verfolgung sei unglaubwürdig. Darüber hinaus würden die Länderfeststellungen allgemeine Aussagen über Afghanistan beinhalten, würden sich jedoch nur unzureichend mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen. Es wurde auf mehrere Berichte hinsichtlich der prekären Lage in Afghanistan verwiesen. Insofern die Behörde festgestellt habe, dass der BF in Afghanistan keiner Verfolgung ausgesetzt wäre, sei auf das glaubhafte Vorbringen des BF sowie die Länderberichte verwiesen. Wenn dem BF vorgehalten werde, dass er widersprüchliche Angaben hinsichtlich des Zeitpunktes bzw. der Anzahl der Bedrohungen durch die Taliban gemacht habe, sei darauf zu verweisen, dass der Vater des BF etwa drei Monate vor Ausreise des BF von den Taliban aufgefordert worden sei, den BF auszuliefern. Hierbei sei der BF jedoch nicht anwesend gewesen und habe erst später davon erfahren. Als die Taliban das nächste Mal den BF aufgesucht hätten, hätten sie ihn mitgenommen. Für den BF habe die Entführung also das zweite Zusammentreffen mit den Taliban dargestellt. Hinsichtlich des Vorhalts der Behörde, dass es nicht glaubhaft sei, dass ihm die Augen verbunden worden seien, wenn den Dorfältesten der Standort der Taliban ohnehin bekannt gewesen sei, werde auf das glaubhafte Vorbringen des BF verwiesen, dass die Dorfältesten gewusst hätten, wo sich die Taliban aufgehalten hätten, weil sie die Taliban und deren Standort gekannt hätten. Wenn die Behörde dem BF vorhalte, dass der BF als schiitischer Hazara nie bedroht worden sei, werde auf das glaubhafte Vorbringen des BF verwiesen, wonach der BF mehrmals im Dorf bedroht worden sei, weil er schiitischer Hazara sei. Die angeblichen Widersprüche der Behörde würden konstruiert und widersprüchlich erscheinen, da der BF in Wahrheit ein widerspruchsfreies und nachvollziehbares Vorbringen erstattet habe. Es liege eine asylrelevante Verfolgung des BF vor, da er der ethischen und religiösen Gruppe der schiitischen Hazara angehöre und er sich der Zwangsrekrutierung durch die Taliban entzogen habe, weshalb ihm eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werde. Auch der Umstand, dass der BF sich im westlich geprägten Österreich aufgehalten habe und sich den westlichen Werten angepasst habe, könnte ihn aufgrund einer unterstellten politischen Einstellung oder einem unterstellten Werteabfall zur Zielscheibe von Übergriffen in Afghanistan machen. Der BF würde aufgrund seiner fehlenden Ausbildung sowie der Tatsache, dass er jahrelang im Ausland gelebt habe, keine Arbeit finden. Seine Familie könnte ihn ebenfalls nicht unterstützen, da sie ansonsten große Probleme mit den Dorfbewohnern bekommen würden. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.04.2018, beim BVwG am 06.04.2018 eingelangt, vom BFA vorgelegt.
8. In einer Stellungnahme wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF ausgeführt, dass die Coronavirus Epidemie in Afghanistan außer Kontrolle sei, weshalb bereits aus diesem Grund davon auszugehen sei, dass der BF im Falle einer Abschiebung in eine existentielle Notlage geraten würde. Sowohl das Länderinformationsblatt als auch die UNHCR Richtlinien würden die katastrophale Wirtschaft-und Sicherheitslage in Afghanistan bestätigen. Insgesamt sei daher festzuhalten, dass die Sicherheit in den Städten, die als innerstaatliche Fluchtalternative infrage kommen würden, nicht als gegeben erachtet werden könne. Sowohl in Mazar e-Sharif als auch in Herat würden von einer mangelhaften Nahrungsmittelversorgung betroffen sein. Mazar e-Sharif habe ebenfalls eine Arbeitsmarktlage, die nicht gewährleisten könne, dass der BF ein angemessenes Leben führen werde. Selbst in Bezug auf die Frage, ob in Herat die Möglichkeit einer angemessenen Unterkunft gegeben sei, müsse festgestellt werden, dass dies zu verneinen sei. Die Wohnungssituation in Mazar e-Sharif sei vergleichbar mit der bedenklichen Situation in Herat. Speziell zu Kabul sei auch darauf hingewiesen, dass aus der letzten UNHCR-Richtlinie zu entnehmen sei, dass diese Stadt generell nicht mehr als innerstaatliche Fluchtalternative infrage komme. Es bestehe im Falle einer Rückkehr für den BF die Gefahr, dass er in eine ausweglose Lage geraten und damit eine Verletzung der durch Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechte vorliegen würden. Der Stellungnahme wurden eine Teilnahmebestätigung von „pro mente“ vom 14.11.2019 über die Teilnahme an einem Projekt vom 21.10.2019 bis zum 14.11.2019, ein Zertifikat der volkshilfe vom 22.08.2018 über die Teilnahme an Workshops zur Menschenrechtsbildung, eine Bestätigung des bfi Oberösterreich vom 24.01.2018 über die Teilnahme am Lehrgang „Bildung für Flüchtlinge“, eine Bestätigung vom 15.01.2018 über die Teilnahme an einem Remunerationsprojekt von Jänner 2016 bis Juni 2017, eine Teilnahmebestätigung vom 28.06.2017 über die Teilnahme an einem Deutschkurs vom 18.04.2017-28.06.2017, eine Teilnahmebestätigung vom 14.03.2017 über die Teilnahme am Kurs „Basis Bildung Los! 2017-1“ vom 16.01.2017-08.03.2017, eine Kursbestätigung des Landes XXXX vom 02.02.2017 über den Besuch eines Alphabetisierungskurses vom 19.09.1016-19.12.2016 und eine Teilnahmebestätigung vom 10.11.2016 über die Teilnahme am Kurs „Basis Bildung Los! 2016-6“ angeschlossen.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.10.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des BF sowie zwei Vertrauenspersonen eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Das BFA ist nicht erschienen.
Zur Frage, ob er gegenüber den österreichischen Behörden Angaben getätigt habe, die er nunmehr richtigstellen wolle, erwiderte der BF, dass der Mann, der ihm bei der Ausreise aus Afghanistan geholfen habe, XXXX heiße und er um drei Uhr in der Nacht am Busbahnhof Kabul in Richtung Ghazni angekommen sei.
Auf Aufforderung, seinen Tagesablauf zu schildern, führte der BF an, dass er aufstehe, Essen koche und sich mit seinem Handy beschäftige bzw. Netflix ansehe. Nach seinem Deutschkurs lerne er und besuche oftmals Freunde. Befragt, ob er derzeit einer Erwerbstätigkeit nachgehe, erklärte der BF, dass er seit neun Monaten als Freiwilligenarbeiter tätig sei. Nachgefragt, um welche Tätigkeiten es sich konkret handle, entgegnete der BF, dass er in Kindergärten Essen verteilt habe. Ansonsten habe er in Österreich keiner Beschäftigung nachgehen dürfen. In Afghanistan habe der BF seinem Vater in der Landwirtschaft beim Anbauen von Weizen sowie Kartoffeln und bei der Ernte geholfen.
Er sei Hazara und gehöre der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Auf Nachfrage, ob er noch Kontaktpersonen in Afghanistan habe und Kontakt zu seinen Eltern sowie Geschwistern pflege, führte der BF an, dass sich seine Geschwister und seine Eltern derzeit im Iran befinden würden. Die Frage, ob er verheiratet sei oder eine Freundin habe, wurde vom BF verneint. In Zukunft wolle er in Österreich als Elektriker tätig sein. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er von den Taliban und den Dorfbewohnern getötet werden. Auf die weitere Frage, wie es ihm in einer Stadt wie Masar e-Sharif oder Herat ergehen würde, replizierte der BF, dass er in Afghanistan nirgendwo leben könnte, da ansonsten auch seine Eltern nach wie vor in Afghanistan wohnen würden.
Befragt, welcher Gefahr er in einer Stadt wie Masar e-Sharif oder Herat ausgesetzt wäre, gab der BF zu Protokoll, dass die Taliban sowie die Dorfbewohner im gesamten Land überall präsent seien. Nachgefragt führte der BF an, dass sich sein Dorf in der Provinz Maidan Wardak befinde und ca. 200 oder 350 Einwohner habe. Die Dorfbewohner hätten Kontakte zu den Taliban und seien Feinde seines Vaters geworden, weil er sie über den Tod des BF angelogen habe.
Zur Frage des Rechtsvertreters, wann seine Familie Afghanistan verlassen habe und wie er davon erfahren habe, erklärte der BF, dass er mit einem Freund aus seiner Kindheit über Facebook Kontakt aufgenommen habe, der in seinem Dorf weitererzählt habe, dass er nach wie vor am Leben sei und, weshalb man der Familie des BF daraufhin Vorhaltungen gemacht habe. Da die Dorfbewohner auch den Dorfältesten davon berichtet hätten, dass seine Eltern gelogen hätten, sei ihnen von den Dorfältesten erlaubt worden, gegen seine Familie Dschihad zu führen. Dieser Vorfall habe ungefähr vor 15 Monaten stattgefunden und die Erlaubnis sei ihnen am darauffolgenden Tag erteilt worden, nachdem diese von der Lüge seiner Familie erfahren hätten. Auf die weitere Frage des Rechtsvertreters, ob er Kontakt zu seiner Familie habe und was diese ihm genau berichtet habe, führte der BF an, dass ihm seine Familie erkläre, dass er nie mehr nach Afghanistan zurückkehren könne, da seine Angehörigen selbst wegen der geschilderten Probleme das Land verlassen hätten. Nunmehr stehe er auch mit niemanden in Afghanistan mehr in Kontakt, da sein Freund ihn verraten habe.
Befragt, wie lange er in Afghanistan gelebt habe, erwiderte der BF, dass er sich insgesamt 16 Jahre lang in Afghanistan aufgehalten habe und die Sprachen Dari und etwas Deutsch beherrsche. Nachgefragt, ob er in Afghanistan eine Schule besucht habe, erklärte der BF, dass er im Alter von 11 oder 12 Jahren fünf Jahre in eine Koranschule gegangen sei, wo er Religionsunterricht gehabt und Mathematik gelernt habe.
Ein einvernommener Zeuge brachte vor, dass er den BF bereits seit 2017 kenne und seit dem Jahr 2018 mit ihm befreundet sei. Der Zeuge führte zudem an, dass er seit 2012 in Österreich sei, eine Lehre als Maurer abgeschlossen habe und derzeit arbeitslos sei. Er lerne mit dem BF oftmals die deutsche Sprache oder besuche Freunde.
Zum Fluchtgrund befragt, brachte der BF vor, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei. Auf Nachfrage, wann er dies bemerkt habe, erklärte der BF, dass er das zwei Monate vor seiner Ausreise bemerkt habe, da zu diesem Zeitpunkt die Taliban an seinen Vater herangetreten seien und ihn darauf hingewiesen hätten, dass sein Sohn am Dschihad teilnehmen müsse, was sein Vater jedoch nicht ernstgenommen habe. Auf die weitere Frage, ob ihm in diesem Moment bereits bewusst gewesen sei, dass sein Leben tatsächlich in Gefahr sei, replizierte der BF, dass er damals tatsächlich festgestellt habe, dass sein Leben bedroht sei und seine Eltern dies bekräftigt hätten.
Nachgefragt, was dann passiert sei, entgegnete der BF, dass die Taliban das zweite Mal gekommen seien und seinen Vater bedroht hätten. Eine Woche später seien sie erneut zu seinem Elternhaus gefahren und hätten den BF mitgenommen, als er gerade auf den Feldern gearbeitet habe. Befragt, wohin er von diesen verschleppt worden sei, entgegnete der BF, dass ihm die Augen verbunden worden seien, weshalb er nicht wisse, wohin sie ihn genau gebracht hätten. Insgesamt habe die Fahrzeit etwa 20 oder 25 Minuten gedauert und sie hätten ihn für vier Tage festgehalten. Einer der Taliban sei an ihn herangetreten und ihn zur Teilnahme am Dschihad aufgefordert. Da man ihm die Ermordung seiner Eltern und die Inhaftierung seiner Geschwister angedroht habe, sei der BF mit dem Vorschlag, am Dschihad teilzunehmen, einverstanden gewesen. Daraufhin hätten die Dorfältesten die Taliban jedoch gegen eine Gegenleistung eines Schafes in Höhe von 3000 Afghani ersucht, dem BF zu erlauben, seine kranke Mutter zu besuchen. Nachdem sie ihm diesen Wunsch gewährt hätten, sei der BF mit der Unterstützung seiner Mutter sowie des Arbeitgebers seines Vaters geflüchtet und sei über Maidan Wardak in Richtung Ghazni nach Kabul gereist und von dort aus über Nimroz nach Pakistan und in weiterer Folge in den Iran geflohen. Sein Onkel habe ihn bei der Finanzierung seiner Reise geholfen. Auf Vorhalt, wieso er nicht in Pakistan oder im Iran geblieben und nach Europa weitergereist sei, brachte der BF vor, dass es in Pakistan eine hohe Präsenz der Taliban gebe und diese ihn damals auch gezwungen hätten, am Religionsunterricht teilzunehmen. Im Iran könne man nicht illegal leben und werde nach Afghanistan zurückgeschoben.
Befragt, welcher Tätigkeit seine Verwandten im Iran derzeit nachgehen würden, erklärte der BF, dass sein Vater mit dessen Bruder im Iran illegal als Spengler beschäftigt sei. Sein Onkel sei bereits seit 25 oder 26 Jahren im Iran aufhältig. Auf Nachfrage gab der BF zu Protokoll, dass sein Vater zwei Brüder habe, die beide im Iran aufhältig seien. Zur weiteren Frage, ob er noch Grundbesitz in Afghanistan habe, gab der BF an, dass seine Eltern in Maidan Wardak plötzlich verlassen hätten, weshalb sie dort nach wie vor Grundbesitz hätten.
Der BF habe einen Bruder und drei Schwestern und seine Geschwister seien allesamt im Iran aufhältig. Auf Nachfrage, weshalb er nicht im Iran leben könnte, brachte der BF vor, dass sie ihn dort gemeinsam mit seiner Familie nach Afghanistan zurückschicken würden. Seine Familie würde ihn bei einer Rückkehr nicht finanziell unterstützen und er würde überall getötet werden, da er Hazara sei. Da er Hazara sei und da ihn die Taliban bedroht habe, könne er weder in Herat noch in Mazar e-Sharif leben.
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden vom BF eine Unterstützungserklärung vom 05.10.2020 über die Absolvierung einer dreimonatigen Basisbildung von Seiten des BF, eine Bestätigung des „International Fight Team“ vom 06.10.2020 über die Mitgliedschaft des BF und ein Empfehlungsschreiben vom 06.10.2020 in Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
• Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;
• Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.10.2020;
• Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.
1. Feststellungen:
Zur Person des BF:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitisch islamischen Glauben. Seine Identität steht nicht zweifelsfrei fest. Seine Muttersprache ist Dari.
Der BF wurde in der Provinz Maidan Wardak geboren und aufgewachsen. Er hat bis zu seiner Ausreise nach Europa mit seinen Eltern, drei Schwestern und einem Bruder im Elternhaus gelebt. Nach eigenen Angaben ist die Familie des BF nach dessen Ausreise in den Iran gezogen und der BF steht mit seiner Familie in regelmäßigen Kontakt. Der Vater des BF und der Onkel gehen im Iran einer Erwerbstätigkeit als Spengler nach. In Afghanistan hat der BF keine familiären Anknüpfungspunkte mehr. Die Familie des BF hat nach wie vor Grundstücke in Maidan Wardak.
Der BF besuchte in Afghanistan fünf Jahre lang eine Koranschule. Er erlernte keinen Beruf und arbeitete im Herkunftsstaat in der Landwirtschaft seines Vaters.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert und mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der BF ist ledig und kinderlos, er ist leistungsfähig und in einem berufsfähigen Alter. Er ist gesund. Derzeit ist der BF nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente ein.
Zum (Privat)Leben des BF in Österreich:
Der BF hält sich seit seiner Antragstellung durchgehend auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf, bestreitet den Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung.
Der BF ist Mitglied in einem Kickbox-Verein und hat in Österreich an Projekten, einem Lehrgang sowie Workshops zur Menschenrechtsbildung teilgenommen. Der BF hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht, an einem Alphabetisierungskurs teilgenommen und diverse Bildungsveranstaltungen besucht. Er verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen. Er war zwar ehrenamtlich tätig, ist jedoch im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF war in seiner Heimat keiner konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt.
Der BF wurde in Afghanistan nicht von den Taliban in asylrelevanter Art und Weise verfolgt bzw. droht ihm keine solche Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan.
Der BF ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der BF hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt bei ihm keine westliche Lebenseinstellung vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist und die ihn in Afghanistan exponieren würde.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.
Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgung aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus seiner politischen Gesinnung ausgesetzt.
Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Dem BF könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Maidan Wardak aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Die Eltern und die Geschwister des BF leben zwar im Iran, der BF steht mit diesen jedoch in regelmäßigen Kontakt. Der Vater und der Onkel des BF gehen einer Erwerbstätigkeit als Spengler nach. Da der Onkel und der Vater des BF auch die Schleppung organisiert und bezahlt haben, ist es ihnen möglich, den BF auch vom Iran aus mittels Geldleistungen zu unterstützen. Der Familie des BF gehören nach wie vor landwirtschaftliche Grundstücke in Afghanistan. Die Familie des BF könnte ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan vorübergehend finanziell unterstützen.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Kabul, Herat, Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Kabul, Herat, Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten. Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Städten Kabul, Herat, Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Dem BF droht im Falle der Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat keine Gefahr aufgrund seines Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten bzw. droht ihm kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.
Er ist auch in der Lage in den genannten Städten eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat zunächst auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
Der BF läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der BF kann Kabul, Mazar-e Sharif und Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
Der BF hat aufgrund seines Aufenthaltes in Europa und einer ihm unterstellten „westlichen Orientierung“ mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan keine psychische und/oder physische Gewalt zu befürchten. Afghanischen Staatsangehörigen, die aus Europa zurückkehren, droht in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthalts außerhalb Afghanistans keine psychische und/oder physische Gewalt.
Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der BF fällt nicht unter die Risikogruppe der Personen über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen. Ein bei einer Überstellung des BF nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.
Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt: (Zusammengefasst und gekürzt durch das BVwG)
Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19:
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).
In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).
Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).
Quellen:
AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020
AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020
AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020
GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020
HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020
JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020
RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.
TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020
TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020
UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020
WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020
WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020
XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020
Stand: 18.5.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
? Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
? Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
Quellen:
? AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020
? ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.
? BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020
? DW – Deutsche Welle (22.4.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173, Zugriff 23.4.2020
? IOM AUT – International Organization for Migration in Austria (27.3.2020): Antwortschreiben per E-Mail.
? IOM KBL – International Organization for Migration Kabul Chapter (13.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail.
? IOM – International Organization for Migration (11.5.2020): Return of Undocumented Afghans - Weekly Situation Report (03-09 May 2020), https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/iom_afghanistan-return_of_undocumented_afghans-_situation_report_03-09_may_2020.pdf, Zugriff 13.5.2020
? NYT – New York Times (22.4.2020): Afghanistan’s Next War, https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/22/magazine/afghanistan-coronavirus.html?searchResultPosition=3, Zugriff 24.4.2020
? NZZ – Neue Züricher Zeitung (7.4.2020): Die Taliban, dein Freund und Helfer, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-betreiben-corona-praevention-ld.1550115, Zugriff 9.4.2020
? TG – The Guardian (1.4.2020): 'No profit, no food': lockdown in Kabul prompts hunger fears, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/no-profit-no-food-lockdown-in-kabul-prompts-hunger-fears, Zugriff 2.4.2020
? TG – The Guardian (1.4.2020a): Afghanistan braces for coronavirus surge as migrants pour back from Iran, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/afghanistan-braces-for-coronavirus-surge-as-migrants-pour-back-from-iran, Zugriff 2.4.2020
? TN – Tolonews (9.4.2020): 40 New COVID-19 Cases in Afghanistan, Total 484, https://tolonews.com/health/40-new-covid-19-cases-afghanistan-total-484, Zugriff 9.4.2020
? TN – Tolonews (9.4.2020a): Andarabi: All Kabul Roads Will be Blocked, https://tolonews.com/afghanistan/andarabi-all-kabul-roads-will-be-blocked, Zugriff 9.4.2020
? TN – Tolonews (8.4.2020): Only '300' Ventilators in Afghanistan to Treat COVID-19: MoPH, https://tolonews.com/index.php/afghanistan/only-300-ventilators-afghanistan-treat-covid-19-moph, Zugriff 9.4.2020
? TN – Tolonews (8.4.2020a): Kabul Clinic Shut Down After Doctor Dies from COVID-19, https://tolonews.com/index.php/health/amiri-medical-complex%E2%80%99s-activities-suspended-health-ministry, Zugriff 9.4.2020
? TN – Tolonews (7.4.2020): Number of COVID-19 Cases in Afghanistan: 367, https://tolonews.com/health/number-covid-19-cases-afghanistan-367, Zugriff 8.4.2020
? TN – Tolonews (7.4.2020a): Coronavirus Testing Lab Opens in Kandahar: Officials, https://tolonews.com/health/coronavirus-testing-lab-opens-kandahar-officials, Zugriff 8.4.2020
? TN – Tolonews (7.4.2020b): 41 Health Workers Test Positive for Coronavirus in Herat, https://tolonews.com/afghanistan/41-health-workers-test-positive-coronavirus-herat, Zugriff 8.4.2020
? UD – Undark (2.4.2020): With Taliban Help, Afghanistan Girds for a Virus, https://undark.org/2020/04/02/afghanistan-covid-19/, Zugriff 8.4.2020
? WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.
? WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.4.2020
Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer „inklusiven“ zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen