Entscheidungsdatum
02.10.2020Norm
AsylG 2005 §55Spruch
L524 2173237-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch RA MMag. Simon HERZOG, Strubergasse 9, 5700 Zell am See, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2020, Zl. 1087970705/200532412, betreffend Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Am 26.06.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Er gab er an, dass er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfülle. Seit September 2015 sei er durchgehend in Österreich aufhältig, habe gute Deutschkenntnisse, lebe seit Oktober 2019 bei seiner Freundin, habe in Österreich zeitweilig als Koch gearbeitet, sei im Fußballverein aktiv und verfüge über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag. Dem Antrag wurden diverse Bestätigungen, Zeugnisse und Empfehlungsschreiben beigelegt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.07.2020 zur Abgabe einer Stellungnahme auf. Dem kam der Beschwerdeführer nicht nach.
Mit Bescheid des BFA vom 23.07.2020, Zl. 1087970705/200532412, wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass zwischen der Bescheiderlassung und der Rückkehrentscheidung, die seit 04.07.2020 rechtskräftig sei, nur ein kurzer Zeitraum liege, so dass sich der Inlandsaufenthalt nicht wesentlich verlängert habe. Durch den arbeitsrechtlichen Vorvertrag sei keine maßgebliche Sachverhaltsänderung dargetan worden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, dass als Zeitpunkt für eine Sachverhaltsänderung nicht der Bescheid der belangten Behörde vom 04.07.2020 heranzuziehen sei, sondern das davor ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019, I413 2173237-1/14E. Seither sei eine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten. Die Bestätigung eines Fußballvereins, die Erklärung der Freundin des Beschwerdeführers und der arbeitsrechtliche Vorvertrag seien neue Fakten. Die Freundin des Beschwerdeführers unterstütze diesen finanziell und menschlich, so dass schon aus diesem Grund von einer geänderten Sachlage auszugehen sei. Der Beschwerdeführer könne auch bei der Gemeinde XXXX zu arbeiten beginnen (wofür allerdings keinerlei Bestätigung vorgelegt wurde) und engagiere sich seit 17.08.2020 ehrenamtlich bei der XXXX .
II. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und stellte am 18.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 55 und § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Weiters wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, die Abschiebung in den Irak für zulässig erklärt und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019, I413 2173237-1/14E, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.10.2019, Ra 2019/18/0399, wurde die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 05.03.2020, E 3512/2019, wurde die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde abgelehnt.
Das BFA führte im Hinblick auf die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots ein Ermittlungsverfahren, in dessen Rahmen der Beschwerdeführer über seinen rechtsfreundlichen Vertreter am 07.05.2020 eine Stellungnahme abgab. Er legte u.a. einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 30.10.2019 vor.
Mit Bescheid des BFA vom 02.06.2020, Zl. 1087970705/190970065, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid erwuchs am 04.07.2020 in Rechtskraft.
Am 26.06.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK.
Nach Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019 hat der Beschwerdeführer am 28.09.2019 das ÖSD Zertifikat A2 (Modul mündliche Prüfung) „sehr gut bestanden“. Am 20.05.2020 hat der Beschwerdeführer das ÖSD Zertifikat A2 (Modul schriftliche Prüfung) „gut bestanden“. Der Beschwerdeführer verfügt über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 13.06.2020, die Bestätigung eines Fußballvereins vom 10.09.2019, dessen Mitglied er ist, die Erklärung seiner Freundin vom 10.09.2019, dass sie sehr viel Zeit mit dem Beschwerdeführer verbringt und Empfehlungsschreiben vom September 2019.
In der Beschwerde verweist der Beschwerdeführer auf eine – unbelegt gebliebene – Zusage der Gemeinde XXXX vom 10.08.2020, wonach er für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels dort arbeiten könne und eine seit 17.08.2020 bestehende ehrenamtliche Tätigkeit bei der XXXX .
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, den Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes sowie dem Bescheid des BFA vom 02.06.2020 und der Stellungnahme vom 07.05.2020.
Die Feststellungen zu den ÖSD-Zertifikaten ergeben sich aus den diesbezüglichen Bestätigungen. Die Feststellungen zum arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 13.06.2020, zur Bestätigung eines Fußballvereins vom 10.09.2019, zur Erklärung seiner Freundin vom 10.09.2019 und zu den Empfehlungsschreiben vom September 2019 ergeben sich aus den diesbezüglichen Schreiben und Bestätigungen.
In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass er bei der Gemeinde XXXX zu arbeiten beginnen könne, legte dafür aber keine Vereinbarung oder Bestätigung vor. Die Feststellung zur ehrenamtlichen Tätigkeit bei der XXXX ergibt sich aus der mit der Beschwerde vorgelegten Bestätigung.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) lauten:
Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
Antragstellung und amtswegiges Verfahren
§ 58. (1) – (4) […]
(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.
(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(9) […]
(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(11) – (12) [..]
(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.
(14) […]
§ 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:
§ 9. (1) […]
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) - (6) […]
2. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid das Vorliegen der Voraussetzungen der Zurückweisung des gegenständlichen Antrags auf Grund des § 58 Abs. 10 erster Satz AsylG mit der von ihr vertretenen Ansicht bejaht, dass gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich mache, nicht hervorgehe.
Dieser Ansicht der belangten Behörde ist aus folgenden Gründen beizutreten:
Auszugehen ist von § 58 Abs. 10 erster Satz AsylG, wonach Anträge gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 58, K13).
Die ErläutRV (1803 BlgNR 24. GP 50) legen dazu dar:
„Der neue (Abs. 10) entspricht im Wesentlichen § 44b NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011. Mit der Neuerrichtung des Bundesamtes und der damit einhergehenden Verfahrensvereinfachung und organisatorischen Umstrukturierung ist die Einbindung der zuständigen Sicherheitsdirektion entfallen. Die Beurteilung bzw. Prüfung erfolgt nun durch das Bundesamt. Dementsprechend sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes hat sich lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – im Rahmen einer Neubewertung – wenn ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird.“
Es hat also im Rahmen des Verfahrens nach § 55 AsylG eine Neubewertung einer Rückkehrentscheidung nur bei einem geänderten Sachverhalt zu erfolgen, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, wobei sich diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen hat (vgl. VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037).
Gemäß diesen Ausführungen ist die maßgebliche zu klärende Rechtsfrage daher jene, ob nach der rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung aus dem begründeten Antragsvorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, hervorgeht. Die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung ist nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Bei dieser Prognose sind die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände jedenfalls soweit einzubeziehen, als zu beurteilen ist, ob es angesichts dieser Umstände nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, dass im Hinblick auf früher maßgebliche Erwägungen eine andere Beurteilung nach Art. 8 EMRK unter Bedachtnahme auf den gesamten vorliegenden Sachverhalt nunmehr geboten sein könnte. Eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK muss sich zumindest als möglich darstellen (vgl. VwGH, 03.10.2013, 2012/22/0068).
Nach der Rechtsprechung liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der neu vorgebrachte Sachverhalt konkret dazu führt, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt ist vielmehr schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. in dem Sinn etwa VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0356). Maßgeblich für die Prüfung sind jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362).
3. Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, dass im Hinblick auf die Beurteilung, ob ein geänderter Sachverhalt vorliegt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, auf die mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019, I413 2173237-1/14E, erlassene und rechtskräftige Rückkehrentscheidung abzustellen sei. Das BFA stellte dagegen auf die mit Bescheid vom 02.06.2020 erlassene und seit 04.07.2020 rechtskräftige Rückkehrentscheidung ab.
Nachdem der Beschwerdeführer trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung vom 06.08.2019 seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkam, prüfte das BFA die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot. Mit Bescheid des BFA vom 02.06.2020 wurde die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG inhaltlich geprüft und bejaht. Der dieser Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt dient daher als Vergleichsmaßstab, ob gegenständlich von einem maßgeblich (oder nicht maßgeblich) geänderten Sachverhalt auszugehen ist und daher die Antragszurückweisung zu Unrecht (oder zu Recht) erfolgt ist.
Die inhaltliche Neubewertung des Sachverhalts hat sich daher auf den Zeitraum zwischen der Entscheidung nach dem FPG vom 02.06.2020 (rechtskräftig seit 04.07.2020) bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels, also den 23.07.2020, zu beziehen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037).
Der Beschwerdeführer machte als neue Umstände das Vorliegen eines arbeitsrechtlichen Vorvertrags vom 13.06.2020, die Bestätigung eines Fußballvereins vom 10.09.2019, dessen Mitglied er ist, und die Erklärung seiner Freundin vom 10.09.2019, wonach sie viel Zeit mit dem Beschwerdeführer verbringe, geltend. Die Freundin unterstütze den Beschwerdeführer auch finanziell und menschlich. Außerdem verweist der Beschwerdeführer auf eine unbelegt gebliebene Zusage der Gemeinde XXXX vom 10.08.2020, wonach er für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels dort arbeiten könne und eine seit 17.08.2020 bestehende ehrenamtliche Tätigkeit bei der XXXX .
Die Bestätigung eines Fußballvereins vom 10.09.2019, die Erklärung der Freundin des Beschwerdeführers vom 10.09.2019, die Empfehlungsschreiben vom September 2019 und das ÖSD Zertifikat A2 haben bereits vor Erlassung der (neuerlichen) Rückkehrentscheidung (samt befristetem Einreiseverbot) vom 02.06.2020 bestanden. Es handelt sich daher um keine neuen Umstände.
Der arbeitsrechtliche Vorvertrag stellt für sich genommen keine solche maßgebliche Änderung der Sachlage seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung dar, dass dies im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine potentiell andere Beurteilung des Antrages ermöglichen würde (vgl. VwGH 29.05.2013, 2011/22/0013; 13.10.2011, 2011/22/0065). Zudem legte der Beschwerdeführer schon im Verfahren zur Erlassung einer (neuerlichen) Rückkehrentscheidung (samt befristetem Einreiseverbot) einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag (vom 30.10.2019) vor.
Der Beschwerdeführer hält sich seit September 2015 in Österreich auf. Zuletzt wurde gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 02.06.2020, rechtskräftig seit 04.07.2020, eine Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot erlassen. Gegenüber dem Zeitpunkt dieser rechtskräftigen Rückkehrentscheidung verlängerte sich der Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers – durch den (illegalen) Verbleib im Bundesgebiet – lediglich um ca. zwei Monate. Auch unter Berücksichtigung dieser Zeitspanne kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, dass keine maßgebliche Sachverhaltsänderung vorgelegen ist, die geeignet wäre, im Hinblick auf die nach Art. 8 EMRK vorzunehmende Beurteilung zu einem anderen Ergebnis zu führen (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362; 11.11.2013, 2013/22/0217; 29.05.2013, 2011/22/0013).
Insgesamt stellen der Zeitablauf von ca. zwei Monaten zwischen der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und der erstinstanzlichen Zurückweisung des gegenständlichen Antrags und der arbeitsrechtliche Vorvertrag keine Sachverhaltsänderung dar, die eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich machen (vgl. VwGH 27.01.2015, Ra 2014/22/0094).
Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde darauf verweist, dass er am 10.08.2020 bei der Gemeinde XXXX gewesen sei und ihm für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels eine Arbeit in Aussicht gestellt worden sei (was der Beschwerdeführer allerdings durch keine entsprechende Vereinbarung oder Bestätigung belegen konnte und daher schon aus diesem Grund irrelevant ist) und er sich seit 17.08.2020 bei der XXXX ehrenamtlich betätige, ist festzuhalten, dass für die Prüfung, ob ein maßgeblich geänderter Sachverhalt vorliege, jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362). Die in der Beschwerde vorgebrachten Umstände ereigneten sich erst nach der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und sind daher für das gegenständliche Verfahren ohne Belang.
Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückzuweisen war. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Absehen von einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.
In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichtes, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen. Dieses Ermessen ist jedenfalls im Licht des Art. 6 EMRK – sowie des Art. 47 GRC – zu handhaben (vgl. VwGH 18.5.2017, Ra 2017/20/0118, Rn. 12; darauf verweisend aus jüngerer Zeit etwa VwGH 30.11.2018, Ra 2018/20/0526, Rn. 9).
Der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag war zurückzuweisen. Eine mündliche Verhandlung konnte daher entfallen. Es ist nicht ersichtlich, dass eine mündliche Verhandlung in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens dennoch geboten gewesen wäre. Im Übrigen wurden die behaupteten Umstände für eine vertiefte sprachliche und soziale Integration ohnehin der Entscheidung zu Grunde gelegt, so dass insoweit kein ungeklärter Sachverhalt vorlag (vgl. zum Absehen einer mündlichen Verhandlung in einer solchen Konstellation VwGH 26.06.2020, Ra 2017/22/0183).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.
Schlagworte
Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK aufrechte Rückkehrentscheidung Identität der SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L524.2173237.2.00Im RIS seit
05.03.2021Zuletzt aktualisiert am
05.03.2021