TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/14 W195 1431829-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W195 1431829-3/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX StA: Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2020, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 11.12.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Um Wiederholungen zu vermeiden wird zum ersten Verfahrensgang auf die Ausführungen im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.01.2016, XXXX verwiesen, mit dem der diesen Antrag abweisende Bescheid aufgehoben und das Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen wurde.

I.2. Am 05.01.2017 wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen und wiederholte im Wesentlichen seine Angaben, wonach er beschuldigt werde ein Kind ermordet zu haben und dieser falsche Vorwurf auf seiner BNP Mitgliedschaft und seiner Bekanntheit beruhe.

I.3. Das BFA stellte eine Anfrage an die Staatendokumentation, ob gegen den BF ein Haftbefehl bestünde. Nach der Anfragebeantwortung sei der BF laut den Einheimischen nie polizeilich gesucht worden.

I.4. Am 12.06.2017 wurde der BF neuerlich vom BFA einvernommen. In der Einvernahme wurde dem BF die Anfragebeantwortung vorgehalten, wozu der BF angab, seine Angaben würden stimmen, es gebe einen Haftbefehl, den er mittlerweile über einen Bekannten besorgt habe und dem BFA vorlegte und der vom BFA in weiterer Folge übersetzt wurde.

I.5. Das BFA stellte daraufhin erneut eine Anfrage an die Staatendokumentation mit dem Ersuchen, den vorgelegten Haftbefehl überprüfen zu lassen. Nach den durchgeführten Recherchen sei der BF nicht Partei des vorgelegten Falles, die Dokumente würden als Fälschungen und nicht authentisch angesehen.

I.6. Am 15.11.2017 nahm der BF durch seinen Vertreter Stellung zu diesem Ergebnis und führte aus, dass der Bericht zur Kenntnis genommen und auf das bisher Vorgebrachte verwiesen werde, insbesondere, dass der BF widerspruchsfrei, detailliert und lebensnah seine Fluchtgründe geschildert habe. Ebenso wurden Ausführungen zum Privat- und Familienleben getätigt.

I.7. Mit Bescheid des BFA vom 28.01.2019, zugestellt durch Hinterlegung am 06.02.2019, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.8. Am 26.02.2019 erhob der BF, vertreten durch XXXX , Beschwerde und beantragte eine mündliche Verhandlung durchzuführen, ihm den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu den Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt III. (offensichtlich gemeint: Spruchpunkt IV.) zu beheben und festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde - zusammengefasst - vorgebracht, das BFA habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und sei nicht auf das konkrete Vorbringen des BF eingegangen. Den Recherchen des Vertrauensanwalts könne, wie die Länderfeststellungen zeigen, keine Beweiskraft zukommen. Der BF könne aufgrund seiner früheren politischen Tätigkeit kein faires Verfahren erwarten, ihm sei daher Asyl zu gewähren. Zudem habe der BF auch vorgebracht aufgrund seiner Religionszugehörigkeit Angst vor einer Rückkehr zu haben, wozu das BFA jedoch keine Feststellungen getroffen habe.

I.9. Mit Schreiben vom 27.02.2019 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.10. Am 19.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

In der Beschwerdeverhandlung wurden nochmals die behaupteten Fluchtgründe des BF erörtert, wobei gegenüber den bisherigen Ausführungen keine wesentlichen Neuerungen hervorkamen.

Hinsichtlich seines Familienstatus wurde vom BF ausgeführt, dass er keinen Kontakt mehr nach Bangladesch habe und seine Familie mittlerweile in Indien lebe.

I.11 Das Bundesverwaltungsgericht traf sodann in der – rechtskräftigen - Entscheidung vom 26.07.2019, XXXX folgende Feststellungen:

?        Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen zugehörig. Er bekennt sich zur Glaubensgemeinschaft des Hinduismus und gehört der obersten Priesterkaste der Brahmanen an (AS 23, 59, 213, BVwG-VS 7). Seine Identität kann nicht festgestellt werden.

Der BF ist in XXXX im XXXX im XXXX mit seiner Familie bestehend aus seinen Eltern, vier Brüdern und zwei Schwestern aufgewachsen und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt (AS 205, BVwG-VS 5f). Er besuchte fünf Jahre die Grundschule, fünf Jahre die Hauptschule und zwei Jahre ein Gymnasium in Bangladesch (AS 23, 213). Der BF arbeitete zuletzt als Dorfarzt (BVwG-VS 8). Der BF hat im Jahr 2004 in Bangladesch traditionell geheiratet und danach mit seiner Frau zusammengelebt. Mit ihr hat er zwei gemeinsame minderjährige Kinder (AS 205, BVwG-VS 5f). Seine Geschwister leben in Bangladesch, Indien, Kuwait und Malaysia (AS 207, BVwG-VS 6). Seine Eltern leben bei seinen Schwestern in Indien (BVwG-VS 7). Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern. Die Frau des BF lebt abwechselnd in Indien und Bangladesch bei ihrer Familie. Der BF unterstützt seine Frau und seine Kinder nicht und es besteht derzeit kein Kontakt zu ihr (BVwG-VS 5f).

Der BF führt in Österreich keine Beziehung (BVwG-VS 8). Er hat mehrere Deutschkurse besucht und verfügt über ein ÖSD Zertifikat auf dem Niveau B1 (AS 229). Der BF hat die Integrationsprüfung des ÖIF auf dem Niveau B1 bestanden (Blg ./1 zur Verhandlung). Mit dem BF ist eine Konversation in deutscher Sprache möglich. Der Sprachwortschatz ist jedoch begrenzt. Die Verständlichkeit der Antworten erfolgt nicht immer mit vollen Sätzen. Seinen Antworten muss mit großer Aufmerksamkeit begegnet werden um sie zu verstehen, man kann jedoch inhaltlich folgen (BVwG-VS 8). Er ist Mitglied in der Bangladesch-Österreichischen Gesellschaft (AS 231), des XXXX (AS 495) und des Österreichischen Roten Kreuzes (Blg ./1 zur Verhandlung). Er hat in einer hinduistischen Gemeinschaft ehrenamtlich Gottesdienste – Pujas – geleitet (AS 489, 491, 493, Blg ./1 zur Verhandlung). Gelegentlich erledigt der BF für eine Bekannte Einkaufsdienste oder verrichtet leichte Haushaltstätigkeiten (BVwG-VS 9). Der BF verfügt über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag, wonach er im Falle einer Aufenthaltsberechtigung als Hilfsarbeiter angestellt werden würde (BVwG-VS 9f, Blg ./1 zur Verhandlung).

Der BF ist strafrechtlich unbescholten. Er bezieht seit Dezember 2012 keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Seit Juli 2013 ist der BF bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft gemeldet. Derzeit übt er eine Tätigkeit als Zeitungszusteller aus, wofür er zuletzt im Juni 2019 € 1.592,72 erhielt (Blg ./1 zur Verhandlung).

Der BF ist gesund (BVwG-VS 4).

?        Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der BF behauptete von 2004 bis 2009 Vizepräsident des Wahlsprengels XXXX der Jubo Dal gewesen zu sein. Weiters wird festgestellt, dass er angab, aufgrund dieser Tätigkeit sei ein Verfahren eingeleitet worden, in dem ihm tatsachenwidrig die Entführung und Ermordung eines Mädchens vorgeworfen werde.

Festgestellt wird, dass der BF Gerichtsunterlagen vorlegte aus denen hervorgeht, dass er der Vergewaltigung und der Ermordung eines Mädchens beschuldigt werde. Es wird festgestellt, dass der Name des BF auf diesen Unterlagen nachträglich eingefügt wurde und der BF nicht Partei des Gerichtsverfahrens ist. Es ist daher festzustellen, dass diese Unterlagen nicht authentisch und der BF in seinem Herkunftsstaat keine gegen seine Person gerichtete Verfolgung aus politischen Gründen zu befürchten hat.

Festgestellt wird, dass durch das Ergebnis der Nachforschungen des Vertrauensanwaltes die Glaubwürdigkeit des BF massiv erschüttert wurde.

Es wird festgestellt, dass der BF aufgrund seiner Glaubensrichtung bei einer Rückkehr weder einer unmittelbaren staatlichen noch einer privaten Bedrohung, vor der der Staat ihn nicht zu schützen im Stande wäre, ausgesetzt wäre.

Es wird festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr der BF keiner unmittelbaren staatlichen Bedrohung ausgesetzt ist.

Es wird festgestellt, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erlangt wurde.

Es wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung rechtens und eine Abschiebung des BF zulässig ist. Es liegen keine Gründe vor, die eine längere Frist als 14 Tage zur freiwilligen Ausreise rechtfertigen würden.

Zum gegenständlichen Verfahren:

I.12 Am 23.01.2020 stellte der BF den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK.

I.13 Am 08.07.2020 erfolgte die Einvernahme des BF in Anwesenheit seines Rechtsanwaltes vor dem BFA.

Nach der korrekten Zusammenfassung des bisherigen Sachverhaltes stellte das BFA fest, dass der BF über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt. Er unterliege der Visa-Pflicht. Sein Aufenthalt sei rechtswidrig, er sei trotz fehlenden Aufenthaltsrechts nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist.

Der BF bestätigte dem Grunde nach den Sachverhalt und gab dazu an, dass er niemals staatliche Unterstützung angenommen habe. Er sei immer selbständig gewesen und habe seine Kosten selbst gedeckt. Er zahle auch Sozialversicherung.

Sodann legte der BF einen weiteren Arbeitsvorvertrag XXXX vom 26.06.2020 sowie die Einkommenssteuererklärungen von 2015 – 2019 vor.

Er sei nach der Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist. Er wisse, dass er damit gegen das Fremdenpolizeigesetz verstoßen habe.

Danach legte der BF Dokumente vor, welche im Wesentlichen bereits in den zuvor stattgefundenen Verfahren vorgelegt wurden.

Der BF gab an, dass er zu seiner Ehefrau seit 2016 keinen Kontakt mehr habe. Sie wohne bei den Schwiegereltern in Bangladesch, gemeinsam mit den beiden Kindern.

Er sei zehn Jahre in die Schule gegangen, habe die Matura gemacht und sei Dorfarzt gewesen. Er habe versucht in Österreich eine Ausbildung als Pfleger zu machen, es sei ihm dies nicht gelungen. Er habe ein Deutsch-Zertifikat auf dem Niveau B1 erworben.

Gemeinsam mit einem Freund wohne er in Wien und zahle ca € 350 Miete. Der BF verdiene pro Monat ca € 800 bis 900 durch seine Tätigkeit als Zusteller.

Als Grund für seinen Antrag gab der BF an, dass er sich in Österreich integriert fühle, in seinem Heimatland ein Verfahren gegen ihn laufe (der Asylantrag sei trotzdem rechtskräftig abgewiesen worden, weil das Fluchtvorbringen unglaubwürdig war in Folge gefälschter Dokumente) und er habe den „Fluchtgrund“, dass er in Bangladesch „niemanden mehr habe“.

I.14 Mit Schreiben vom 30.07.2020 teilte das BFA dem Vertreter des BF mit, dass das BFA in der Beurteilung der Angelegenheit davon ausginge, dass der BF keine (politischen oder sonstigen) Fluchtgründe habe, wenn er nicht bis zum 06.08.2020 einen Asylantrag stelle.

I.15 Da ein derartiger Antrag nicht gestellt wurde entschied das BF mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.10.2020 hinsichtlich des gestellten Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK und wies diesen Antrag ab (Spruchpunkt°1).

Des Weiteren wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt°2) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt°3). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt°4) sowie die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt°5).

Begründend wurde – zusammengefasst – ausgeführt, dass es keine Gründe für eine aktuelle, unmittelbare persönliche oder konkrete Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung vorliege oder im Falle der Rückkehr der BF solchen ausgesetzt wäre. Es gäbe keinen Hinweis auf berücksichtigungswürdige Gründe privater, gesundheitlicher oder beruflicher Natur.

I.16 Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende Beschwerde des von XXXX vertretenen BF.

Zusammengefasst wird in der Beschwerde, welche sich auch auf die Länderberichte stützt, ausgeführt, dass der BF in einem überdurchschnittlichen Maß in Österreich integriert sei. Er sei strafrechtlich unbescholten und befinde sich seit mittlerweile acht Jahren im Bundesgebiet. Er sei von Anbeginn bestrebt in Österreich einer Arbeit nachzugehen, weshalb er als Zeitungsausträger selbständig tätig sei.

Er hätte österreichische Freunde kennen gelernt und sei bestens in die Österreichische Gesellschaft integriert. Mehrfach wird auf die Deutschkenntnisse im Niveau B1 hingewiesen.

Seine Tätigkeit bei der Leitung religiöser hinduistischer Handlungen wird ebenfalls thematisiert und als Teil seiner Integration dargestellt.

Das BFA habe in der angefochtenen Entscheidung nur unzureichende und daher mangelhafte Feststellungen getroffen und sei die Beweiswürdigung verfehlt.

Darüber hinaus wurde der Antrag gestellt, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden möge, damit der BF nicht Gefahr laufe bereits während des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht abgeschoben zu werden.

I.17 Das BFA legte die Administrativakten dem BVwG am 18.11.2020 vor, wo sie am 20.11.2020 einlangten.

I.18 Mit der Ladung vom 23.11.2020 zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch der aktuellste Länderbericht der Staatendokumentation (November 2020) zur Stellungnahme bis spätestens im Rahmen der Verhandlung übermittelt.

I.19 Am 10.12.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsanwaltes sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Bangla eine mündliche Verhandlung durch.

Nachdem der BF ursprünglich nicht erschienen war wurde dieser über Aufforderung des vorsitzenden Richters wegen der EGMR und GRC-Relevanz von mündlichen Verhandlungen von seinem Rechtsanwalt darauf hingewiesen, dass eine Teilnahme des BF an der Verhandlung doch zweckmäßig sei. Nach einer Unterbrechung der Verhandlung erschien der BF vor Gericht und wurde die Verhandlung sodann fortgesetzt.

Der BF legte keine zusätzlichen Unterlagen vor.

Der BF gab an, dass er mit seiner Ehefrau, welche in Bangladesch wohne, keinen Kontakt habe. Seine Frau wohne bei den Schwiegereltern, ebenso wie seine Kinder. Er hätte die Kinder gerne in Österreich, wenn er hier einen Aufenthaltstitel erhalte würde er die Kinder gerne hierherbringen. Auch seine Frau, wenn sie hierherkommen möchte.

Er lebe seit vielen Jahren in Österreich, es gefalle ihm das Leben hier.

Gefragt, ob sich seit der letzten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 19.07.2019 (im vorhergegangenen Verfahren) etwas Wesentliches im Leben des BF verändert habe, meinte dieser lediglich, dass sich seine Arbeit verstärkt habe. Er arbeite jetzt mehr und verdiene auch viel mehr. Er sei ein „Brahim“, ein geborener Priester, und er mache „Pooja“. Er werde zu Veranstaltungen und Hochzeiten eingeladen, er sei sehr bekannt. Monatlich verdiene er derzeit ca € 1.100, durch seine „Pooja“-Tätigkeit alle zwei, drei Monate ca € 200 bis 300 „als Taschengeld“. Er sei sehr gefragt dafür, wenn er keine Zeit habe würden andere Brahimen aus dem Ausland gerufen werden. Letztlich gäbe es in Österreich zwischen 10.000 bis 15.000 Hindus.

Er habe seit der letzten Verhandlung „viel mehr Menschen“ kennengelernt. Er würde, wenn er einen Aufenthaltstitel bekäme, eine Ausbildung oder einen Kurs im Pflegebereich machen. Er sei in seinem Dorf Dorfarzt gewesen.

Seine Deutschkenntnisse befänden sich auf dem Niveau B1, was in der Verhandlung vor dem VR im Rahmen der Deutschkonversation bestätigt wurde.

Über Wunsch des BF wurde ein Zeuge, Staatsbürger aus Bangladesch, einvernommen, welcher bestätigte, dass der BF innerhalb der hinduistischen Glaubensgemeinschaft „Pooja“ mache. Der BF habe aber auch viele Freunde außerhalb dieser Glaubensgemeinschaft. Es gäbe nur den BF in Österreich, der „Pooja“ als „geborener Priester“ abhalten könne, ansonsten würden Priester aus dem Ausland hierhergebracht.

Gefragt, ob der BF eine Liebesbeziehung in Österreich habe, meinte dieser: „ich hatte eine, seit 6 bis 7 Monaten nicht mehr“. Diese habe im Jahr 2017 begonnen und dauerte ca zwei bis zweieinhalb Jahre.

Danach wurde nochmal auf den aktuellen Länderbericht Bezug genommen sowie auf die aktuelle Corona-Pandemie. Der BF meinte, dass man den zweiten Lockdown in Österreich hätte verhindern können, wenn man die Maßnahmen eingehalten hätte.

Der engagierte Anwalt des BF führte in seiner Schlusserklärung nochmals aus, dass der BF in Bangladesch keine Anknüpfungspunkte habe. Er sei der einzige Brahmane in Österreich und habe sich bemüht Deutsch zu lernen. Er gehe einer selbstständigen Tätigkeit nach und beziehe keine Grundversorgung, sei somit selbsterhaltungsfähig und strafrechtlich unbescholten. Er habe eine „vorbildhafte Integration“.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Grundsätzlich wird auf die rechtkräftigen Feststellungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.07.2019, W 195 1431829-2, verwiesen, welche somit auch für das gegenständliche Verfahren maßgeblich sind (vgl Sachverhalt oben, Punkt I.11).

Festgestellt wird, dass der BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.12.2020 aussagte, dass sich seit der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.07.2019 insoferne etwas geändert habe, als er „sich in der Arbeit verstärkt“ habe (mehr verdient und öfter als „geborenes Priester – Brahim“ tätig sei) sowie dass er „viel mehr Menschen kennengelernt habe.“

Festgestellt wird, dass der BF hinsichtlich einer Liebesbeziehung in Österreich widersprüchlich ist. Der BF führte in der Verhandlung vor dem BVwG am 19.07.2019 (vorhergehendes, rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren) auf die Frage, ob er „derzeit in einer Beziehung“ lebe, aus: „Ich lebe in keiner Beziehung“. Nunmehr gab der BF an, dass er „seit sechs bis sieben Monaten“ nicht mehr in einer Liebebeziehung sei, zuvor hatte er eine, welche „2017“ begonnen habe. Mit diesem Widerspruch schadet sich der BF in seiner Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner Aussagen über sein Leben in Österreich.

Wenig Glaubwürdig sind auch die Aussagen des BF, der auf der einen Seite meint, er hätte gerne seine Kinder nach Österreich gebracht und auch seine Ehefrau, wenn sie dies wolle. Zugleich meinte der BF wiederholt, dass er seit Jahren keinen Kontakt zu seiner Familie in Bangladesch habe.

Der Beschwerdeführer kann eine Arbeit in Bangladesch aufnehmen oder als Brahim tätig sein.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Bangladesch einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.

Weiters kann unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bangladesch eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde. Es steht auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer um sein Leben zu fürchten hat. Darüber hinaus wird festgestellt, dass der BF die Möglichkeit hat durch ein Leben in anderen Teilen von Bangladesch allfälligen Behelligungen in seinem Dorf auszuweichen.

Eine berücksichtigungswürdige Integration des Beschwerdeführers in Österreich kann trotz selbständiger Tätigkeit und guten Deutschkenntnissen nicht festgestellt werden.

Festgestellt wird, dass es in Österreich laut Volkszählung an die 3.629 bekennende Hindus sowie drei „Mandir“ (hinduistische Tempel) in Österreich gibt (Quelle: Wikipedia, Dezember 2020; laut Religion@orf.at, Stand 2020, befänden sich 16.000 Hindi in Österreich).

1.2. Länderfeststellungen:

COVID-19

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem "Scharia Recht". Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese "Gerichte" eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 9.2020).

Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).

Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).

Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/document/2023864.html, Zugriff 12.11.2020

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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