TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/11 W187 2192019-1

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Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W187 2192002-1/7E
W187 2192019-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX und 2. XXXX , geboren am XXXX , beide Staatsangehörigkeit Afghanistan, beide vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom jeweils XXXX , 1. XXXX und 2. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführer) und sein zum damaligen Zeitpunkt minderjähriger Sohn, XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer), reisten gemeinsam unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am XXXX , der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Zweitbeschwerdeführer vertreten durch seinen Vater, den Erstbeschwerdeführer, ihren Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren stellten.

2. Der Erstbeschwerdeführer wurde im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, er sei am XXXX in Afghanistan in Kabul geboren, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er sei verheiratet und der Vater des Zweitbeschwerdeführers. Seine Eltern seien bereits verstorben, seine Ehefrau und seine weiteren Kinder, eine Tochter und zwei Söhne, seien nach wie vor in Afghanistan wohnhaft. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe Afghanistan mit seinem Sohn aus Angst vor der Regierung verlassen. In Kabul sei der Erstbeschwerdeführer als selbständiger Verkäufer tätig gewesen. Zwei Wochen vor ihrer Ausreise aus Afghanistan habe der Erstbeschwerdeführer Ware von seinem Lieferanten erhalten. Der Lieferant habe bei ihm im Geschäft auch zehn geschlossene Kartons deponiert. Als der Erstbeschwerdeführer am nächsten Tag nicht im Geschäft gewesen sei, seien Beamte der nationalen Sicherheit ins Geschäfts gekommen und hätten seinen Gehilfen mitgenommen. Später habe der Erstbeschwerdeführer erfahren, dass sich in diesen Kartons Sprengsätze befunden hätten. Er sei gesucht worden und habe deshalb das Land verlassen. Der Erstbeschwerdeführer habe Angst vor der afghanischen Regierung und stelle aus diesen Gründen auch einen Asylantrag für seinen (zum damaligen Zeitpunkt) minderjährigen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer.

3. Am XXXX wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe einen Bruder in Österreich, der bereits seit über XXXX Jahren im Bundesstaat lebe. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, er habe in Afghanistan in Kabul ein Geschäft betrieben und bei seinem Lieferanten zehn Kartons Metall zum Schweißen bestellt. Dieser habe ihm die Pakete gebracht und noch eine weitere Packung bei ihm gelassen. Der Lieferant habe gemeint, der Erstbeschwerdeführer solle darauf aufpassen. Zwei Tage nach der Lieferung sei der Erstbeschwerdeführer auf einem Begräbnis gewesen und habe einen Anruf von seinem Geschäftsnachbarn erhalten. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass Sicherheitsbeamte sein Geschäft durchsucht hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe den Geschäftsnachbarn gebeten, ihn nochmals anzurufen, sollte er weitere Informationen haben. Ungefähr eineinhalb Stunden später habe der Geschäftsnachbar ihm telefonisch mitgeteilt, dass die Sicherheitsbeamten in den Packungen Sprengstoff gefunden und seinen Lehrling mitgenommen hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe keine Kenntnis vom Sprengstoff gehabt und vermutet, dass sein Lieferant etwas damit zu tun haben müsste. Nach dem Begräbnis sei der Erstbeschwerdeführer nicht nach Hause, sondern zu seinem Cousin gegangen. Bei diesem habe er sich ungefähr 15 Tage lang aufgehalten. In diesen 15 Tagen sei das Haus des Erstbeschwerdeführers von Sicherheitsbeamten durchsucht worden. Der Zweitbeschwerdeführer sei bei der Hausdurchsuchung anwesend gewesen und habe Angst bekommen. Aus diesem Grund sei der Zweitbeschwerdeführer zum Erstbeschwerdeführer geflüchtet. Der Cousin des Erstbeschwerdeführers habe einen Schlepper organisiert und die Beschwerdeführer seien nach Österreich geflüchtet. Der Erstbeschwerdeführer sei überzeugt, dass die Regierung ihn andernfalls eingesperrt oder getötet hätte, da die afghanische Regierung die Mafia sei.

4. Mit Stellungnahme vom XXXX erstattete der Erstbeschwerdeführer, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, ergänzendes Vorbringen zu seinen Asylgründen sowie zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan und brachte Länderberichte ins Verfahren ein.

5. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden vom jeweils XXXX wurden die Anträge des Erstbeschwerdeführers und des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt IV. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Beschwerdeführern amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Gegen diese Bescheide erhoben der Erstbeschwerdeführer und der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Zweitbeschwerdeführer, dieser vertreten durch seinen Vater, den Erstbeschwerdeführer, beide vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

7. Die gemeinsam erhobene Beschwerde und die dazugehörigen Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

8. Mit Schreiben vom XXXX ersuchten die Beschwerdeführer das Bundesverwaltungsgericht, in ihrem Fall eine positive Entscheidung zu treffen bzw eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

9. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.

10. Am XXXX langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführer zu ihren Asylgründen sowie zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan samt Urkundenvorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

11. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Erstbeschwerdeführer und der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Zweitbeschwerdeführer im Beisein ihres ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz und ihren Beschwerdegründen im Familienverfahren einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Erstbeschwerdeführer: Ja.

Zweitbeschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Erstbeschwerdeführer: Ja, mir geht es sonst gut, aber seit ca. einem Jahr habe ich ab und zu Kopfschmerzen. Im Moment geht es mir aber gut.

Zweitbeschwerdeführer: Ja, ich bin gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Erstbeschwerdeführer: Ich nehme ab und zu gegen Kopfschmerzen Tabletten, aber ich habe diese Schmerzen nicht regelmäßig. Wegen Magensäure nehme ich auch Tabletten ein.

Zweitbeschwerdeführer: Ab und zu habe ich Nierenbeschwerden bzw. Schmerzen. Gestern hatte ich auch Schmerzen aber heute geht es mir gut. Dagegen nehme ich Medikamente ein.

[…]

Beginn der Befragung des Erstbeschwerdeführers

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Erstbeschwerdeführer: Ja, nur bei meiner Erstbefragung wurde das Alter meiner Tochter irrtümlicherweise mit XXXX protokolliert. Ich gab damals an, dass meine Tochter XXXX Jahre alt ist.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Erstbeschwerdeführer: Ich bin am XXXX in Kabul geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Erstbeschwerdeführer: Ich kann Dari, Paschtu und Urdu. Jetzt habe ich auch Deutsch gelernt. Die genannten Sprachen kann ich sowohl in Wort als auch in Schrift.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Erstbeschwerdeführer: Ich bin Hazara und Schiit und ich bin verheiratet.

Richter: Haben Sie Kinder?

Erstbeschwerdeführer: Ja, ich habe vier Kinder. Mein ältester Sohn ist XXXX , er ist hier anwesend und das jüngste Kind von mir heißt XXXX .

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Erstbeschwerdeführer: Ich bin in Kabul geboren, dort aufgewachsen. Ich habe dort auch die Schule zu Ende gebracht. In der Zeit vom Bürgerkrieg in Afghanistan lebten wir eine Zeit lang in Pakistan. Nachdem die Situation sich beruhigt hat, kehrten wir zurück nach Afghanistan und lebten nach wie vor in Kabul.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Erstbeschwerdeführer: Wir wohnten im Haus, welches ich von meinem Vater geerbt hatte.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Erstbeschwerdeführer: Ich hatte ein Stahlgeschäft in Afghanistan, ich habe Stahl verkauft.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Erstbeschwerdeführer: Ich habe 12 Jahre die Schule besucht und beendet.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Erstbeschwerdeführer: Meine Verwandten väterlicherseits und mütterlicherseits waren alt und sind bereits verstorben. Ich hatte eine Schwester in Afghanistan, die vor ca. 7 oder 8 Jahren gestorben ist. Weiters habe ich einen Bruder, der seit über XXXX Jahren in Österreich lebt.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Erstbeschwerdeführer: Ja mit meiner Ehefrau und meinen Kindern.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Erstbeschwerdeführer: Die herrschende schlechte Sicherheitslage hat dazu geführt, dass jeder in Afghanistan in eine Richtung geflohen ist, daher weiß ich nicht, wohin meine Freunde geflohen sind und wo sie jetzt leben.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Erstbeschwerdeführer: Ich besuche im Moment einen Deutschkurs und freiwillig arbeite ich in einem Nachbarschaftszentrum des XXXX , ich habe auch den Dienstausweis.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Erstbeschwerdeführer: Ja, meine Freunde sind meine Kollegen. Wir unterhalten uns immer, der eine heißt XXXX und der andere XXXX . Unsere Betreuerin heißt XXXX . Ich habe auch andere Kollegen, sie sind aber in einer anderen Abteilung tätig.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Erstbeschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Erstbeschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Erstbeschwerdeführer: Ich hatte in Afghanistan ein normales Leben und habe auch ein Geschäft betrieben. Ich habe das Geschäft ca. 7 Jahre lang betrieben. Ein Mann namens XXXX hat mir Ware gebracht. Wenn er mir die Ware gebracht hat, dann haben wir donnerstags immer die Abrechnung gemacht. Es ist auch vorgekommen, dass XXXX manchmal die Ware von anderen Menschen bei mir im Geschäft gelagert hat und mir gesagt hat, dass er dann an einem anderen Tag diese Sachen abholen wird. Manchmal ist auch vorgekommen, dass er meine Ware, die er mir zu liefern hatte, in einem anderen Geschäft gewahrt hat und dann zu mir gebracht hat. Es war so ein Vertrauen zwischen uns. Eines Tages hat XXXX 10 Kartons Waren, indem er sagte, dass Rohre für Schweißerarbeiten sind, bei mir aufbewahrt. Mein Gehilfe hat XXXX geheißen. Er hat die Ware in eine Ecke meines Geschäftes aufbewahrt. Ich ging dann am Abend nachhause. Zwei Tage später, als ich in der Früh ins Geschäft kommen wollte, wurde ich angerufen. Mir wurde mitgeteilt, dass die Ehefrau meines Onkels väterlicherseits verstorben ist. Ich musste dann dort hin, um an dem Begräbnis teilzunehmen. Gegen Mittag rief mich der Besitzer vom Nachbargeschäft an und fragte mich: XXXX , warum bist du nicht im Geschäft?“ Ich erzähle ihm, dass ich bei einem Begräbnis bin. Er sagte mir aber, dass die Polizei bei mir im Geschäft ist und behauptet, dass in diesen Kartons drinnen Explosionsware ist. Er sagte mir auch, dass die Polizei mein Geschäft durchsucht hat. Mir wurde klar, dass in diesen Kartons irgendetwas drinnen war. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass damit XXXX zu tun hat. Daher bin ich nicht nachhause gegangen. Ein alter Nachbar von uns hat in XXXX ein Haus gekauft. Diesen Nachbar nannte ich Onkel mütterlicherseits und sein Sohn war für mich so etwas wie ein Cousin. Ich ging zu ihnen nach Hause und verbrachte dort 15 Tage. Während dieser Zeit habe ich erfahren, dass in diesen Kartons Sprengstoff drinnen war und dass die Polizei auf der Suche nach mir war. Während diesen 15 Tagen wurde auch unser Haus durchsucht. In der Nacht kam die Polizei zu uns nach Hause, meine Familie hatte große Angst, auch mein Sohn XXXX war anwesend. Dann bin ich mit meinem Sohn nach Europa geflohen. Da mein Sohn Angst hatte, ist er nach diesen 15 Tagen dort hin zu mir gekommen und dann konnten wir gemeinsam fliehen.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Erstbeschwerdeführer: Der Besitzer von dem Nachbargeschäft mit dem Namen XXXX teilte mir dann mit, dass die Beamten von der nationalen Sicherheit immer wieder nach mir fragen und auch mein Gehilfe XXXX wurde von der Polizei aus dem Geschäft mitgenommen. Ich habe auch erzählt bekommen, dass sogar die Taliban hinter mir her sind, weil sie meinen, dass ich diese Kartons verraten habe.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan aktuell bedroht?

Erstbeschwerdeführer: Ich bin seitens der Polizei und seitens der Taliban bedroht.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Erstbeschwerdeführer: Wir sind über Iran, Türkei, Griechenland, Mazedonien und die Nachbarländer von Österreich nach Österreich gekommen. Unsere Reise dauerte ca. 50 Tage.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Erstbeschwerdeführer: Meine Reise habe ich mit dem Schlepper während meines 15-tägigen Aufenthalts bei diesem sogenannten Cousin organisiert. Der Schlepper verlangte pro Person 10.000 Dollar. Das Geld waren meine Ersparnisse. Ich habe in Kabul und auch in Pakistan ein Geschäft betrieben.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Erstbeschwerdeführer: Im Bescheid stand geschrieben, dass ich deshalb den negativen Bescheid bekommen habe, weil ich nicht sagen konnte, wie viel Einkommen ich von meinem Geschäft hatte. Es war so, es ist auf die Situation und Sicherheitslage in Afghanistan angekommen. Wenn sie Sicherheitslage gut war, dann hatte ich Einnahmen und konnte etwas verkaufen. Wenn es schlecht war, dann hatte ich kein Einkommen. Daher konnte ich nicht genau sagen, wie viel ich ungefähr monatlich verdient habe. Es war unterschiedlich. Es ist vorgekommen, dass ich in einem Monat 60.000 Afghani verdient habe, es ist aber auch vorgekommen, dass ich weniger verdient habe. Es war unterschiedlich.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Erstbeschwerdeführer: Ich habe Angst von der Regierung eingesperrt zu werden und die Taliban werden mich auch nicht am Leben lassen.

Rechtsvertreter: Wo lebt Ihre Familie derzeit?

Erstbeschwerdeführer: In Pakistan.

Rechtsvertreter: Warum haben Sie Ihre Familie nicht mitgenommen nach Österreich?

Erstbeschwerdeführer: Ich konnte das nicht organisieren. Ich war in einer schrecklichen Situation. Ich musste mich zunächst selbst in Sicherheit bringen.

Rechtsvertreter: Keine weiteren Fragen.

[…]

Erstbeschwerdeführer: Ich ersuche um Korrektur der Schreibweise unseres Familiennamens auf XXXX . Meine Tochter XXXX ist am XXXX geboren und mein Sohn XXXX ist am XXXX geboren, mein Sohn XXXX ist am XXXX geboren. Meine Ehefrau XXXX ist am XXXX geboren.

Der Erstbeschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Erstbeschwerdeführer: Ja, sehr gut.

Beginn der Befragung des Zweitbeschwerdeführers

[…]

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Zweitbeschwerdeführer: Ich bin am XXXX in Pakistan geboren. Als ich ca. XXXX Jahr alt war, ist meine Familie mit mir nach Kabul gezogen.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Zweitbeschwerdeführer: Dari kann ich lesen und schreiben und auch etwas Englisch. Hier in Österreich habe ich die Schule abgeschlossen, daher kann ich auch ziemlich gut Deutsch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Zweitbeschwerdeführer: Ich bin Hazara, Schiit und bin ledig.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Zweitbeschwerdeführer: In Afghanistan besuchte ich bis zur 6. Klasse die Schule. Gearbeitet habe ich nicht.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Zweitbeschwerdeführer: Hier in Österreich habe ich die Mittelschule fertiggemacht und ein Jahr lang besuchte ich auch die polytechnische Schule. Im Moment besuche ich ein Abendgymnasium.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Zweitbeschwerdeführer: Ja.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Zweitbeschwerdeführer: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Zweitbeschwerdeführer: Das Leben hier ist großartig hinsichtlich der Sicherheit. Ich besuche das Abendgymnasium, spiele Fußball. Ich habe keine Arbeitserlaubnis, daher arbeite ich nicht.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Zweitbeschwerdeführer: Ja, ich habe sowohl österreichische als auch türkische Freunde.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Zweitbeschwerdeführer: Ja, ich spiele Fußball in einem Verein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Zweitbeschwerdeführer: Nein.

Richter: Haben Sie eigene Erinnerungen an den Grund, warum Ihr Vater Afghanistan verlassen und nur Sie mitgenommen hat?

Zweitbeschwerdeführer: Ich war damals sehr jung, ich kann mich nicht genau daran erinnern, aber ich erinnere mich, dass die Polizei in der Nacht zu uns nachhause kam, unser Haus durchsuchte und ich große Angst hatte. Meine Mutter hat mich dann zu meinem Vater gebracht und mein Vater nahm mich dann mit nach Europa.

Rechtsvertreter: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor?

Zweitbeschwerdeführer: Ich möchte Automechaniker werden. Ich habe auch ca. eine Woche ein Praktikum als Automechaniker gemacht.

Rechtsvertreter: Keine weiteren Fragen.

Der Zweitbeschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Zweitbeschwerdeführer: Ja.“

Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Kopie des Reisepasses und der E-Card des Bruders des Erstbeschwerdeführers vor. Diese Kopie wurde zum Akt genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zu den Personen der Beschwerdeführer und ihrem Leben in Afghanistan

Die Beschwerdeführer tragen die im Spruch angeführten Namen und sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind der schiitischen Glaubensgemeinschaft des Islam zugehörig. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Die Beschwerdeführer können diese Sprache sowohl lesen als auch schreiben. Der Erstbeschwerdeführer verfügt zudem über Sprachkenntnisse in Paschtu und Urdu, der Zweitbeschwerdeführer über Grundkenntnisse in Englisch. Beide Beschwerdeführer verfügen über Deutschkenntnisse.

Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Mutter des Zweitbeschwerdeführers verheiratet und Vater von einer Tochter und drei Söhnen, darunter den Zweitbeschwerdeführer. Er hat keine weiteren Kinder. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch der Zweitbeschwerdeführer sind im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls volljährig. Der Zweitbeschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren und wuchs dort im Stadtteil XXXX im afghanischen Familienverband gemeinsam mit seinen Eltern, einer Schwester und einem Bruder auf. Der Erstbeschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule in Kabul und leistete anschließend seinen Militärdienst in Herat ab. Im Jahr XXXX floh der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie und seiner Gattin nach Pakistan XXXX , wo er als Verkäufer ein eigenes Geschäft betrieb. Im Jahr XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer in Pakistan geboren. Ungefähr im Jahr XXXX kehrten die Beschwerdeführer mit der Familie nach Afghanistan in die Hauptstadt Kabul zurück, wo in den Jahren XXXX , XXXX und XXXX die weiteren Kinder des Zweitbeschwerdeführers geboren wurden. Die Familie lebte in Kabul im Stadtteil XXXX im afghanischen Familienverband im familieneigenen Haus. Der Erstbeschwerdeführer besaß in Kabul ein Stahlgeschäft und ein landwirtschaftliches Grundstück und sorgte für den Lebensunterhalt der Familie. Die finanzielle Situation der Familie war gut. Der Zweitbeschwerdeführer ging in Afghanistan sechs Jahre zur Schule und war nicht berufstätig. Die Beschwerdeführer lebten bis zu ihrer Ausreise Richtung Österreich im familieneigenen Haus in Kabul.

Die Eltern des Erstbeschwerdeführers bzw Großeltern des Zweitbeschwerdeführers und die Schwester des Erstbeschwerdeführers bzw Tante väterlicherseits des Zweitbeschwerdeführers sind bereits verstorben. Die Gattin des Erstbeschwerdeführers bzw Mutter des Zweitbeschwerdeführers sowie die (weiteren) Kinder des Erstbeschwerdeführers bzw. Geschwister des Zweitbeschwerdeführers leben zwischenzeitlich in Pakistan in der Stadt XXXX und kommen dort selbst für ihren Unterhalt auf. Die Beschwerdeführer stehen in regelmäßigem Kontakt mit der Familie in Pakistan. In Afghanistan leben keine (allenfalls auch entfernten) Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen der Beschwerdeführer. Sie verfügen in Afghanistan über kein unterstützungsfähiges soziales Netzwerk. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers bzw Onkel des Zweitbeschwerdeführers lebt im Bundesstaat und ist österreichischer Staatsbürger.

1.2 Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich

Die Beschwerdeführer reisten Anfang XXXX unter Umgehung der Grenzkontrollen gemeinsam in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am XXXX , der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Zweitbeschwerdeführer vertreten durch seinen Vater, den Erstbeschwerdeführer, gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz. Seither halten sich die Beschwerdeführer durchgehend im Bundesgebiet auf. Die Beschwerdeführer hatten nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Das Verfahren wird als Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 geführt.

Die Beschwerdeführer bewohnen in Österreich gemeinsam eine Privatwohnung in XXXX . Sie beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und sind nicht erwerbstätig.

Der Erstbeschwerdeführer nahm seit seiner Einreise an mehreren Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskursen, darunter unter anderem an Deutschkursen im XXXX , des Vereins XXXX , der XXXX sowie der XXXX und dem Basisbildungskurs „ XXXX “, teil. Weiter besuchte er regelmäßig den „ XXXX “, eine Deutschlerngruppe des ÖIF. Im XXXX legte er erfolgreich die Integrationsprüfung des ÖIF auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen, bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz und zu Werte- und Orientierungswissen, ab. Im XXXX absolvierte der Erstbeschwerdeführer die Integrationsprüfung des ÖIF nochmals auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Seit XXXX engagiert sich der Erstbeschwerdeführer ehrenamtlich beim XXXX und ist Inhaber eines Freiwilligenausweises des XXXX . Der Erstbeschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein, hat jedoch in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. In seiner Freizeit geht der Erstbeschwerdeführer gerne schwimmen oder laufen.

Der Zweitbeschwerdeführer nahm seit seiner Einreise ebenfalls an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teil und spricht bereits gut Deutsch. Er besuchte ab dem XXXX in den Schuljahren XXXX und XXXX die Neue Mittelschule XXXX , „ XXXX “ mit Waldpädagogik. Im Rahmen eines schulautonomen Projektes der Neuen Mittelschule absolvierte der Zweitbeschwerdeführer berufspraktische Tage bei der XXXX , im Zuge derer er den Beruf des Einzelhandelskaufmanns erproben konnte. Zuletzt besuchte der Zweitbeschwerdeführer im Schuljahr XXXX die Öffentliche Polytechnische Schule XXXX . Im XXXX absolvierte der Zweitbeschwerdeführer berufspraktische Tage bei der XXXX und im XXXX bei der XXXX . Mit XXXX beendete der Beschwerdeführer die Polytechnische Schule und nahm anschließend von XXXX bis XXXX am Basisbildungskurs des XXXX im Rahmen des Bildungsprojektes XXXX teil. Derzeit besucht der Zweitbeschwerdeführer ein Abendgymnasium. Der Zweitbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Fußballverein und hat in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. In seiner Freizeit spielt der Zweitbeschwerdeführer gerne Fußball. Zukünftig möchte der Zweitbeschwerdeführer gerne eine Ausbildung zum Automechaniker machen.

In Österreich lebt der ältere Bruder des Erstbeschwerdeführers bzw Onkel des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , dem zwischenzeitlich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Zwischen den Beschwerdeführern und dem Bruder bzw Onkel besteht kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Die Beschwerdeführer beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und sind daher nicht auf die finanzielle Unterstützung ihres Verwandten in Österreich angewiesen. Zwischen den Beschwerdeführern und XXXX besteht auch keine besonders intensive Bindung, die über das übliche Verhältnis zwischen volljährigen Verwandten hinausgehen würde. Auch eine sonstige (gegenseitige) Abhängigkeit liegt nicht vor. Es sind im Verfahren keine besonderen Umstände hervorgekommen, wonach die Beschwerdeführer auf die Unterstützung bzw Hilfe ihres Bruders bzw Onkels in Österreich angewiesen wären.

Abgesehen von ihrem Bruder bzw Onkel leben in Österreich keine weiteren Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen der Beschwerdeführer. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft der Beschwerdeführer in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder der Beschwerdeführer.

Die Beschwerdeführer sind im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig. Sie sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer stellten am XXXX gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz und begründeten diese in weiterer Folge mit Verfolgung durch den afghanischen Staat aus politischen bzw. religiösen Gründen wegen des (unberechtigten) Vorwurfs der Unterstützung regierungsfeindlicher Gruppierungen, mit Verfolgung wegen der Volksgruppen- bzw Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer, mit Verfolgung als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland sowie mit der allgemeinen Sicherheitslage.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurden oder eine Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätten.

Der Erstbeschwerdeführer führte in Afghanistan in Kabul ein Eisenwaren-Geschäft und bestellte dafür regelmäßig Waren bei seinem Lieferanten namens XXXX . Der Lieferant bat den Erstbeschwerdeführer öfters, weitere Pakete bei ihm im Geschäft zwischenlagern zu dürfen. Unter diesen Paketen befand sich jedoch kein Karton mit Sprengstoff, Sprengsätzen oder sonstigen explosiven Stoffen. Auch sonst versteckte der Lieferant im Geschäft des Erstbeschwerdeführers keinen Sprengstoff. Das Geschäft des Erstbeschwerdeführers wurde weder durch die Polizei noch durch Beamte der nationalen Sicherheit oder sonstige Sicherheitsbeamte durchsucht. Es wurde insbesondere kein Sprengstoff im Laden des Erstbeschwerdeführers gefunden. Der Erstbeschwerdeführer wird daher nicht von der afghanischen Regierung, etwa wegen unterstellter Unterstützung regierungsfeindlicher Gruppierungen, gesucht. Auch wurde das Haus der Familie der Beschwerdeführer nicht von der Polizei durchsucht. Die Beschwerdeführer verließen Afghanistan nicht aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung. Den Beschwerdeführern drohen im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan weder Übergriffe, noch Verfolgung durch die afghanische Regierung, die Taliban oder sonstige Akteure etwa aufgrund unterstellter politischer Gesinnung. Ein konkreter Anlass, aus dem die Beschwerdeführer Afghanistan verlassen haben, kann nicht festgestellt werden

Den Beschwerdeführern droht wegen ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan auch keine Verfolgung oder Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Ebenso wenig drohen den Beschwerdeführern als Rückkehrern aus dem westlichen Ausland im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz der Beschwerdeführer (Kabul), insbesondere deren Hauptstadt Kabul, ist von innerstaatlichen Konflikten und stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Es werden Anschläge auf hochrangige Ziele ausgeführt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in und um die Hauptstadt Kabul durch.

Im Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Herkunftsprovinz Kabul droht ihnen die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Mazar-e Sharif-e Sharif gilt als Import-/Exportdrehkreuz sowie als regionales Handelszentrum. Die Stadt steht unter Regierungskontrolle und verfügt über einen internationalen Flughaben, über den sie sicher erreicht werden kann.

Für den Fall einer Niederlassung der Beschwerdeführer in der Stadt Mazar-e Sharif kann nicht festgestellt werden, dass diesen die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh war von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif grundsätzlich gegeben. Wegen der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif zwar vorhanden, jedoch beschränkt. In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein. Derzeit sind die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor auf sechs Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt. In den Städten ist die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 zurückgegangen. Die afghanische Regierung ist im Rahmen des Dastarkhan-e-Milli-Programms bemüht, Haushalte zu unterstützen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Im Fall einer Rückführung der – gesunden, arbeitsfähigen und volljährigen – Beschwerdeführer nach Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass sie sich – wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten – eine Lebensgrundlage werden aufbauen und die Grundbedürfnisse ihrer menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft werden decken können. Die Beschwerdeführer werden im Fall ihrer Niederlassung in Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Die Beschwerdeführer sind arbeitsfähige Männer im Alter von XXXX und XXXX Jahren, die an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leiden und (hinsichtlich COVID-19) nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Bluthochdruck fallen. Sie sind mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftslandes vertraut. Der Erstbeschwerdeführer besuchte in Afghanistan zwölf Jahre die Schule und verfügt über eine langjährige Berufserfahrung als Händler und Verkäufer. Der Zweitbeschwerdeführer genoss in Afghanistan eine sechsjährige Schulbildung und besuchte in Österreich seit seiner Einreise im Jahr XXXX laufend die Schule. Durch die in Österreich absolvierten Praktika gewann der Zweitbeschwerdeführer erste Berufserfahrung als Einzelhandelskaufmann und Automechaniker. Zudem sprechen beide Beschwerdeführer eine Sprache des Herkunftsstaates (Dari) muttersprachlich. Der Erstbeschwerdeführer verfügt zudem über sehr gute Kenntnisse in den Sprachen Paschtu und Urdu. Die Beschwerdeführer verbrachten den Großteil ihres Lebens in Afghanistan und wurden dort im afghanischen Familienverband sozialisiert. Die Gattin des Erstbeschwerdeführers bzw Mutter des Zweitbeschwerdeführers sowie die weiteren Kinder des Erstbeschwerdeführers bzw Geschwister des Zweitbeschwerdeführers halten sich derzeit in Pakistan auf und erwirtschaften dort ihren eigenen Unterhalt. Die Beschwerdeführer haben daher in Afghanistan keine Sorgepflichten. Der Aufbau einer Existenzgrundlage in der Stadt Mazar-e Sharif ist den Beschwerdeführern, wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten, möglich.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 21.7.2020, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

1.4.1.1.1 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter – noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.4.1.1.2 Stand 29.6.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, „social distancing“ zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

1.4.1.1.2 Stand 18.5.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage welt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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