Entscheidungsdatum
04.11.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W211 2158914-1/31E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkt II. und der letzte Satz des Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids zu lauten haben:
„II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Somalia abgewiesen.
III. […] Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am XXXX .2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er zusammengefasst angab, dass die Sicherheitslage schlecht sei und er einer Minderheit angehöre.
Am XXXX 2016 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Zuge des Zulassungsverfahrens einvernommen und führte dabei zusammengefasst und soweit wesentlich aus, in Mogadischu noch über seine Mutter, drei Brüder, vier Schwestern und seine Frau zu verfügen.
Mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX .2017 wurde der Bescheid des BFA vom XXXX 2016, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen wurde und für die Prüfung des Antrags gemäß Art. DB III WAN Art. 18 Abs. 1 lit b der VO (EU) Nr. 604/2013 Ungarn zuständig sein sollte, behoben.
Am XXXX .2017 wurde der Beschwerdeführer durch das BFA einvernommen und gab dabei zusammengefasst an, nunmehr geschieden zu sein. Er sei seit Jänner 2017 Christ. Somalia habe er verlassen, nachdem die Al Shabaab Ende 2015 einmal zu ihm gekommen sei, um ihn zu rekrutieren. Er persönlich habe keine Probleme wegen seiner Volksgruppe gehabt; seine Familie habe ihm gesagt, dass sie – die Volksgruppe - diskriminiert würde.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen und ihm in Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 – 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).
Das BFA stellte dem Beschwerdeführer amtswegig eine Rechtsberatung zur Seite.
3. Mit Schriftsatz vom XXXX .2017 brachte der Beschwerdeführer eine Beschwerde ein.
4. Mit Beschluss des BVwG vom XXXX .2018 wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt. Am XXXX .2019 erschien der Beschwerdeführer bei einer PI im XXXX und gab dort an, er wolle wegen eines negativen Asylentscheids in Deutschland in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Mit Beschluss des BVwG vom XXXX .2019 wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 wieder fortgesetzt.
5. Schließlich mit Schreiben vom XXXX .2020 wurden der Beschwerdeführer, seine Vertretung und das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen. Das Bundesverwaltungsgericht führte schlussendlich am XXXX .2020 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer sowie dessen Rechtsvertretung teilnahmen. Die belangte Behörde hatte sich für die Teilnahme entschuldigt. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer nach seinen Fluchtgründen und nach seinem Leben in Österreich befragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist ein XXXX geborener, volljähriger somalischer Staatsangehöriger.
Der Beschwerdeführer stammt aus Mogadischu, wo nach wie vor zwei Schwestern und zwei Brüder des Beschwerdeführers leben. Insbesondere mit seiner Schwester XXXX steht der Beschwerdeführer in regelmäßigem Kontakt.
Zwei Geschwister des Beschwerdeführers leben in den USA, eine Schwester in Nairobi und ein Bruder in Großbritannien.
Der Beschwerdeführer besuchte in Somalia die Schule. Er übte vor seiner Ausreise keinen Beruf aus.
Der Beschwerdeführer ist gesund.
1.2. Zum Leben in Österreich:
Der Beschwerdeführer stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Der Beschwerdeführer verließ Österreich Richtung Deutschland im Mai/Juni 2017; ab dieser Zeit wies er in Österreich keine Meldung mehr auf und bezog auch keine Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer kam Ende Oktober 2019 wieder nach Österreich zurück, meldete sich am XXXX .2019 bei einer PI im XXXX und weist seit XXXX .2019 wieder eine Meldung im ZMR auf. Der Beschwerdeführer hielt sich damit zuerst, 2016 – 2017, ein Jahr und ca. zwei Monate in Österreich auf und nach seiner Rückkehr aus Deutschland nunmehr wieder ca. ein Jahr. In Europa befindet sich der Beschwerdeführer bereits ca. vier Jahre und sieben Monaten.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Bindungen.
Der Beschwerdeführer spricht bereits sehr gut Deutsch. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia
Aus den ins Verfahren eingeführten Länderberichten ergibt sich Folgendes:
Lage in Mogadischu:
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).
Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).
Sprengstoffanschläge: Im September und Oktober 2018 ging die Anzahl an Anschlägen vorübergehend zurück; dahingegen nahm in diesem Zeitraum die allgemeine Kriminalität zu (UNSC 21.12.2018, S.3f). Danach hat die Zahl an größeren Anschlägen in und um Mogadischu zugenommen (UNSC 15.8.2019, Abs.16). Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber zu gezielten Tötungen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Offizielle, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und –Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Betroffen sind Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden (BS 2018, S.9; UNSC 15.5.2019, Abs.12). Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg der Aktivitäten, fast täglich war ein Anschlag mit einem improvisierten Sprengsatz zu verzeichnen (UNSC 15.5.2019, Abs.12). Vereinzelt kommt es zu großangelegten komplexen Angriffen durch al Shabaab, so etwa am 9.11.2018 auf das Sahafi Hotel (50 Tote, darunter sieben Angreifer) (UNSC 21.12.2018, S.3f). Bei einem Selbstmordanschlag im Juli 2019 kamen u.a. der Bürgermeister von Mogadischu und drei District Commissioners ums Leben (Mohamed 17.8.2019; vgl. AJ 25.7.2019).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21).
Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017, S.35).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 3.9.2019). Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24). Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (BMLV 3.9.2019).
Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.25f).
2018 waren die Bezirke Dayniile, Dharkenley, Hawl Wadaag und Hodan, in geringerem Ausmaß die Bezirke Heliwaa und Yaqshiid von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2018 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile, Heliwaa, Waaberi und Yaqshiid von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).
Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) hat in Mogadischu Anschläge und Attentate verübt, die eigene Präsenz ausgebaut (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Vorfälle: In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 217 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 186 dieser 217 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 207 derartige Vorfälle (davon 177 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):
Vorfälle (mit Todesopfern) - gesamt
BENADIR/MOGADISCHU
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Anzahl Vorfälle / Opferzahl (1/>1)
1
>1
1
>1
1
>1
1
>1
1
>1
1
>1
Boondheere
-
-
7
2
-
1
5
3
3
2
8
2
Cabdulcasiis
-
-
1
1
2
-
1
6
1
-
4
-
Dayniile
20
15
13
2
8
3
9
3
25
11
29
23
Dharkenley
20
4
19
4
25
5
25
7
41
6
43
7
Hawl Wadaag
35
18
19
6
26
4
9
4
15
5
52
20
Heliwaa
47
10
35
11
7
7
10
13
25
-
28
12
Hodan
38
14
49
12
22
16
24
14
40
15
47
25
Karaan
5
3
10
3
2
1
5
1
9
3
13
6
Shangaani
-
-
-
-
-
1
1
-
-
1
-
1
Shibis
3
-
4
2
3
1
6
1
4
1
6
2
Waaberi
9
-
4
1
8
4
12
4
19
2
21
2
Wadajir/Medina
24
5
27
9
17
11
18
6
31
14
20
9
Wardhiigleey
19
2
10
1
12
3
14
4
22
4
12
7
Xamar Jabjab
4
-
6
2
8
1
7
3
11
4
8
-
Xamar Weyne
9
4
7
3
3
2
4
5
4
7
8
3
Yaqshiid
34
19
21
9
12
7
15
4
25
7
24
16
N.N.
20
14
11
8
4
3
9
15
35
15
24
13
287
108
243
76