TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 G305 2190175-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G305 2190175-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerden des irakischen Staatsangehörigen XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Dr. Helmut BLUM, Rechtsanwalt in Linz, 1.) gegen den zum XXXX .02.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX .01.2019 und 2.) gegen den zum XXXX .07.2020 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX .02.2018 Zl. XXXX wird hinsichtlich der Spruchpunkte I.-III. als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt. XXXX , geb. XXXX wird der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.    Die Spruchpunkte V. und VI. werden ersatzlos aufgehoben.

B)

Der Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX .07.2020, Zl. XXXX , wird stattgegeben und dieser Bescheid ersatzlos behoben.

C)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am XXXX .04.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte Beschwerdeführer (BF) vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag wurde er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, seine Heimat verlassen zu haben, da er XXXX gewesen sei und dass in seinem Wohnbezirk mehrheitlich Sunniten leben würden. Die Armee habe gewollt, dass er seine eigene Volksgruppe bekämpfe. Er sei in einer Zwickmühle gesteckt, wonach er sich für eine der Seiten hätte entscheiden müssen. Aus diesem Grund sei er von den Milizen der Armee sowie dem Islamischen Staat (IS) mit dem Umbringen bedroht worden. Deshalb habe er sein Land verlassen. Bei seiner Rückkehr fürchte er, von der Armee oder dem IS getötet zu werden. Von staatlicher Seite erwarte er jedoch keine Sanktionen.

Zur Reiseroute befragt, gab der BF an, am XXXX .02.2014 mit dem Reisebus legal in die Türkei ausgereist zu sein. Dort habe er sich etwa ein Jahr lang illegal aufgehalten und sei dann mit Hilfe eines Schleppers von Izmir nach Samos gelangt. Somit sei er rechtswidrig in die EU eingereist. In Samos sei er von der Polizei aufgegriffen und für sieben Tage eingesperrt worden. Anschließend sei er alleine nach Athen und über die Balkanroute bis Ungarn gelangt und in der Folge durch Unterstützung eines Schleppers in einem Van nach Österreich gereist. Von einem ihm unbekannten Ort sei er mit dem Taxi nach Traiskirchen gefahren und habe dort beim Torposten mündlich den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Reise habe von XXXX .02.2014 bis XXXX .04.2015 gedauert und sei teilweise schlepperunterstützt erfolgt. Insgesamt habe er für die Reise etwa USD 4.500,00 bezahlt.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage brachte einen Treffer zu Samos.

3. Am XXXX .08.2017 wurde der BF ab 09:00 Uhr von Organen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.

Zu seiner Reiseroute befragt, gab er an, dass er sich etwa ein Jahr und zwei Monate in der Türkei illegal aufgehalten habe, bevor er die etwa 16-tägige Reise nach Österreich angetreten hätte.

Als Fluchtgrund gab er an, in der XXXX bei der XXXX tätig gewesen zu sein und dort im Bereich XXXX gearbeitet zu haben. Er habe sich geweigert, die Namen von unschuldigen Personen auszudrucken, da er seine Hände nicht mit Blut habe beschmieren wollen. Aufgrund seiner Weigerung sei er mit dem Tod bedroht worden. Ein oberster Offizier ( XXXX ) sei Schiit gewesen und habe zudem gefordert, dass der BF aktiv kämpfen solle, was er ebenfalls verweigert haben wollte. In der Folge habe ihm sein Vorgesetzter mitgeteilt, dass der BF Sunnit sei und er (Anm.: der Offizier) dies (Anm.: die Teilnahme an Kampfhandlungen) unterstütze. Am nächsten Tag habe er Urlaub gehabt, sei jedoch nicht nach Hause, sondern zu einem Freund nach XXXX gefahren. Da manche Stadtteile vom IS kontrolliert worden sein sollen, habe er ob seiner Tätigkeit bei der Armee Drohanrufe bekommen. Er habe sich bei seinem Freund aufgehalten und nach etwa einer Woche das Visum für die Türkei erhalten. In der Folge sei er nach Kirkuk und weiter in die Türkei gereist. Weitere Gründe für die Flucht habe er nicht. Es liege ein militärischer Gerichtsbeschluss gegen ihn vor, der in seiner Abwesenheit erstellt worden sei.

Die Bedrohung durch den IS sei von unbekannten Personen über eine unbekannte Telefonnummer erfolgt. Er solle aufhören, für die Armee zu arbeiten, anderenfalls werde er getötet.

Während die Niederschrift erstellt wurde, legte er mehrere Personaldokumente, zwei gerichtliche Dokumente, einen Lebensmittelgutschein sowie die kopierte Meldekarte seiner Mutter vor.

4. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz vom XXXX .04.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen kurz zusammengefasst damit, dass der BF keine asylrelevanten Bedrohungen glaubhaft machen konnte. Er habe zu keinem Zeitpunkt Probleme mit den Behörden seines Heimatstaates gehabt und sei im Falle einer Rückkehr keinerlei Bedrohung ausgesetzt.

5. Gegen den im Spruch genannten Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Verletzung von Verfahrensvorschriften“ - vollumfänglich anfechten zu wollen und verband die Beschwerde mit den Anträgen 1.) den Bescheid zur Gänze zu beheben und ihm internationalen Schutz zuzuerkennen, 2.) in eventu den Bescheid zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen, 3.) in eventu den Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, 4.) dass die gegen ihn ausgesprochen Rückkehrentscheidung aufgehoben werde, 5.) in eventu festzustellen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig sei, 6.) ihm in eventu einen Aufenthaltstitel nach § 55 Abs 1 AsylG zu erteilen sowie 7,) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Er brachte in der Beschwerde vor, dass das BFA die vorliegenden Beweise nicht hinreichend gewürdigt und vorliegende Länderberichte nicht ausreichend berücksichtigt habe.

6. Am 23.03.2018 gelangten die gegen den Bescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt an das BVwG zur Vorlage.

7. Anlässlich einer am XXXX .2019 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF im Beisein seines Rechtsvertreters (im Folgenden: RV) und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen. Anlässlich dieser Verhandlung wurden mehrere Kursbestätigungen, Fotografien und Integrationsbestätigungen vorgelegt.

8. Am XXXX .02.2020 stellte der BF einen Antrag gemäß § 56 AsylG auf Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen.

9. Mit Bescheid vom XXXX .07.2020 wurde der auf § 56 AsylG gestützte Antrag durch das BFA abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Kern aus, dass beim BF zwar grundsätzlich berücksichtigungswürdige Gründe vorlägen, er jedoch die Voraussetzungen des § 60 Abs 2 AsylG nicht erfüllen würde, da die darin festgelegte Einkommensgrenze des § 11 Abs 5 NAG nicht erreicht werde.

10. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründet wurde die Beschwerde damit, dass die Rechtsansicht des BF nicht korrekt sei. § 56 AsylG sei als „lex specialis“ zu sehen und daher die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs 2 ASVG heranzuziehen.

11. Am 05.08.2020 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX .07.2020 samt dazugehörigem Verwaltungsakt vorgelegt und als Verfahren G305 2190175-2 geführt. Mit 14.08.2020 wurden beide Verfahren des BF verbunden und nunmehr unter einer Verfahrenszahl - G305 2190175-1 - protokoliert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen:

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität und ist irakischer Staatsangehöriger. Er ist ledig und ohne Sorgepflichten. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch, er verfügt über Deutschkenntnisse auf einem Niveau A2.

Er hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX .04.2015 im Bundesgebiet (seit dem XXXX .02.2017 an der Anschrift XXXX ).

Er ist gesund und frei von chronischen Leiden.

1.2. Zur Ausreise, Reise und Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Bis zu seiner Ausreise aus dem Irak lebte der BF in der Provinz XXXX in der Ortschaft XXXX .

Er ist am XXXX .02.2015 von Kirkuk ausgehend mit dem Reisebus in die Türkei ausgereist. Dort hielt er sich etwa ein Jahr illegal auf und gelangte dann schlepperunterstützt von Izmir nach Samos. Ihm war bewusst, rechtswidrig in die EU eingereist zu sein. In Samos wurde er von der Polizei aufgegriffen und für sieben Tage eingesperrt. Anschließend gelangte er alleine nach Athen und über die Balkanroute bis Ungarn und in der Folge wiederum schlepperunterstützt in einem Van nach Österreich. Von einem ihm unbekannten Ort fuhr er mit dem Taxi nach Traiskirchen und stellte dort beim Torposten mündlich den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Reise dauerte insgesamt von XXXX .02.2014 bis XXXX .04.2015 und wurde teilweise durch die Hilfe von Schlepper organisiert.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage brachte einen Treffer zu Samos.

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte er sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Mittelschule in seiner Heimatstadt. Von 2001 bis 2007 erlernte er den Beruf des XXXX und XXXX , hierbei verdiente er etwa 280,00 USD monatlich. Bis 2010 führte er ein Geschäft für XXXX , mit welchem er etwa 380,00 USD monatlich ins Verdienen brachte. Von XXXX .2010 bis zum XXXX .2014 war er XXXX bei der XXXX . Er übte eine Bürotätigkeit aus und war für die Annahme und Abgabe der Post und administrative Tätigkeiten wie die An- und Abmeldung von XXXX , das Budget und Lohnzahlungen zuständig. Er führte reine Bürotätigkeiten aus und hatte keinerlei Zugang zu XXXX oder weiterer XXXX .

Die Eltern des BF sind verstorben. Seine insgesamt acht Geschwister leben allesamt unbehelligt in XXXX . Alle sind verheiratet und haben Kinder die, soweit schulpflichtig, die örtlichen Schulen besuchen. Eine Schwester lebt im Elternhaus des BF, die anderen Geschwister leben mit ihren Familien jeweils in Eigentumshäusern und sind berufstätig. Zwei Schwestern sind XXXX , eine Schwester XXXX . Jene Schwester, welche im Elternhaus des BF lebt ist XXXX . Zwei Brüder sind XXXX , ein Bruder XXXX und ein weiterer Bruder Angestellter der XXXX . Sie und weitere in seiner Heimat lebende Familienmitglieder sind finanziell versorgt. Sämtlichen Verwandten des BF in seiner Heimat geht es gut.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Der BF war nie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates.

Er hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde nie von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt oder bedroht.

Der BF ist nicht, wie behauptet, wegen einer Bedrohung durch den IS oder Armeemitglieder aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

Er war im Herkunftsstaat zu keiner Zeit einer asylrelevanten Bedrohungs- oder Verfolgungssituation ausgesetzt.

Festgestellt wird, dass er aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort und den wirtschaftlichen Gegebenheiten seinen Herkunftsstaat verlassen hat.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF hat nachweislich Zertifikate für Integrationskurse der Stufe A2 erhalten und besuchte zahlreiche Integrationsveranstaltungen und Kurse. Er ist Mitglied eines Kulturvereins und geht ehrenamtlichen Tätigkeiten im Rahmen von Schwemmholzräumungen und beim Roten Kreuz nach. Im Rahmen der „Corona-Hilfe“ bot er aktiv Unterstützung an. Für den BF langten mehrfach Unterstützungsschreiben von privater und öffentlicher Seite ein.

Seit XXXX 2020 hält er ein Gewerbe für XXXX sowie zur XXXX . Mit diesen Tätigkeiten erwirtschaftet er Erträge über der Geringfügigkeitsgrenze. Bis zur Gewerbeanmeldung bezog er Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Er hat keine im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen oder weitere Verwandte.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste des früheren Herrschaftsgebiets dieser Organisation im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten, so sind Ninewa, Salah al-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen.

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen. Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt. Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat.

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt. Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala. Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen.

Der Beschwerdeführer war weder durch die im Herkunftsstaat tätigen Milizen noch durch die Polizei des Herkunftsstaates oder Kämpfer des Islamischen Staates einer asylrelevanten Bedrohung oder gar Verfolgung ausgesetzt. Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass seine Herkunftsstadt BAQUBA nicht Ziel militanter Kräfte ist.

Dass der BF einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre, kam anlassbezogen nicht hervor.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 02.12.2020

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 02.12.2020

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 02.12.2020

-        Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 02.12.2020

-        FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 02.12.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.1.2020): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 02.12.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 02.12.2020

-        Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 02.12.2020

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 02.12.2020

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 02.12.2020

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 02.12.2020

-        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 02.12.2020

1.6.2. Islamischer Staat (IS)

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).

Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Der BF konnte anlassbezogen keine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung durch den (sunnitischen) IS glaubhaft machen.

Quellen:

-        Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/, Zugriff 30.10.2018

-        CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

-        ISW - Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS's Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html, Zugriff 30.10.2018

-        Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://jamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/, Zugriff 30.10.2018

-        Joel Wing - Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuilding-in.html, Zugriff 30.10.2018

-        Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018

-        Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/security/5951/, Zugriff 30.10.2018

-        WP - Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comeback-in-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59-dccc2c0cabcf_story.html?noredirect=on&utm_term=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018

1.6.2. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).

Der BF war zwar für das XXXX tätig, bezeichnete sich selbst bei der hg. Vernehmung als XXXX im Bürodienst. Er trug zwar XXXX , verfügte jedoch zu keinem Zeitpunkt über Zugang zu XXXX oder anderen XXXX . Überdies gab er an, lediglich administrative Posttätigkeiten geregelt zu haben. Schon aus diesen Gründen kann in seinem Fall nicht von einer besonderen Gefährdung ausgegangen werden.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 02.12.2020

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff am 02.12.2020

1.6.3. Desertion

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Armee hat kaum die Kapazitäten, um gegen Desertion von niederen Rängen vorzugehen. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen es zur Verfolgung von Deserteuren gekommen wäre (DIS/Landinfo 5.11.2018). Im Jahr 2014 entließ das Verteidigungsministerium Tausende Soldaten, die während der IS-Invasion im Nordirak ihre Posten verlassen haben und geflohen sind. Im November 2019 wurden, mit der behördlichen Anordnungen alle entlassenen Soldaten wieder zu verpflichten, über 45.000 wieder in Dienst gestellt (MEMO 6.11.2019).

Der BF bekleidete laut eigenen Angaben einen XXXX . Zudem ist nach der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 06.12.2019 (https://www.ecoi.net/de/dokument/2023187.html) im Irak am 25. August 2016 eine Amnestie wirksam geworden, auf Grund derer all jene, welche vor diesem Datum den Dienst beendet hatten, von der Strafverfolgung befreit wurden. Begründet wurde dies damit, dass es speziell im Juni 2014 zu einem Kollaps der gesamten Armee und des Sicherheitsapparates gekommen sei. Damit ist ausgeschlossen, dass der BF im Herkunftsstaat der Desertion bezichtigt werden und deshalb Ungemach erleiden könnte. Zudem konnte der BF die von ihm behauptete, angeblich in seiner Abwesenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung wegen Desertion nicht glaubhaft machen.

1.6.4. Medizinische Versorgung:

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Der BF bezeichnete sich selbst als gesund, sodass er keine medizinische Versorgung benötigt und bei ihm grundsätzlich Arbeitsfähigkeit vorliegt.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 02.12.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff am 02.12.2020

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff am 02.12.2020

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff am 02.12.2020

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff am 02.12.2020

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates - insbesondere wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder aus politischen Gründen - Probleme gehabt hätte.

Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie jemals politisch aktiv gewesen wären oder die Genannten einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates als Mitglieder angehört hätten.

Mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung bzw. mit den Angehörigen einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung hatte er keine Probleme.

Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird er keiner - aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort - realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sein.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde und seiner Ausführungen vor dem BVwG.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden, sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten persönlichen Dokumente und Urkunden.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die Konstatierungen zum Gesundheitszustand des und seiner Arbeitsfähigkeit konnten anhand seiner Angaben getroffen werden (S. 4 der VH-Niederschrift), die gut in Einklang mit seinen Gewerbeberechtigungen zu bringen sind.

Die Feststellungen zur Wohnsitznahme, zum Bezug von staatlichen Leistungen aus Grundversorgung und zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der bfP im Bundesgebiet ergeben sich einerseits aus den amtswegigen Abfragen aus dem Zentralen Melderegister, der Abfrage aus dem Betreuungsinformationssystem-GVS und dem Strafregisterauszug sowie aus den - damit in Einklang stehenden - Angaben der beschwerdeführenden Parteien anlässlich ihrer vor dem Bundesverwaltungsgericht stattgehabten PV.

Die Gewerbeberechtigungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des BF im Rahmen des Verfahrens gemäß § 56 AsylG, welche gut mit einem amtswegig angefertigten GISA-Auszug in Einklang zu bringen sind.

2.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

Die Konstatierungen zur Situation des BF in seiner Heimat und seinem dortigen familiären Umfeld beruhen auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom XXXX .2019 (S. 9f).

2.4. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH vom 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH vom 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; vom 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH vom 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH vom 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH vom 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten. Die Diskrepanz zwischen seiner ursprünglich angegebenen Ausreise aus dem Irak mit XXXX .02.2014 und dem in seinem Reisepass ersichtlichen Ausreisestempel mit XXXX .02.2015 (Reisepass in Beilage ./I) ist nicht entscheidungsrelevant.

Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte er angegeben, seine Heimat verlassen zu haben, da er XXXX gewesen sei und dass in seinem Wohnbezirk mehrheitlich Sunniten leben würden. Die Armee habe gewollt, dass er seine eigene Volksgruppe bekämpfe. Er sei in einer Zwickmühle gesteckt, wonach er sich für eine der Seiten hätte entscheiden müssen. Aus diesem Grund sei er von den Milizen der Armee sowie dem Islamischen Staat (IS) mit dem Umbringen bedroht worden. Deshalb habe er sein Land verlassen. Bei seiner Rückkehr fürchte er, von der Armee oder dem IS getötet zu werden, von staatlicher Seite erwarte er jedoch keine Sanktionen.

Bezüglich seines Fluchtgrundes gab der BF vor der belangten Behörde an, in der irakischen XXXX bei der XXXX tätig gewesen zu sein und dort im Bereich Computer gearbeitet zu haben. Er habe verweigert Namen von unschuldigen Personen auszudrucken, da er seine Hände nicht habe mit Blut beschmieren wollen. Aufgrund der Weigerung sei er mit dem Tod bedroht worden. Ein XXXX sei Schiit gewesen und habe zudem gefordert, dass der BF aktiv kämpfen solle, was er auch verweigert habe. Der Vorgesetzte habe gesagt, dass der BF Sunnit sei und dies (Anm. die Teilnahme an Kampfhandlungen) unterstütze. Am nächsten Tag habe er Urlaub gehabt, sei jedoch nicht nach Hause, sondern zu einem Freund in XXXX gefahren. Da manche Stadtteile vom IS kontrolliert worden seien, habe er ob seiner Tätigkeit bei der XXXX Drohanrufe bekommen. Er habe sich bei seinem Freund aufgehalten und nach etwa einer Woche das Visum für die Türkei erhalten. In der Folge sei er nach Kirkuk und weiter in die Türkei gereist. Weitere Gründe für die Flucht habe er nicht. Es liege ein militärischer Gerichtsbeschluss gegen ihn vor, der in seiner Abwesenheit erstellt worden sei.

Er habe lediglich eine Bürotätigkeit ausgeübt und sei für die XXXX und administrative Tätigkeiten wie die An- und Abmeldung von XXXX , das Budget und Lohnzahlungen eingesetzt worden. In der Armee habe er von XXXX .2010 bis XXXX .2014 gedient und sich freiwillig gemeldet, da er zuvor keine Arbeitsstelle gehabt habe. Die ersten zwei Monate sei er in XXXX , dann bis zu seiner Flucht in XXXX stationiert gewesen.

Er habe nur mit dem oben genannten Offizier und einigen Leutnants Probleme gehabt; dieser Vorfall sei der einzige gewesen. Weitere Drohungen habe er von seinem Vorgesetzten nicht erhalten.

Im Rahmen des Verfahrens konnte der BF nicht glaubhaft machen, dass eine der soeben genannten Situationen tatsächlich fluchtauslösend gewesen sein soll, zumal beide als nicht asylrelevant im Sinne der GFK sind.

Die Aufforderung eines Vorgesetzten zur Anfertigung einer Namensliste um bestimmte unschuldige Personen ausschalten zu können und die angeblich darauffolgende Todesdrohung, nachdem sich der BF geweigert haben will, ist nicht als staatlicher Akt gegen den BF zu qualifizieren, sondern betrifft die Handlung einer Einzelperson bzw. einer Gruppe von Personen innerhalb des XXXX . Es ist nicht ersichtlich, wie dem BF hieraus eine von staatlicher Seite drohende Gefahr entstehen sollte, zumal er selbst angab, ohne die Existenz des Vorgesetzten problemlos in seiner Heimat leben zu können.

Ebenso scheint es nicht lebensnahe, dass der BF durch diese vorgesetzte Person zum Dienst an der Waffe gedrängt worden sein soll. Nach seinen eigenen Angaben hatte der BF zu keinem Zeitpunkt Zugang zu XXXX , noch wurde er an einer solchen ausgebildet (VH-Niederschrift S. 15f). In Anbetracht dieser Tatsache scheint es nicht glaubhaft, dass der mit XXXX nicht vertraute BF zum Dienst mit einer XXXX gezwungen werden sollte, zumal seine bisherige Tätigkeit als Bürokraft eine von der XXXX benötigte war.

Laut Angaben des BF soll er sich in dieser Situation nur ein einziges Mal, nämlich kurz vor seinem Urlaubsantritt und seiner Flucht, wiedergefunden haben. Es erscheint nicht glaubhaft, dass eine Person wegen einer nur einmal stattgehabten Situation sofort die gesamte Familie hinter sich lässt, ohne rechtliche Schritte oder eine Meldung bei einer Behörde zu tätigen. Zudem gab der BF an, dass er kurz nach der angeblichen Drohung seinen Urlaub angetreten haben will. Wieso er dann nicht zu seiner Wohnstätte fuhr, sondern zu einem Freund, vermochte er nicht glaubhaft zu machen. Um dem Verdacht einer möglichen, künftigen Ausreise zu entgehen, erscheint das Unterlassen des Untertauchens und das Fortsetzen des normalen Tagesablaufs insgesamt nachvollziehbarer.

Auch die vorgelegten Schreiben, welche eine Verfolgung des BF bestätigen sollen, vermögen nicht, eine Verbindung zum Beschwerdeführer herzustellen. Jenes Schreiben, welches konkrete Strafdrohungen für Deserteure beinhaltet, weist in keinem Punkt auf den Beschwerdeführer hin (Beilage ./10). Jene Beilage mit Bezug auf die Rechtskraft eines Urteils (Beilage ./8) ist schon wegen der darin enthalten Datumsangaben als unglaubwürdig zu qualifizieren. Es erscheint nicht logisch, dass bei einer Desertion des BF im Februar 2014 ein erstmaliges Urteil erst mit 16.11.2015 gefällt worden sein soll. Die angefertigte Übersetzung ist zudem höchst fragmentarisch, sodass aus dieser nicht erkennbar ist, worin nun der Grund des Schreibens besteht. Auch lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen, ob das angebliche Urteil zu Gunsten des BF ausgefallen ist, oder nicht.

Selbst unter der Annahme, dass der BF ob seiner Desertion verfolgt werden würde, wäre dies kein willkürlicher Akt eines staatlichen Akteurs, sondern Ausfluss einer in diesem Bereich weitgehenden Militärstrafgerichtsbarkeit, wie sie auch in europäischen Ländern vorhanden ist.

Auch hinsichtlich der behaupteten Bedrohung durch den IS blieb der BF in seinen Schilderungen detailarm und unsubstantiiert, weshalb insgesamt von einem tatsachenwidrigen Gedankenkonstrukt auszugehen ist. Die einzigen Kontaktmomente waren nach den Angaben des Beschwerdeführers mehrere Anrufe und eine SMS von ihm unbekannten Personen, ausgehend von unbekannten Nummern. Die ihm unbekannten Personen sollen die Forderung erhoben haben, dass er (Anm.: der BF) seinen Dienst quittiert, da er sonst getötet werden würde. Nach den Angaben des BF wurde in diesem Zusammenhang nie eine Frist genannt, bis zu welcher der Forderung hätte nachkommen sollen. Weitere Kontakte oder ein persönliches Aufeinandertreffen mit Mitgliedern des BF wurden im gesamten Verfahrensverlauf nicht behauptet.

Auffällig ist zudem, dass er keine einzige der von ihm behaupteten Handlungen bei der Polizei oder bei einem seiner Vorgesetzten beim XXXX zur Anzeige brachte.

Schließlich ist aus dem Umstand, dass der BF erst nach einer einwöchigen Wartezeit legal aus dem Irak mittels Bus ausreiste, kein fluchtartiges Verlassen des Herkunftsstaates zu erkennen.

Schon deshalb und wegen des persönlichen (unglaubwürdig wirkenden) Gesamteindrucks, den der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vermittelte, erscheinen die von ihm genannten Fluchtgründe als tatsachenwidriges Gedankenkonstrukt.

Vor diesem Hintergrund waren die Feststellungen zu treffen.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.

2.6. Zur Integration des BF in Österreich:

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Die Integration der beschwerdeführenden Partei wird auch durch die im Akt befindlichen glaubhaften Unterstützungsschreiben bestätigt. Dass der BF über Deutschkenntnisse verfügt, konnte zusätzlich im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlung festgestellt werden, in welcher er einige Fragen auf Deutsch beantworten konnte. Die Niederschrift vor dem BFA bezüglich des Antrages gemäß § 56 AsylG konnte gänzlich ohne Dolmetsch erfolgen.

Der Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und die bisherige Unbescholtenheit ergeben sich aus den jeweiligen Auszügen aus dem Melderegister und dem Strafregister.

Dass der BF seit XXXX 2020 keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht ergibt sich aus einem diesbezüglichen Auszug und der Tatsache, dass er bei der BH XXXX zwei Gewerbe angemeldet hat und mittels gestellter Rechnungen nachweisen konnte, dass er über Einnahmen, die ihm die Selbsterhaltungsfähigkeit ermöglichen, verfügt. Dass diese Einnahmen die Grenze der Geringfügigkeit überschreiten ergibt sich aus den dem Akt beiliegenden Kontoauszügen und Rechnungen des BF. Weitere Auftragsbestätigungen und Angebote wurden am BVwG übermittelt und liegen dem Akt bei (OZ 22).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .02.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig und brachte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids vom 20.02.2018:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten