Entscheidungsdatum
29.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W180 2188182-2/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2020, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 09.11.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am 12.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitisch-muslimischen Glaubens sei. Er sei im Iran geboren worden, habe dort zwei Jahre die Schule besucht und sei Arbeiter gewesen. Er sei ledig und habe keine Kinder. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Iran keine Rechte gehabt habe. Er habe weder arbeiten noch eine Weiterbildung in Anspruch nehmen können. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, sich dort nicht weiterbilden zu können.
3. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 01.12.2017 wiederholte bzw. präzisierte der Beschwerdeführer seine Angaben hinsichtlich Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Geburtsort, Familienstand, Schulbesuch und Berufsausübung (als Fliesenleger und Maler). Er bekräftigte auch, dass er schiitischer Moslem sei, und gab an, dass er gesund sei. Weiters führte er aus, dass seine Eltern und Geschwister nach wie vor im Iran leben würden. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer vor, dass er illegal im Iran gelebt habe und sich nicht weiterbilden habe können. Er sei als Afghane im Iran diskriminiert worden. Er habe auch nicht mehr bei seinen Eltern bleiben wollen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei aufgrund der schlechten Sicherheitslage und des Fehlens familiärer Anknüpfungspunkte nicht möglich. In Afghanistan lebe nur ein Onkel väterlicherseits, zu dem jedoch kein Kontakt bestehe, weil dieser der Familie des Beschwerdeführers Grundstücke weggenommen habe. Der Beschwerdeführer habe seine Reise nach Europa bereits vor fünf Jahren geplant, um seine Zukunft zu verbessern, habe damals aber noch zu wenig Geld dafür gehabt.
4. Mit Bescheid vom 20.02.2018, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
5. Mit Schreiben vom 01.03.2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang gegen den genannten Bescheid. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Situation für Rückkehrer, die nach einem längeren Aufenthalt in Europa oder im Iran nach Afghanistan zurückkehren würden, aufgrund des anhaltenden Konflikts und der schlechten Sicherheitslage besonders prekär sei. Der Beschwerdeführer habe sich nie in Afghanistan aufgehalten und verfüge dort auch nicht über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte. Es sei nicht davon auszugehen, dass er in Afghanistan eine Arbeit finden würde, durch die er sich ein menschenwürdiges Leben aufbauen könne. Darüber hinaus sei die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin höchst volatil.
6. Am 04.05.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Der Beschwerdeführer wurde eingehend zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.
Im Zuge dieser mündlichen Verhandlung machte der Beschwerdeführer erstmals eine Konversion zum Christentum geltend, konkret zu einer Freien Christengemeinde im Rahmen der „Freikirchen in Österreich“.
In der Verhandlung wurden vom Bundesverwaltungsgericht auch Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers verzichtete auf die Erstattung einer Stellungnahme zur Berichtslage und verwies lediglich auf die schwierige Situation von Rückkehrern aus dem Iran sowie darauf, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte habe. Der Beschwerdeführer legte weitere Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor sowie das Schreiben eines Pastors vom 02.05.2020 zu der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Konversion.
7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.05.2020 wurde den Verfahrensparteien die Möglichkeit eingeräumt, zum aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 18.05.2020) Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit machten die Verfahrensparteien keinen Gebrauch.
8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.06.2020, Zl. W238 2188182-1/8E, wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 20.02.2018, Zl. XXXX , als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis wurde der Vertretung des Beschwerdeführers am 12.06.2020 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus, der Beschwerdeführer sei als schiitischer Moslem geboren und als solcher von seinen Eltern erzogen worden. Er hege seit November 2018 ein Interesse am christlichen Glauben, eine ernstliche Konversion aus innerem Entschluss zum Christentum liege im Zeitpunkt der Entscheidung jedoch nicht vor. Das Christentum sei nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden. Bei ihm sei nicht von einer tatsächlichen christlichen Überzeugung auszugehen, welche er allenfalls im Herkunftsstaat verleugnen müsste. Der Beschwerdeführer wäre im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan daher weder massiven Einschränkungen aufgrund einer religiösen Überzeugung noch einem Verfolgungsrisiko von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan alleine aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit (schiitischer Hazara) sei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe für seine Ausreise aus dem Iran (illegaler Aufenthalt, fehlende Arbeits- und Weiterbildungsmöglichkeiten, fehlende Zukunftsperspektive) hätten aufgrund seiner afghanischen Staatsangehörigkeit außer Betracht zu bleiben. Der Beschwerdeführer sei im Iran geboren worden und habe dort gelebt, in Afghanistan habe er noch nie gelebt. Der Beschwerdeführer sei jung, arbeitsfähig und gesund, habe im Iran zwei Jahre eine afghanische Schule besucht und könne lesen und schreiben. Er verfüge über Berufserfahrung im Baubereich (als Fliesenleger und Maler) sowie als Händler. Der Beschwerdeführer könne sich in einer der relativ sicheren Städte Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und mittelfristig dort eine Existenz aufbauen. Auch die aktuell vorherrschende – auch in Afghanistan aufgetretene – COVID-19-Pandemie stelle für den Beschwerdeführer kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer habe während seines Aufenthalts in Österreich gewisse Integrationsbemühungen gezeigt (z.B. Absolvierung der Integrationsprüfung A1), insgesamt würden jedoch die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die subjektiven Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.
9. In der Folge kam der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieb im österreichischen Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer verließ sein Asylquartier, ohne eine neue Adresse anzumelden. Er wurde von seiner alten Adresse mit 30.09.2020 abgemeldet.
10. Die belangte Behörde erließ am 02.10.2020 einen Festnahmeauftrag betreffend den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer wurde am 22.10.2020 von der Polizei aufgegriffen und festgenommen.
11. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.10.2020, Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
12. Der Beschwerdeführer war am 22.10.2020 zunächst in Verwaltungsverwahrungshaft und befindet sich seit 22.10.2020, 13:35 Uhr in Schubhaft.
13. Am 23.10.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft seinen zweiten, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag).
14. In seiner Erstbefragung zum Folgeantrag am 23.10.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu den Gründen für die Stellung eines zweiten Asylantrages an, er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren. Dort herrsche Krieg und ihm drohe bei einer Rückkehr der Tod, weil er Hazara sei. Er habe niemanden in Afghanistan.
15. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 18.11.2020 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei gesund. Seit der Rechtskraft im letzten Asylverfahren habe der Beschwerdeführer in Österreich nicht gearbeitet und es habe sich auch keine Änderung in seinen familiären Verhältnissen, bezüglich seiner Integration und in seinem Privatleben in Österreich ergeben. Er habe auch keine Freundin. Zu den Gründen für seinen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gab der Beschwerdeführer an, in den Iran könne er nicht zurück, weil das Leben dort sehr schwierig sei, und er habe dort Gewalt erlebt. Seine Familie lebe im Iran, aber habe dort keinen Aufenthaltstitel. Im Iran sei er damals auch einmal vergewaltigt worden (nach dieser Aussage wurde dem Beschwerdeführer angeboten, von einem gleichgeschlechtlichen Referenten einvernommen zu werden, was er ablehnte). Dies habe er im ersten Verfahren nicht angeführt, weil er sich geschämt habe. In Afghanistan herrsche Krieg. Weiters sei der Beschwerdeführer konvertiert, das sei in Afghanistan strafbar und ein Todesurteil. Er sei aber in der Zwischenzeit noch nicht getauft, da er noch nicht bereit gewesen sei. Aus seiner Sicht sei er aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten, der Beschwerdeführer konnte dafür jedoch keine Bestätigung vorlegen.
16. Mit Verfahrensanordnung vom 18.11.2020 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da davon ausgegangen werde, dass entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege.
17. Am 26.11.2020 wurde der Beschwerdeführer nach erfolgter Rechtsberatung im Beisein eines Rechtsberaters erneut vor der belangten Behörde mittels Videoübertragung einvernommen. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit gegeben, zum aktuellen Länderinformationsblatt zu Afghanistan eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass die Sicherheitslage in Afghanistan sehr kritisch sei.
18. Mit Schreiben vom 27.11.2020 wurde von der Rechtsberatung des Beschwerdeführers ein Schreiben eines Pastors der Freien Christengemeinde, datiert mit 20.11.2020, vorgelegt.
19. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 27.11.2020, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 27.11.2020 persönlich zugestellt.
20. Mit Schreiben vom 10.12.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang gegen den zuletzt genannten Bescheid. Er beantragte die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu die Zurückverweisung, weiters, das Einreiseverbot zu beheben, in eventu dessen Dauer zu reduzieren, in eventu das Einreiseverbot auf das Gebiet der Republik Österreich zu beschränken, jedenfalls der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei noch nie in Afghanistan gewesen, er sei zum Christentum konvertiert und wäre bei einer Rückkehr ins Heimatland in Lebensgefahr. Als Beweis habe der Beschwerdeführer eine Bestätigung über seine Konversion vorgelegt. Bezüglich des Einreiseverbotes habe die Behörde keine begründete Gesamtprognose erstellt, inwieweit der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Zudem werde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt, da eine Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde.
21. Aufgrund einer Unzuständigkeitseinrede der damals zuständigen Richterin vom 15.12.2020 (infolge Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung wegen der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Vergewaltigung im Iran) wurde die gegenständliche Rechtssache der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer wurde als schiitischer Moslem erzogen. Seine Muttersprache ist Dari. Er spricht weiters Farsi und verfügt über Sprachkenntnisse in Deutsch. Er ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Europa. Er besuchte im Iran zwei Jahre eine afghanische Schule. Er kann lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung im Baubereich (als Fliesenleger und Maler) sowie als Händler. Er übte diese Tätigkeiten für ca. dreieinhalb Jahre aus und leistete dadurch (gemeinsam mit seinen Brüdern) einen Beitrag zum Lebensunterhalt seiner Familie. Die Eltern und Geschwister (drei Brüder und zwei Schwestern) sowie weitere Verwandte des Beschwerdeführers leben im Iran.
Der Beschwerdeführer stellte am 09.11.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2018, Zl. XXXX , abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt, gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.06.2020, Zl. W238 2188182-1/8E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs mit 12.06.2020 in Rechtskraft.
Der Beschwerdeführer verließ nach Abschluss des ersten Asylverfahrens sein Asylquartier, ohne eine neue Adresse anzumelden, und wurde von seiner alten Adresse mit 30.09.2020 abgemeldet. Nach Erlassung eines Festnahmeauftrags durch die belangte Behörde wurde der Beschwerdeführer am 22.10.2020 von der Polizei aufgegriffen und festgenommen. In der Folge wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 22.10.2020 in Schubhaft.
Am 23.10.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft seinen zweiten, gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Dieser Antrag wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 27.11.2020 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und einem auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbot.
Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz kann nicht festgestellt werden, ebenso kann keine maßgebliche Änderung der vom Beschwerdeführer bereits im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründe festgestellt werden. Der Beschwerdeführer stützte seinen Folgeantrag auf dieselben Fluchtgründe, die bereits im ersten Verfahren geltend gemacht wurden bzw. auf Gründe, die ihm bereits damals bekannt waren. Neue Fluchtgründe wurden nicht vorgebracht. Auch die Rechtslage blieb, soweit entscheidungsrelevant, unverändert.
In Bezug auf die individuelle Lage des Beschwerdeführers im Falle einer Verbringung in seinen Herkunftsstaat kann im Vergleich zu jenem Zeitpunkt, zu dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde – Juni 2020 – keine maßgebliche Änderung der Situation festgestellt werden. Der Beschwerdeführer kann nach wie vor auf die Möglichkeit der Niederlassung in den Städten Herat und Mazar-e Sharif verwiesen werden.
Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen im österreichischen Bundesgebiet und verfügt hier auch sonst über keine ausgeprägten sozialen Bindungen. Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich Deutschkurse auf dem Niveau A1 und absolvierte am 12.06.2019 die Integrationsprüfung A1. Er weist Grundkenntnisse der deutschen Sprache auf, sodass eine einfache Konversation mit ihm möglich ist. Er besuchte weiters einen Basisbildungskurs der XXXX Volkshochschulen. Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Er war in Österreich nie legal beschäftigt, auch nicht seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens, und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Ebenso wenig hat er ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur Situation in Afghanistan:
Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird von den zutreffenden Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ausgegangen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, letzte Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020; die Behörde hielt dazu fest, die allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat habe sich seit Rechtskraft der letzten Rückkehrentscheidung [12.06.2020] nicht entscheidungswesentlich geändert). Die Feststellungen der Behörde werden im Folgenden wiedergegeben (ergänzt um die im Kapitel „Relevante ethnische Minderheiten“ im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation [Gesamtaktualisierung am 13.11.201, letzte Kurzinformation vom 21.07.2020] enthaltenen Ausführungen zur Volksgruppe des Beschwerdeführers):
Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19:
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
• Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
• Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
Quellen:
AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020
ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.
BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020
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WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.4.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 18.5.2020
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).
Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).
Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).
Das Abkommen mit den US-Amerikanern
Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).
Quellen:
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FA – Frankfurter Allgemeine (23.8.2019): USA-Taliban-Gespräche in Katar wieder aufgenommen, https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/usa-taliban-gespraeche-in-katar-wieder-aufgenommen-16347359.html, Zugriff 23.8.2019
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NZZ – Neue Züricher Zeitung (20.4.2020): Taliban töten erneut fast 20 Soldaten aus regierungstreuen Kreisen – die neusten Entwicklungen nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Afghanistan, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-neuesten-entwicklungen-im-friedensprozess-ld.1541939#subtitle-2-was-steht-in-dem-abkommen-second, Zugriff 20.4.2020
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 22.4.2020
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).
Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).
Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).
Zivile Opfer
Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen