TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/7 L526 1306208-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2020
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Entscheidungsdatum

07.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch


L526 1306208-3/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung und Herr RA Dr. Bernhard Rosenkranz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 18.06.2020, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch kurz als „BF“ bezeichnet) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 11.09.2006 beim Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung führte der BF aus, dass er in der Türkei den Militärdienst nicht ableisten wolle und deshalb ausgereist sei. Zu den persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er aus XXXX stamme, wo nach wie vor Eltern und ein Bruder leben würden. In Österreich seien zwei Schwestern aufhältig, die ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz gestellt hätten.

Am 12.09.2006 sowie am 18.09.2006 und am 26.09.2006 wurde der BF vor dem Bundesasylamt niederschriftlich befragt. Im Rahmen dieser Befragung wiederholte er die bisherigen Angaben und führte ergänzend aus, dass die kurdischen Soldaten mit großer Wahrscheinlichkeit in der Osttürkei eingesetzt würden. Wenn er einrücken müsste, müsste er gegen das eigene Volk kämpfen. Er wolle niemanden töten und auch nicht selbst getötet werden. Weiters wurde ausgeführt, dass der BF anlässlich des Newroz-Festes im Jahr 2003 von den türkischen Sicherheitsbehörden für ein oder zwei Stunden festgehalten und befragt worden sei. Danach sei das Haus der Familie mehrmals von Behördenvertretern aufgesucht worden. Dies deshalb, da bereits zwei ältere Brüder nicht zur Ableistung des Wehrdienstes eingerückt seien. Der BF sei in dieser Zeit auch sehr verzweifelt gewesen, weshalb er sich selbst verletzt habe. Aufgrund dieser psychischen Probleme habe er sich jedoch nicht behandeln lassen.

Dieser erste Antrag wurde mit Bescheid vom 27.09.2006 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 10 Abs 1 AsylG wurde die BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

I.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 25.11.2015, Zahl L514 XXXX , wurde die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 27.09.2006 gemäß §§ 3, 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

I.2.1. Neben Feststellungen zur Person des BF wurden nachstehende Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Türkei getroffen:

Zusammenfassung

Politik, Gesellschaft und Rechtsordnung in der Türkei waren in den vergangenen über zehn Jahren von einem tiefgreifenden Transformations- und Reformprozess geprägt, für den die Annäherung an EU-Standards eine wesentliche Triebfeder war. In letzter Zeit ist dieser Prozess aufgrund einer zunehmend polarisierten politischen Auseinandersetzung und einer Art „Kulturkampf“ innerhalb des religiös-konservativen Lagers allerdings weitgehend zum Erliegen gekommen. Zuletzt gab es sogar deutliche Rückschritte in rechtsstaatlich-demokratischen Kernbereichen wie der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der Unabhängigkeit der Justiz. Im Angesicht der drei richtungweisenden Wahlen für die Neuordnung des politischen Machtgefüges (Kommunalwahlen am 30. März 2014, Präsidentschaftswahlen am 10. August 2014, Parlamentswahlen am 7. Juni 2015) suchte die Regierung der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) von Ministerpräsident Davutoglu seit 2013, ihre dominante politische Stellung auf Kosten der Opposition weiter auszubauen. Gleichzeitig führt sie seit Ende 2013 einen Kampf gegen die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, mit denen sie lange Jahre als Verbündete die Ablösung der alten kemalistischen Eliten betrieb. Neben dem Vorwurf einer Unterwanderung von v.a. Polizei, Justiz und Verwaltung in „parallelen Strukturen“ wurden Gülen-Anhänger zuletzt sogar mit nicht nachvollziehbaren Terrorismus-Vorwürfen konfrontiert.

Durch ein 5. Justizpaket vom Februar 2014 und im Rahmen eines sog. „Demokratisierungspaketes“ im März 2014 wurden Reformen zur Reduzierung der maximalen Untersuchungshaftzeiten auf fünf Jahre, zur Abschaffung der Gerichte mit Sonderbefugnissen und zur härteren Bestrafung von „Hate Crimes“ gegen Minderheiten sowie zur Ausweitung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit umgesetzt.

Beeinträchtigungen der Meinungs- und der Pressefreiheit resultieren nach wie vor aus verschiedenen teils unklaren Rechtsbestimmungen z.B. im Anti-Terrorgesetz, werden aber auch durch zuletzt verabschiedete Gesetzesinitiativen der Regierung (z.B. Anfang 2014 eingeführte Änderungen des Internetgesetzes) und Einschränkung der Nutzung sozialer Medien (Sperrung von Twitter und YouTube) verstärkt. Die vielfältige Presse berichtet immer noch wenig regierungskritisch. Auch während der letzten 12 Monate kam es zu zahlreichen Verhaftungen von Journalisten.

Ehemalige Tabu-Themen (Kurden, Armenierfrage, Militär) können inzwischen offener diskutiert werden, wurden jedoch durch neue ersetzt (u.a. Person und Familie des Ministerpräsidenten, islamische Ordensgemeinschaften). Die Versammlungsfreiheit wurde landesweit im Zuge des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die weitestgehend friedlichen „Gezi-Proteste“ seit Sommer 2013 wiederholt verletzt.

Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle sind Diskriminierungen aufgrund von Homophobie sowie Gewalt durch Sicherheitskräfte und Privatpersonen ausgesetzt. Die jährlich in Istanbul stattfindende Pride Parade wurde 2015 erstmalig kurzfristig verboten, Demonstranten wurde mit Wasserwerfern begegnet.

Nach über drei Jahrzehnten blutigen Konflikts zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Nationalisten begann die Regierung Ende 2012 einen Dialogprozess mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan und der bislang v.a. auf kurdische Anliegen fokussierten Partei HDP. Der seitdem andauernde „Lösungsprozess“ führte Ende März 2013 zur Ausrufung einer von beiden Seiten respektierten Waffenruhe. Öcalan hatte zuletzt Ende Februar 2015 die Niederlegung der Waffen durch die PKK in der TUR in Aussicht gestellt, abhängig von weiterer Bewegung der Regierung im Lösungsprozess. Im Anschluss an das mutmaßlich durch die Terrormiliz ISIS verübte Attentat von Suruç mit 32 Toten am 20.7.2015 ist es zu einer neuen Eskalationsdynamik gekommen, die zu nahezu täglichen Anschlägen und Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK geführt hat. Mit Stand 14.08.2015 führt das türkische Militär Luftschläge gegen PKK-Stellungen im Nordirak und in der Südosttürkei, der Friedensprozess gilt derzeit als gestoppt.

Bei Demonstrationen in mehreren Städten der TUR in Solidarität zur vom sog. „IS“ belagerten SYR-kurdischen Stadt Kobane war es Anfang Oktober 2014 zu gewalttätigen Ausschreitungen mit über 40 Todesopfern, v.a. im kurdischen Südosten der TUR gekommen. Die Regierung nahm diese Situation zum Anlass, im April 2015 verschärfte Gesetze zur inneren Sicherheit zu verabschieden. Die 2009 begonnenen Strafverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der politischen PKK-Dachorganisation KCK wurden fortgesetzt, allerdings gab es zuletzt keine neuen Verhaftungswellen und wiederholte Entlassungen aus der Untersuchungshaft. Die politische Bedeutung des in der Vergangenheit sehr mächtigen Militärs ist deutlich zurückgegangen.

Staatliche Repressionen

Es gibt grundsätzlich keine Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder allein wegen ihrer politischen Überzeugung. Allerdings hat sich im Zuge der zunehmenden politischen Polarisierung und insbesondere wegen des Konflikts zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung und der erneuten Eskalation des Konflikts mit der PKK der Druck auf regierungskritische Kreise deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen.

Minderheiten

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der „türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur „Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung“ zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 3.000), die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) und die jüdische Gemeinschaft (ca. 27.000 Mitglieder). Nicht umfasst sind z.B. Syrisch-Orthodoxe, Katholiken und Protestanten. Allerdings entschied mit dem 13. Verwaltungsgericht Ankara am 18.06.2013 nun erstmals ein türkisches Gericht, dass auch aramäische (hier: syrisch-orthodoxe) Türken und ihre Zusammenschlüsse von den Rechten des Lausanner Vertrages profitieren können. Konkret ging es um das Recht, eigene Schulen und Kindergärten zu betreiben, die auch Aramäisch unterrichten.

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 5 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner).

Türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeiten sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Neugeborenen dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

Der private Gebrauch des Kurdischen (Kurmanci) und der weniger verbreiteten Sprache Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt. Die türkische Regierung hat im Schuljahr 2012/2013 jedoch begonnen, bei ausreichender örtlicher Nachfrage Unterricht in Kurmanci und Zaza als Wahlpflichtfach „Lebendige Sprachen und Mundarten“ an staatlichen und religiösen Schulen anzubieten. Viele Familien boykottieren das Wahlpflichtfach jedoch, weil sie Unterricht in Kurdisch gleichberechtigt als Muttersprache mit Türkisch fordern. Zudem steht das Fach in Konkurrenz zu den religiösen Wahlpflichtfächern.

Das am 02.03.2014 vom Parlament verabschiedete „Demokratisierungs-Paket“ ermöglicht in einem darüber hinausgehenden Schritt muttersprachlichen Unterricht und damit auch Unterricht in kurdischer Sprache an Privatschulen. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist. Seit 2009 sendet der staatliche TV-Sender TRT 6 ein 24-Stunden-Programm in den Sprachen Kurmanci (Kurdisch) und Zaza. Zudem wurden alle bisher geltenden zeitlichen Beschränkungen für Privatfernsehen in „Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden“ aufgehoben.

Der gewalttätige Konflikt zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdisch-nationalistischen Kämpfern der PKK, dem seit 1984 über 35.500 Personen zum Opfer fielen und aufgrund dessen fast 400.000 Menschen ihre Heimatprovinzen im Südosten verließen, ist einem seit Anfang 2013 andauernden Waffenstillstand gewichen. Am 21.03.2013 rief der inhaftierte PKK Chef Öcalan in einer auf der zentralen kurdischen Neujahrskundgebung in Diyarbakir verlesenen Grußbotschaft zu einem Waffenstillstand und Abzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei auf. Während der Waffenstillstand bis dato grundsätzlich andauert, stoppte die PKK den Abzug Anfang September 2013 mit der Begründung, die Regierung habe anders als zugesichert keinerlei substantielle rechtliche Zugeständnisse an die Kurden gemacht. Abgesehen von Kritik nationalistischer Kreise stößt der Lösungsprozess trotzdem weiterhin auf grundsätzliche Zustimmung in der türkischen Öffentlichkeit. Offen waren noch die Frage der Waffenniederlegung durch die PKK sowie die Frage, ob die Regierung zu weitergehenden Zugeständnissen bereit ist. Im Anschluss an das mutmaßlich durch die Terrormiliz ISIS verübte Attentat von Suruç am 20.7.2015 mit 32 Toten kam es allerdings zu einer neuen Eskalationsdynamik, die zu nahezu täglichen Anschlägen und Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK führte. Mit Stand 14.08.2015 führt das türkische Militär Luftschläge gegen PKK-Stellungen im Nordirak und in der Südosttürkei.

Militärdienst

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige ab dem 20. Lebensjahr. Derzeit leisten rund 400.000 Wehrpflichtige ihren Dienst. Gesetzesgrundlage für den Wehrdienst in der Türkei bietet das türkische Wehrdienstgesetz Nr. 1111 (tWDG) von 1927. Das Wehrdienstalter beginnt am 1. Januar des Jahres, in dem der Betreffende das 19. Lebensjahr vollendet und endet am 1. Januar im Jahr des 41. Geburtstags. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit (Artikel 5, letzter Absatz tWDG). Der Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Ein in der Türkei abgeschlossenes Hochschulstudium verkürzt die Wehrpflicht auf sechs Monate für einfache Soldaten oder auf zwölf Monate für einen Unterleutnant. Im Januar 2011 wurde eine Gesetzesänderung verabschiedet, wonach Polizisten, sofern sie mehr als zehn Jahre Dienst leisten, von der Wehrpflicht befreit sind. Der Wehrdienst wurde mit Wirkung vom 01.01.2014 von 15 auf 12 Monate reduziert. Söhne und Brüder von gefallenen Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden. Auslandstürken können sich gegen Entgelt (ca. 6.500 Euro) von der Wehrpflicht freikaufen.

Ein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder der Ableistung eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Das Urteil des EGMR Ülke./.Türkei ist trotz deutlicher Mahnungen des Ministerkomitees des Europarats noch nicht umgesetzt. Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich.

Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen. Es kommt regelmäßig, zuletzt 2010, zu Verhaftungen von Kriegsdienstverweigerern; diese Praxis wird jedoch nicht einheitlich umgesetzt.

Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle können unter der Bezeichnung „psychosexuelle Störungen“ nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Methoden zur Feststellung einer möglichen Homosexualität wie eine Untersuchung der Genitalien und die Vorlage von Fotos während des Geschlechtsverkehrs wurden nach Presseberichten vor einigen Jahren eingestellt. Betroffene beschweren sich weiterhin über Persönlichkeitstests, Gespräche mit mehreren Psychologen und Hinzuziehung von Familienangehörigen. Ferner wird auch von mehrtägigen Aufenthalten zur „Diagnose“ in der psychiatrischen Klinik berichtet.

Bis 2009 kam es bei Wehrdienstentziehung auch zur Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit (Art. 25çtStAG a.F.). Die gesetzliche Bestimmung wurde durch Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 29.05.2009 - in Kraft seit Veröffentlichung im türkischen Gesetzesblatt am 12.06.2009 abgeschafft. Seit dem können Personen, die u. a. wegen Art. 25 ç tStAG a.F. die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben, unabhängig von ihrem Wohnsitz erneut die türkische Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 43 tStAG n.F. erhalten.

Exilpolitische Aktivitäten

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen.

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können.

Repressionen Dritter

Es existieren zahlreiche militante religiöse Gruppierungen wie die „Front der Vorkämpfer des Großen Ostens“ (IBDA-C) und linksradikale, terroristische Gruppierungen wie die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulu? Partisi – Cephesi – „Revolutionäre Volksbefreiungspartei – Front“) bzw. die TKP-ML (Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist) oder die linksterroristische MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei).

Trotz der andauernden Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Teile dieser Gruppierungen kann davon ausgegangen werden, dass sie keine Repressionen gegenüber einer bestimmten Personengruppe wegen ihrer Rasse, Nationalität oder Religion ausüben. Dies gilt in der Regel auch für die umstrittene Einrichtung der Dorfschützer, vom Staat angestellte, bewaffnete Einheimische, die vor den Übergriffen der PKK im Südosten des Landes schützen sollen (über 80.000 in 22 Provinzen). Die türkische Hizbullah hat seit 2000 keine Gewaltaktionen mehr verübt. Anderes gilt für die PKK (vgl. Ziff. 1.3) und die DHKP-C.

Grundversorgung

In der Türkei gibt es keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yard?mla?ma ve Dayani?ma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können.

Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben.

Nach dem im April 2014 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 6453 über Ausländer und internationalen Schutz haben auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf.

Medizinische Versorgung

Das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet.

Landesweit gab es 2013 1.517 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 202.031 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden.

Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sa?l?k Oca?i) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig. War 2013 nach Angaben des Gesundheitsministeriums ein Hausarzt für durchschnittlich 3.621 Personen zuständig, soll dieses Verhältnis bis 2017 auf knapp unter 3.000 pro Arzt gesenkt werden.

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Die landesweite Anzahl von Psychiatern liegt dennoch 2014 bei unter 5 pro 100.000 Einwohnern. (OECD 2014). Insgesamt standen 2011 türkeiweit zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Dem im Oktober 2011 vorgestellten „Aktionsplan für Mentale Gesundheit“ zufolge sollen die bestehenden Fachkliniken jedoch zugunsten von regionalen, verstärkt ambulant arbeitenden Einrichtungen bis 2023 geschlossen werden.

Insgesamt 32 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in Adana, Ankara (4), Antalya, Bursa (2), Denizli, Diyabakir, Edirne, Elazig, Eskisehir, Gaziantep, Istanbul (5), Izmir (3), Kayseri, Konya, Manisa, Mersin, Sakarya, Samsun, Tokat und Van (2).

Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben.

2011 bestanden landesweit 29 staatliche Krebszentren (Onkologiestationen in Krankenhäusern), die gegenwärtig mit Palliativstationen versorgt werden. 134 Untersuchungszentren (KETEM) bieten u.a. eine Früherkennung von Krebs an.

Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Landesteilen staatliche mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen.. Etwa 13% der Bevölkerung profitiert von diesen Angeboten.

Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung.

Zum 01.01.2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Grundlage für das neue Krankenversicherungssystem ist das Gesetz Nr. 5510 über Sozialversicherungen und die Allgemeine Krankenversicherung vom 01.10.2008. Der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht unterfallen alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei, Ausnahmen gelten lediglich für das Parlament, das Verfassungsgericht, Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Für nicht über eine Erwerbstätigkeit in der Türkei sozialversicherte Ausländer ist die Krankenversicherung freiwillig, ein Krankenversicherungsnachweis ist jedoch für die Aufenthaltserlaubnis notwendig.

Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u.a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich.

Die Beitragshöhe von in der Türkei sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen liegt bei 12,5 % des Bruttolohns, wovon 5 % von Arbeitnehmer- und 7,5 % von Arbeitgeberseite beglichen werden. Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und dem doppelten Mindestlohn gelten ermäßigte Beitragssätze. Die Berechnung des Einkommens erfolgt durch die Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität unter Berücksichtigung der sonstigen Vermögenssituation des Antragstellers und der in seinem Haushalt lebenden Angehörigen. Bis Mitte 2014 haben sich rund 12 Millionen Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen, für rd. 8 Millionen von ihnen hat der Staat die Zahlung der Beiträge übernommen. Bei in der Türkei lebenden Ausländern ist eine Vermögensprüfung nicht möglich, sie zahlen auch bei Arbeitslosigkeit und Bedürftigkeit den Beitrag von zurzeit rund 250 TL/Monat. Lediglich Personen, die unter internationalem Schutz stehen oder einen entsprechenden Antrag gestellt haben, können bei Bedürftigkeit seit dem im April 2014 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 6453 kostenlos krankenversichert werden.

Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden "Grünen Karten" (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten.

Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18.12.2004 dürfen keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Sie kennzeichneten bis dahin Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Somit besteht für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte.

I.2.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde ua. festgehalten:

2.3.1.1. Der Beschwerdeführer gründete seinen Antrag auf internationalen Schutz hauptsächlich darauf, dass er seinen bevorstehenden Militärdienst nicht ableisten wolle. Dies deshalb, da er nicht auf Kurden schießen und auch nicht selbst getötet werden wolle.

Dem Beschwerdeführer ist es mit diesem Vorbingen jedoch nicht gelungen, in Bezug auf seine Wehrdienstpflicht, eine gezielt gegen ihn gerichtete, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende, asylrelevante Verfolgung etwa in Form von Misshandlungen oder Verwendungen im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes oder des Strafvollzuges darzutun. Auch von Amts wegen existieren keine aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür, dass gerade der Beschwerdeführer bei der Ableistung seines Militärdienstes oder der Abbüßung einer Haftstrafe wegen Wehrdienstverweigerung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit solchen Situationen ausgesetzt wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Furcht vor Verfolgung im Fall der Wehrdienstverweigerung oder Desertion nur dann als asylrechtlich relevant anzusehen, wenn der Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während dieses Militärdienstes im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde oder davon auszugehen sei, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsbürgern härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung drohe (verstärkter Senat des VwGH vom 29.06.1994, Slg Nr. 14.089/A; VwGH vom 21.08.2001, 98/01/0600). Bei der rechtlichen Beurteilung des zugrunde liegenden Sachverhaltes kommt es auf die Grundsätze an, die der Verwaltungsgerichtshof auf dem Boden der bestehenden Rechtslage insbesondere in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates zur Zl. 93/01/0377 niedergelegt hat, wobei sich seine dabei zum Ausdruck kommende Rechtsansicht nur zum Teil mit der vom UNHCR (Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft) vertretenen Auffassung deckt (VwGH 20.12.1995, 95/01/0104). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht der Entscheidungspraxis in Deutschland, welche aufgrund der notorisch bekannten Vergemeinschaftung nicht als gänzlich unbeachtlich angesehen werden kann (vgl. Übersicht zur deutschen und schweizerischen Rechtsprechung im Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 12.04.2010, E3 319.230).

Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen (VwGH vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0718; 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben (vgl. VwGH 30. November 1992, Zl. 92/01/0789, betreffend Somalia, und Zl. 92/01/0718, betreffend Äthiopien, vom 8. April 1992, Zl. 92/01/0243, vom 16. Dezember 1992, Zl. 92/01/0734, und vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0784, alle betreffend die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien).

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch nicht darzulegen vermochte, inwieweit er eine Gesinnung vertrete, die ihm eine Ableistung des Wehrdienstes unzumutbar mache. Das Vertreten einer allgemeinen pazifistischen Gesinnung und das Ablehnen von Gewalt im Allgemeinen ist zu wenig, weil dies letztlich nichts anderes besagt, als dass der Beschwerdeführer dem Grunde nach den Frieden bzw. friedliche Konfliktbereinigung dem Krieg vorzieht, wie dies die überwiegende Mehrzahl von Menschen und wohl auch ein überwiegender Teil von Grundwehrdienern vertritt (dazu bereits AsylGH 17.03.2009, E3 318.536-1/2008-7E; 17.02.2010, E1 312.233; in diesen Fällen hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde bereits mit Beschluss abgelehnt, VfGH 27.04.2009, U 1060/09-3; 26.04.2010, U 766/10-3).

Der Beschwerdeführer selbst hat weder in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt noch in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen vor dem Asylgerichtshof bzw dem Bundesverwaltungsgericht eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen erwähnt, sondern lediglich angegeben, dass er nicht töten und getötet werden wolle, zumal kurdische Wehrdienstleistende nur im Osten der Türkei eingesetzt werden würden.

Darüber hinaus hat die Relevierung des Themas der "Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen" an sich schon keinerlei Einfluss auf gegenständliche Entscheidung, da der türkische Staat den Tatbestand "Wehrdienstentziehung" einheitlich nach dem Militärstrafgesetz ahndet und damit grundsätzlich zwischen der Gruppe "Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen, welche den Militärdienst noch nicht angetreten haben" und jener der bloß "Wehrdienstflüchtigen" (Wehrpflichtige, die sich dem zukünftigen Antritt des Wehrdienstes in irgendeiner Weise entzogen haben) nicht unterscheidet (vgl. auch AsylGH vom 14.01.2010, E7 241.551-0/2008-18E). Dass es in der Türkei keinen Wehrersatzdienst gibt, stellt per se noch kein asylrelevantes Vorbringen im Sinne der GFK dar. So ist in Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK lediglich festgehalten, dass jede Dienstleistung militärischen Charakters, – oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung – nicht als "Zwangs- oder Pflichtarbeit" gilt. Eine Verpflichtung zur Erlassung von Regelungen betreffend einem Ersatzdienst (Zivildienst) bzw. eine "Verpflichtung zur Anerkennung einer Verweigerung aus Gewissensgründen" gibt es somit grundsätzlich nicht für die Mitgliedstaaten (vgl. aber Wehrpflicht iZm Art. 9 EMRK).

Die Verurteilung der Türkei durch den Europäischen Gerichthof (Ülke vs. Türkei vom 24.01.2006, BeschwerdeNr. 39437/98, NL 2006, 23) wurde von diesem nicht im Zusammenhang mit Verfolgungs- oder Asylgründen getroffen. In diesem Fall hat vielmehr der damalige Präsident der Izmirer Vereinigung von Kriegsgegnern, Ülke, öffentlich auf einer Pressekonferenz seinen Einberufungsbefehl verbrannt und sich damit aufgrund seiner pazifistischen Einstellung geweigert, den Militärdienst abzuleisten. Nach seiner Verurteilung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe im Jänner 1997 trat Ülke den Militärdienst an, verweigerte aber regelmäßig die Ausführung von Befehlen sowie das Tragen einer Uniform. Aufgrund dessen (Befehlsverweigerung) wurde er zwischen März 1997 und November 1998 achtmal verurteilt.

Dazu hat der EGMR ausgeführt, dass "zahlreichen Strafverfolgungen, der damit zusammenhängende kumulative Effekt der verhängten strafrechtlichen Sanktionen und der beständige Wechsel von Anklage und Haftstrafe, zusammen mit der Möglichkeit, für den Rest seines Lebens strafrechtlich verfolgt zu werden, als Sanktionen wegen der Verweigerung des Wehrdienstes unverhältnismäßig zum gesetzlich verfolgten Ziel der Gewährleistung der Ableistung des Wehrdienstes sind."

Weiters wurde festgestellt, dass Ülke durch den türkischen Staat im Rahmen seiner Behandlung im Zuge von mehreren Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung schwere Schmerzen und Leiden zugefügt wurden, welche über das übliche Maß an Demütigungen, welche einer Verurteilung und Haft innewohnen, hinausgegangen sind. In Summe haben diese Handlungen des Staates zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK geführt, und wurde weiters ausgeführt, dass das derzeitige Sanktionssystem in der Türkei im Falle der Wehrdienstverweigerung ungeeignet ist, um Situationen wie denen im Fall Ülke gerecht zu werden. Keinesfalls wurde mit dieser Entscheidung der Türkei auferlegt, damit etwas am grundsätzlich verpflichtenden Wehrdienstwesen zu ändern bzw. wurde auch die Möglichkeit, den Zivildienst abzulegen, nicht als verpflichtend einzurichtendes Institut angesehen. Damit hält der EGMR im Urteil Ülke vs. Türkei nur fest, dass eine übermäßig strenge Strafe eine erniedrigende Behandlung darstellen und zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen kann und stellt damit fest, dass der gesetzliche Rahmen in der Situation des Ülke nicht tauglich war und keine angemessenen Mittel zur Verfügung stellte.

Allein die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes stellt somit grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar; ebenso wenig wie eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes oder wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung.

Der Vollständigkeit halber muss in diesem Zusammenhang auch Folgendes explizit festgehalten werden: Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof vom 29.07.2011 führte der Beschwerdeführer auf Nachfrage aus, dass sein jüngerer Bruder, der nach wie vor in der Türkei lebe, seinen Wehrdienst ohne Probleme ableisten habe können (OZ 21 S 5 und OZ 39 S 3f). Vor diesem Hintergrund ist es für das Bundesverwaltungsgericht nicht ersichtlich, weshalb ausgerechnet den Beschwerdeführer Schwierigkeiten im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes erwarten sollten.

Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass in Bezug auf eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes auf Basis der getroffenen Länderfeststellungen eine solche nicht festgestellt werden kann.

2.3.1.2. Der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers beantragte in diesem Zusammenhang ein Gutachten zur Frage der militärstrafrechtlichen Konsequenzen für Wehrdienstverweigerer die in die Türkei zurückkehren vor dem Hintergrund des Syrienkonfliktes.

Aus diesem Grund wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eine Staatendokumentationsanfrage veranlasst. Diese ergab, dass sich aus den herangezogenen Berichten keine Hinweise auf diesbezüglich geänderte Verhältnisse entnehmen lassen würden. Auch im Büro des österreichischen Verteidigungsattachés sei zu diesem Thema nichts bekannt.

Das Ergebnis der Anfrage an die Staatendokumentation wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter schriftlich zur Kenntnis gebracht. In einer diesbezüglichen Stellungnahme wurde eingangs ausgeführt, dass die eingeholte Stellungnahme ausdrücklich darauf hinweise, dass sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben würde und sich keine Schlussfolgerungen für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Asylverfahrens ableiten lassen würden. Die Einholung eines derart unspezifischen und allgemein gehaltenen Berichtes/Stellungnahme zeige somit auf, dass eine noch genauere inhaltliche Auseinandersetzung mit der genannten Rückkehrproblematik stattzufinden habe.

Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Der rechtsfreundliche Vertreter hat es verabsäumt, die letzte Seite des Berichtes der Staatendokumentation genau zu studieren, zumal er in seiner Stellungnahme verkürzt ausführte, dass sich keine Schlussfolgerungen für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Asylverfahrens ableiten lassen würden. Tatsächlich wurde in dem Bericht wie folgt festgehalten: „Aus dem vorliegenden Produkt ergeben sich keine Schlussfolgerungen für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Asylverfahrens.“ Dies deshalb, da die Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung dem Bundesverwaltungsgericht zufällt und nicht der Staatendokumentation. Aus diesem Grund gehen die diesbezüglichen Ausführungen des rechtsfreundlichen Vertreters ins Leere.

Auch die Kritik in der Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters, dass das Bundesverwaltungsgericht eine unspezifische und allgemein gehaltene Stellungnahme der Staatendokumentation eingeholt habe, ist insofern nicht nachvollziehbar, zumal die Fragestellung exakt dem vom rechtsfreundlichen Vertreter in der Beschwerdeverhandlung vom 10.06.2015 formulierten Beweisantrag entspricht. Der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers moniert weiters, dass aus diesem Grund eine genauere Auseinandersetzung mit der Rückkehrproblematik im Zusammenhang mit einer Werhdienstverweigerung und dem Syrienkonflikt notwendig sei. Dies erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht jedoch insofern nicht, zumal auch der rechtsfreundliche Vertreter selbst nicht in der Lage war, aktuelle Quellen zu benennen, die in diese Richtung Hinweise enthalten würden. Vielmehr zog er sich in seiner Stellungnahme darauf zurück, dass er apodiktisch allgemeine Ausführungen zum Wehrdienst bzw zur politischen Situation in der Türkei im Allgemeinen in der Türkei traf. Die weiteren diesbezüglichen Ausführungen sind rein spekulativer Natur ohne fundierte Substanz.

Vor diesem Hintergrund ist es dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers nicht gelungen, fundierte Berichte in Vorlage zu bringen, die Zweifel an der bisherigen Judikatur des VwGH zum Wehrdienst, an den herangezogenen Länderberichten bzw an der Stellungnahme der Staatendokumentation zu erwecken vermochten. Auch wurde in diesem Zusammenhang nichts dargetan, was auf eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen hindeuten würde.

2.3.2.  Der Beschwerdeführer gab weiters in der Beschwerdeverhandlung an, dass er, als er sich im achten Schuljahr befunden habe, einmal seinem Vater auf das Feld Brot gebracht habe. Dabei sei er von der Jandarma angehalten und für ein paar Stunden in Gewahrsam genommen worden. Er sei nach einem Verwandten gefragt worden, der sich in den Bergen aufgehalten habe. Danach sei er wieder freigelassen worden. Abgesehen von dem Umstand, dass dieser Vorfall lange vor der Ausreise des Beschwerdeführers passiert sei, habe er auch keinerlei Konsequenzen für diesen gehabt.

Auch die behauptete Anhaltung des Beschwerdeführers anlässlich der Teilnahme an einer Newroz Feier zog keinerlei Konsequenzen nach sich. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass sich der Beschwerdeführer diesbezüglich in Widersprüche hinsichtlich des Zeitpunktes verstickt hat. Gab er noch vor dem Bundesasylamt an, dass dies im Jahr 2003 gewesen sei, so führte er dazu im Widerspruch in der Beschwerdeverhandlung aus, dass es das Jahr 2004 gewesen sei. Dessen ungeachtet vermeinte er auch, dass dies der Grund für seine Kündigung in der Schuhfabrik gewesen sei. Auf Vorhalt, dass er zu Beginn der Verhandlung noch angegeben habe, dass er im Jahr 2001 oder 2002 ein Jahr lang in dieser Fabrik gearbeitet habe und somit die behauptete Anhaltung anlässlich der Teilnahme am Newroz Fest im Jahr 2004 in keinem Zusammenhang stehen könne, meinte der Beschwerdeführer lapidar, dass er durcheinander und seit er in Österreich aufhältig sei, vergesslich geworden sei. Diese Aussage kann lediglich als Schutzbehauptung gewertet werden, um Widersprüche zu verschleiern.

Weiters ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass kurzfristige Anhaltungen, Verhöre und Hausdurchsuchungen für sich allein nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die asylrechtliche Relevanz aufweisen – nicht geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu indizieren (VwGH vom 05.06.1996, 96/20/0323, VwGH vom 18.12.1996, 95/20/0651, VwGH vom 11.12.1997, 95/20/0610). Dass weitere Umstände hinzugetreten wären, wurden vom Beschwerdeführer nicht behauptet, zumal er selbst ausführte, dass die Nachfragen nach seiner Personen bei seinen Eltern der Wehrdienstverweigerung geschuldet seien.

2.3.3.  Auch aus den allgemeinen Ausführungen, dass ein Verwandter des Beschwerdeführers die PKK unterstützt haben sollte, ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, zumal er nur eine einzige Befragung in diesem Zusammenhang ins Treffen zu führen vermochte, die lange vor seiner Ausreise lag und zum anderen lässt sich aus den herangezogenen Länderberichten keine Sippenhaft entnehmen. Dem wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter auch nichts Qualifiziertes entgegengesetzt.

2.3.4.  Hinsichtlich der kurdischen Abstammung des Beschwerdeführers ist weiters auszuführen, dass sich entsprechend der Länderberichte die Situation für Kurden derart gestaltet, dass keine aktuellen Berichte über die Lage der Kurden in der Türkei und damit keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten – sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden – Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der Person des Beschwerdeführers haben sollten, wurden von diesem nicht glaubwürdig vorgebracht.

2.3.5.  Zum Besuch des Beschwerdeführers eines kurdischen Vereines in Salzburg, ohne ein Mitglied zu sein, ist grundsätzlich auszuführen, dass nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung.

Aus den Angaben des Beschwerdeführers vermag das Bundesverwaltungsgericht keine hervorgehoben Stellung innerhalb dieses Vereines erkennen, die den Beschwerdeführer für die türkischen Sicherheitsbehörden interessant machen könnte und vermag das Bundesverwaltungsgericht in diesem Engagement des Beschwerdeführers in Österreich keine asylrelevante exilpolitische Tätigkeit zu sehen.

2.3.6.  Zur Wiedereinreise in die Türkei verbleibt noch anzumerken, dass, wenn der türkischen Grenzpolizei bekannt ist, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen wird, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Dem Auswärtigen Amt ist in jüngster Zeit kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Für Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, liegen keine Anhaltspunkte vor.

Im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers vermag das Bundesverwaltungsgericht daher ein aktuelle und individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aus einem in der GFK taxativ aufgezählten Grund nicht zu erkennen, weshalb von keiner Verfolgung im Heimatstaat ausgegangen werden kann.

I.3. Am 06.04.2016 wurde die BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Mit Bescheid vom 14.07.2016 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt I.).

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.).

Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

I.4. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG wurde mit Bescheid der bB vom 27.09.2016 als unzulässig zurückgewiesen.

I.5. Am 02.03.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht, Gerichtsabteilung L510 in Anwesenheit der BF sowie im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters eine mündliche Verhandlung im Verfahren betreffend die Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot anlässlich des Bescheides vom 14.07.2016 durch.

Die Vertretung des BF legte im Verfahren vor dem BVwG einen Arbeitsvorvertrag vom 25.02.2020, ein ÖSD Zertifikat A2, ein Unterstützungsschreiben von der Caritas vom 26.02.2020, ein Schreiben von Frau XXXX vom 26.02.2020 und eine Unterschriftenliste von verschiedenen Personen zugunsten der BF vor.

Der BF gab in der Verhandlung an, er sei psychisch und physisch in der Lage, der Verhandlung zu Folgen. Zudem führte er auf die Frage nach einer aktuellen gesundheitlichen Beeinträchtigung aus, nicht beeinträchtigt zu sein.

Nachgefragt, wie es dem in der Türkei lebenden Bruder geht, führte die BF aus, dass dieser laut Erzählungen der Schwestern inhaftiert worden sei, da er am Nevroz Fest teilgenommen habe. Der Bruder sei derzeit in Haft; wo wisse der BF nicht. Weiter nachgefragt konnte der BF lediglich angeben, dass der Bruder wegen der Teilnahme am Fest festgenommen worden sei und man ihn lediglich deshalb mitgenommen habe und tätigte der BF keinerlei weitere Ausführungen in diesem Zusammenhang.

Auf die Frage nach dem Kontakt mit den Eltern gab der BF an, dass er mit diesen nicht mehr telefoniere, da die türkische Polizei glaube, er sei zur PKK gegangen. Man erkundige sich immer bei den Eltern. Sie hätte die Eltern nicht anrufen können, weil die Telefone abgehört werden würden.

Konkret führte die BF in der Verhandlung aus:

VR: Was spricht dagegen, dass Sie aktuell wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren?

P: Bei meiner Rückkehr wird man mich sofort einsperren. Dann wird man mich fragen, was ich gegen die Türkei in Österreich ausgesagt habe. Dann muss ich dort meinen Militärdienst ableisten. Da ich ein Kurde bin, wird man mich zu den Kriegsgebieten schicken. Wenn ich in der Türkei meinen Militärdienst ableiste, nachdem ich diesen abgeleistet habe, wird die PKK mich nicht in Ruhe lassen. Sie werden mir vorwerfen, dass ich gegen das eigene Volk gekämpft habe. Ich werde von beiden Seiten unter Druck gesetzt und werde Probleme mit ihnen haben.

VR: Über Ihre Asylgründe wurde bereits rechtskräftig negativ entschieden und wurde rechtskräftig festgestellt, dass eine Rückkehr in die Türkei möglich ist. Aus dem Länderinformationsblatt zur Türkei ergibt sich nicht, dass sich die Situation in der Türkei seit der letzten Entscheidung derart geändert hätte, dass nunmehr eine Rückkehr Ihrerseits nicht möglich wäre, was sagen Sie dazu?

P: Glauben sie mir, wenn ich in der Türkei keine Probleme gehabt hätte, hätte ich keine 14 Jahre hierbleiben wollen. Denn meine Mutter ist krank, ich hätte sie zumindest besuchen können.

Erst über Nachfrage durch den rechtsfreundlichen Vertreter traf der BF in der Verhandlung Ausführungen zu den Befürchtungen im Hinblick auf die Ableistung des Militärdienstes in der Türkei.

Er führte hierzu aus:

RV: Würden Sie überhaupt Ihren Militärdienst ableisten, wenn Sie zurück in die Türkei müssten?

P: Ich möchte dort meinen Militärdienst nicht ableisten, weil ich niemanden umbringen möchte und selbst nicht sterben möchte.

I.6. In der Verhandlung wurde der Vertretung das Länderinformationsblatt der Türkei vom 29.11.2019 ausgefolgt und die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Länderfeststellungen binnen einer Woche gegeben.

Mit Schriftsatz vom 09.03.2020 wurde eine Stellungnahme eingebracht. Zusätzlich zu den Ausführungen zur Integration wurde vorgebracht, dass der BF mit der Weigerung, den Militärdienst zu verrichten, seine politische Meinung manifestiert habe. Alleine wegen der Asylantragstellung könnte der BF einer Verfolgung durch die türkischen Behörden ausgesetzt sein, da dadurch der türkische Staat in Misskredit gebracht werden könnte. Deshalb würde er auch bei einer Einreise am Flughafen verhaftet werden und würde sich die Lage in den türkischen Gefängnissen als katastrophal darstellen. Vorgelegt wurde ein Arbeitsvorvertrag vom 02.03.2020 der XXXX .

I.6.1. Mit Erkenntnis des BVwG vom 23.03.2020, Zl. L510 XXXX wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.07.2016 als unbegründet abgewiesen.

I.6.2. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hielt das BVwG auszugsweise fest:

In Österreich leben zwei Schwestern der BF sowie mehrere Cousins. Die BF wird zwar gelegentlich durch ihre Verwandten unterstützt und hat mit diesen Kontakt, sie wohnt jedoch mit keiner dieser Personen in einem gemeinsamen Haushalt. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Personen liegt nicht vor. Die BF hat keine Lebensgefährtin und lebt von der Grundversorgung. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht Familienleben.

Die BF lebt seit dem Jahr 2006 in Österreich und möchte auch zukünftig ihr Leben in Österreich gestalten.

Da die Rückkehrentscheidung somit einen Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellt, bedarf es diesbezüglich einer Abwägung der persönlichen Interessen mit den öffentlichen Interessen, ob eine Rückkehrentscheidung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist

Im vorliegenden Fall ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen und verfolgt gem. Art 8 Abs 2 EMRK legitime Ziele, nämlich

- die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, worunter auch die geschriebene
Rechtsordnung zu subsumieren ist;

- das wirtschaftliche Wohl des Landes;

- zur Verhinderung von strafbaren Handlungen;

Öffentliche Ordnung / Verhinderung von strafbaren Handlungen (insb. im Bereich des Aufenthaltsrechtes)

Im Einzelnen ergibt sich unter zentraler Beachtung der in § 9 Abs. 1 Z 1-9 BFA-VG genannten Determinanten Folgendes:

-        Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Die beschwerdeführende Partei reiste nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet ein.

Erst ab Stellung des Antrages auf internationalen Schutz hatte die beschwerdeführende Partei eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG.

Nach Abweisung dieses Antrages und Verfügung einer asylrechtlichen Ausweisung durch das Bundesasylamt wurde die vorläufige Aufenthaltsberechtigung durch Einbringung der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht für die Dauer des Beschwerdeverfahrens verlängert.

Abgesehen von der aus der bloßen Asylantragstellung resultierenden vorläufigen Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Verfahrens kam nicht hervor, dass die beschwerdeführende Partei zu irgendeinem Zeitpunkt über einen anderen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt hätte.

Es kam nicht hervor, dass die beschwerdeführende Partei zu irgendeiner Zeit versucht hätte unter Einhaltung des geltenden Einreise- bzw. Aufenthaltsrechtes nach Österreich zu gelangen.

-        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens

Die BF führt in Österreich kein Familienleben

-        Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren

Während des bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet hat die BF private Anknüpfungspunkte in Österreich erlangt. Die BF kann sich auf Deutsch verständigen. Sie verfügt über ein ÖSD Zertifikat A2. Vorgelegt wurde ein Arbeitsvorvertrag als Pizzakoch, für den Fall, dass der BF eine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden würde. Vorgelegt wurde ein Schreiben von der Caritas vom 26.02.2020, wonach die BF kurdische Asylwerber unterstützt und ehrenamtlich dolmetscht. Vorgelegt wurde ein Schreiben von Frau XXXX vom 26.02.2020, wonach die BF im Quartier gut integriert ist. Weiter wurde eine Unterschriftenliste von Personen vorgelegt, welche die BF kennen würden und als hilfsbereit bezeichnen. Es handelt sich dabei um Kurden und Österreicher.

Die privaten Anknüpfungspunkte in Österreich wurden zur Gänze in einer Zeit erlangt, in der der Aufenthalt durch die bloß vorläufige Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Asylverfahrens stets prekär war.

Einem Asylwerber muss (spätestens) nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten weiteren Aufenthalt ausgehen [Hinweis E 25. März 2010, 2010/21/0064 bis 0068] (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Weiters kommt hinzu, dass davon auszugehen ist, dass dieser als unbegründet zu erachtende Asylantrag zudem hinsichtlich der Fluchtgründe auf falsche Gegebenheiten gestützt und damit versucht wurde die Asylinstanzen zu täuschen.

Nach der erstinstanzlichen Entscheidung war der weitere Aufenthalt lediglich durch Ergreifung eines Rechtsmittels gegen diese Entscheidung und der dadurch bedingten Verlängerung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung möglich.

-        Grad der Integration

Der BF wird wie bereits oben dargestellt eine weitgehende Teilnahme am sozialen Leben und an gemeinnützigen Tätigkeiten bescheinigt. Die BF ist seit etwa 14 Jahren in Österreich aufhältig und kann sich auf Deutsch verständigen.

Die BF lebte jed

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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