TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/17 G314 2219319-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2021
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Entscheidungsdatum

17.02.2021

Norm

FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §29 Abs5

Spruch


G314 2219319-1/12E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 01.02.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019,
Zl. XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 erster und zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe (21 Monate, davon 14 Monate bedingt) verurteilt. Er verbüßte den unbedingten Strafteil ab XXXX .2018 in der Justizanstalt XXXX .

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 FPG erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei, gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein achtjähriges Einreiseverbot erlassen und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Der BF ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina und lebt seit 2013 in Österreich, wo er die Polytechnische Schule besuchte und anschließend immer wieder erwerbstätig war. Nach einem Motorradunfall im XXXX 2019 bestehen nach wie vor gesundheitliche Beschwerden. Er besitzt einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“.

Der BF ist seit XXXX mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen verheiratet; vor XXXX wurde die gemeinsame Tochter geboren. Seine Eltern und seine Geschwister leben in Österreich, ebenso ein Onkel. Der BF spricht Deutsch und hat eine Prüfung für das Sprachniveau A2 abgelegt. Er ist aktives Mitglied der serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde in XXXX .

Der BF ist Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Da er sich aufgrund seines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, setzt eine Rückkehrentscheidung gegen ihn voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Gemäß dem hier relevanten § 11 Abs 2 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine sein Gesamtverhalten berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Bei strafgerichtlichen Verurteilungen ist dabei - gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat(en) - anhand der Umstände des Einzelfalls eine Gefährdungsprognose zu treffen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Da die Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben des BF eingreift, dessen Lebensmittelpunkt seit mehreren Jahren in Österreich liegt, ist unter dem Gesichtspunkt von Art 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist hier zu berücksichtigen, dass der BF wegen schwerwiegender Eigentumsdelikte als junger Erwachsener verurteilt wurde. Die Wiederholungsgefahr ist jedoch deutlich reduziert, weil er sich erkennbar von seinen Taten distanziert hat und mittlerweile in geordneten Verhältnissen lebt. Außerdem ist dem Erstvollzug einer Haftstrafe allgemein eine erhöhte spezialpräventive Wirksamkeit zuzubilligen.

Der BF hält sich seit ca. sieben Jahren im Bundesgebiet auf und hat noch Bindungen zu seinem Herkunftsstaat. Er hat ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung greift aber vor allem aufgrund des Familienlebens mit seiner in Österreich lebenden Kernfamilie trotz der fehlenden Unbescholtenheit unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art 8 EMRK ein, zumal ihm keine weiteren Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten sind.

In die vorzunehmende Interessenabwägung ist dabei insbesondere das Interesse seiner Tochter, mit beiden Elternteilen aufzuwachsen, einzubeziehen. Eine Aufrechterhaltung des Familienlebens mittels moderner Kommunikationsmittel ist jedenfalls mit XXXX alten Tochter des BF nicht möglich.

Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von gewerbsmäßiger Vermögensdelinquenz ist angesichts der sozialen Integration des BF während seines rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich sowie insbesondere zur Wahrung des Wohls seiner Familie und seiner minderjährigen Tochter von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen. Sein persönliches Interesse an einem Verbleib überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.

Sollte der BF allerdings wieder straffällig werden, wird die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zukommt, nicht zu lösen war.

Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 01.02.2021 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs 5 VwGVG, da innerhalb der zweiwöchigen Frist kein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG gestellt wurde. Der BF hat am 01.02.2021 auch ausdrücklich auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet.

Schlagworte

gekürzte Ausfertigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2219319.1.00

Im RIS seit

09.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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