TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/29 W211 2207106-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2020
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Entscheidungsdatum

29.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W211 2207106-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Äthiopien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Die Spruchpunkte II. - VI. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Äthiopiens, stellte am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die Beschwerdeführerin an, der Volksgruppe der Tigre anzugehören und christlich-orthodoxen Glaubens zu sein. In Äthiopien habe sie zwölf Jahre lang die Grundschule besucht und anschließend ein Universitätsstudium abgeschlossen sowie als Forscherin gearbeitet. In Österreich studiere sie an der Universität XXXX . Ihre Eltern, eine Tochter und drei Geschwister würden noch in Äthiopien leben. Eine Schwester halte sich in Katar auf. Sie stamme aus dem Ort XXXX in Äthiopien, habe aber bis zu ihrer Ausreise im Oktober des Jahres 2013 in der Stadt XXXX gelebt. Sie sei legal mit einem Visum eingereist. Sie gab weiter an, sie sei Mitglied einer Oppositionspartei, die von der äthiopischen Regierung als terroristische Vereinigung angesehen werde. Im Fall einer Rückkehr in ihr Heimatland würde sie festgenommen und inhaftiert werden. Im Jahr 2010 sei sie bereits für eine Woche inhaftiert gewesen und nur durch Zahlung von Lösegeld wieder freigekommen.

3. Bei ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX 2018 gab die Beschwerdeführerin soweit wesentlich an, sie habe in Österreich im März 2017 einen österreichischen Staatsbürger geheiratet, jedoch lasse sie sich derzeit von diesem scheiden. Mit dem in Äthiopien lebenden Vater ihrer minderjährigen Tochter sei sie nie verheiratet gewesen. Mit ihren in Äthiopien lebenden Verwandten stehe sie in regelmäßigem Kontakt. Ein Bruder lebe mittlerweile in Indien. Ab dem Jahr 2008 habe sie in Äthiopien als Forscherin gearbeitet und ihren eigenen Lebensunterhalt verdient. Weiter würden ihre Eltern eine Landwirtschaft betreiben, und auch ihre Geschwister seien berufstätig. Äthiopien habe sie 2013 verlassen, um an der XXXX ein Masterstudium zu absolvieren. Nach Abschluss des Studiums im September 2015 habe sie ihre Rückkehr nach Äthiopien vorbereitet, als sie von ihrem in Indien befindlichen Bruder erfahren habe, dass sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der Ethiopian People Patriotic Front (EPPF) gesucht werde. Vorladungen seien an das Wohnhaus ihrer Tochter und ihrer Ziehmutter zugestellt worden. Sie sei zuvor bereits im Jahr 2010, als sie sich für Forschungsarbeiten im Ort XXXX aufgehalten habe, für eine Woche inhaftiert und beschuldigt worden, Flugblätter zu verteilen. In Äthiopien habe sie in den Jahren 2009, 2010 und 2011 jeweils an Veranstaltungen der Opposition teilgenommen, jedoch keine besondere Funktion gehabt, sondern sei nur einfaches Mitglied der EPPF. Ihr Name stehe auf einer "schwarzen Liste" der Regierung, da eine ehemalige Führungspersönlichkeit der Partei namens XXXX aufgrund interner Streitigkeiten zunächst einen hohen Funktionär namens XXXX ermorden habe lassen und im Jahr 2015 zur Regierung übergelaufen sei. Sodann habe " XXXX dieser die Namen aller Mitglieder der EPPF verraten. Die Beschwerdeführerin legte zahlreiche Dokumente, darunter auch eine Bestätigung der EPPF über eine Mitgliedschaft aus November 2014, vor.

4. Bei ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX 2018 gab die Beschwerdeführerin soweit wesentlich weiter an, ihr Bruder habe vom Vater ihrer Tochter von den Vorladungen erfahren. Zweimal hätten Behördenvertreter diesen aufgesucht und nach der Beschwerdeführerin gesucht. Dass sie auf einer "schwarzen Liste" der Regierung stehe, habe sie von einem ihr bekannten Mitglied der EPPF, das mittlerweile in den USA lebe, im Dezember des Jahres 2015 erfahren. In Österreich habe sie an keinen Aktivitäten der EPPF teilgenommen, jedoch habe sie einmal in München eine Veranstaltung der Partei besucht. Weiter nehme sie online, etwa per Skype, an regelmäßig stattfindenden Konferenzen der EPPF teil.

5. Mit angefochtenem Bescheid vom XXXX 2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 (Spruchpunkt I.) und der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Äthiopien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

6. Mit Schreiben vom XXXX 2018 wurde Beschwerde eingebracht.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX 2018 wurde die Beschwerde vom XXXX 2018 mangels ordentlicher Zustellung des Bescheides vom XXXX 2018 zurückgewiesen.

8. Am XXXX 2018 wurde der Bescheid vom XXXX 2018 der Beschwerdeführerin rechtswirksam durch Hinterlegung zugestellt.

9. Mit Schriftsatz vom XXXX 2018 erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen alle Spruchpunkte des Bescheides und brachte darin vor, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid veraltete Länderberichte herangezogen habe. Insbesondere habe sich die Lage in Äthiopien im Zuge der Umwälzungen zu Beginn des Jahres 2018 grundlegend geändert. Äthiopische Staatsangehörige, die einer exilpolitisch tätigen oppositionellen Organisation angehören würden, seien gemäß einem Bericht von Amnesty International vom XXXX 2018 im Fall einer Rückkehr auch dann einer Gefahr ausgesetzt, wenn sie bloße Mitläufer seien und würden auf Grundlage des Anti-Terrorismus-Gesetzes angeklagt werden. Es sei trotz der jüngsten Ereignisse in Äthiopien noch nicht zur Aufhebung des Gesetzes gekommen. Die Beschwerdeführerin sei Mitglied der EPPF, wie sie durch die vorgelegte Bestätigung aus November 2014 nachgewiesen habe, und engagiere sich auch exilpolitisch. Vermeine die belangte Behörde bei dem Dokument handle es sich um ein Gefälligkeitsschreiben, werde darauf hingewiesen, dass diese Unterschrift, Namen und Stempel aufweisen würde, weshalb von dessen Echtheit und Richtigkeit auszugehen sei. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Ausreise nach Äthiopien im September des Jahres 2014 nur deshalb keine Probleme mit den staatlichen Behörden gehabt habe, da die Preisgabe der Namen der Mitglieder der EPPF durch XXXX erst im Jahr 2015 erfolgt sei, womit zum damaligen Zeitpunkt noch keine Gefährdungslage bestanden habe. Abschließend wurde auf ein bestehendes Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich hingewiesen. Der Beschwerde beigefügt waren unter anderem der zuvor erwähnte Bericht von Amnesty International vom XXXX 2018 und eine Vergleichsausfertigung über eine einvernehmliche Scheidung vom XXXX 2018.

10. Am XXXX 2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die amharische Sprache und in Anwesenheit der Beschwerdeführerin sowie ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen die Beschwerdeführerin nach ihren Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde erschien nicht zur mündlichen Verhandlung. In der Verhandlung wurde das Länderinformationsblatt zu Äthiopien aus dem Jahr 2019 ins Verfahren eingebracht. Die Beschwerdeführerin legte im Zuge der mündlichen Verhandlung Unterlagen zu ihrer Integration in Österreich vor.

11. Mit Stellungnahme vom XXXX 2019 führte die Beschwerdeführerin aus, dass es unter dem neuen Premierminister Abiy gewisse Verbesserungen gegeben habe, eine nachhaltige Änderung der Verhältnisse sei jedoch nicht zu erwarten. Der Stellungnahme beigefügt waren unter anderem Kopien eines auf die Beschwerdeführerin ausgestellten Flugtickets für einen Flug nach Addis Abeba vom XXXX 2016, eines Bestätigungsschreibens der EPPF vom XXXX .2019 und eines Schreibens des Bruders der Beschwerdeführerin vom XXXX 2019.

12. Mit Schreiben vom XXXX 2019 legte die Beschwerdeführerin das Bestätigungsschreiben der EPPF vom XXXX .2019 im Original vor.

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX 2019 wurde der Beschwerdeführerin eine Aktualisierung des Länderberichts zu Äthiopien vom XXXX 2019 zugeschickt. Innerhalb der gesetzten Frist langte dazu keine neuerliche Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin:

1.1.1. Die Beschwerdeführerin ist eine Staatsangehörige Äthiopiens, die am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.

1.1.2. Die Beschwerdeführerin gehört den Tigre an und ist christlich-orthodoxen Glaubens.

Sie wurde im Ort XXXX geboren und zog im Kindesalter in die Stadt XXXX , wo sie bis zu ihrer Ausreise aus Äthiopien lebte. Die Beschwerdeführerin besuchte in Äthiopien zwölf Jahre lang die Schule, absolvierte anschließend ein Universitätsstudium und arbeitete dann als Forscherin.

In Äthiopien leben die Eltern, die minderjährige Tochter und vier Geschwister der Beschwerdeführerin. Sie steht in regelmäßigem Kontakt mit ihren in Äthiopien befindlichen Verwandten.

Die Beschwerdeführerin hat Äthiopien im Jahr 2013 verlassen und ist legal mit einem Visum nach Österreich eingereist. Sie schloss im Jahr 2016 das Masterstudium XXXX an der XXXX ab.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet und sich im Jahr 2018 einvernehmlich scheiden lassen. Sie befindet sich derzeit in einer Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsangehörigen.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

1.2.

1.2.1. Feststellungen zum relevanten Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin trat im Jahr 2009 der oppositionellen Organisation Ethiopian People Patriotic Front (EPPF) bei; diese Organisation wird in Äthiopien als terroristische Vereinigung geführt. Die Beschwerdeführerin besuchte in den Jahren von 2009 bis 2011 in Äthiopien mehrmals Veranstaltungen der EPPF. Nach ihrer Ankunft in Österreich nahm die Beschwerdeführerin einmalig an einer Konferenz der EPPF in Deutschland teil. An weiteren in Deutschland abgehaltenen Veranstaltungen der EPPF nahm sie online z.B. per Skype teil.

Die Beschwerdeführerin wurde in Äthiopien im Jahr 2010 für mehrere Tage inhaftiert und kam nach einer Zahlung von Lösungsgeld wieder frei.

Die Beschwerdeführerin erhielt im Jahr 2016 aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der EPPF zwei Vorladungen der äthiopischen Regierung.

Im Fall einer Rückkehr nach Äthiopien drohen der Beschwerdeführerin wegen ihrer Mitgliedschaft bei der EPPF eine Anklage nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz, die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung und eine extralegale Hinrichtung.

1.2.2. Feststellungen zur EPPF (Auszüge aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom XXXX 2018):

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die Ethiopian People¿s Patriotic Front in Ethiopien als terroristische Gruppierung gilt. Die "Ethiopian People's Patriotic Front" (EPPF) ist eine bewaffnete Oppositionsgruppe aus dem Nordwesten Äthiopiens und wurde mit dem Ziel gegründet die EPRDF-Regierung zu stürzen. Für eine Anklage unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz ist es allerdings unerheblich, ob eine Person Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist. In der Vergangenheit wurden Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Regierungskritiker oder Personen, denen ohne jegliche Beweise eine Verbindung zu einer als terroristisch eingestuften Organisation nachgesagt wurde, auf Grundlage des Anti-Terrorismus-Gesetzes angeklagt und verurteilt.

Bereits im Mai 2015, im Zuge der Parlamentswahlen, kam es zu Einschränkungen von Wahlbeobachtern und der politischen Opposition. Es wird auch über Gewalt von Seiten der Sicherheitskräfte berichtet. Es soll auch zu außergerichtlichen Tötung von Mitgliedern und Anführern politischer Oppositionsparteien gekommen sein.

Im November 2015 kam es wieder zu Protesten in der Region Oromia. Der deutliche Rückgang der Unruhen und Proteste ging einher mit einer Zunahme der politischen und ethnischen Aktivitäten von Milizen, sowie der Kämpfe mit Sicherheitskräften und ausländischen Rebellengruppen, insbesondere in Oromia, Amhara und Tigray. Obwohl die Verbindung zwischen den Demonstranten und den verschiedenen bewaffneten Gruppen unklar bleibt, deuten diese Tendenzen auf die Eskalation des Konflikts hin, welche zu einem bewaffneten Kampf führt. Dieser wird von lokalen bewaffneten Milizen und Rebellenbewegungen mit dem Ziel geführt die Regierung abzusetzen.

Anfang Oktober 2016 kam es beim religiösen Fest von Irecha in Oromia von Seiten der Regierung zu Gewalt, welche Empörung bei der Opposition auslöste und zu einer raschen Eskalation der Protestbewegung führte. Am 8.10.2016 erklärte die Regierung schließlich den Ausnahmezustand und verhängte strenge Restriktionen, die die Proteste erfolgreich eingedämmten. Die Regierung verlängerte den Ausnahmezustand bis Ende Juli 2017, um die verbliebenen instabilen Teile des Landes zu kontrollieren.

Es wird berichtet, dass Polizei und Militär gezielt und hart gegen vermutete und tatsächliche Unterstützer und Angehörige militanter bzw. terroristisch operierender oppositioneller Gruppierungen vorgehen. Im Vorfeld der Wahlen wurden Parteibüros durchsucht, Parteimitglieder und gelegentlich auch Anhänger verhaftet oder - von den Sicherheitskräften - eingeschüchtert. Wer in führender oder verantwortlicher Stellung in einer solchen Organisation tätig war bzw. ist oder dessen verdächtigt wird, muss mit Strafverfolgung wegen terroristischer Aktivitäten rechnen.

Die äthiopische Regierung bestreitet eine Strafverfolgung aus politischen Gründen; gleichwohl berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und vereinzelt auch muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Dies geschieht oft unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung und Wahrung der Sicherheit und Integrität des Landes. Bei einer vermuteten Nähe zu gewaltbereiten Gruppen (OLF, ONLF, Ginbot 7) oder einem (wenn auch noch unbestätigtem) Verdacht, zu Terrorismus anstiften zu wollen, wird hart durchgegriffen.

Der Zusammenhang zwischen Rebellengruppen und Demonstranten bleibt weitgehend unklar. In Oromia und Tigray, angeführt von den OLF- bzw. Ginbot 7 for Unity and Democratic Movement - AGUDM-Streitkräften, erreichte die Rebellion 2016 beispiellose Ausmaße, und in Amhara kam es nach zwei Jahren Inaktivität wieder zu einer Rebellion unter der Führung der AGUDM-Streitkräfte.

In Oromia bestätigen weder die Oromo-Demonstranten noch die OLF eine organisatorische Verbindung zueinander.

Die AGUDM entstand im Jahr 2015 aus der Fusion der militärischen Flügel der Äthiopischen Volkspatriotischen Front (EPPF) in Eritrea und Ginbot 7. Sie zielt darauf ab, die äthiopische Regierung zu bekämpfen. Damals entwickelte sich Ginbot 7 von einer friedlichen politischen Oppositionsbewegung in den USA zu einer bewaffneten Rebellengruppe mit neuer Basis in Eritrea. Die BPLM hatte 2008 ein Kooperationsabkommen mit der EPPF unterzeichnet, um gemeinsame militärische Operationen gegen die Regierung durchzuführen. Die Benishangul People's Liberation Movement (BPLM) kämpfte Anfang 2017 gegen staatliche Kräfte in der Region Benshangul-Gumaz.

Grundsätzlich gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt und soweit bekannt, bleibt eine bloße Asylantragstellung im Ausland ohne Konsequenzen.

Abschließend sei noch angemerkt, dass auf der Webseite der EPPF Mitglieder mit Namen und Foto aufgelistet werden.

Einzelquellen:

Gemäß dem nachfolgenden Bericht von Amnesty International ist die "Ethiopian People's Patriotic Front" (EPPF) eine bewaffnete Oppositionsgruppe aus dem Nordwesten Äthiopiens. Sie wurde mit dem Ziel gegründet die EPRDF-Regierung zu stürzen. Ihre Mitglieder wurden in der Vergangenheit verfolgt und willkürlich verhaftet. Regierungskritiker wurden häufig festgenommen und mit Verweis auf die Mitgliedschaft in dieser Organisation wegen Hochverrat angeklagt. Des Weiteren berichtet Amnesty International, dass die aktuelle Liste der Organisationen, die von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft wurden, nicht öffentlich zugänglich ist. Allerdings ist es für eine Anklage unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz unwesentlich, ob eine Person Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist oder nicht. Zudem sind Inhaftierungsgründe, die sich auf das Anti-Terror-Gesetz beziehen, vielfältig von den Behörden auslegbar.

Seit Ausrufung des neuerlichen Ausnahmezustandes am 16. Februar wurden bereits 1.107 Personen inhaftiert. Am 2. April wurde Abiy Ahmed als neuer Premierminister vereidigt. Der neue Premierminister kommt zwar auch aus dem Regierungsbündnis, ist aber der erste in diesem Amt, der der in Äthiopien politisch verfolgten Ethnie der Oromo angehört. Seit seinem Amtsantritt wurden einige der unter dem Ausnahmezustand verhafteten Personen wieder freigelassen. Der ständige Wechsel von Inhaftierungs- und Freilassungswellen politischer Gegner seit Beginn dieses Jahres scheint die Zerrissenheit der Regierung zu offenbaren. Beispielsweise wurde der Journalist Eskinder Nega nach sieben Jahren Haft am 14. Februar 2018 freigelassen. Am 25. März wurde er unter dem Ausnahmezustand erneut verhaftet, um am 5. April wieder freigelassen zu werden.

Kenntnisstand zur exilpolitischen Organisation Ethiopian Political and Civic Organization Union in Germany (EPCOUG)

In Verwaltungsgerichtsverfahren der Verwaltungsgerichte Würzburg und Frankfurt am Main wurde die EPCOUG in Verbindung mit der "Ethiopian People's Revolutionary Party" (EPRP) und der "Ethiopian People's Patriotic Front" (EPPF) gebracht.

Die EPRP ist eine nationale politische Partei, die von der äthiopischen Diaspora gegründet wurde und derzeit ihren Hauptsitz in den Vereinigten Staaten hat. In den 1970er Jahren erklärte die äthiopische Regierung Mitgliedern der EPRP und anderen politischen Gegnern offiziell den Krieg. Diese sogenannte "Red Terror" Kampagne hatte den Tod von rund 250.000 Äthiopiern zur Folge.

Die EPPF ist eine bewaffnete Oppositionsgruppe aus dem Nordwesten Äthiopiens, die mit dem Ziel gegründet wurde, die EPRDF-Regierung zu stürzen. Ihr wurde immer wieder unterstellt, von der eritreischen Regierung unterstützt zu werden.

Die Websites beider Organisationen werden immer wieder von den äthiopischen Behörden gesperrt.

Sowohl die EPRP als auch die EPPF sind der äthiopischen Regierung bekannt. Ihre Mitglieder wurden in der Vergangenheit verfolgt und willkürlich verhaftet. Regierungskritiker wurden häufig festgenommen und mit Verweis auf die Mitgliedschaft in einer der Organisationen wegen Hochverrat angeklagt.

Wenn die EPCOUG mit der EPRP oder EPPF in Verbindung steht, ist dementsprechend davon auszugehen, dass auch sie den äthiopischen Behörden bekannt ist.

Terroristische Organisationen und Anti-Terrorismus-Gesetz

Amnesty International kann nicht bestätigen, dass die EPCOUG von der äthiopischen Regierung als terroristische Organisation eingestuft wird. Die aktuelle Liste der Organisationen, die von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft wurden, ist nach Kenntnis von Amnesty nicht öffentlich zugänglich und liegt Amnesty nicht vor.

Allerdings ist es für eine Anklage unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz unerheblich, ob eine Person Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist. In der Vergangenheit wurden Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Regierungskritiker oder Personen, denen ohne jegliche Beweise eine Verbindung zu einer als terroristisch eingestuften Organisation nachgesagt wurde, auf Grundlage des Anti-Terrorismus-Gesetzes angeklagt und verurteilt. Personen, die in Äthiopien nach dem Anti-Terror-Gesetz angeklagt werden, droht nach einer Verhaftung häufig wochen- oder sogar monatelange Untersuchungshaft, da sie aufgrund des Anti-Terror-Gesetzes 28 Tage bis vier Monate ohne Vorlage von Beweisen inhaftiert werden können. Deshalb werden viele Verhaftungen von politischen Aktivisten mit Terrorverdacht und regierungsfeindlichen Anliegen begründet.

Inhaftierungsgründe, die sich auf das Anti-Terror-Gesetz beziehen, sind vielfältig von den Behörden auslegbar. Die Unterstützung von Terrorismus, die Verletzung der politischen oder territorialen Souveränität Äthiopiens, die Planung/Vorbereitung/Anstiftung/Teilnahme/der Versuch von terroristischen Taten oder bewaffneten Aufständen, Hochverrat, Verbrechen gegen die Verfassung, Geldwäsche und Verschwörung können Anklagepunkte sein.

Eine Veröffentlichung, die als Aufruf zu einer terroristischen Handlung verstanden wird, kann mit 10 bis 20 Jahren Haft bestraft werden. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation ist dafür nicht zwingend.

AI - Amnesty International (2.5.2018): Überwachung von politischem Engagement innerhalb und außerhalb Äthiopiens, Repressionen und Rückkehrgefährdung, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434110/6_1528121373_2018-6-amnesty-aethiopien-ueberwachung-repressionen-rueckkehrgefaehrdung-02052018.pdf, 3.7.2018

[...]

Seit November 2015 hat Äthiopien eine beispiellose Welle der Mobilisierung erlebt. Die Regierung reagierte auf die Proteste mit Gewalt, was zu Tausenden von Opfern führte und Zehntausenden Menschen, die wegen terroristischer Straftaten verhaftet und angeklagt wurden. Der Ausnahmezustand wurde bis Juli 2017 verlängert.

Die Proteste in der Region Oromia vom November 2015 werden im Allgemeinen als Teil einer Bewegung gesehen, die im April - Mai 2014 begann, als Studenten an mehreren Orten in der Region gegen den Plan der Regierung zur Erweiterung der Hauptstadt Addis Abeba protestierten. Die Proteste, angeführt von Studenten, waren vergleichsweise klein und lagen im westlichen Teil von Oromia. Die Demonstrationen wurden von Sicherheitsbeamten niedergeschlagen.

Die Proteste wurden hauptsächlich von Schülern und Studenten geleitet und wurden bald auch von Landwirten, Arbeitern und anderen Bürgern begleitet. Zwischen November 2015 und Februar 2016 gab es durchschnittlich 26 Proteste pro Woche.

Anfang Oktober 2016, kam es, bei einem religiösen Fest von Irecha in Oromia, von Seiten der Regierung zu Gewalt, welche Empörung bei der Opposition auslöste und zu einer raschen Eskalation der Protestbewegung führte.

Am 8.10.2016 erklärte die Regierung schließlich den Ausnahmezustand und verhängte strenge Restriktionen, die die Proteste erfolgreich eindämmten.

Der deutliche Rückgang der Unruhen und Proteste ging einher mit einer Zunahme der politischen und ethnischen Aktivitäten von Milizen, sowie Kämpfe mit Sicherheitskräften und ausländischen Rebellengruppen, insbesondere in Oromia, Amhara und Tigray. Die Verbindung zwischen den Demonstranten und den verschiedenen bewaffneten Gruppen bleibt unklar. Die Unruhen eskalierten zu einem bewaffneten Kampf, der von lokalen bewaffneten Milizen und Rebellenbewegungen mit dem Ziel geführt wurde die Regierung abzusetzen. Die Regierung verlängerte den Ausnahmezustand bis Ende Juli 2017 um die verbliebenen instabilen Teile des Landes zu kontrollieren.

[...]

Ginbot 7 for Unity and Democratic Movement (AGUDM) entstand im Jahr 2015 aus einer Fusion der militärischen Flügel der Äthiopischen Volkspatriotischen Front (EPPF) in Eritrea und Ginbot 7. Sie zielten darauf ab, die äthiopische Regierung zu bekämpfen. Damals entwickelte sich Ginbot 7 von einer friedlichen politischen Oppositionsbewegung in den USA, zu einer bewaffneten Rebellengruppe mit neuer Basis in Eritrea. Die Benishangul People's Liberation Movement (BPLM) kämpfte Anfang 2017 gegen staatliche Kräfte in der Region Benshangul-Gumaz. Die BPLM hatte 2008 ein Kooperationsabkommen mit der EPPF unterzeichnet, um gemeinsame militärische Operationen gegen die Regierung durchzuführen.

Das Auswärtige Amt berichtet, dass die Lage von Oppositionellen bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen, im Mai 2015, eingeschränkt wurde. Es wird berichtet dass, Polizei und Militär gezielt gegen vermutete und tatsächliche Unterstützer und Angehörige militanter bzw. terroristisch operierenden oppositionellen Gruppierungen vorgehen. Im Vorfeld der Wahlen wurden Parteibüros durchsucht, Parteimitglieder und gelegentlich auch Anhänger verhaftet oder von den Sicherheitskräften eingeschüchtert. Gegen militante Gruppen, insbesondere diejenigen, die vom Parlament als Terrororganisation gelistet wurden, wird hart vorgegangen. Wer in führender oder verantwortlicher Stellung in einer solchen Organisation tätig war bzw. ist oder dessen verdächtigt wird, muss mit Strafverfolgung wegen terroristischer Aktivitäten rechnen.

Die äthiopische Regierung bestreitet eine Strafverfolgung aus politischen Gründen; gleichwohl berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und vereinzelt auch muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Dies geschieht oft unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung und Wahrung der Sicherheit und Integrität des Landes. Bei einer vermuteten Nähe zu gewaltbereiten Gruppen (OLF, ONLF, Ginbot 7) oder einem (wenn auch noch unbestätigten) Verdacht, zu Terrorismus anstiften zu wollen, wird hart durchgegriffen. Wegen Überlastung der Justiz wird das in der Verfassung verankerte Recht, nach der Verhaftung innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, häufig nicht umgesetzt.

Im Rahmen der Oromo-Proteste berichten viele festgenommene Demonstranten, dass sie über längere Zeiträume festgehalten, gefoltert und anschließend ohne Anklage entlassen worden seien. Es gibt auch regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekannten Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden.

Zuzüglich berichtet das Auswärtige Amt, dass keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Des weiteren bleibt, soweit bekannt, eine bloße Asylantragstellung im Ausland, ohne Konsequenzen. Und bisher sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen oder gar Festnahme oder Misshandlung ausgesetzt waren.

[...]

1.2.3. Weitere relevante Feststellungen zur Situation in Äthiopien (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Staatendokumentation, Äthiopien vom 08.01.2019, samt Kurzinformation vom XXXX 2019):

Ende Juni 2019 kam es zu mehreren Angriffen auf führende Politiker landesweit. Der Regionalpräsident von Bahir Dar wurde, gemeinsam mit zwei weiteren Regionalregierungsmitgliedern und Dutzender weiterer Personen bei einem "Putschversuch" durch den Sicherheitsregionalleiter am 22.6.2019 getötet. Am 20.6.2019 wurde der Bürgermeister von Dembir Bolo angeschossen und schwer verletzt. In Guba wurden bei einem Angriff einer Amhara Miliz am 23.6.2019 mehr als 50 Personen getötet. In Addis Abeba wurde der Militärstabschef durch seinen eigenen Personenschützer erschossen (ACLED 16.7.2019; vgl. TNH 16.10.2019, Standard 23.6.2019).

Die Ereignisse von Juni 2019 stehen in scharfem Kontrast zum Rückgang der Gewalt seit der Amtseinsetzung von Premierminister Abiy im April 2018 (ACLED 16.7.2019). Abiy schlug danach eine härtere Linie ein (TNH 16.10.2019; vgl. ACLED 16.7.2019). Das Internet wurde für vier Tage landesweit blockiert und hunderte Personen wurden in Zusammenhang mit der Gewalt verhaftet (ACLED 16.7.2019; vgl. TNH 16.10.2019); der Druck der Regierung hat seitdem nicht nachgelassen (TNH 16.10.2019). Amnesty International verurteilt die Regierung dafür, dass es seit Juni 2019 im Namen von Anti-Terror-Maßnahmen zu willkürlichen Festnahmen, darunter auch von Journalisten, kam (AI 4.10.2019; vgl. TNH 16.10.2019).

Ende Oktober 2019 kam es nach Gerüchten über die Misshandlung des Abiy-Kritikers und Internetaktivisten Jawar Mohammed durch Sicherheitskräfte zu Protesten und Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden (Standard 24.10.2019; vgl. Standard 25.10.2019). Aus den Protesten entwickelten sich in der Folge ethnisch und religiös motivierte Unruhen (taz 26.10.2019; vgl. EN 26.10.2019, Guardian 1.11.2019). In den darauffolgenden Tagen kam es in vielen Städten zu gewaltsamen Sicherheitsmaßnahmen, gewalttätigen Konfrontationen und Kämpfen (AS 28.10.2019). Im Zuge dieser gewaltsamen Zusammenstöße zwischen verschiedenen Volksgruppen wurden nach Angaben des Premierministers 86 Menschen getötet, darunter zehn Tote durch Sicherheitskräfte (BBC 4.11.2019; vgl. RIA 3.11.2019). Stand 25.10.2019 wurden von offizieller Seite mindestens 67 Todesopfer gemeldet (Standard 25.10.2019; vgl. Zeit 26.10.2019, EN 26.10.2019) und im Zusammenhang mit den Unruhen wurden 409 Personen verhaftet (Guardian 1.11.2019; vgl. RIA 3.11.2019). Premierminister Abiy kündigte an, dass die Behörden gegen all jene vorgehen würden, die "den Frieden und die Stabilität Äthiopiens bedrohen" (RIA 3.11.2019).

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht ersichtlich. Die äthiopische Regierung bestreitet zudem Strafverfolgung aus politischen Gründen. Allerdings berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und inzwischen auch vereinzelt muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen (AA 17.10.2018).

Das in der Verfassung verankerte Recht, nach der Verhaftung innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, wird unter anderem wegen Überlastung der Justiz häufig nicht umgesetzt. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekanntem Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden. Hinzu kommen weitreichende Befugnisse, die z.B. das Antiterrorgesetz den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden einräumt, z.T. auch ohne gerichtliche Überwachung (AA 17.10.2018).

Die Verfassung verbietet Folter (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings wird das in Verfassung verankerte Verbot in der Praxis unterlaufen (AA 17.10.2018). Der Premierminister hat eingestanden, dass Folter angewendet wird (HRW 19.10.2018). Es gibt glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung und extralegale Hinrichtungen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) während der Untersuchungshaft, durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein vermuteter Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA 17.10.2018). Mehrere Quellen berichteten von allgemeiner Misshandlung von Gefangenen in offiziellen Haftanstalten, in inoffiziellen Haftanstalten, Polizeistationen und Bundesgefängnissen (USDOS 20.4.2018).

Eine Untersuchung derartiger Verbrechen findet in der Regel nicht statt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Mechanismen zur Untersuchung von Missbräuchen durch die Bundespolizei sind nicht bekannt und die Regierung gibt die Untersuchungsergebnisse nur selten öffentlich bekannt. Sie bemüht sich aber, Menschenrechtsschulungen für Polizei- und Militärschüler anzubieten (USDOS 20.4.2018). Eine adäquate und konsistente Reaktion der Behörden auf z. B. in Gerichtsverfahren geäußerte Folter- und Misshandlungsvorwürfe ist nicht zu erkennen. Es wird zudem berichtet, dass sich in Einzelfällen die Sicherheitsorgane oder andere Behörden über Gerichtsurteile hinweggesetzt haben sollen (z. B. im Somali Regional State/SRS) (AA 17.10.2018).

Ermittler des Menschenrechtsrates berichten, dass Gefängnisbeamte Häftlinge schlagen und foltern (USDOS 20.4.2018). Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Stärker als das Medien- und Informationsgesetz wirkt sich das Antiterrorgesetz ("Anti-Terror Proklamation") auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien aus, denn es umfasst nicht nur direkte und indirekte Unterstützung von Terrorismus als Tatbestand, sondern auch Berichterstattung über terroristische Gruppen oder Aktivitäten, die von der Öffentlichkeit als Anstiftung bzw. Propaganda aufgefasst werden könnten (AA 17.10.2018). Die Pressegesetzgebung ist restriktiv. Jahrelang hatte die Pressefreiheit in Äthiopien stetig abgenommen. Aus Angst vor Repressalien und Verhaftungen zensierten sich nicht wenige äthiopische Journalisten selbst, veröffentlichten nicht zu sensiblen Themen. Im Worldwide Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen belegt Äthiopien in 2018 Rang 150 von 180 untersuchten Ländern. Erste Maßnahmen des Premiers Abiy Ahmed lassen jedoch auf eine Verbesserung der Situation hoffen: Mehrere hundert bislang gesperrte - überwiegend regierungskritische - Internetseiten sind inzwischen freigegeben worden, mehrere namhafte Journalisten wurden aus Gefängnissen entlassen (GIZ 9.2018a). Die von der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit wird behindert. Unabhängige Tätigkeit von nicht partei- bzw. regimetreue Gewerkschaften werden auf unterschiedlichste Art und Weise schikaniert und untergraben (AA 17.10.2018). Demonstrationen werden häufig gewaltsam beendet und Teilnehmer willkürlich verhaftet. Die Sicherheitskräfte setzten dabei teilweise auch scharfe Munition ein (AA 17.10.2018).

Es gibt Berichte aus der Region Somali über außergerichtliche Hinrichtungen inhaftierter Personen und über außergerichtliche Hinrichtungen von 34 Angehörigen der Wolkait in der Region Tigray. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis offenbar unterlaufen. Von verschiedenen Seiten wurden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär erhoben. Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Korruption - auch bei Polizei und Justiz - bleibt ein Problem (USDOS 20.4.2018) bzw. wird diese im Alltag als Problem wahrgenommen (GIZ 9.2018a). Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International nimmt Äthiopien Platz 107 von 180 Ländern ein (TI 2017).

Mit der Amtseinführung von Abiy Ahmed Ali als Premierminister wuchsen zunächst die Hoffnungen auf eine nationale Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen. Abiy, selbst ethnischer Oromo, erteilte im Rahmen seiner Dialog- und Aussöhnungsstrategie einer OLF-zugehörigen Oppositionsgruppe Amnestie (GIZ 9.2018a). Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) und die Oromo Liberation Front (OLF) wurden entkriminalisiert (AA 17.10.2018). In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen (AA 17.10.2018; vgl. AA 4.2018a). Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 größtenteils offensichtlich aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen worden, darunter der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba sowie andere, teilweise seit mehreren Jahren inhaftierte Regierungskritiker, die v.a. auf Grundlage der drakonischen AntiTerror-Gesetzgebung verurteilt worden waren. Premierminister Abiy hat diese Politik fortgesetzt: Am 26.5.2018 ist der britische Staatsbürger Andargachew Tsige, Führungsmitglied der von Äthiopien als Terrorgruppe angesehenen Organisation "Ginbot 7", überraschend begnadigt worden. Am 30.5.2018 hat er sich, direkt nach seiner Freilassung, öffentlichkeitswirksam mit Premierminister Abiy getroffen. Gleichzeitig sind die bestehenden Anklagen gegen Ginbot 7-Chef Berhanu Nega sowie gegen den Leiter des aus Minnesota operierenden Oromia Media Network (OMN), Jawar Mohamed, fallengelassen worden. Alle drei Personen galten bislang als prominente Staatsfeinde. Schon eine öffentliche Sympathiebekundung für einen von ihnen hätte bis zum Amtsantritt von Abiy zu einer sofortigen Verhaftung geführt (AA 17.10.2018).

Die Haftbedingungen sind prekär (überfüllte Gefängnisse, ungenügende hygienische Verhältnisse und medizinische Versorgung etc.) (EDA 10.12.2018), teilweise lebensbedrohlich (SFH 26.9.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) und mit europäischen Standards nicht zu vergleichen (AA 17.10.2018). In der Regel erfolgt die Unterbringung in großen Gemeinschaftszellen. Verpflegung und sanitäre Anlagen sind landestypisch sehr einfach (AA 17.10.2018).

Es gibt regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekannten Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Äthiopisches Sicherheitspersonal, einschließlich Sicherheitskräfte und Geheimdienstbeamte in Zivilkleidung, Bundespolizei, Sonderpolizei und Militär foltern politische Gefangene in offiziellen und geheimen Haftzentren, um Geständnisse oder die Herausgabe von Informationen zu erzwingen. Während dem Ausnahmezustand sollen inhaftierte Personen bei Verhören malträtiert und misshandelt worden sein (SFH 26.9.2018; vgl USDOS 20.4.2018). Es kommt vor, dass Häftlinge wegen der durch Folter zugefügten Verletzungen oder an Hunger sterben (SFH 26.9.2018). Einzelne berichten von Misshandlungen in Untersuchungshaft. Diese Vorwürfe werden in der Regel nicht weiter untersucht. Zudem wird berichtet, dass mehrere inoffizielle Haftanstalten, meist in Militärcamps existieren (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Sogenannte "Gefälligkeitsbescheinigungen" sind relativ leicht erhältlich. Gegen Zahlungen können auch Zeugen für Aussagen vor Gericht oder Behörden gekauft werden. Es kommt häufig vor, dass äthiopische Beamte - auf Bitte - Urkunden ausstellen, die gesetzlichen Bestimmungen widersprechen. Weit verbreitet sind auch falsche Bescheinigungen z.B. von privaten Arbeitgebern (z.B. über Arbeitsverhältnisse, Einkommen etc.) (AA 17.10.2018).

Komplettfälschungen von Ausweisdokumenten oder Urkunden sind in Äthiopien wegen ihrer schlechten Qualität meist als solche erkennbar. Weitaus schwerer aufzudecken, aber weit stärker verbreitet sind echte Dokumente mit falschem Inhalt - v.a. Personenstandsurkunden (Geburts- und Heiratsurkunden) und Pässe - die auf der Grundlage von unrichtigen Dokumenten und/oder von Zeugenaussagen ausgestellt wurden. Geburtsurkunden werden erst seit einigen Jahren und nicht in allen Fällen auf der Grundlage von Geburtsbescheinigungen von Krankenhäusern ausgestellt (AA 17.10.2018).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Geburt in XXXX , zum Umzug nach XXXX , zur Schulausbildung, zum Universitätsstudium, zur Berufstätigkeit in Äthiopien, und zu den dort verbliebenen Familienangehörigen sowie zum Gesundheitszustand gründen sich auf den Verwaltungsakt und die nicht bestrittenen sowie glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in regelmäßigem Kontakt mit ihren in Äthiopien verbliebenen Verwandten steht, basiert auf ihren glaubhaften Angaben im Zuge der mündlichen Verhandlung am XXXX 2019.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin Äthiopien im Jahr 2013 verlassen hat und legal mit einem Visum nach Österreich eingereist ist, sowie dass sie im Jahr 2016 das Masterstudium XXXX an der XXXX abgeschlossen hat, ergeben sich aus den im Laufe des Verfahrens vorgelegten Dokumenten (Kopien äthiopischer Reisepass, Bescheid der XXXX vom XXXX 2016 über die Verleihung eines Mastertitels samt Anhängen).

Die Feststellungen zur Heirat mit einem österreichischen Staatsangehörigen in Österreich und zur einvernehmlichen Scheidung im Jahr 2018 ergeben sich ebenfalls aus den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Dokumenten (Kopien österreichischer Heiratsurkunde vom XXXX 2017 und Vergleichsausfertigung Bezirksgericht Hernals vom XXXX 2018).

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin mit einem österreichischen Staatsangehörigen in einer Lebensgemeinschaft lebt, basiert auf ihren glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung am XXXX 2019.

2.2 Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2009 der EPPF beitrat, ergibt sich aus ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben sowie auf vorgelegten Unterlagen, insbesondere der im Akt befindlichen übersetzten Kopie einer Bestätigung einer Mitgliedschaft bei der EPPF aus November 2014, und dem Bestätigungsschreiben der EPPF vom XXXX .2019, in dem eine bereits im Jahr 2009 bestehende Parteimitgliedschaft ausdrücklich attestiert wurde. Angemerkt werden soll dazu, dass die Beschwerdeführerin insoferne ihrer Mitwirkungspflicht im Verfahren nachkam, als sie sich aktiv darum bemühte, auch eine Bestätigung über eine Mitgliedschaft vor 2014 zu erlangen, nachdem die Frage des Datums eines allfälligen Beitritts im Rahmen der Beschwerdeverhandlung aufgekommen ist. Darüber hinaus schätzt das Bundesverwaltungsgericht die Bewertung der vorgelegten Bestätigungen dahingehend anders ein als die Behörde, als dass der Behörde zwar recht zu geben ist, wenn sie die Verlässlichkeit solcher Dokumente im Allgemeinen in Frage stellt, die Beschwerdeführerin andererseits aber im Laufe ihres Verfahrens in Österreich ihre politische oppositionelle Haltung auch in ihren Vorbringen in den Einvernahmen und in der Beschwerdeverhandlung zum Ausdruck bringen konnte. In Zusammenschau kommt daher die erkennende Richterin zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin einerseits über ihre Berichte und Erzählungen zu ihrer oppositionspolitischen Tätigkeit, andererseits aber auch durch ihre Bemühungen zur Vorlage von Bestätigungen, eine Mitgliedschaft bei der EPPF glaubhaft machen konnte.

Die Feststellungen zur Teilnahme der Beschwerdeführerin an mehreren Veranstaltungen der EPPF in Äthiopien in den Jahren von 2009 bis 2011 und zu ihren exilpolitischen Tätigkeiten ergeben sich aus den weiteren glaubhaften und gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens.

Zu den in Äthiopien in den Jahren 2010 bzw. 2016 stattgefunden Ereignissen brachte die Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 Folgendes vor (Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

"[...] R: Können Sie mir möglichst detailliert den konkreten Grund schildern, wieso Sie nunmehr nicht mehr nach Äthiopien zurückkehren können?

P: Geplant war von Haus aus, dass ich wieder zurückkehre, nachdem ich 2016 mein Studium absolviert hatte. Es gab schon ein Ticket, alles war da. Dann bekam ich einen Anruf von meinem Bruder. Der Vater meines Kindes hat meinen Bruder angerufen und hat berichtet, dass es nicht möglich ist, dass ich zurückkehre, weil ich verfolgt werde, und dass man nach mir suchen und nach mir fragen würde. Der Vater meines Kindes will mit mir nicht sprechen, deswegen hat er meinen Bruder angerufen. Er hat ihm erzählt, dass die Polizei bei ihm war und dass man mich verhaften möchte. Diese Information bekam ich über meinen Bruder, vom Vater meines Kindes. Für mich war es ein Schock, das von meinem Bruder zu hören. Vor allem, weil ich mich gefreut hätte, wieder nach Hause zu gehen und mein Studium praktisch umzusetzen. Ich muss jetzt erwähnen, dass ich vorher schon 2010 in Äthiopien im Gefängnis war. Während ich gearbeitet habe, wurde ich 2010 inhaftiert. In der Partei Ethiopian People Patriotic Front (EPPF) gab es Herrn XXXX . Ich bekam die Information von Herrn XXXX , dass die Mitglieder der EPPF an andere weitergegeben wurden. Laut XXXX war das 2015. Für mich kam ans Tageslicht, dass ich damals im Gefängnis war und er mir auch diese Information gegeben hat. Da wurde mir der Zusammenhang klar. Da werde ich wohl auch wieder gesucht. Deswegen hat es wohl auch diese Nachricht vom Vater meiner Tochter an meinen Bruder gegeben. Für mich war das ausschlaggebend, zu entscheiden hier zu bleiben, aus Angst vor einer neueren Inhaftierung. [...]"

Und:

"[...] R: Haben Sie eine Kopie oder ein Foto dieser Vorladungen, die an die Adresse Ihres Ex-Mannes gegangen sind?

P: Ich habe sie schon angefordert und gefragt, ob er sie irgendwie meinem Bruder übermitteln kann. Er möchte mit mir keinen Kontakt, weil er unser Kind schützen möchte, besonders was dieses politische Thema betrifft.

R: Könnte Ihr Bruder nicht zu Ihrem Ex-Mann gehen und ihn bitten, die Ladung herzuzeigen, damit Ihr Bruder Ihnen das schicken kann?

P: Mein Bruder hat bereits dem Ex-Mann die Information gegeben, dass ich das brauche und auch mehrmals angefragt es zu fotografieren. Der Vater meiner Tochter hat gesagt, dass er die Vorladung vernichtet hat, um das Kind zu schützen und er wolle nichts damit zu tun haben.

R: Kamen seit 2016 weitere Vorladungen für Sie?

P: Sie waren zweimal dort. Ich nehme an, dass es zweimal vorgekommen ist und sie wissen, dass ich nicht zurückgekehrt bin.

R: War die Polizei auch bei Ihren Eltern oder bei Ihren Geschwistern?

P: In dem Moment, wo sie beim Vater meines Kindes waren, waren sie auch im selben Moment in XXXX bei meiner Tante, die mich großgezogen hat. Sie hat zur Polizei gesagt, dass ich bei ihr war aber, dass ich jetzt nicht mehr da bin, und dass sie nicht mehr verantwortlich für mich ist.

R: Gab es nach 2016 noch Kontakt von der Polizei mit Familienangehören wegen Ihnen?

P: Ich habe keine weiteren Informationen darüber. Keiner hat etwas diesbezüglich gesagt, deshalb nehme ich an, dass nichts passiert ist. [...]"

Sowie:

"[...] R: Wie sind Sie 2010 aus der Haft entlassen worden?

P: Wie ich vorhin erwähnt habe, hat die Verhaftung während meiner Arbeit stattgefunden. Dann habe ich den Bruder meines Ex-Mannes angerufen. Er ist mächtig, er ist eine angesehene Person und auch bekannt. Nachgefragt gebe ich an, dass ich mit mächtig und bekannt meine, dass er bekannt ist als Import/Export Händler in XXXX , wo der Hafen ist. Ich habe ihm geschildert, dass ich unschuldig bin und nicht weiß, warum ich inhaftiert wurde. Er kam dann und hat Geld gezahlt, damit ich freikomme. Ich wurde dann auch freigelassen. [...]"

Es gilt es auszuführen, dass die Angaben der Beschwerdeführerin zu einer mehrtägigen Inhaftierung in Äthiopien im Jahr 2010 insofern plausibel erscheinen, als aus den Länderberichten hervorgeht, dass die äthiopischen Sicherheitskräfte auch gegen bloß vermutete Unterstützer_innen und Angehörige militanter bzw. terroristisch operierender oppositioneller Gruppierungen vorgehen und willkürliche Verhaftungen durchführen. Auch eine Freilassung durch Zahlung von Lösegeld wirkt vor dem Hintergrund der in Äthiopien gerade im Staatsapparat weit verbreiteten Korruption glaubhaft. Es konnte daher die Feststellung einer Inhaftierung der Beschwerdeführerin im Jahr 2010 - im Lichte der sonstig als glaubhaft eingestuften Angaben - getroffen werden.

Hinsichtlich der an die Wohnadressen der minderjährigen Tochter und der Ziehmutter der Beschwerdeführerin verschickten Vorladungen der äthiopischen Regierung im Jahr 2016 muss ausgeführt werden, dass dieses Vorbringen im Zuge des Verfahrens gleichbleibend erstattet wurde. Es wirkt auch glaubhaft, da aus oben angeführter Anfragebeantwortung vom XXXX 2018 hervorgeht, dass die EPPF mit dem Ziel gegründet wurde, die EPRDF-Regierung zu stürzen und von dieser als terroristische Vereinigung angesehen wird. Ihre Mitglieder wurden in der Vergangenheit verfolgt und willkürlich verhaftet. Regierungskritiker_innen wurden häufig festgenommen und mit Verweis auf die Mitgliedschaft in dieser Organisation wegen Hochverrat angeklagt. Des Weiteren berichtet Amnesty International, dass die aktuelle Liste der Organisationen, die von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft wurden, nicht öffentlich zugänglich ist. Allerdings ist es für eine Anklage unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz unwesentlich, ob eine Person Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist oder nicht. Zudem sind Inhaftierungsgründe, die sich auf das Anti-Terrorismus-Gesetz beziehen, vielfältig von den Behörden auslegbar. Eine behördliche Suche nach der Beschwerdeführerin in Äthiopien im Jahr 2016 ist daher vorstellbar.

Dabei wird nicht übersehen, dass die Beschwerdeführerin, wie sie selbst im Laufe des Verfahrens angab und wie auch aus der im Akt befindlichen Kopie des Reisepasses hervorgeht, noch im September des Jahres 2014 für zwei Monate nach Äthiopien zurückkehrte und das Land wieder legal verlassen konnte. Jedoch konnte die Beschwerdeführerin darlegen, dass der äthiopischen Regierung zu diesem Zeitpunkt die tatsächliche Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin bei der EPPF noch nicht bekannt sein gewesen dürfte, weshalb auch noch keine unmittelbare Bedrohung durch diese bestanden habe. Sowohl in den Einvernahmen vor der belangten Behörde als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 erklärte die Beschwerdeführerin nämlich nachvollziehbar, dass eine ehemalige Führungspersönlichkeit der EPPF namens XXXX im Jahr 2015 zur Regierung übergelaufen ist und dieser die Namen aller Mitglieder der EPPF verraten hat.

Schließlich wird auch angemerkt, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Stellungnahme vom XXXX 2019 eine Flugticketkopie vorlegte, nach der sie tatsächlich einen Rückflug von Wien nach Addis Abeba am XXXX 2016 gebucht hatte. Als Datum weist das Ticket den XXXX 2016 auf. Diese Vorlage unterstützt die Angaben der Beschwerdeführerin, ursprünglich einen Rückflug geplant zu haben, aber wegen des geschilderten Vorfalls von einem tatsächlichen Heimflug abgesehen zu haben.

Die erkennende Richterin hält somit das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie als Mitglied einer oppositionellen Bewegung ins Visier der Regierung gekommen ist, für ausreichend nachvollziehbar. Auch wird die Existenz von Listen über Organisationen (im Sinne einer "schwarzen Liste"), die von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft werden, durch die Anfragebeantwortung vom XXXX 2018 bestätigt. Die Feststellung zum Erhalt zweier Vorladungen der äthiopischen Regierung im Jahr 2016 aufgrund der Parteimitgliedschaft der Beschwerdeführerin konnte daher erfolgen.

Zwar geht aus den relevanten Länderberichten hervor, dass es in Äthiopien seit der Amtseinsetzung von Ministerpräsident Abiy im April 2018 zu einer Entspannung des politischen Klimas und generell zu einem gewissen Rückgang der Gewalt kam, jedoch schlug dieser nach gewalttätigen Ereignissen im Juni 2019 eine härtere Linie ein. Das Internet wurde für vier Tage landesweit blockiert und hunderte Personen wurden in Zusammenhang mit der Gewalt verhaftet; der Druck der Regierung hat seitdem nicht nachgelassen. Amnesty International verurteilt die Regierung dafür, dass es seit Juni 2019 im Namen von Anti-Terror-Maßnahmen zu willkürlichen Festnahmen, darunter auch von Journalisten, kam. Premierminister Abiy kündigte auch an, dass die Behörden gegen all jene vorgehen würden, die "den Frieden und die Stabilität Äthiopiens bedrohen". Weiter kam es bisher nicht zur Aufhebung des Anti-Terrorismus-Gesetzes, das sich auch gegen oppositionelle Grupperungen richtet.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der EPPF eine abermalige Verhaftung bzw. Anklage nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz droht. Dass sie in weiterer Folge Gefahr läuft, Opfer von Folter bzw. Misshandlung oder einer extralegalen Hinrichtung zu werden, ergibt sich aus den Länderinformationen, weshalb entsprechende Feststellungen getroffen werden konnten.

2.3. Die Feststellungen zu 1.2. fußen auf dem Länderinformationsblatt Staatendokumentation, Äthiopien vom 08.01.2019, samt Kurzinformation vom XXXX 2019, und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur EPPF vom XXXX 2018. Sie beruhen auf den folgenden Detailquellen:

a) Länderinformationsblatt Staatendokumentation, Äthiopien vom 08.01.2019, samt Kurzinformation vom XXXX 2019:

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

- ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (16.7.2019): Armed Conflict Location and Event Data Project, Bad Blood: Violence in Ethiopia Reveals the Strain of Ethno-Federalism under Prime Minister Abiy, https://www.acleddata.com/2019/07/15/badblood-violence-in-ethiopia-reveals-the-strain-of-ethno-federalism-under-prime-ministerabiy/, Zugriff 29.10.2019

- AI - Amnesty International (4.10.2019): Ethiopia: Release journalists arrested on unsubstantiated terrorism charges, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/10/ethiopia-release-journalists-arrested-onunsubstantiated-terrorism-charges/, Zugriff 29.10.2019

- AS - Addis Standard (28.10.2019): Analysis: Tragedy struck Ethiopia, again. "We are dealing with a different scenario", https://addisstandard.com/analysis-tragedy-struckethiopia-again-we-are-dealing-with-a-different-scenario/, Zugriff 29.10.2019AI - Amnesty International (30.7.2018): Op-Ed: Eritrea: no more excuses for indefinite national service, https://www.ecoi.net/de/dokument/1439699.html, Zugriff 22.1.2019

- BBC - British Broadcasting Corporation (4.11.2019): Abiy says 86 Ethiopians died in wave of violence, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia, Zugriff 4.11.2019

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 12.12.2018

- EN - Euronews (26.10.2019): Violence during Ethiopian protests was ethnically tinged, say eyewitnesses, https://www.euronews.com/2019/10/26/violence-during-ethiopian-protestswas-ethnically-tinged-say-eyewitnesses, Zugriff 29.10.2019

- Guardian, the (1.11.2019): Deadly unrest in Ethiopia hampers PM's political reform attempts, https://www.theguardian.com/world/2019/nov/01/ethiopia-unrest-abiy-ahmedjawar-mohammed-nobel-peace-prize, Zugriff 4.11.2019

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 11.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (19.10.2018): Ethiopia: Ensure Justice for Abuses in Jail Ogaden, https://www.hrw.org/news/2018/10/19/ethiopia-ensure-justice-abuses-jail-ogaden, Zugriff 4.1.2019

- RIA Nowosti (3.11.2019): 86 , https://ria.ru/20191103/1560548773.html, Zugriff 4.11.2019

- SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (26.9.2018): Äthiopien: Exilpolitische Aktivitäten, staatliche Überwachung, neuere Entwicklungen, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/athiopien/180926-ethexilpolitische-aktivitaeten-staatl.ueberwachung.pdf, Zugriff 18.12.2018

- Standard, der (23.6.2019): Putschversuch in Äthiopien: Armeechef und Regionalpräsident getötet, https://www.derstandard.at/story/2000105290605/aethiopiens-armeechef-undregionalpraesident-bei-angriffen-getoetet, Zugriff 29.10.2019

- Standard, der (24.10.2019): Machtkampf in Äthiopien fordert 16 Todesopfer, https://www.derstandard.at/story/2000110302304/machtkampf-in-aethiopien-fordert-16-todesopfer, Zugriff 29.10.2019

- Standard, der (25.10.2019): Mehr als 60 Tote bei Protesten und Gewalt in Äthiopien, https://www.derstandard.at/story/2000110333475/mehr-als-60-tote-bei-protesten-undgewalt-in-aethiopien, Zugriff 29.10.2019

- taz - Die Tageszeitung (26.10.2019): Mehr als 60 Tote bei Protesten, https://taz.de/Gewaltin-Aethiopien/!5636230/, Zugriff 29.10.2019

- TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index - Results, https://www.transparency.org/country/ETH, Zugriff 10.12.2018

- TNH - The New Humanitarian (ehemals IRIN News) (16.10.2019): Briefing: Five challenges facing Ethiopia's Abiy, http://www.thenewhumanitarian.org/analysis/2019/10/16/Abiy-Ethiopia-Eritrea-Nobel-peace-Tigray, Zugriff 29.10.2019

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018

- Zeit Online, die (26.10.2019): Mehr als 60 Tote bei Protesten und Gewalt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-10/proteste-aethiopien-abiy-ahmed-tote, Zugriff 29.10.2019

b) Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur EPPF vom XXXX 2018:

Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit, Aktualität und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, son

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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