TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/8 L502 2231972-1

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Entscheidungsdatum

08.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L502 2231972-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX vom Verein XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2020, FZ. 720080205-180521374, beschlossen und zu Recht erkannt:

A)

1. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I wird der Bescheid in diesem Umfang aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

2. Die Spruchpunkte II, IV, V und VI werden aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 05.06.2018 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 05.06.2018 erfolgte seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, bei der er seinen Personalausweis als Identitätsnachweis vorlegte.

3. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.06.2018 wurde ihm aufgetragen in einem ihm genannten Quartier durchgehend Unterkunft zu nehmen.

4. Am 02.07.2018 langt eine Mitteilung nach dem Schengener-Informationssystem beim BFA ein, der zufolge er in Griechenland am 19.02.2018 beim illegalen Grenzübertritt aus der Türkei kommend festgenommen wurde und dabei einen Asylantrag stellte, wobei er im Besitz seines türkischen Reisepasses war.

5. Einem Untersuchungsbericht vom 20.08.2018 folgend wurde das Identitätsdokument des BF als unverfälscht qualifiziert.

6. Am 05.11.2018 erfolgte beim BFA seine niederschriftliche Einvernahme, bei der er ein Konvolut an türkischen Gerichtsunterlagen als Beweismittel vorlegte.

7. Am 21.11.2018 veranlasste das BFA eine Übersetzung dieser Beweismittel in die deutsche Sprache, die am 10.01.2019 dort einlangte.

8. Am 15.05.2019 langte beim BFA ein internationales Fahndungsersuchen der Interpol Ankara zum Strafantritt des BF in der Türkei ein.

9. Am 27.05.2019 wurde er beim BFA zu seinem Antrag auf internationalen Schutz ergänzend niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er einen Parteiausweis als Beweismittel vor.

10. Eine Anfrage des BFA an das Landesamt für Verfassungsschutz Wien vom 18.07.2019 wurde mit Bericht an das BFA vom 05.08.2019 beantwortet.

11. Im Zusammenhang mit einem Auslieferungsersuchen der türkischen Behörden übermittelte das BFA am 31.07.2019 die vom BF als Beweismittel vorgelegten Gerichtsunterlagen an das zuständige Straflandesgericht.

12. Mit Bescheid des BFA vom 14.08.2019 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Ziffer 2 iVm § 2 Ziffer 13 und § 6 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI).

13. Gegen den mit 19.08.2019 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 04.09.2019 innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

12. Er wurde am 30.08.2019 aus der Auslieferungshaft gegen gelindere Mittel entlassen, die wiederum am 25.09.2019 aufgehoben wurden.

13. Mit 20.09.2019 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.


14. Dem Ersuchen des BVwG vom 25.10.2019 folgend langte am 05.11.2019 der Beschluss des Straflandesgerichts ein, mit dem seine Auslieferung in die Türkei mangels von den türkischen Behörden fristgerecht vorgelegter Verfahrensunterlagen für unzulässig erklärt wurde.


15. Mit Erkenntnis des BVwG vom 02.03.2020 wurde die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen, die übrigen Spruchpunkte des Bescheides aufgehoben und gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverwiesen.

16. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 17.03.2020 wurde sein Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt I). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V).

17. Gegen den mit 25.03.2020 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 27.05.2020 innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

18. Mit 16.06.2020 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

19. Das BVwG erstellte Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des IZR, des Melde- sowie des Strafregisters.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist türkischer Staatangehöriger, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und alevitischen Glaubens. Er ist verwitwet und hat drei Kinder aus einer früheren Ehe. Er stammt aus der Provinz XXXX , im Alter von acht Jahren verlegte er seinen ständigen Wohnsitz nach XXXX .

Sein Vater und seine erwachsenen Söhne sind weiterhin in XXXX wohnhaft, während drei Geschwister und ein Cousin von ihm in Österreich leben.

Er war in der Türkei bis zur jüngsten Ausreise als Bauarbeiter und Maler erwerbstätig.

Er stellte am 09.01.2002 in Österreich einen (ersten) Asylantrag, der am 28.02.2004 rechtskräftig abgewiesen wurde, zugleich wurde seine Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt. Er kehrte zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt in die Türkei zurück und hielt sich bis zur neuerlichen Ausreise im Jahr 2018 wieder in XXXX auf.

Er reiste am 19.02.2018 aus der Türkei kommend nach Griechenland ein, wo er beim illegalen Grenzübertritt festgenommen wurde und einen Asylantrag stellte, wobei er im Besitz seines türkischen Reisepasses war. Nach seiner Freilassung gelangte er auf unbekannte Weise nach Österreich, wo er nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 05.06.2018 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.

Er bezieht seit der Einreise nach Österreich im Juni 2018, mit Ausnahme seiner Anhaltung in der Auslieferungshaft von Juni bis August 2019, Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und hat seinen ordentlichen Wohnsitz bei seinem Cousin.

Er ist in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen, ist jedoch erwerbsfähig.

Er spricht Türkisch und verfügt über keine maßgeblichen Deutschkenntnisse.

Er leidet an Epilepsie, Dyssomnie und einer Depression.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Er wurde mit Urteil der XXXX vom XXXX wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung DHKP/C zu einer XXXX verurteilt. Dieses Urteil wurde nach der Abweisung der dagegen von ihm erhobenen Berufung mit XXXX rechtskräftig.

Er wurde mit Urteil der XXXX vom XXXX von den Vorwürfen der Beschädigung von öffentlichem Eigentum, der Propaganda für eine Terrorvereinigung, des Widerstands gegen die Staatsgewalt und der Verhinderung der Ausübung des Dienstes (gemeint: von Polizeibeamten) freigesprochen. Gegen dieses Urteil wurde von der Oberstaatsanwaltschaft XXXX mit 10.04.2017 Berufung eingelegt.

Einem Auslieferungsersuchen der türkischen Behörden zum Strafantritt in der Türkei vom Mai 2019 folgend wurde seine Auslieferung mit Beschluss des zuständigen Straflandesgerichts vom November 2019 mangels fristgerechter Vorlage der verlangten Verfahrensunterlagen durch die türkischen Behörden für unzulässig erklärt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt sowie durch die Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF, seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts zu treffen.

2.3. Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand gründen sich auf seine eigenen Aussagen und einen vom ihm vorgelegten fachärztlichen Befund. Hinsichtlich der Frage nach einer möglichen schweren Erkrankung des BF war darauf abzustellen, dass er bei der Erstbefragung angab, gesund zu sein und keine Medikamente zu benötigen. Seine spätere Aussage, er sei Epileptiker, unterstrich er mit der Vorlage eines neurologischen Befundes vom 13.09.2018, dem die oben festgestellte ärztliche Diagnose zu entnehmen war, weshalb diese auch der gg. Entscheidung zugrunde zu legen war.

Darüber hinaus trug er nie vor, keine hinreichende medizinische Behandlung erhalten zu haben oder eine solche pro futuro nicht erhalten zu können.

Die Feststellungen zu seinen strafgerichtlichen Verfahren in der Türkei gründen sich auf die im Akt einliegenden Übersetzungen der von ihm vorgelegten Verfahrensunterlagen.

Die Feststellungen zum Auslieferungsverfahren in Österreich ergaben sich ebenso aus dem vorgelegten Verfahrensakt, ergänzt durch den vom BVwG eingeholten Beschluss des zuständigen Straflandesgerichts über die Feststellung der Unzulässigkeit seiner Auslieferung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 53/2019.

Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-VG obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheides des Bundesamtes.

Zu A)

1.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Angesichts des im Wesentlichen identen Regelungsinhalts des bis 31.12.2005 in Kraft stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 1997 im Verhältnis zum nunmehr in Geltung stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 2005 – abgesehen vom im letzten Halbsatz des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nunmehr enthaltenen zusätzlichen Verweis auf eine eventuelle ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als weitere mögliche Bedingung für eine Gewährung subsidiären Schutzes – lässt sich auch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum § 8 AsylG 1997 in nachstehend dargestellter Weise auch auf die neue Rechtslage anwenden.

Danach erfordert die Feststellung einer Gefahrenlage auch iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

1.2. Im Hinblick auf die Frage der allfälligen Gewährung von subsidiärem Schutz an den BF kam die belangte Behörde in ihrem Bescheid in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, dass „nicht davon auszugehen war, dass er im Falle einer Rückkehr alleine wegen der Haftbedingungen einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wäre“ (S. 26) und dass „keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es in der Türkei im Rahmen der Verbüßung der Haftzeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu Misshandlungen gerade des BF kommen würde“ (S. 30.)

Dieser Schlußfolgerung setzte sie voraus, dass „gerade hinsichtlich des Gefängnisses in Istanbul vom UN-Sonderberichterstatter im Bericht von 2016 festgehalten wurde, dass die Haftbedingungen generell befriedigend wären. Darüber hinaus wurden Maßnahmen gegen die Überbelegung der Gefängnisse eingeleitet (vorzeitige Entlassungen, Ausbau)“ (S. 31).

Zu den Haftbedingungen in der Türkei stellte sie darauf ab, dass „2017 insgesamt 2.682 Menschen Folter und Misshandlungen laut Meldungen ausgesetzt waren und diese Zahl 2018 auf insgesamt 2.719 Personen gestiegen sei. Davon sollen 1.149 Personen angegeben haben, dass sie in Gefängnissen gefoltert und misshandelt wurden. ... dass vermutlich 20 Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt in Elazig durch das Wachpersonal systematisch gefoltert worden sein sollen. Statt auf Beschwerden gegen das Wachpersonal Untersuchungen vorzunehmen, soll gegen 40 Häftlinge Untersuchungen wegen Disziplinarverstöße eingeleitet. Kritik an den Haftbedingungen gibt es vor allem hinsichtlich der Hochsicherheitsgefängnisse (Typ F).“ (S. 21) „ Zu den unbestreitbaren Problemen in den Haftanstalten zählen, ... die Überbelegung und die damit zusammenhängenden Probleme: unzulängliche Umsetzung der Bestimmungen über Gemeinschaftsaktivitäten, Beschränkungen des Briefverkehrs nicht durchwegs ausreichende Gesundheitsversorgung. ... verfügen über eine Gesamtkapazität von 218.950 Plätzen. Die Zahl der Insassen betrug im Dezember 2018 260.000, dürfte seither noch mehr angestiegen sein. ... In den Gefängnissen gibt es eine nicht näher verifizierbare Anzahl behaupteter Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, darunter willkürliche Einschränkungen der Rechte von Gefangengen und die Anwendung von Folter, Misshandlung und Einzelhaft als Disziplinarmaßnahmen. Im Jahr 2018 gingen bei der Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten etwa 877 Beschwerden über Folter und Misshandlung ein.“ (S. 22).

2.3. Aus diesen Ausführungen zu den Haftbedingungen wurde schon ersichtlich, dass sie sich – soweit sich dort zeitliche Angaben fanden - offenbar auf schon Jahre zurückliegende Informationen stützten.

Zum Thema „Haftbedingungen“ stellte die Behörde zudem fest, „die materielle Ausstattung der Haftanstalten wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert … Dennoch gibt es … Kritik an den Haftbedingungen, vor allem Hochsicherheitsgefängnisse (Typ F) weisen Mängel auf. Überbelegung und Verschlechterung der Haftbedingungen sind – offenbar gemeint: im Allgemeinen – besorgniserregend. In den Gefängnissen der Türkei gibt es zahlreiche Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, darunter willkürliche Einschränkung der Rechte von Gefangenen und die Anwendung von Folter, Misshandlung und Einzelhaft als Disziplinarmaßnahmen. (S. 22)

Demgegenüber wird festgestellt, dass „der UN-Sonderberichterstatter im Bericht von 2016 festgehalten, dass die Haftbedingungen (in näher genannten Städten) generell befriedigend wären.“ (S. 31)

Die genannten Feststellungen waren sohin teils veraltet, zeitlich nicht einordenbar und in sich widersprüchlich.

2.4. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil

1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat

3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder

4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2.5. Die für eine rechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts erforderlichen länderkundlichen Feststellungen in der Bescheidbegründung stellten sich aber wie erwähnt als äußerst mangelhaft dar und vermochten die Schlußfolgerung der Behörde, dass eine Gewährung von subsidiärem Schutz im Hinblick auf die Haftbedingungen bzw. die Möglichkeit von Misshandlung und Folter in der Haft nicht angezeigt sei, nicht zu tragen.

Die länderkundlichen Feststellungen der Behörde zu diesem Beweisthema waren bereits in ihrem Bescheid vom 14.08.2019 mangelhaft, weswegen das BVwG die Angelegenheit mit Erkenntnis vom 02.03.2020 gem. § 28 Abs 3 VwGVG zurückverwiesen hatte.

Dennoch stützt sich das BFA in dem nunmehr ergangenen Bescheid erneut auf dieselben Feststellungen, ohne konkreter auf die Situation des BF einzugehen. Weswegen diese nun nicht mehr als mangelhaft anzusehen wären, erhellte für das BVwG nicht.

Darüber hinaus ignorierte die Behörde in ihrem Bescheid – im Gegensatz zu jenem vom 14.08.2019 -, dass der BF aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung in der Türkei zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen eines Deliktes „mit Terrorismusbezug“ nach einer Rückkehr seine Strafe in einem der sog. F-Typ-Gefängnisse zu verbüßen habe. Sie setzte sich dabei nicht näher mit den kritisierten Zuständen in jenen Hochsicherheitsgefängnissen auseinander. Vielmehr ging sie auf unschlüssige Weise davon aus, der BF würde seine Haftstrafe in einem Gefängnis in Istanbul verbüßen und dort seien die Haftbedingungen laut einem Bericht aus 2016 (!) befriedigend.

Angesichts dessen, dass das BFA also in der angesprochenen Weise bloß ansatzweise ermittelte und auf diese Weise auch zu einer unschlüssigen Entscheidungsgrundlage gelangte, lag in der Folge eine so gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), dass sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens im betroffenen Umfang veranlasst sah.

Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das BVwG war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das BVwG eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das BVwG "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.

3.1. § 10 AsylG lautet:

(1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. …

2. …

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. …

5. …

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 57 AsylG 2005 lautet:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

§ 58 AsylG 2005 lautet:

(1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1.       …

2.       der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

§ 52 FPG lautet:

(1) …

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       …

2.       dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3.       …

4.       …

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

§ 55 FPG lautet:

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

3.2. In Anwendung der og. Bestimmungen wurde von der belangten Behörde - als Folge der Abweisung des Antrags des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - diesem kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt II), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III), seine Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt (Spruchpunkt IV) und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt V).

Als Folge dessen, dass nun der Beschwerde des BF gegen den Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides stattgegeben und das Verfahren dahingehend zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen wurde, war den Spruchpunkten II, III, IV und V die rechtliche Grundlage entzogen und waren diese vom BVwG aufzuheben.

4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gg. Fall gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war.

5. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Ermittlungspflicht Haftbedingungen Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2231972.1.00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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