Entscheidungsdatum
05.08.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L503 2163148-1/26E
L503 2163150-1/21E
L503 2163152-1/7E
L503 2163155-1/7E
Gekürzte Ausfertigung des am 20.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt (Spruchteil I.) bzw. erkennt (Spruchteil II.) durch den Richter Dr. DIEHSBACHER über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , alle StA. IRAK, vertreten durch RA MMag. HERZOG, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2017, Zl. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.07.2020:
I. Die Beschwerdeverfahren werden hinsichtlich der jeweiligen Spruchpunkte I. und II. der bekämpften Bescheide eingestellt.
II. 1. Den Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und werden die angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass die Spruchpunkte III. zu lauten haben:
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 9 Abs 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig.
Gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
Gemäß § 55 Abs 1 und 2 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
2. Die Spruchpunkte IV. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Gemäß § 29 Abs 5 VwGVG kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn von den Parteien auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt wird. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.
2. Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 20.07.2020 verkündeten Beschlusses bzw. Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs 5 VwGVG, da die (anwaltlich vertretenen) Beschwerdeführer nach mündlicher Verkündung des Beschlusses bzw. Erkenntnisses auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ausdrücklich verzichtet haben und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht gestellt hat.
3. Im Hinblick auf die wesentlichen Entscheidungsgründe zu Spruchteil I. ist auszuführen, dass die Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung – im Wege ihres Vertreters – ausdrücklich und unmissverständlich erklärt haben, die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der bekämpften Bescheide zurückzuziehen. Die Zurückziehung der Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. bewirkt, dass die Spruchpunkte I. und II. der bekämpften Bescheide in Rechtskraft erwachsen sind, weshalb die Beschwerdeverfahren diesbezüglich einzustellen sind.
4. Im Hinblick auf die wesentlichen Entscheidungsgründe zu Spruchteil II. ist auszuführen, dass im gegenständlichen Fall eine Abwägung der privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich im Sinne von Art 8 EMRK mit den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung entscheidungswesentlich ist. Trotz der erst knapp fünfjährigen Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich ist hier insgesamt von einer außergewöhnlichen Integration auszugehen:
Was zunächst XXXX anbelangt, so hat dieser – trotz seiner 80%-Behinderung (er hört praktisch nichts) – während der Wintersaison 2018/2019 und 2019/2020 mit entsprechenden Beschäftigungsbewilligungen vollversicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt und vermochte er glaubhaft darzulegen, dass dies das Maximum dessen ist, was rechtlich möglich war; zuvor hatte er bereits gemeinnützige Tätigkeiten durchgeführt. Auch insgesamt bestehen keinerlei Zweifel an der Arbeitswilligkeit – und trotz Behinderung – Arbeitsfähigkeit. In dieses Bild fügen sich auch die vorgelegten Dienstzeugnisse und zahlreichen Empfehlungsschreiben. Es bestehen keine Zweifel daran, dass XXXX bei Vorliegen der entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten einer Erwerbstätigkeit gänzlich selbsterhaltungsfähig sein wird.
Frau XXXX hat in der Verhandlung bereits insofern überrascht, als sie perfekt Deutsch – und zwar praktisch akzentfrei und somit tatsächlich weit über das (belegte) Niveau B1 hinaus - spricht. Während ihrer Befragung war der Dolmetscher nur zur Sicherheit anwesend. Ihr Bemühen um Integration und Bildung trat auch deutlich mit dem hier in Österreich erfolgreich getätigten Pflichtschulabschluss zutage und machte sie den Eindruck einer äußerst interessierten und fleißigen jungen Frau, die in ihrer Heimatgemeinde offensichtlich bestens integriert ist. Auch ihre Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit stehen nach dem in der Beschwerdeverhandlung gewonnen Eindruck außer Frage und bestehen auch keine Zweifel daran, dass sie – insbesondere auch aufgrund ihrer guten Vernetzung in der Gemeinde – zügig eine Beschäftigung finden wird können und nicht auf Sozialleistungen angewiesen ist.
Zu alldem kommt noch hinzu, dass das ältere – knapp 6-jährige Kind (die Tochter XXXX ) – zwar im Irak geboren wurde, de facto jedoch ihr ganzes Leben in Österreich verbracht hat. Wenngleich nicht verkannt wird, dass Kinder entsprechend anpassungsfähig sind, so muss doch angemerkt werden, dass ihre Mutter glaubhaft angab, dass ihre Tochter grundsätzlich nur Deutsch spricht und sie mit ihr Arabisch eigens „lernen“ müsse, damit diese überhaupt grundlegende Kenntnisse dieser Sprache hat.
In einer Gesamtschau überwiegen gegenständlich die privaten und familiären Interessen an einem Verbleib in Österreich, sodass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
Frau XXXX war der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, zumal sie das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat (dieses gilt gemäß § 10 Abs 2 Z 5 Integrationsgesetz unter anderem dann als erfüllt, wenn eine positive Beurteilung im Prüfungsgebiet „Deutsch-Kommunikation und Gesellschaft“ im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung nachgewiesen wird – dies konnte sie durch Vorlage des Prüfungszeugnisses über die Pflichtschulabschlussprüfung belegen). Den übrigen Familienmitgliedern war in Ermangelung der Voraussetzungen nach § 55 Abs 1 Z 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
Die Spruchpunkte IV. der Bescheide (Frist für freiwillige Ausreise) hatten vor diesem Hintergrund zu entfallen.
5. Da keine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und keine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mehr möglich ist (§ 25a Abs 4a VwGG bzw. § 82 Abs 3b VfGG), wurde im Sinne der Rechtsklarheit der in der mündlichen Verkündung erfolgte Ausspruch über die Nichtzulässigkeit der Revision nicht in die gekürzte Ausfertigung übernommen (vgl Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, K 39 zu § 29).
Schlagworte
Arbeitsfähigkeit Arbeitswilligkeit Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse ersatzlose Teilbehebung Familienverfahren gekürzte Ausfertigung Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Schulabschluss Teileinstellung ZurückziehungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L503.2163148.1.00Im RIS seit
08.03.2021Zuletzt aktualisiert am
08.03.2021