Entscheidungsdatum
04.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W132 2169217-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zl. 1083233400/151116195, zu Recht erkannt:
A)
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am 17.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am 19.08.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes an: „In Afghanistan gab es keine Schule, dort konnte ich mich nicht weiterbilden. Aus diesem Grund bin ich von dort geflohen, ich wollte eigentlich nach Deutschland um dort zu arbeiten.“ Befragt zur Rückkehr gab er an, nicht nach Afghanistan zu wollen, weil der dort kein Leben und keine Zukunft habe, das Leben sei dort sehr schwer.
Zur Rückkehrsituation gab er an in XXXX geboren worden zu sein, bis dato keine Ehe geschlossen zu haben, und Analphabet zu sein. Seine Eltern, vier Brüder und fünf Schwestern würden sich noch in Afghanistan aufhalten. Er habe in Afghanistan keine Schule besucht und als Hilfsarbeiter (Mechaniker) gearbeitet. Die finanzielle Situation der Familie sei schlecht. Sein Vater versorge die Familie.
Gedolmetscht wurde in der Sprache Paschtu.
2. Am 23.06.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ‚belangte Behörde‘ bzw. BFA genannt). Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass sein Vater und sein ältester Bruder Z. getötet worden seien, weil er für die lokale Polizei gearbeitet habe. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer vorgeworfen, deren Geheimnisse zu veröffentlichen. Die Taliban hätten das Haus der Familie angegriffen und den Vater und Bruder des Beschwerdeführers vor der Haustür angeschossen. Deswegen sei er am Tag nach diesen Ereignissen, nach dem Begräbnis, auf Anraten seiner Mutter geflüchtet. Während des Überfalles sei er im Dienst, und nicht zu Hause, gewesen. Der Überfall habe sich um zwei Uhr morgens ereignet, der Beschwerdeführer sei um 7 Uhr von seiner Mutter telefonisch informiert worden. Sein Vater sei vor Ort verstorben, der Bruder im Krankenhaus. Die Taliban hätten das Haus angegriffen, weil sie vermuteten, der Beschwerdeführer sei zu Hause. Die Taliban würden über Netzwerke und Unterstützung durch die Bevölkerung verfügen. Sie hätten zuvor schon mehrere lokale Polizisten getötet. Nach den Beweggründen der Taliban näher befragt, hat der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sein Vater ein Dorfältester gewesen sei. Die Taliban hätten vermutet, dass er den Beschwerdeführer überzeugt hätte zur Polizei zu gehen. Wahr sei, dass sein Vater zugestimmt habe, dass er für die Polizei arbeite. Sein Bruder sei im Zuge des Angriffes getötet worden, weil die Taliban nicht unterscheiden würden, wen sie erschießen. Dass seine Arbeit bei der Polizei ursächlich für den Tod seines Vaters und Bruders sei schließe er daraus, dass es in seinem Dorf viele Taliban gebe, welche seinem Vater bei einem Freitagsgebet berichtet hätten, dass die Taliban wegen der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers sehr aufgeregt seien. Andere Gründe für die Ermordung seines Vaters und Bruders gebe es nicht.
Der Beschwerdeführer habe keinen persönlichen Kontakt mit den Taliban gehabt. Gegen Ende der Befragung hat der Beschwerdeführer allerdings vorgebracht, dass sein Stützpunkt mehrmals angegriffen, und er auch am Fuß getroffen worden sei. Andere Vorfälle hätte es nicht gegeben. Bei der Polizei habe der Beschwerdeführer keinen Rang bekleidet, nach dem Selbstmordanschlag am Kommandanten hätten sie auch keine Uniform mehr getragen.
Am Tag der Ermordung seines Vaters und Bruders habe der Beschwerdeführer Anzeige erstattet.
Er gehe davon aus, dass die Taliban für die Tat verantwortlich seien, weil die Familie keine Feindschaft mit anderen Personen gehabt habe. Seine Familie sei gegen die Taliban gewesen, sein Vater habe sich dafür eingesetzt, dass Jugendliche in die Schule gehen können. Seine Mutter habe erzählt, dass die Täter lange Haare gehabt hätten. Auch sei 2014 ein Selbstmordanschlag an den vorgesetzten Kommandanten des Beschwerdeführers verübt worden, bei dem ebenfalls zwei Polizisten getötet worden seien. Der Kommandant sei verletzt und zur Behandlung nach Indien gebracht worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer schon Polizist gewesen.
Die Taliban hätten von seiner beruflichen Tätigkeit gewusst, weil die Nachbarn ihn beim Nachhausekommen gesehen und die Taliban informiert hätten. Er sei auch als Polizist erkennbar gewesen, nachdem er keine Uniform mehr getragen habe, weil er eine Kalaschnikow bei sich getragen habe, und manchmal mit dem Polizeiauto nach Hause gekommen sei.
Gefragt, ob gerade seine Familie angegriffen worden sei, hat der Beschwerdeführer geantwortet, dass die Taliban auch andere Leute bestraft hätten.
Gefragt, ob er sich nicht an einem anderen Ort in Afghanistan ansiedeln könne hat der Beschwerdeführer darauf verwiesen, dass Kabul unsicher sei, und auch dort viele Menschen getötet würden. Ob alle Polizisten von den Taliban verfolgt würden könne er nicht sagen. weil er nicht lange gedient habe.
Seine Mutter habe ihm erzählt, dass sein Bruder am Schulweg bedroht worden sei, weil die Taliban von ihm Informationen über den Beschwerdeführer verlangt hätten.
Der Beschwerdeführer sei nie aufgrund seiner Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden. Er habe nie Probleme mit afghanischen Behörden gehabt und gehöre keiner politischen Partei an.
Im Falle der Rückkehr befürchte er von den Taliban ermordet zu werden, weil er als Polizist für die Regierung gearbeitet habe.
Als Beweismittel legte der Beschwerdeführer eine Tazkira vor, wonach er am XXXX in XXXX geboren wurde, eine Bestätigungen über seine Polizeiausbildung von XXXX im Bezirk XXXX , und einen Polizeiausweis (Ablaufdatum XXXX ), sowie eine Anzeige über einen Überfall am 20.04.2015 vor. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer dazu an, dass ihm die Dokumente im Jänner 2017 von seinem Bruder L. geschickt worden seien. Eine frühere Beschaffung sei nicht möglich gewesen, weil sein Vater und sein anderer Bruder getötet worden seien. Einen Pass habe er nicht.
Zu seinem Leben in Afghanistan befragt gab der Beschwerdeführer an, bis zu seiner Ausreise im Heimatdorf XXXX gelebt zu haben. Die Schule habe er aufgrund von Sprachproblemen erst mit 12 Jahren besucht. Er habe sechs Jahre in XXXX , die Schule besucht, könne Paschtu lesen und schreiben, und sei dann zwei Jahre als Karosserie-Spengler- Lehrling gearbeitet. Nachdem sein Chef das Geschäft aufgelöst habe, sei er zunächst arbeitslos gewesen, dann sei er zur lokalen Polizei gegangen.
Er sei in XXXX eingesetzt worden. Da der Einsatzort 35 Minuten vom Heimatdorf entfernt liege, sei er mit einem Dienstauto abgeholt worden. Er sei als Assistent des Kommandanten für 15 Personen verantwortlich gewesen, und habe durch die Absicherung der Straßen das Dorf vor den Taliban beschützt. Sein letzter Arbeitstag sei der 20.04.2015 gewesen, der Tag an dem sein Vater und sein ältester Bruder getötet worden seien. Er sei deswegen nur drei Monate und vier Tage bei der Polizei gewesen, obwohl er einen Jahresvertrag gehabt habe.
Sein Vater habe 3 Jerib (= 20 000 m2) Grundstücke besessen und Weizen bzw. Mais angebaut. Die Familie habe gemeinsam in einem Haus gewohnt, und von der Landwirtschaft gelebt. Sein ältester Bruder hätte eine Transportfirma betrieben. Da dieser getötet worden sei, bestehe der Betrieb nicht mehr, allerdings stehe aber noch das Auto zu Hause.
Bis auf seinen verstorbenen Vater und ältesten Bruder würden seine Verwandten (Mutter, drei Brüder, fünf Schwestern) noch im Heimatdorf leben. Er stehe in telefonischem Kontakt mit seiner Mutter. Der Mutter und den Brüdern gehe es gut, die Schwestern seien verheiratet und würden in der Nähe der Mutter leben.
Er sei alleine ausgereist, die Flucht hätte ca. vier Monate gedauert. Die Ausreise mit dem Geld der Familie finanziert worden.
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Kenntnis gebracht. Er hat darauf verzichtet, schriftlich dazu Stellung zu nehmen.
Zu seinem Leben in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, gesund zu sein, Deutschkurse zu besuchen, in der Kirche als Reinigungskraft geholfen zu haben, und Rad zu fahren. Enge persönliche Beziehungen habe er in Österreich nicht. Ein Cousin lebe in Frankreich.
Als integrationsbescheinigende Unterlagen legte der Beschwerdeführer die nachstehend angeführten Unterlagen vor:
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
Gedolmetscht wurde in der Sprache Paschtu.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde über den Antrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:
„I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 17.08.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.
III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.
Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.
IV. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege der damaligen bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.
Zu den Fluchtgründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan als Polizist gearbeitet habe, weswegen seine Familie von den Taliban angegriffen und sein Vater und sein Bruder getötet worden seien. Daraufhin sei der Beschwerdeführer geflüchtet. Auch nach seiner Flucht gebe es Bedrohungen durch die Taliban gegen seine Familie. Diesem Vorbringen sei von der belangten Behörde zu Unrecht die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden. Er entspreche lt. UNHCR- Richtlinien dem Risikoprofil „Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei,“ seine Familie dem Profil „Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen“. Vor diesem Hintergrund sei die vorgebrachte Bedrohungssituation plausibel.
Diesbezüglich werde auch auf das Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12. April 2017 „Alltag in Kabul“ verwiesen, wonach der BF auch in Kabul durch die Zellen der Taliban, welche bestens vernetzt sind Verfolgung zu befürchten habe.
Zu den vorgelegten Dokumenten habe die belangte Behörde keine Ermittlungsschritte gesetzt, daher sei von deren Richtigkeit auszugehen.
Zu der im angefochtenen Bescheid vorgehaltenen Steigerung des Fluchtvorbringens sei der Beschwerdeführer nicht befragt worden.
Die Behörde sei nicht im Sinne der Judikatur des EUGH vorgegangen, der Inhalt der Erstbefragung sei nicht beachtlich. Da der Beschwerdeführer keine staatliche Verfolgung befürchte, hätte die belangte Behörde auch vor Ort Ermittlungen führen können.
Selbst wenn der Beschwerdeführer nicht über geheime Wissen verfügt haben mag, sei beachtlich, dass ihm dies von den Taliban unterstellt worden sei.
Der vom Beschwerdeführer befürchteten Verfolgung könne nicht entgegengehalten werden, dass seine Familie noch im Heimatdorf lebe. Daraus sei lediglich zu schließen, dass es der Familie nicht möglich sei eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch zu nehmen. Im Beratungsgespräch zur Beschwerdeerhebung habe der Beschwerdeführer angegeben, dass seine Familie nach der Einvernahme durch die belangte Behörde von den Taliban bedroht worden sei. Sein Onkel sei als Geisel genommen und nur gegen Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen worden. Seinem jüngeren Bruder sei gedroht worden, nicht mehr zur Schule gehen zu dürfen, sollte er nicht verraten, wo sich der Beschwerdeführer aufhalte.
Insgesamt sei die Würdigung des Vorbringens nicht nachvollziehbar und nicht ausreichend begründet.
Die belangte Behörde verkenne auch die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan und hätte vor Ort zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers ermitteln müssen. Kabul stünde als innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung. Einerseits würden ihn die Taliban suchen und dort aufgrund deren Netzwerke finden können. Andererseits bestehe aufgrund der Sicherheits- und Versorgungslage ein Rückkehrhindernis.
Aufgrund der Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers und seiner Unbescholtenheit, stünden seinem Verbleib in Österreich auch keine öffentlichen Interessen entgegen.
5. In der Folge wurden weder weitere Unterlagen vorgelegt, noch ein ergänzendes Vorbringen erstattet.
6. Zum Aufenthalt des Beschwerdeführers:
6.1. Seitens der Grundversorgungsbehörde XXXX wurde mit 16.10.2017 festgestellt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers unbekannt sei.
Das Amt der XXXX Landesregierung – Abteilung Flüchtlingswesen hat am 09.04.2018 telefonisch mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer von der Grundversorgung abgemeldet worden sei, weil er drei Tage unauffindbar gewesen sei, und sich auch danach nicht mehr gemeldet habe.
6.2. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die damalige bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers aufgefordert, Auskunft zum Aufenthalt des Beschwerdeführers zu geben.
In der Folge hat die damalige bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers schriftlich mitgeteilt, dass kein Kontakt mehr zum Beschwerdeführer bestehe und daher die Vollmacht zurückgelegt werde.
6.3. Die weiteren Erhebungen beim Amt der XXXX Landesregierung – Abteilung Flüchtlingswesen haben ergeben, dass der Beschwerdeführer am 14.10.2017 von der Grundversorgung abgemeldet worden sei und seither kein Kontakt bestehe.
Auch eine Nachfrage bei der Grundversorgungskoordination im BMI am 13.08.2020 hat ergeben, dass der aktuelle Aufenthalt des Beschwerdeführers nicht bekannt ist.
Lt. Auszug aus dem zentralen Melderegister vom 04.12.2020 besteht seit 25.09.2017 keine aufrechte Meldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
Zum Entscheidungszeitpunkt scheint im zentralen Melderegister weder eine aufrechte Meldung des Beschwerdeführers in Österreich, noch ein Aufenthaltsort, wohin der Beschwerdeführer verzogen wäre, auf.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islam.
Als Geburtsdatum wird der XXXX angenommen.
Er beherrscht die Sprachen Paschtu in Wort und Schrift.
Er gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich und stellte am 17.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Zum Leben in Österreich
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine nennenswerten Integrationsschritte gesetzt.
Anhaltspunkte für eine maßgebende Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich liegen nicht vor.
Er hat zwar Deutschkurse besucht, aber lediglich ein Zertifikat A1 erlangt.
Er ist ledig und hat keine Kinder. In Österreich leben keine Verwandte des Beschwerdeführers. Er führt in Österreich kein Familienleben.
Maßgebliche soziale, sprachliche oder berufliche Integrationsaspekte liegen beim Beschwerdeführer in Österreich nicht vor und wurden solche Umstände von ihm auch weder behauptet noch belegt.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist seit 25.09.2017 unbekannt. Er hat, obwohl er Kenntnis vom Beschwerdeverfahren hat, dem Bundesverwaltungsgericht nicht mitgeteilt, wohin er verzogen ist.
Der derzeitige Aufenthaltsort des Beschwerdeführers ist dem Bundesverwaltungsgericht nicht bekannt und ist auch nicht leicht feststellbar. Es wird davon ausgegangen, dass er nicht mehr in Österreich aufhältig ist.
1.3. Zur Rückkehrsituation
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan, Provinz XXXX , Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren, und hat dort bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt.
Der Beschwerdeführer hat sechs Jahre die Schule besucht und zwei Jahre als Karosserie-Spengler und kurz als Polizist gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, im erwerbsfähigen Alter, gesund sowie arbeits- und anpassungsfähig.
Die Mutter, drei Brüder und fünf Schwestern mit ihren Ehemännern leben in Afghanistan, im Heimatdorf des Beschwerdeführers. Die Familie besitzt Grundstücke, wo Weizen und Mais angebaut wird. Es ist zu erwarten, dass der Beschwerdeführer mit Unterstützung der Familie rechnen kann. Es besteht telefonischer Kontakt. Seine Ausreise wurde von der Familie finanziert. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Verwandten nicht in der Lage oder nicht willens sind, den Beschwerdeführer zu unterstützen.
Die Heimatregion des Beschwerdeführers ist eine Provinz mit teils volatiler Sicherheitslage und nicht hinreichend sicherer Erreichbarkeit. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Heimatprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde.
Dem Beschwerdeführer steht jedoch als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben.
Er kann Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug auf Grund der vorhandenen internationalen Flughäfen erreichen.
Außergewöhnliche, in der Person des Beschwerdeführers gelegene, Umstände, dass er in Mazar-e Sharif die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht decken könnte, und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geriete, sind nicht hervorgekommen. Er kann selbst für sein Aus- und Fortkommen sorgen, in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen, und sich selber erhalten.
Er hat in Afghanistan keine Unterhaltsverpflichtungen.
Der Beschwerdeführer ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Paschtu) vertraut, er verfügt über die entsprechenden Sprachkenntnisse.
Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden.
Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr – neben den eigenen Ressourcen – auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise.
Es ist dem Beschwerdeführer daher auch ohne familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte möglich nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Im Hinblick auf die Pandemie zum Corona-Virus SARS-CoV2 (COVID -19) ist festzuhalten, dass den Beschwerdeführer als fast 28 Jahre junger Mann, ohne Erkrankung, der nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit einschlägigen Vorerkrankungen (chronische Atemwegserkrankungen oder andere chronische Krankheiten, wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, geschwächtem Immunstatus, Krebs oder Fettleibigkeit) fällt, bei einer Überstellung nach Afghanistan kein reales Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK trifft.
Im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif läuft der Beschwerdeführer nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstünden.
Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht ihm kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
1.4. Zum Fluchtvorbringen
Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine landesweite Verfolgung wegen eines Konventionsgrundes in asylrelevantem Ausmaß.
Es droht dem Beschwerdeführer in Afghanistan weder staatliche Verfolgung, noch Verfolgung durch die Taliban bzw. regierungsfeindliche Gruppierungen.
Der Beschwerdeführer war weder politisch tätig noch gehörte er einer politischen Partei an. Er hatte keine Probleme mit den afghanischen Behörden aufgrund seiner Rasse, seines Glaubens oder seiner Volksgruppe.
Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aktuell keine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner angeblichen, kurzen Tätigkeit als lokaler Polizist, und ihm vermeintlich unterstellter, gegen die Interessen der Taliban gerichteter, politischer Gesinnung. Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine landesweite Verfolgung durch regierungsfeindliche Gruppierungen glaubhaft zu machen. Es ist nicht davon auszugehen, dass seitens der Taliban wegen der vorgebrachten Tätigkeit des als lokaler Polizist aktuell ein derart ausgeprägtes Interesse daran bestehen könnte, landesweit nach ihm zu suchen. Weder ist er eine politisch exponierte Person, noch stellt er sonst ein hochrangiges Ziel dar.
Es wird nicht davon ausgegangen, dass sein Vater und sein ältester Bruder von den Taliban ermordet wurden, weil der Beschwerdeführer als lokaler Polizist tätig war.
Dem Beschwerdeführer droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen bzw. zur sunnitischen Religion konkret und individuell keine physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine psychische und/oder physische Gewalt aufgrund seines Aufenthaltes in Europa, wegen einer ihm unterstellten Moral- und Wertehaltung, welche nicht jener in Afghanistan vorherrschenden entspricht. Eine allgemeine systematische Verfolgung aller Rückkehrer durch die Taliban bzw. regierungsfeindliche Gruppen, kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.
Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich konkret für den Beschwerdeführer kein Status eines Asylberechtigten ableiten.
Es haben sich im Verfahren keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte für eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers, dass ihm in Afghanistan individuell und aktuell Verfolgung droht, ergeben.
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat
1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand vom 21.07.2020:
COVID-19:
21.07.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan
Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).
Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).
Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe
Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).
Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).
Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).
Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).
Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).
Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).
Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans
Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).
In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).
In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).
Wirtschaftliche Lage in Afghanistan
Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).
Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).
Einreise und Bewegungsfreiheit
Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).
Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).
29.06.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).
In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).
Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).
18.05.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
? Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
? Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 22.4.2020
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).
Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).
Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (H