TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/7 W180 2233855-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2020
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Entscheidungsdatum

07.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77

Spruch


W180 2233855-5/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte am 22.09.2011 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.09.2011 gab der BF als Fluchtgrund an, dass sein Vater, der Berufssoldat gewesen sei, von den Taliban bei einer Kampfhandlung getötet worden sei. Der BF habe Angst gehabt, dass er als ältester Sohn der Familie ebenfalls getötet werden würde und habe Afghanistan einen Monat nach dem Tod seines Vaters verlassen. In der Einvernahme des BF durch das Bundesasylamt am 02.12.2011 beantwortete der BF die Frage, wie und wann sein Vater ums Leben gekommen sei, damit, dass sein Vater Soldat gewesen und bei einem Gefecht vor ca. zwei Jahren ums Leben gekommen sei. Seine Ausreise begründete der BF in der Einvernahme durch das Bundesasylamt damit, dass seine Familie nicht genug Geld gehabt hätte. Er sei gezwungen gewesen, in den Iran zu reisen, um dort Arbeit zu suchen. Seine Mutter habe ihn gesagt, er solle in den Iran gehen.

Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.01.2012 vollinhaltlich abgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen wurde. Gegen diesen Bescheid erhob er fristgerecht Beschwerde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.06.2014 wurde seine Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet abgewiesen; seiner Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde hingegen stattgegeben und dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

2. Mit Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF am 22.11.2017 rechtskräftig wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB zu einer Haftstrafe von 3 1/2 Jahren verurteilt.

3. Mit Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 25.07.2018 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und die mit Erkenntnis vom 04.06.2014 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Gleichzeitig wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Der Bescheid erwuchs mit 30.08.2018 in Rechtskraft. In späterer Folge wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.04.2020 gemäß § 55 Abs. 5 FPG widerrufen.

4. Während sich der BF in Strafhaft befand wurde ihm Parteiengehör zur geplanten Verhängung einer Schubhaft gewährt, seine Stellungnahme langte jedoch nicht innerhalb der vom Bundesamt festgesetzten Frist von sieben Tagen bei der Behörde ein. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.04.2020 wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung über den BF angeordnet, wobei die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach Entlassung des BF aus der Strafhaft eintraten. Seit 22.04.2020 wird der BF nunmehr in Schubhaft angehalten.

5. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Erkenntnissen vom 13.08.2020, 18.09.2020, 13.10.2020 und 10.11.2020 fest, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig war.

6. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 26.11.2020 die Akten gemäß §22a BFA-VG zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor. Mit gleichzeitig überreichter Stellungnahme wurde ausgeführt, dass derzeit keine zwangsweisen Einzelabschiebungen nach Afghanistan stattfinden würden, da Afghanistan aktuell keine afghanischen Staatsangehörigen im Rahmen einer Einzelabschiebung annehme. Es sei aber eine Frontex-Charterrückführung, an der sich Österreich als PMS (Participating Member State) beteilige, für Dezember 2020 geplant. Der BF sei am 11.11.2020 auf diesen Charterflug gebucht worden. Die tatsächliche Möglichkeit einer Abschiebung innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer sei somit gegeben. Der Ausstellung eines Heimreisezertifikats sei seitens der afghanischen Botschaft schon mit 15.05.2020 die Zustimmung erteilt worden. Weiterhin sei aufgrund des festgestellten Sachverhalts davon auszugehen, dass ein dringender Sicherungsbedarf gegeben sei. Wesentliche Änderungen seien seit der letzten Aktenvorlage nicht aufgetreten.

Mit Schreiben vom 04.12.2020 informierte das Bundesamt das Bundesverwaltungsgericht, dass der BF am 03.12.2020 im Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Die Schubhaft sei gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten worden. Das Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen sei in einem Aktenvermerk vom 03.12.2020 festgehalten und der Aktenvermerk dem BF zur Kenntnis gebracht worden. Das Bundesamt legte den Aktenvermerk vom 03.12.2020, die Übernahmebestätigung vom selben Tag und die Niederschrift der Erstbefragung zum Folgeantrag vom 03.12.2020 vor.

Nach seinem Fluchtgrund befragt gab der BF in der Erstbefragung am 03.12.2020 Folgendes an:

„Ich kann nicht nach Afghanistan zurückkehren, da ich von meiner Familie mit dem Tod bedroht werde. Mein Vater ist am Leben.

Ich hatte fälschlicherweise bei meinem ersten Asylverfahren angegeben, dass er bereits tot ist. Mein Vater hat erfahren, dass ich in Österreich wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt wurde. Damals war ich psychisch beeinträchtigt, als ich das getan habe, ich hatte die Kontrolle über mich verloren. Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist, dass ich das getan habe.

Ich hatte in meinem Heimatland Geschlechtsverkehr mit Tieren und wurde deswegen von meiner Familie verstoßen und man hat mich zum Tode verurteilt. Man wollte mich erhängen.“

Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, antwortete der BF: „Mein Vater und meine Familie werden mich umbringen. Wegen der Taten, die hier und in meinem Heimatland begangen habe.“

Weiters teilte das Bundesamt im genannten Schreiben vom 04.12.2020 mit, dass eine Information im Sinne des § 12a Abs. 3 Z 2 AsylG bezüglich des für Dezember geplanten Abschiebetermins an den BF nicht ergangen sei.

Aufgrund der kurzen Zeitdauer bis zum Abschiebetermin im Dezember sei es nach Rücksprache mit der das Folgeverfahren führenden Erstaufnahmestelle derzeit nicht realistisch, noch vor diesem Termin eine Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes zu erwirken. Aus der Charterplanung für das nächste Quartal ergebe sich aber, dass weitere Frontex-Charterrückführungen nach Afghanistan mit Beteiligung Österreichs im ersten Quartal 2021 vorgesehen seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.6.)

Der unter Punkt I.1. – I.6. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF ist ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Der BF verfügt über kein Reisedokument, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF wurde von der afghanischen Vertretungsbehörde zugesagt.

2.2. Der BF wird seit 22.04.2020 in Schubhaft angehalten, die gesetzliche Frist zur neuerlichen Überprüfung der Schubhaft endet am 08.12.2020.

2.3. Der BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

2.4. Der BF hat im Stande der Schubhaft am 03.12.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt. Ein Bescheid des Bundesamtes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG liegt zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung nicht vor; dem BF kommt gegenwärtig faktischer Abschiebeschutz zu.

3. Zum Sicherungsbedarf und zur Fluchtgefahr:

3.1. Gegen den BF wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesamtes vom 25.07.2018 eine Rückkehrentscheidung erlassen, am Verfahren zur Erlassung dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme wirkte der BF nicht mit.

3.2. Der BF stellte am 03.12.2020 im Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zum Zeitpunkt der Antragstellung lag gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.3. Der BF befand sich von 20.07. bis 23.07.2020, von 30.07. bis 01.08.2020 sowie von 02.09. bis 03.09.2020 im Hungerstreik.

3.4. Der BF verfügt über keine familiären oder substanziellen sozialen Kontakte in Österreich. Er ging in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach, ist mittellos und verfügt über keine gesicherte Unterkunft.

4. Zur Verhältnismäßigkeit:

4.1. Der BF weist in Österreich folgende Verurteilung auf:

Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB zu einer Haftstrafe von 3 ½ Jahren verurteilt.

Der Verurteilung liegt folgender gerichtlich festgestellter Sachverhalt zugrunde:

Der BF verließ am Tag der Tat seine Wohnung bereits mit dem Vorsatz, an einer Frau, notfalls mit Gewalt, einen Geschlechtsverkehr durchzuführen. Als er in einem öffentlichen Park eine leicht bekleidete junge Frau, die gerade auf der Wiese liegend ein Sonnenbad nahm, sah, beschloss er sein Vorhaben durchzuführen. Er versuchte sie mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes zu nötigen, indem er sich auf sie legte, sie an den Schultern zu Boden drückte und mit den Händen ihre Beine auseinander drückte sowie versuchte, seine Hose zu öffnen, wobei es aufgrund der Gegenwehr des Opfers beim Versuch blieb. Dem Opfer gelang es, den BF von sich wegzustoßen und davon zu robben. Zwei Zeugen kamen dem Opfer, das laut um Hilfe schrie, zu Hilfe und zogen dem BF endgültig von seinem Opfer weg.

Der Beweiswürdigung des Gerichts ist zu entnehmen, dass der BF die Tat sowohl hinsichtlich der objektiven als auch der subjektiven Tatbestandsmerkmale von Anfang an gestand, jedoch versuchte, sich auf eine Geisteskrankheit auszureden. Seinen Behauptungen zu Symptomen einer geistigen Beeinträchtigung war aufgrund eines Gutachtens eines Sachverständigen jedoch nicht zu folgen und das Vorliegen der Zurechnungsfähigkeit festzustellen. Bei der Strafbemessung wertete das Gericht die bisherige gerichtliche Unbescholtenheit, das Tatsachengeständnis und den Umstand, dass es beim Versuch blieb, als mildernd.

4.2. Seit 15.05.2020 liegt die Zustimmung der afghanischen Vertretungsbehörde für die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF vor. Einzel- und Charterabschiebungen nach Afghanistan waren in den letzten Monaten aufgrund der Covid-19 Pandemie nicht möglich. Für Dezember 2020 ist eine Frontex-Charterrückführung geplant. Für diese Charterrückführung können Buchungen vorgenommen werden. Für das erste Quartal 2021 sind weitere Charterrückführungen nach Afghanistan terminisiert. Hinweise, dass die zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung zum Zwecke der Sicherung der Verfahrens über einen (Folge)antrag auf internationalen Schutz aufrechterhaltene Schubhaft nach Abschluss dieses Verfahrens oder nach Behebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG nicht in eine Abschiebung des BF nach Afghanistan münden könne, liegen nicht vor. Eine Abschiebung des BF nach Afghanistan innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer ist realistisch möglich.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, dem vorliegenden Gerichtsakt sowie den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das Schubhaftverfahren des BF betreffend.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf den bisherigen Angaben des BF in seinem Asylverfahren, dass er afghanischer Staatsangehöriger ist, steht insofern fest, als sich aus dem Protokoll über die Vorführung des BF vor die afghanische Vertretungsbehörde ergibt, dass der Ausstellung eines Heimreisezertifikates zugestimmt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF.

2.2. Dass der BF seit 22.04.2020 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei.

2.3. Es haben sich weder aus dem Verwaltungsakt noch aus der Anhaltedatei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass beim BF eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder gar Haftunfähigkeit vorliegen würde, weshalb die diesbezügliche Feststellung zu treffen war. Dass er Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

2.4. Die Feststellungen zum Folgeantrag auf internationalen Schutz stützen sich auf die Stellungnahme des Bundesamtes vom 04.12.2020 und den dazu vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Niederschrift der Erstbefragung zum Folgeantrag vom 03.12.2020.

3. Zum Sicherungsbedarf und zur Fluchtgefahr:

3.1. Die Feststellungen zu der mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2018 erlassenen Rückkehrentscheidung ergeben sich aus der vom Bundesamt vorgelegten Ausfertigung dieses Bescheides. Dass der BF am Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht mitgewirkt hat steht insofern fest, als sich aus diesem Bescheid ergibt, dass er im Verfahren keine Stellungnahme abgegeben hat.

3.2. Dass zum Zeitpunkt, als der BF einen zweiten Asylantrag stellte, gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestand, ergibt sich aus einer Zusammenschau der Feststellungen zu Pkt. 2.4. und 3.1..

3.3. Die Feststellungen zu den Zeiträumen, in denen sich der BF im Hungerstreik befand, ergeben sich aus den im Verwaltungsakt einliegenden Meldungen über Beginn und Ende des jeweiligen Hungerstreiks sowie den damit übereinstimmenden Eintragungen in der Anhaltedatei.

3.4. Die Feststellungen zu den mangelnden Anknüpfungspunkten des BF in Österreich ergeben sich im Wesentlichen aus den bisher unwidersprochen gebliebenen Angaben im Asylverfahren und im Schubhaftbescheid. Der BF hat diesbezüglich in seiner letzten Stellungnahme auch keine Änderungen angegeben. Bereits im abgeschlossenen Asylverfahren wurde festgehalten, dass keine familiären Anknüpfungspunkte des BF in Österreich bestehen. Weder das Asylverfahren, noch das behördliche Schubhaftverfahren haben jedenfalls Anhaltspunkte dafür ans Tageslicht gebracht, dass der BF im Inland tatsächlich über derartige Anknüpfungspunkte verfügen würde. Ein aufrechter Wohnsitz liegt entsprechend den Eintragungen im Zentralen Melderegister nicht vor und verfügt der BF entsprechend den Eintragungen in der Anhaltedatei über keine nennenswerten Barmittel. Dass er in Österreich bisher keiner legalen Beschäftigung nachgegangen ist, gab der BF selbst im Rahmen seiner – verspäteten – Stellungnahme im Schubhaftverfahren an.

4. Zur Verhältnismäßigkeit

4.1. Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF beruhen auf der vom Bundesamt vorgelegten Ausfertigung des diesbezüglichen Urteiles.

4.2. Dass in den letzten Monaten keine Einzelabschiebungen nach Afghanistan möglich waren und keine Charterabschiebungen durchgeführt wurden, ergibt sich aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 26.11.2020 und ist im Übrigen notorisch. Dass nunmehr die Vorbereitungen für eine Frontex-Charterrückführung nach Afghanistan soweit gediehen sind, dass dieser Flug buchbar ist, ergibt sich ebenfalls aus der Stellungnahme vom 26.11.2020. In der weiteren Stellungnahme vom 04.12.2020 bestätigte das Bundesamt, dass der Charterflug im Dezember nach wie vor aufrecht ist, und wies auf weitere geplante Charterrückführengen im ersten Quartal 2021 hin. Mit Blick auf die grundsätzlich gute Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit den Vertretungen und Behörden Afghanistans in Rückführungsangelegen in den letzten Jahren ist aus Sicht des Gerichtes damit zu rechnen, dass Charterabschiebungen nach Afghanistan wieder durchgeführt werden. Hinweise, dass eine Abschiebung des BF nach Afghanistan innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer nicht möglich sein sollte, liegen derzeit nicht vor.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung nur ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist.

3.1.4. Die Schubhaft wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.04.2020 zur Sicherung der Abschiebung gegen den BF angeordnet. Zu diesem Zeitpunkt und bis zum 03.12.2020 lag eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gegen den BF vor.

3.1.5. Der BF stellte am 03.12.2020 im Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt war der BF bereits für eine Charterrückführung nach Afghanistan im Dezember 2020 gebucht. Seine Antragstellung erfolgte zwar innerhalb von 18 Tagen vor diesem Abschiebetermin im Dezember, da der BF über seinen Abschiebetermin aber zuvor nicht von der Behörde nachweislich informiert wurde, kommt § 12a Abs. 3 AsylG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Eine Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG ist bislang nicht erfolgt. Dem BF kommt daher derzeit faktischer Abschiebeschutz zu.

Gemäß § 76 Abs. 6 FPG kann gegen einen Fremden, der im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, die Schubhaft aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Diese Voraussetzung sieht der erkennende Richter im vorliegenden Fall als erfüllt an; der BF hatte seit seiner rechtskräftigen Verurteilung in Österreich wegen eines Sexualdeliktes etwa vier Jahre und seit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mehr als zwei Jahre Zeit, einen derartigen Folgeantrag zu stellen. Die Widersprüchlichkeit zu seinem Vorbringen im ersten Asylverfahren und die konkrete zeitliche Abfolge, wie es zum nunmehrigen Folgeantrag gekommen ist, rechtfertigen die Annahme, dass dieser zur Verzögerung der Vollstreckung der gegen den BF zuvor bestehenden Rückkehrentscheidung gestellt wurde.

Im Übrigen sind nach Auffassung des erkennenden Richters im vorliegenden Fall zudem auch die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt, da der Aufenthalt des BF aufgrund des von ihm begangenen schwerwiegenden Sexualdelikts die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 67 FPG gefährdet. Sein Verhalten stellt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Da der BF seit der Begehung des Deliktes durchgehend in Untersuchungs-, Straf- und Schubhaft angehalten wurde, vermag der Umstand, dass er seitdem nicht straffällig wurde, die Einschätzung, dass von ihm eine Gefahr im Sinne des § 67 FPG ausgeht, nicht zu relativieren, da es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf ein Wohlverhalten in Freiheit ankommt. Auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs. 6 FPG könnte die Schubhaft gegen den BF, dem nunmehr wieder faktischer Abschiebeschutz zukommt, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG vollzogen werden.

3.1.6. Im gegenständlichen Fall liegt auch weiterhin Fluchtgefahr vor, da aus dem vergangenen Verhalten des BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass er seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Der BF hat am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mitgewirkt und ist während der Anhaltung in Schubhaft wiederholt in Hungerstreik getreten, um seine Enthaftung zu erwirken, womit Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt ist (vgl. in diesem Zusammenhang VwGH 20.02.2014, Zl 2013/21/0178). Gegen den BF bestand im Zeitpunkt seiner Asylfolgeantragsstellung eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme und er befand sich in diesem Zeitpunkt in Schubhaft, weshalb auch die Z 4 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt ist. Der Grad seiner sozialen Verankerung in Österreich ist gering, insbesondere bestehen keine familiären Beziehungen, der BF übte in Österreich vor der Verbüßung seiner Strafhaft keine legale Erwerbstätigkeit aus und war nicht selbsterhaltungsfähig; der BF verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel und hat keinen gesicherten Wohnsitz. Zur Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG kommen im gegenständlichen Fall daher auch noch die Fluchtgefahrtatbestände der Z 4 und Z 9 leg.cit. hinzu.

3.1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse so zeigt sich, wie dargelegt, dass diesbezüglich keinerlei derartige Faktoren vorliegen. Darüber hinaus hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig ist. Im Zuge der durchzuführenden Abwägung bleibt daher festzuhalten, dass berücksichtigungswürdige soziale Bindungen in Österreich bisher gar nicht entstanden sind und Selbsterhaltungsfähigkeit nicht gegeben war.

Das Verfahren hat in keiner Weise ergeben, dass der BF aufgrund seiner gesundheitlichen Situation durch die Inhaftierung einer unzumutbaren (unverhältnismäßigen) Belastung ausgesetzt ist, zumal er auch diesbezüglich bei Bedarf einer medizinischen Kontrolle unterzogen wird.

Der BF befindet sich zum Zeitpunkt der gegenwärtigen Entscheidung etwa 7 ½ Monate in Schubhaft. Seit dem 03.12.2020 wird die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über den Folgeantrag auf internationalen Schutz vollzogen. Dieses Verfahrens ist erst vier Tage beim Bundesamt anhängig. Im vorliegenden Fall beträgt die gesetzliche Höchstdauer der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG 18 Monate. Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des BF nach Afghanistan innerhalb der nächsten 10 Monaten nicht möglich sein sollte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF wurde wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren verurteilt. Diese Straftat ist selbstredend als schwerwiegend zu betrachten und gefährdet der BF mit diesem gravierenden Fehlverhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit in besonders hohem Ausmaß. Im vorliegenden Fall besteht daher ein besonders hohes öffentliches Interesse an einer gesicherten Außerlandesbringung des BF.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung. Unter Berücksichtigung der höchstzulässigen Schubhaftdauer erscheint die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft als verhältnismäßig.

3.1.8. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung kann auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel des BF nicht zur Anwendung kommen. Aber auch die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht. Insbesondere steht auch das vom BF während seiner Anhaltung in Schubhaft gezeigte Verhalten der Anordnung eines gelinderen Mittels entgegen. So versuchte er bereits mehrmals durch Hungerstreik seine Haftunfähigkeit herbeizuführen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der BF nicht einmal bereit war am Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung mitzuwirken lässt er daher jegliche Kooperationsbereitschaft vermissen, die jedoch unabdingbare Voraussetzung für die Anordnung eines gelinderen Mittels ist.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

3.1.9. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.10. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt A. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft Kooperation Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Vereitelung Vergewaltigung Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W180.2233855.5.00

Im RIS seit

09.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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