TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/30 L502 2225035-2

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Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L502 2225035-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2020, FZ. XXXX , zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) wurde am 31.08.2019 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Personenkontrolle aufgegriffen und wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet vorübergehend festgenommen.

Er wies sich dabei mit einem österr. Führerschein und einem türkischen Reisepass, der ein ungültiges Schengenvisum für die Niederlande enthielt, aus.

2. Noch am 31.08.2019 wurde er niederschriftlich einvernommen und anschließend aus der Haft entlassen.

3. Nachdem er mehreren Ladungen zur Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nicht nachgekommen war, wurde er mit Schreiben vom 29.05.2020 über die beabsichtigte Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gegen ihn in Kenntnis gesetzt und zur Stellungnahme zu ihm übermittelten Fragen aufgefordert.

4. Mit Schreiben vom 12.06.2020 nahm ein bevollmächtigter Vertreter des BF Stellung dazu und legte verschiedene Bescheinigungsmittel vor.

5. Am 01.09.2020 langte beim BFA eine Kopie des Bescheides der zuständigen Niederlassungsbehörde vom 16.07.2020 ein, mit dem ein Antrag des BF vom 05.12.2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte / Fachkraft im Mangelberuf“ wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen wurde, der in Rechtskraft erwachsen war.

6. Mit 22.09.2020 ging beim BFA die Mitteilung ein, dass eine vom BF am 14.09.2020 beabsichtigte Eheschließung nicht stattgefunden hat.

7. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 23.09.2020 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV).

8. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 24.09.2020 wurde ihm gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

9. Gegen den am 25.09.2020 dem vormaligen Vertreter des BF zugestellten Bescheid wurde von seiner nunmehrigen Vertretung mit 21.10.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

10. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 27.10.2020 beim BVwG ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren in der Folge der Gerichtsabteilung L502 zugewiesen.

11. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger.

Er hielt sich erstmals in den Jahren 2001 und 2002 als Saisonarbeiter und zwischen 2003 und 2007 durchgehend im Bundesgebiet auf, nachdem ihm eine Niederlassungsbewilligung wegen Familiengemeinschaft mit einer österr. Staatsangehörigen mit Gültigkeit ab 05.12.2003 erteilt worden war. Antragsgemäß wurde diese per 21.11.2004 für ein Jahr verlängert.

Mit Bescheid der BPD Wien vom 16.05.2006 wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot wegen des Eingehens einer sogen. „Aufenthaltsehe“ erlassen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der SID Wien vom 21.12.2006 abgewiesen, mit der Maßgabe, dass die Dauer des Aufenthaltsverbots auf 8 Jahre befristet wurde. Eine dagegen an den VwGH erhobene Beschwerde wurde von diesem mit Erkenntnis vom 27.03.2007 als unbegründet abgewiesen. Er wurde am 22.06.2007 in Schubhaft genommen und am 03.07.2007 auf dem Luftweg in die Türkei abgeschoben. Das Aufenthaltsverbot wurde auf Antrag des BF mit Bescheid der BPD Wien vom 05.07.2007 aufgehoben.

Die von ihm am 07.11.2002 geschlossene Ehe wurde mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichts vom 25.04.2006 geschieden. Er schloss am 23.02.2007 eine weitere Ehe mit einer österr. Staatsangehörigen türkischer Herkunft. Dieser Ehe entstammt eine am XXXX geborene Tochter, der ebenso die österr. Staatsangehörigkeit zukommt und zu der er seine Vaterschaft anerkannt hat. Diese Ehe wurde 2008 geschieden, es fanden jedoch jährliche Besuche der Tochter gemeinsam mit der Mutter beim BF in der Türkei statt. Die Tochter befand sich während eines Haftaufenthalts ihrer Mutter im Jahr 2019 in einer Pflegeunterbringung der Stadt Wien. Der BF ist seit 2014 zur Leistung eines Kinderunterhalts in Höhe von XXXX ,- EUR monatlich verpflichtet.

Er reiste unter Verwendung eines vom 03.07. bis 07.08.2019 gültigen Schengenvisums für die Niederlande und seines türkischen Reisepasses am 07.07.2019 in die Niederlande ein und von dort am 10.07.2019 mit der Bahn über Deutschland kommend in das österr. Bundesgebiet ein, nahm zuerst seinen Wohnsitz bei einer Tante und meldete mit 29.08.2019 einen ordentlichen Wohnsitz bei seiner früheren Gattin und der gemeinsamen Tochter an. Eine für den 14.09.2019 geplante Wiederverheiratung mit der früheren Gattin fand nicht statt. Seit 08.10.2019 hat er seinen ordentlichen Wohnsitz bei dieser Tante.

In der Türkei leben seine Eltern, bei denen er ab 2007 wohnhaft war, und seine Geschwister.

Er spricht Deutsch und Türkisch und leidet unter keinen maßgeblichen gesundheitlichen Einschränkungen.

Er war zwischen 2001 und 2007 in Österreich legal erwerbstätig. Er hat den Beruf des Schweißers gelernt, wofür er 2006 und 2007 verschiedene Zertifikate erwarb. Er verfügt über einen Arbeitsvorvertrag als Facharbeiter vom 12.06.2020.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Er unterliegt in der Türkei keiner individuellen Gefährdung aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage dort.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung des persönlichen Vorbringens des BF vor dem BFA sowie der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, durch Einsichtnahme in den fremdenpolizeilichen Vorakt des BF sowie durch die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters, des IZR und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF, seinen Aufenthalten und fremdenrechtlichen Verfahren im Bundesgebiet, seinen familiären Verhältnissen im Bundesgebiet und in der Türkei, seinen Beschäftigungszeiten und beruflichen Fähigkeiten waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts in unstrittiger Weise festzustellen.

2.3. Zumal er in seiner von einem rechtskundigen Vertreter verfassten Beschwerde keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stellte und in der Beschwerde auch keine sonstigen Beweisanträge gestellt wurden, hat der BF implizit auf deren Durchführung verzichtet (VwGH 29.01.2020, Ra 2019/09/0141, mwN).

Von seiner persönlichen Befragung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil sich aus Sicht des erkennenden Gerichts keine konkreten Anhaltspunkte für eine Ergänzungsbedürftigkeit des von der belangten Behörde geführten Ermittlungsverfahrens und des von ihr erhobenen Sachverhaltes ergaben. In der Beschwerde fanden sich keine anderslautenden Einwendungen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1.

§ 10 AsylG lautet:

(1) …

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

§ 57 AsylG 2005 lautet:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

§ 58 AsylG 2005 lautet:

(1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1.       …

2.       …

3.       …

4.       …

5.       ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

§ 52 FPG lautet:

(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

(2) ….

(3) …

(4) …

(5) …

(6) …

(7) …

(8) …

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) …

(11) …

§ 9 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) …

(5) …

(6) …

Art. 8 EMRK lautet:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

§ 55 FPG lautet:

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) …

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

1.2. Im gg. Fall stützte die belangte Behörde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF angesichts seines unrechtmäßigen Aufenthalts unstrittiger Weise zu Recht auf § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG.

Es lagen keine Umstände vor, dass dem BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 war diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

1.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts des BF auf Achtung seines Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00).

Wie der Verfassungsgerichtshof in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

die Bindungen zum Heimatstaat,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Fremden dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (vgl. Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

1.4. Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, müssen neben der Verwandtschaft noch weitere Umstände hinzutreten. So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgehen (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert.

Zwar lebt der BF aktuell mit einer Tante im gemeinsamen Haushalt, angesichts seiner Volljährigkeit und Arbeitsfähigkeit besteht jedoch kein sogenanntes Abhängigkeitsverhältnis zu ihr und war diese Beziehung daher nicht als schützenswertes Familienleben zu qualifizieren.

Demgegenüber hat er in Österreich eine nun ca. dreizehnjährige Tochter aus seiner zweiten, von 2006 bis 2008 andauernden Ehe mit einer österr. Staatsangehörigen türkischer Herkunft. Sein Kontakt mit ihr war auch nach seiner Abschiebung aus Österreich in die Türkei im Jahr 2007 bis zu seiner nunmehrigen Wiedereinreise durch Besuche in der Türkei etc. aufrecht geblieben. Nach der Einreise im Juli 2019 nahm er auch für wenige Monate seinen Wohnsitz bei ihr und der Kindesmutter, verzog dann aber im Oktober 2019 zu seiner Tante. Unabhängig vom getrennten Wohnsitz besteht daher eine familiäre Nahebeziehung iSd der Judikatur des EGMR zu Art. 8 EMRK zu seiner in Österreich lebenden Tochter.

Es war daher zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Zwar begründete der BF sein hiesiges Familienleben zu einem Zeitpunkt, als er über einen Aufenthaltstitel für Österreich verfügte, allerdings musste ihm zum Zeitpunkt der illegalen Einreise im Juli 2019 sowie in weiterer Folge angesichts seines unrechtmäßigen Aufenthalts bewusst sein, dass sein künftiger dauernder Verbleib in Österreich und damit die Fortsetzung seines hiesigen Familienlebens ungesichert ist. Es müssten im Hinblick darauf nach der Judikatur des EGMR „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, damit sich sein Familienleben dennoch als schützenswert iSd Art. 8 EMRK darstellt.

Dass er aktuell Unterhalt für seine Tochter leistet, war nicht festzustellen. Einen Nachweis dafür legte er nicht vor, vielmehr war angesichts seines aktuell fehlenden Zugangs zum Arbeitsmarkt die gegenteilige Annahme naheliegend. Die Tochter lebt seit ihrer Geburt bis dato bei ihrer Mutter. Ihr Unterhalt und ihre Wohnmöglichkeit wird daher durch die Ausreise des BF nicht gefährdet. Allfällige Unterhaltszahlungen kann dieser zudem auch von der Türkei aus erbringen.

Ihm ist es nicht verwehrt, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Das bestehende Familienleben kann bis dahin durch Besuche seiner früheren Ehegattin mit seiner Tochter, wie dies auch schon zuvor geschehen ist, aufrechterhalten werden. In der Zwischenzeit stünde es ihm auch frei, die persönlichen Bindungen zu Österreich durch briefliche, telefonische oder elektronische Kontakte aufrecht zu erhalten (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235).

Schließlich ist auch auf die Judikatur des VwGH zu verweisen, wonach die allfällige Trennung von Familienangehörigen ebenso wie mögliche Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Heimatland im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen sind (vgl. VwGH 09.07.2009, 2008/22/0932; 22.02.2011, 2010/18/0417) und selbst Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der alleinigen Rückkehr auftreten können, hinzunehmen sind (vgl. VwGH 15.03.2016, Ra 2015/21/0180).

Angesichts dieser Erwägungen stellt sich der Eingriff in das bestehende Familienleben des BF durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht als unverhältnismäßig dar.

1.5. Die Verhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung war auch in Bezug auf das sonstige Privatleben des BF einer Prüfung zu unterziehen.

Er spricht sehr gut Deutsch. Er war in Österreich zwischen 2001 und 2007 legal erwerbstätig und von 2003 bis 2006 auch legal niedergelassen. Im Jahr 2007 wurde jedoch sein mittlerweile illegal gewordener Aufenthalt durch seine Abschiebung beendet. Seine Wiedereinreise im Juli 2019 erfolgte auf unrechtmäßige Weise, was dem BF bewußt war, weshalb er erfolglos eine Legalisierung des Aufenthalts durch eine neuerliche Heirat mit der Mutter seiner Tochter anstrebte. In der Folge misslang auch ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Fachkraft.

Der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen für die Einreise und den Aufenthalt Fremder in das Bundesgebiet kommt demgegenüber der hg. Judikatur folgend besonderes Gewicht zu.

Es waren familiäre Anknüpfungspunkte des BF in der Türkei feststellbar, zumal er ab 2007 bei seinen Eltern lebte. Es kann ihm angesichts dessen und seiner Erwerbsfähigkeit sowie seiner Berufserfahrung eine neuerliche Eingliederung in die dortige Gesellschaft zugemutet werden.

1.6. In einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Aspekte war sohin die Rückkehrentscheidung zulässig und stellt sie keinen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Rechte nach Art 8 EMRK dar. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I war daher abzuweisen.

3.1. Im Hinblick auf § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG war abzuwägen, ob allenfalls konkrete Anhaltspunkte dahingehend hervorkamen, dass seine Abschiebung in den Herkunftsstaat iSd § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre. Maßstab dafür stellen die Art. 2 und 3 EMRK dar.

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Im Fall Paposhvili vs. Belgium (41738/10) vom 20.04.2015 hat der EGMR weiterführend dargelegt, dass "andere sehr außergewöhnliche Fälle im Sinne des Urteils N./GB so verstanden werden sollten, dass sie sich auf eine Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt.“

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Der VwGH hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Fremden gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

3.2. Weder aus dem Vorbringen des BF noch aus dem Akteninhalt sind konkrete Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass seine Abschiebung in die Türkei unzulässig wäre. Weder liegt im gg. Fall für den BF eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), vor noch sind gravierende akute Erkrankungen des BF hervorgekommen. Dass er dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Folter, der Todesstrafe oder einer sonstigen Gefahr für sein Leben ausgesetzt wäre war nicht feststellbar. Auch ansonsten war eine Gefährdung des BF im Falle der Rückkehr in die Türkei nicht ersichtlich. Durch eine Abschiebung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK verletzt werden.

3.3. Die Beschwerde war daher auch gegen Spruchpunkt II abzuweisen.

4.1. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.

Sofern man die aktuellen Ereignisse um die sogen. Corona Virus-Pandemie als möglichen Anlass für eine andersgelagerte Bemessung dieser Frist in Betracht ziehen würde, steht dem die hg. Rechtsprechung entgegen, der zu Folge es sich bei besonderen Umständen im Sinne dieser Bestimmungen lediglich um solche handelt, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind, was aber auf genannte allgemeine Ereignisse nicht umgelegt werden kann (vgl. VwGH 20.02.2014, 2013/21/0114).

Vor diesem Hintergrund waren auch von Amts wegen keine besonderen Umstände iSd § 55 Abs. 2 und 3 FPG feststellbar, derentwegen eine längere Ausreisefrist geboten wäre.

4.2. Die Beschwerde war daher auch gegen Spruchpunkt III abzuweisen.

5. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gg. Fall gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war.

6. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Interessenabwägung öffentliche Interessen Resozialisierung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2225035.2.00

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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