TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/3 I406 2128132-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.04.2020

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AuslBG §17
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §55 Abs1a
IntG §11 Abs2
IntG §9
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I406 2128132-1/42E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX (alias 01.06.1986), Staatsangehörigkeit Nigeria (alias Somalia), vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, Nikolsdorfergasse 7-12/2, 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.07.2016, zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I., erster Spruchteil des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.    Spruchpunkte II., III. und IV. werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 31.03.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.06.2007, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz abgewiesen und wurde ihm der Status des Asylberechtigten sowie der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria nicht zuerkannt. Weiters wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.12.2009, Zl. A12 312.624-1/2008/18E, abgewiesen.

2.       Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15.02.2010, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FPG 2005 und § 63 Abs. 1 FPG 2005 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen, welches ab 18.02.2010 durchsetzbar war. Eine dagegen erhobene Berufung wurde am 04.10.2010 von der Sicherheitsdirektion Wien, Zl. XXXX , abgewiesen.

3.       Am 09.02.2012 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Strafhaft einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.03.2012, Zl. XXXX , wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (Spruchpunkt I.) Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Nigeria alias Somalia ausgewiesen (Spruchpunkt II.).

Nach fristgerecht erhobener Beschwerde wurde mit Erkenntnis des - zwischenzeitlich dem Asylgerichtshof nachgefolgten - Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2014, Zl. W125 1312624-2/4E, eine dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen und das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

4.       Am 03.06.2016 wurde der Beschwerdeführer von der Polizei festgenommen, nachdem er mit einem nigerianischen Reisepass, Reisepassnummer XXXX , lautend auf XXXX , geb. XXXX in Lagos, Staatsangehörigkeit Nigeria, von Italien kommend mit dem Zug nach Österreich eingereist war. Bei der Einreise war seine Ehefrau, eine österreichische Staatsangehörige, welche er am 31.05.2016 in Italien geheiratet hatte, anwesend.

5.       Am 04.06.2016 wurden der Beschwerdeführer und seine Ehefrau von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer unter anderem an, er habe in Österreich bereits Asyl unter der falschen Identität XXXX , geb. XXXX beantragt. Er sei seit 31.05.2016 mit einer Österreicherin verheiratet, diese sei von ihm schwanger.

6.       Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 04.06.2016, Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG 2005 iVm § 57 Abs. 1 AVG 1991 die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016, Zl. W186 2127913-1/7E, als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

7.       Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 10.06.2016, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt III.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde verkenne nicht, dass ein Familienleben vorliege, doch aufgrund der Identitätstäuschung und der Verurteilungen sei eine Außerlandesbringung erforderlich, wobei von Seiten des Bundesamtes jedoch bewusst auf die Verhängung eines Einreiseverbotes verzichtet werde, weil die Frau des Beschwerdeführers schwanger und ein Familienleben im Entstehen sei. Durch den Verzicht auf das Einreiseverbot werde dem Beschwerdeführer die legale Rückkehr nach Österreich ermöglicht. Eine Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG sei sohin zulässig. Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG habe zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig sei (§ 58 Abs. 2 AsylG).

8.       Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung am 14.06.2016 fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften.

Der Beschwerdeführer sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und seine Frau werde in Kürze ein gemeinsames Kind zur Welt bringen. Er lebe mit seiner österreichischen Ehegattin in einem gemeinsamen Haushalt, sei ordnungsgemäß gemeldet und führe mit ihr ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Im konkreten Fall würden die Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen vorliegen und erweise sich die Entscheidung als rechtswidrig. Dem Beschwerdeschriftsatz waren aktuelle Meldeauskünfte des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau, eine Kopie der Heiratsurkunde, eine Kopie des Reisepasses der Ehegattin des Beschwerdeführers, deren Mutter-Kind-Pass und eine Kopie ihres Staatsbürgerschaftsnachweises, sowie eine Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers angeschlossen.

9.       Beschwerde und Bezug habender Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 16.06.2016 vorgelegt und der Gerichtsabteilung I410 zugewiesen. Am 21.06.2016 wurden vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht weitere Unterlagen zur Beschwerde eingebracht.

10.      Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.06.2016, Zl. I410 2128132-1/9Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung bis zum Ablauf des 06.07.2016 zuerkannt.

11.      Am 06.07.2016 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, wobei die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen wurde.

12.      Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2016, Zl. I410 2128132-1/11Z, wurde der Beschwerde vom 14.06.2016 gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

13.      Mit Schreiben vom 11.10.2016 übermittelte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine Geburtsurkunde, eine zmr-Abfrage und Fotos der am XXXX geborenen Tochter des Beschwerdeführers. Weiters wurde mitgeteilt, dass die Ehefrau den Familiennamen des Beschwerdeführers angenommen habe und eine entsprechende Beurkundung beigefügt.

14.      Am 03.02.2017 übermittelte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ein am 04.01.2017 mit „sehr gut“ bestandenes ÖSD Zertifikat A2 des Beschwerdeführers.

15.      Mit Schreiben vom 06.07.2017, vom 28.08.2017, sowie vom 14.10.2017 legte die Ehefrau des Beschwerdeführers weitere Fotos und Dokumente vor.

16.      Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.09.2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I410 abgenommen und der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

17.      Mit Schreiben vom 05.10.2017 informierte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers das Bundesverwaltungsgericht über einen am 22.12.2016 an die belangte Behörde gestellten Antrag auf Aufhebung des am 15.02.2010 gegen den Beschwerdeführer erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes.

18.      Mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 07.01.2019, vom 26.03.2019 und vom 14.06.2019 wurden weitere Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer übermittelt.

19.      Am 26.07.2019 wurde das Bundesverwaltungsgericht von der Geburt der am XXXX geborenen Zwillinge des Beschwerdeführers in Kenntnis gesetzt und ein Konvolut an weiteren Unterlagen übermittelt.

20.      Mit Beschluss vom 08.11.2019, Zl. I406 2128132-1/40Z, setzte das Bundesverwaltungsgericht das gegenständliche Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 22.12.2016 auf Aufhebung des gegen ihn am 15.02.2010 erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes aus.

21.      Das Aufenthaltsverbot trat am 18.02.2010 – zehn Jahre nach Eintritt seiner Durchsetzbarkeit – außer Kraft und wurde dies vom BFA im Zuge eines Telefonates am 06.03.2020 bestätigt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1      Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Er ist nigerianischer Staatsbürger, volljährig, verheiratet und Vater von drei Kindern.

Der Beschwerdeführer hält sich seit mindestens März 2007 in Österreich auf und stellte insgesamt zwei Anträge auf internationalen Schutz, wobei er unter verschiedenen Identitäten auftrat.

Er hat zu keinem Zeitpunkt über einen regulären österreichischen Aufenthaltstitel verfügt und war bzw. ist nur während der Dauer seiner Asylverfahren zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15.02.2010, Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Dieses Aufenthaltsverbot war ab dem 18.02.2010 durchsetzbar und verlor am 18.02.2020 seine Gültigkeit.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit, noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. Er ist dadurch auch erwerbsfähig. Der Beschwerdeführer hat in Nigeria die Grundschule und die Mittelschule bis zur fünften Schulstufe besucht. Anschließend hat er als unabhängiger Händler gearbeitet.

Der Beschwerdeführer führt in Österreich ein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben. Er hat am 31.05.2016 in Italien die österreichische Staatsbürgerin C. I. geheiratet und lebt mit dieser seit dem 13.07.2015 im gemeinsamen Haushalt. Sie sind Eltern einer im Juli 2016 geborenen Tochter und von im Juli 2019 geborenen Zwillingen österreichischer Staatsbürgerschaft. Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist bei der XXXX angestellt und derzeit in Karenz.

Der Beschwerdeführer, seine Ehefrau sowie die drei gemeinsamen Kinder führen ein Familienleben.

Der Beschwerdeführer verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse und hat am 04.01.2017 ein ÖSD-Diplom auf dem Niveau A2 absolviert. Er ist seit Jänner 2019 ehrenamtlich bei der XXXX beschäftigt und arbeitet gelegentlich ehrenamtlich für die XXXX . Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und erhält Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer wurde vor der Begründung seines Familienlebens im Bundesgebiet mehrfach straffällig und weist nachstehende strafgerichtliche Verurteilungen auf:

01) LG XXXX XXXX vom 28.09.2007 RK 28.09.2007

PAR 27 ABS 1 U 2/2 (1. FALL) SMG

Datum der (letzten) Tat 04.09.2007

Freiheitsstrafe 9 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 10.02.2011

zu LG XXXX XXXX RK 28.09.2007

Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX XXXX vom 18.01.2008

02) LG XXXX XXXX vom 18.01.2008 RK 18.01.2008

PAR 27 ABS 1/1 27/3 SMG

Freiheitsstrafe 10 Monate

Vollzugsdatum 10.02.2011

zu LG XXXX XXXX RK 18.01.2008

zu LG XXXX XXXX RK 28.09.2007

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 01.12.2008, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 02.09.2008

zu LG XXXX XXXX 18.01.2008

zu LG XXXX XXXX RK 28.09.2007

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX XXXX vom 09.12.2009

03) LG XXXX XXXX vom 09.12.2009 RK 15.12.2009

PAR 27 ABS 1/1 (8. FALL) U ANS 3 SMG

PAR 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 29.10.2009

Freiheitsstrafe 11 Monate

Vollzugsdatum 29.09.2010

04) LG XXXX XXXX vom 08.02.2012 RK 08.02.2012

§ 27 (1) Z 1 8. Fall Abs 3 SMG § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 09.01.2012

Freiheitsstrafe 18 Monate

Vollzugsdatum 09.07.2013

05) LG XXXX XXXX vom 06.11.2014 RK 06.11.2014

§ 27 (1) Z 1 2.8. Fall u (3) SMG § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 11.06.2014

Freiheitsstrafe 10 Monate

Vollzugsdatum 10.04.2015

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, sowie auf dem vorliegenden nigerianischen Reisepass Nr. XXXX .

Die Feststellungen zu den Lebensumständen und persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers stützen sich auf den Akteninhalt, insbesondere auf die Angaben des Beschwerdeführers gegenüber dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht, sowie auf die unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt, sowie zu den beiden negativ entschiedenen Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt und dem am 03.10.2019 erstellten Auszug aus dem zentralen Fremdenregister.

Die Feststellung zu dem gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbot ergibt sich unstrittig aus dem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15.02.2010, Zl. XXXX , (AS 177), sowie dem Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 21.04.2010, Zl. XXXX (AS 226). Aus einer eingeholten izr-Auskunft vom 04.03.2020 geht hervor, dass das Aufenthaltsverbot mittlerweile (in Einklang mit der Rechtsprechung des VwGH – vgl. VwGH 10.04.2014, 2011/22/0333) nach Ablauf von zehn Jahren ab Durchsetzbarkeit, somit dem 18.02.2020, aufgehoben wurde. Dies wurde auch nach entsprechender Rückfrage des Bundesverwaltungsgerichtes von Seiten des BFA am 06.03.2020 telefonisch bestätigt.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand, zur Schulbildung und zur Arbeitserfahrung des Beschwerdeführers in Nigeria gründen sich auf seine eigenen, glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zum bestehenden Familienleben im Bundesgebiet ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht, sowie den vorgelegten Unterlagen. Aus einem Abgleich der eingeholten zmr-Auskünfte seiner Familie ergibt sich die Feststellung zum Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich seinen Lebensunterhalt aus Mitteln der staatlichen Grundversorgung bestreitet, ergibt sich aus einer Abfrage in der Applikation „Betreuungsinformation des Bundes“ (Grundversorgung). Dass seine Lebensgefährtin derzeit in Karenz ist, ergibt sich aus einer Abfrage aus der Sozialversicherungsdatenbank (AJ-Web).

Die Feststellung zu den Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers (Erwerb eines ÖSD-Zertifikats A2 am 04.01.2017, ehrenamtliche Tätigkeiten für die XXXX seit Januar 2019 und gelegentliche Arbeitsleistungen für die XXXX ) ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 04.03.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt I., erster Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

Im Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein „Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (gemeint war wohl eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz") gemäß § 57 Asylgesetz 2005 nicht erteilt werde.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs. 3 AsylG).

Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides):

3.2.1 Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde.

Zu prüfen ist im gegenständlichen Fall, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, oder ob eine Trennung bzw. Fortführung des Familienlebens außerhalb Österreichs, im Heimatstaat des Beschwerdeführers zumutbar ist, respektive ob eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).

Zum Familienleben ist grundsätzlich auszuführen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schützt. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird eine Trennung von einem österreichischen Ehepartner nur dann als gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug". (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271; zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026)

Unbestritten besteht zwischen jedem Elternteil und seinem Kind ein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls schützenswertes familiäres Band. Wie der EGMR in seinem Urteil vom 12.07.2001, Rs 25702/94 in Rz 150 ausführt, bedarf es aber auch hier einer Beurteilung faktischer Umstände ("…the existence or non-existence of "family life" is essentially a question of fact depending upon the real existence in practice of close personal ties").

Es ist auch bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung notwendig, sich mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl auseinanderzusetzen (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0420; 20.9.2017, Ra 2017/19/0163; jeweils mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274; 20.8.2019, Ra 2019/18/0046; jeweils mwN). Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen - etwa nach dem SMG -, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. vgl. VwGH, 28.11.2019, Ra 2019/19/0359 und 0369; VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0174; 26.6.2019, Ra 2019/21/0034; jeweils mit weiteren Hinweisen).

§ 138 ABGB (samt Überschrift) lautet:

"Kindeswohl

§ 138. In allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten, insbesondere der Obsorge und der persönlichen Kontakte, ist das Wohl des Kindes (Kindeswohl) als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten. Wichtige Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls sind insbesondere

1. eine angemessene Versorgung, insbesondere mit Nahrung, medizinischer und sanitärer Betreuung und Wohnraum, sowie eine sorgfältige Erziehung des Kindes;

2. die Fürsorge, Geborgenheit und der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes;

3. die Wertschätzung und Akzeptanz des Kindes durch die Eltern;

4. die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes;

5. die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit zur Meinungsbildung;

6. die Vermeidung der Beeinträchtigung, die das Kind durch die Um- und Durchsetzung einer Maßnahme gegen seinen Willen erleiden könnte;

7. die Vermeidung der Gefahr für das Kind, Übergriffe oder Gewalt selbst zu erleiden oder an wichtigen Bezugspersonen mitzuerleben;

8. die Vermeidung der Gefahr für das Kind, rechtswidrig verbracht oder zurückgehalten zu werden oder sonst zu Schaden zu kommen;

9. verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen;

10. die Vermeidung von Loyalitätskonflikten und Schuldgefühlen des Kindes;

11. die Wahrung der Rechte, Ansprüche und Interessen des Kindes sowie

12. die Lebensverhältnisse des Kindes, seiner Eltern und seiner sonstigen Umgebung."

Dass diese Bestimmung auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, als Orientierungsmaßstab dient, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten (vgl. etwa betreffend das in seinem § 28 Abs. 1 Z 2 ausdrücklich auf das Kindeswohl abstellende Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076; in diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof betont, für die Auslegung der Wendung "wenn es dem Kindeswohl entspricht", ist "der durch das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, neugefasste § 138 ABGB heranzuziehen"). Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0034; 7.3.2019, Ra 2018/21/0141, mwN, insbesondere auch aus der Rechtsprechung des VfGH).

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art. 8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Auswirkungen der Entscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers auf das Familienleben und auf das Kindeswohl etwaiger Kinder des Betroffenen zu erörtern (vgl hiezu VfGH 24.9.2018, E1416/2018; 26.2.2019, E3079/2018; zur Bedeutung der mit einer Trennung des Beschwerdeführers von seinem Kind verbundenen Auswirkungen vgl VfSlg 19.362/2011). Einer mit der Ausweisung verbundenen Trennung von Familienmitgliedern kommt eine entscheidungswesentliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 18.388/2008, 18.389/2008, 18.392/2008). Die Intensität der privaten und familiären Bindungen im Inland ist dabei zu berücksichtigen (VfSlg 18.748/2009).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl 10.730/84 [Z21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl 16.969/90 [Z44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (vgl EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl 23.218/94 [Z32]). Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl VfSlg 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl 12963/87 [Z72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl 17.080/07 [Z81] mwN). Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl VfGH 28.2.2012, B1644/2000 mit Hinweis auf EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl 50.435/99, sowie insbesondere EGMR 28.6.2011, Fall Nunez, Appl 55.597/09; 12.10.2016, E1349/2016).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen (vgl VfSlg 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 9.6.2016, E2617/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 14.3.2018, E3964/2017; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018; 11.6.2018, E435/2018). Der Verfassungsgerichtshof erachtet die Annahme als lebensfremd, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl dazu VfGH 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Im gegenständlichen Fall ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein Familienleben führt:

Er ist seit 2015 in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die er am XXXX 2016 standesamtlich heiratete. Sie haben drei gemeinsame, im Juli 2016 und im Juli 2019 geborene Kinder österreichischer Staatsangehörigkeit. Der Beschwerdeführer ist seit dem 13.07.2015 an derselben Wohnsitzadresse wie seine Ehefrau gemeldet, wo sie mit den drei gemeinsamen Kindern leben.

Eine Fortführung des Familienlebens mit seiner Ehefrau außerhalb Österreichs wird schwer möglich sein, da sie nicht bereit sein wird, mit drei kleinen Kindern ihre Existenz in Österreich aufzugeben. Zu berücksichtigen ist jedoch, da der Beschwerdeführer insgesamt zwei missbräuchliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatte und ihm und seiner Ehefrau beim Eingehen der Beziehung die Unsicherheit seines Aufenthaltes in Österreich bewusst war. In solchen Konstellationen wiegt das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders schwer, zumal von den Beteiligten zu keiner Zeit von einem (rechtmäßigen) Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich hätte ausgegangen werden dürfen (VwGH, 23.02.2017, Ra 2016/21/0235).

Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung ist es notwendig, sich mit dem Kindeswohl sowie mit den Auswirkungen der Trennung des Beschwerdeführers von seinen drei in Österreich lebenden Kindern auseinanderzusetzen. § 138 Z 9 ABGB sieht „verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen“ als eine Komponente des Kindeswohls. Die nunmehr dreieinhalbjährige Tochter des Beschwerdeführers und die vor rund acht Monaten geborenen Zwillinge sind mit dem Beschwerdeführer als Vater aufgewachsen. Es besteht ein gemeinsamer Haushalt und der Beschwerdeführer nimmt laut Aussagen seiner Ehefrau eine aktive Rolle im Leben seiner Kinder ein. Es liegt eine außergewöhnliche und intensive Betreuung seiner Kinder durch den Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer, der seit ihrer Geburt mit seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt lebt, stellt eine wichtige Bezugsperson in ihrer derzeit (klein-)kindlichen Entwicklung dar und bildet damit ebenso einen wesentlichen Teil ihres Alltags. Seine Ehefrau konnte glaubhaft darlegen, dass er seinen Pflichten bei der Erziehung und Beaufsichtigung der Kinder in einem entscheidungsrelevanten Ausmaß nachkommt. Die Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens in Nigeria erscheint der Familie, auch aus Sicht des Kindeswohls, nicht zumutbar, handelt es sich doch bei allen drei Kindern um österreichische Staatsbürger ohne Verbindung nach Nigeria. Eine Trennung hätte im gegenständlichen Fall massive Auswirkungen auf das Kindeswohl, da eine Kommunikation über Medien keinen hinreichenden Ersatz für die Fortführung der Beziehung darstellt. Die Familie befindet sich auch in einer schwierigen finanziellen Situation, die Mutter der Kinder bezieht derzeit Karenzgeld. Zwar hat sie zuvor EUR 2.916,40 monatlich brutto ins Verdienen gebracht, doch ist nicht davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr ihres Ehemannes nach Nigeria als alleinerziehende Mutter nach Ende der Karenzzeit wieder eine Vollzeitbeschäftigung aufnehmen könnte. Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbewilligung „Familienangehöriger“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz wären daher in mittelbarer Zukunft wohl nur schwer zu erfüllen, ebenso wie die Möglichkeit gegenseitiger Besuche dadurch gemindert wäre. Demgegenüber ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei Erteilung einer Arbeitserlaubnis zum Familieneinkommen und damit auch zum Wohl der Kinder beitragen wird können. Solange er selbst aufgrund des Fehlens eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“ nur eingeschränkt zum Arbeitsmarkt zugelassen ist, sollte es dem Beschwerdeführer jedenfalls möglich sein, seine Ehefrau durch das Versorgen der Kinder zu unterstützen und ihr so einen neuerlichen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch die Ausweisung des Vaters zu einer Traumatisierung der Kinder kommen wird, bzw. würde durch eine Ausweisung ein zweifellos enges Familienband zerrissen (siehe dazu auch EGMR Urteil vom 2.4.2015, Sarközi und Mahran gegen Österreich). Das verfahrensgegenständliche Familienleben weist zweifelsfrei die erforderliche Intensität im Sinne des Art 8 EMRK auf.

Zu berücksichtigen sind jedoch auch die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, der in den Jahren2007 bis 2014 insgesamt fünf Mal wegen – auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden – Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz verurteilt wurde. Die belangte Behörde betonte im angefochtenen Bescheid zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten hat, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH, 10.09.2018, Ra 2018/19/0169; 23.02.2016, Ra 2015/01/0249).

Entsprechend wurde wiederholt die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes oder eines mit einer Rückkehrentscheidung verbundenen Einreiseverbotes trotz langen Aufenthaltes in Österreich und/oder einem bestehenden Familienleben als gerechtfertigt beurteilt. So wurde etwa die Trennung von seinem kleinen Sohn und seiner österreichischen Lebensgefährtin trotz eines langjährigen Aufenthaltes in Österreich im Falle eines marokkanischen Staatsbürgers als vertretbar gesehen, nachdem dieser mehrfach straffällig geworden und zuletzt unter anderem wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt worden war (VwGH, 03.07.2018, Ra 2018 21 0050-6). Ebenso wurde die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes trotz einer vollkommenen sozialen Integration und eines fünfzehnjährigen Inlandsaufenthaltes für gerechtfertigt erachtet, nachdem wegen Suchtgifthandels eine dreijährige Freiheitsstrafe verhängt worden war (VwGH, 03.07.2018, Ra 2018 21 0066).

Von diesen "eindeutigen Fällen" (so der VwGH, 03.07.2018, Ra 2018 21 0066) ist aber der gegenständliche Fall zu unterscheiden: Der Beschwerdeführer wurde zwar wegen Vergehen gegen das Suchtmittelgesetz verurteilt, allerdings nicht wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels. Auch wurde keine mehrjährige Haftstrafe verhängt. Die letzte Tatbegehung bzw. Verurteilung liegt mittlerweile rund fünfeinhalb Jahre zurück.

Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. dazu beispielsweise VwGH, 15.09.2016, Ra 2016/21/0262, Rn. 7; VwGH, 25.01.2018, Ra 2018/21/0004, Rn. 8; VwGH, 26.04.2018, Ra 2018/21/0044, Rn. 7, und VwGH, 03.07.2018, Ra 2018/21/0050, Rn. 10, jeweils mwN). So wurde etwa in Anbetracht der zuvor erfolgten häufigen Rückfälle eine dreijährige Zeit des Wohlverhaltens seit der letzten Haftentlassung als zu kurz angesehen, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der Gefährdung annehmen zu können (vgl. VwGH, 20.12.2018, Ra 2018/21/0224). Im Fall des Beschwerdeführers liegt die letzte Verurteilung jedoch mittlerweile fünfeinhalb Jahre zurück und die letzte Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten wurde am 10.04.2015 vollzogen - somit vor fünf Jahren. Seither hat sich der Beschwerdeführer wohl verhalten und auch das gegen ihn im Jahr 2010 erlassene Aufenthaltsverbot ist mittlerweile nicht mehr gültig.

Durch seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und seine Vaterschaft zu drei österreichischen Kindern hat sich der Beschwerdeführer in Österreich verankert. Es ist auch eindeutig erkennbar, dass sich der Beschwerdeführer seit Eingehen der Beziehung mit seiner Ehefrau wohl verhalten hat und das bestehende Familienleben einen stabilisierenden Einfluss auf ihn hatte.

Unter Berücksichtigung der dem Beschwerdeführer - im Rahmen dieses Verfahrens - konkret vor Augen geführten Konsequenzen seines Handelns (Ausspruch fremdenrechtlicher Sanktionen seitens des BFA) und der damit einhergehenden Einsicht und Erkennens der Gefährdung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und Sicherstellung seiner - notwendigen - Unterstützung durch seine Familienmitglieder, kann der getätigten Reue des Beschwerdeführers Glauben geschenkt werden, sodass ihm eine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann.

Daher kann von einem Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgegangen werden.

Die Gesamtschau der zu berücksichtigenden Faktoren ergibt daher, dass – trotz der erheblichen öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen – die Interessensabwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfällt, dies vor allem angesichts des intensiven, dauerhaften Familienlebens, der Interessen seiner Kinders und seiner Ehefrau und auch seiner Integration, belegt durch seine Deutschkenntnisse und seine Arbeitswilligkeit.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I., zweiter Spruchteil des angefochtenen Bescheides war somit stattzugeben und festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

3.2.2   Es ist daher nach § 58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zu prüfen.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt gemäß Abs. 2 leg. cit. nur die die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" und eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ die Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs. 1 AsylG kumulativ vorliegen müssen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung deren Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, sondern auch, ob der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1), einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitelt "Rot-Weiß-Rot Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

§ 11 Abs. 2 Integrationsgesetz lautet:

Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolgt ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

Die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG lautet:

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

Die weiteren maßgeblichen Bestimmungen des NAG (idF vor BGBl I. Nr. 68/2017) lauten:

Modul 1 der Integrationsvereinbarung

Gemäß § 14a Abs. 1 erster Satz NAG sind Drittstaatsangehörige mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1, Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 [= Kenntnisse der deutschen Sprache zur vertiefenden elementaren Sprachverwendung] vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.

Der Aufenthaltstitel "“Aufenthaltsberechtigung“ unterscheidet sich von der „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs. 1 AsylG nur in Bezug auf die Berechtigung zur Ausübung von Erwerbstätigkeiten, und zwar dahin, dass die "Aufenthaltsberechtigung" insoweit weniger Rechte einräumt.

Statt wie bei der „Aufenthaltsberechtigung plus“, die einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt iSd § 17 AuslBG vermittelt, besteht nämlich für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das Erfordernis einer Berechtigung nach dem AuslBG.

Im gegenständlichen Fall bedeutet dies:

Der Beschwerdeführer verfügt über ein Deutsch Zertifikat A2 des ÖSD, ausgestellt am 04.01.2017, weshalb er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetz BGBl. Nr. 68/2017 erfüllt hat.

Gemäß der zitierten Übergangsbestimmung ist die mangelnde Absolvierung eines Wertekurses gemäß § 11 Abs. 2 IntG als Nachweis, dass der Beschwerdeführer mit den Werten der Republik Österreich in Kenntnis und verbunden ist, nicht maßgeblich für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 AsylG Abs. 1, soweit er die Voraussetzungen des Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG idF vor dem BGBl. I Nr. 68/2017, vor dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens erfüllt hat.

Der Beschwerdeführer erfüllt somit auch ohne Vorlage eines Nachweises über die Absolvierung eines Wertekurses über die Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich bzw. nur mittels Vorlage seines Sprachzertifikates auf dem Niveau A2 die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und der Vorlage des Zertifikats A2 gegeben sind, war dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" zu gewähren.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher - unter der Voraussetzung der Erfüllung der allgemeinen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 58 Abs. 11 AsylG - dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel im Sinne des § 58 Abs. 4 AsylG auszufolgen haben.

Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

3.3 Zu Spruchpunkten II., III. und IV.

Angesichts des erteilten Aufenthaltstitels können die weiteren durch die belangte Behörde getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers keinen Bestand haben und war sohin spruchgemäß zu entscheiden. Aufgrund der auf Dauer unzulässigen Rückkehrentscheidung und des erteilten Aufenthaltstitels liegt die Voraussetzung für eine Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht mehr vor.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung berücksichtigungswürdige Gründe ersatzlose Teilbehebung Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Kassation Kindeswohl mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung strafgerichtliche Verurteilung strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I406.2128132.1.00

Im RIS seit

15.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten