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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art8 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsberechtigungen für eine jugoslawische Familie mit langjährigem Aufenthalt im Inland und im Inland geborenen, österreichische höhere Schulen besuchenden Kindern; verfassungswidrige Annahme der Notwendigkeit der Antragstellung vom Ausland aus aufgrund der bereits abgelaufenen Sichtvermerke; analoge Vorgangsweise zur Fallgruppe der Verlängerungsanträge verfassungsrechtlich gebotenSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin, zu Handen ihres Rechtsvertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine kroatische Staatsangehörige, lebt seit 26 Jahren in Österreich. Sie bezieht eine Pension und ist überdies als Hausbesorgerin beschäftigt. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 19. April 1993 wurde ihr die Pflege und Erziehung eines 1991 geborenen Kindes zugewiesen. Nachdem am 30. Jänner 1994 der Sichtvermerk der Beschwerdeführerin abgelaufen war, stellte sie am 14. Februar 1994 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, welche vom Landeshauptmann von Wien jedoch mit Begründung verspäteter Antragstellung abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres unter Bezugnahme auf §13 iVm §6 Abs2 des Aufenthaltsgesetzes - AufG BGBl. 466/1992 - abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin, welche die Frist zur Stellung eines Verlängerungsantrages versäumt habe, hätte einen Erstantrag vom Ausland aus stellen müssen, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und auf ihr Vorbringen - auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen sei.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der angefochtene, die Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagenden Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin, die sich seit 26 Jahren in Österreich aufhält, durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein. Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.6.1995, B 1611-1614/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist es im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des durch §6 Abs2 AufG geschaffenen Regelungssystems geboten, Fälle, in denen seit langer Zeit in Österreich aufhältige Fremde die Frist, innerhalb der ein Antrag iS des §13 AufG zu stellen gewesen wäre, nur relativ geringfügig versäumt haben, unter den zweiten Satz des §6 Abs2 AufG, wonach Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch vom Inland aus gestellt werden können, zu subsumieren.
3. Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie im Beschwerdefall, der eine bereits seit 26 Jahren in Österreich lebende Fremde betrifft, die den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung - auch wenn man davon ausgeht, daß dieser Antrag erstmals am 14. Februar 1994 eingebracht wurde - innerhalb relativ kurzer Zeit nach Ablauf der Geltungsdauer ihres letzten Sichtsvermerks gestellt hat, die Bestimmung des §6 Abs2 erster Satz AufG angewendet und die Versagung der Aufenthaltsbewilligung, ohne auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdführerin näher einzugehen, mit der Begründung der verspäteten Antragstellung abgewiesen hat, §6 Abs2 einen verfassungswidrigen, weil gegen Art8 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt.
Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.
III. Die Kostenentscheidung
gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000,-- S
enthalten.
IV. Diese Entscheidung konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gefällt werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B2472.1994Dokumentnummer
JFT_10049371_94B02472_00